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XVII.

Eduard hatte jetzt für zwei zu sorgen.

Seit einem halben Jahr wurde er nach einem glänzend bestandenen Examen im Staatsdienst als Regierungsbauführer beschäftigt.

Da er dem Berliner Bezirk überwiesen worden war, hatte er seine alte Wohnung in Charlottenburg behalten dürfen, und bei ihm wohnte seit einem Monat – – – – – Martin, der reumütig zur Zahnheilkunde zurückgekehrt war. Und Martin war es, dessen Unterhalt von Eduard jetzt vollständig bestritten werden mußte!

Schon ein Vierteljahr, nachdem ihm Eduard zum letztenmal aus freiem Willen unter die Arme gegriffen hatte, waren die Wogen über Martin vollständig zusammengeschlagen.

Der Subhastation des Rennstallbesitztums, die Eduard durch weitere Geldopfer abzuwenden sich entschieden geweigert hatte, weil Martin an Stelle der gelöschten Hypothek zur Tilgung alter Schulden neue Gelder aufgenommen hatte, war Martins zwangsweise Vorführung zur Ableistung des Offenbarungseides gefolgt.

Nicht ohne einige humoristische Zwischenfälle hatte Martin dann im Termin ein Verzeichnis der Habseligkeiten, die ihm noch geblieben waren, aufgestellt, und der für das Königliche Amtsgericht als »Richter kraft Auftrags« fungierende Referendar hatte sich an den zu seinem Besitze gehörigen

»zwölf seidene Unterhosen
vierundzwanzig Paar dito Strümpfen«

besonders herzlich belustigt.

Schließlich hatte dann Eduard daran glauben müssen und die Sorge des Unterhalts für Martin auf seine jungen Schultern genommen.

Die Zinsen des ihm verbliebenen Vermögens hätten gerade zu einem anständigen Auskommen für seine Person gereicht.

So aber galt es, sich nun einzuschränken, da Martins Studium ziemlich kostspielig war. Um ihn nicht über die Stränge schlagen zu lassen, erhielt er von Eduard für seine Mahlzeiten und kleinen Ausgaben täglich einen bestimmten Betrag ausgezahlt.

Dabei machte Eduard dem Älteren unausgesetzt Vorhaltungen, er möge sich durch Stundengeben einen Nebenverdienst verschaffen.

Aber Martin, der jetzt zwar knechtisch geduckt in allen anderen Dingen dem Bruder gehorchte, war dazu nicht zu bewegen!

Ein ziemlich alter Bruder Studio war er mit seinen achtundzwanzig Jahren! Ja, Eduard erlebte sogar eines Tages, oder richtiger eines späten Abends, wirklich den Witz, diesen alten Knaben sinnlos betrunken mit den Fuchsenfarben eines Berliner Korps nach Hause kommen zu sehen.

Martins Korpsburschentum blieb jedoch eine kurze Episode in dem Romanzyklus seines ebenso lockeren wie farbenreichen Lebens.

Nach der ersten einstimmig »ungenügend« zensierten Mensur – er hatte nach der Meinung des Fechtwarts »wie ein junger Löwe gekniffen« – wurde er vom C. C. als unbrauchbar abgegeben.

Aus dieser Relegation in milder Form machte sich Martin aber sehr wenig. Da er auf der Mensur gehörig abgestochen worden war, hatte er sich immerhin ein gewisses akademisches Gepräge in Gestalt von fünf strammen Durchziehern als süßes Geheimnis unter den Wickelbandagen nach Hause gebracht.


Wieder verstrich ein Jahr.

Als Eduard nach diesem Jahr bemerkte, daß beider Verbrauch ihn dazu zwang, vom Kapital einen nicht unwesentlichen Zuschuß zu seinen Renten abzuheben, drang er wiederum ganz energisch in Martin, durch irgendwelchen Nebenverdienst als Stundenlehrer oder Assistent bei einem Zahnarzt – Martin stand einschließlich der früheren Studienzeit im sechsten Semester – mit zu dem Lebensunterhalt beizutragen.

Martin aber weigerte sich entschieden, vorläufig etwas dazu beizusteuern, und betonte, daß er sich vollständig für das im siebenten Semester vorgeschriebene Staatsexamen »konzentrieren« müsse.

So hatte sich Eduard, um ihm wenigstens mit gutem Beispiel voranzugehen, entschlossen, dieses Inserat im Lokalanzeiger aufzugeben:

 

»Dipl. ing.
erteilt Privatunterricht in Mathematik und Sprachen«

 

Unter den eingegangenen Angeboten sagte Eduard besonders ein in sehr netter Tonart gehaltener Brief zu, mit dem Frau verw. Rentiere Totzke geb. Totzke für ihren fünfzehnjährigen Jungen einen »gesetzten Herrn« zur Nachhilfe in der Mathematik in ihm gefunden haben wollte.

Zwar wohnte die Dame etwas entfernt von Eduards Wohnung, weit unten im alten Dorfe Schöneberg, doch die recht ansprechende Schreibweise der Absenderin veranlaßte Eduard immerhin, den zur Festsetzung der Stunden erbetenen Besuch zu machen.

Frau Totzke bewohnte eine geräumige zweistöckige Villa, die ihr der Gatte vor fünfzehn Jahren, als er sich durch den rapiden Aufschwung Groß-Berlins vom Ackerbürger plötzlich zum vielfachen Millionär entwickelte, in entsprechendem Stile hatte bauen lassen.

Die gemeinsamen Vorfahren der beiden Ehegatten – Herr Totzke selig war der Vetter seiner Frau gewesen – hatten fast hundert Jahre lang hier vor den Toren Berlin-Köllns Ackerbau und Viehzucht getrieben. War der märkische Sandboden auch nicht sehr ertragreich, er hatte es wenigstens stets vermocht, bei rationeller Bewirtschaftung seinen Mann zu ernähren, und Großvater Totzke, ein ehrsamer Bauer, hatte bei der Hochzeit seiner beiden Enkelkinder eitel Freude darüber empfunden, daß seine achtzig Morgen Kartoffelland, die er schon voller Schmerz unter seine beiden Söhne hatte teilen müssen, durch das gütige Schicksal auf absehbare Zeit wieder vereinigt wurden.

Gustav Totzke, der Enkel, aber hatte keine Beleidigung seines Familiensinnes mehr in der Zumutung erblickt, als eine große Bank ihm sogar die Aufteilung seines Landkomplexes in kleine und kleinste Baustellen für die entsprechende Bezahlung anbot. Im Gegenteil, er hatte es in seiner Bauernschlauheit sogar verstanden, jede einzelne, auch die kleinste Parzelle an den richtigen Mann zu bringen, und so seinen Sandboden in Verlauf von zwei Jahren in eitel Gold zu verwandeln.

An dem Genusse seiner reichen Ernte sollte er sich aber nicht lange erfreuen können. Jung hatte ihn ein schneller Tod hinweggerafft. Seine Frau Luise und der kleine Emil waren seine einzigen Erben geworden.

Frau Luise Totzke mußte sich nun schlecht und recht in ihr Schicksal schicken.

Da die Erziehung des kleinen Emil ihr keine allzu großen Schwierigkeiten bereitete – er besuchte selbstverständlich das Gymnasium! – widmete sie ihre freie Zeit der Ausübung eines eigenartigen Mäzenatentums.

Mit besonderer Vorliebe förderte sie Wunderkinder.

So ließ sie ihr als talentvoll empfohlene Musiker auf eigene Kosten ausbilden, oder aber sie bezahlte hervorragend begabten Musensöhnen ihr Universitätsstudium.

Wenn Frau Fama ihr jedoch recht niederträchtig hin und wieder ganz selbstische Triebfedern für ihre Wohltätigkeit unterschieben wollte, war sie von der Schlechtigkeit der bösen Welt geradezu empört.

Es gingen nämlich häufig Gerüchte in der Nachbarschaft, daß die reiche Witwe Totzke an ihren jungen Schutzbefohlenen auch noch andere Vorzüge als die rein künstlerischen zu schätzen pflegte.

In diesen Tagen sollte sie einem jungen Opernsänger nach heftigen Seelenkämpfen die endliche Erlaubnis und damit auch die ausreichenden Mittel zu einer Weltreise gegeben haben, nachdem er sie ein ganzes Jahr lang zweimal wöchentlich nach dem Abendessen von dem steten Fortschreiten seiner Gesangsstudien hatte überzeugen müssen!


Ein wenig neugierig wurde Eduard doch, als er an seinem Ziel statt einer großen Mietskaserne da unten am Ende der Potsdamer Straße eine recht einfach anmutende Einfamilienvilla vorfand.

Rasch zog er an der plumpen Hausglocke des altmodisch-schwerfälligen Tores.

Brummend öffnete ihm der Pförtner und ließ ihn wissen, daß man hier erst angemeldet werden müsse.

Zu diesem Zwecke begab sich der Alte nach oben, und nach einer ziemlich langausgedehnten Wartepause wurde ihm von dem mürrischen Mann bedeutet, daß die Gnädige bereit sei, ihn zu empfangen.

Unfroh schritt er die am Rande mit dünnen Blechschienchen beschlagenen steilen hohen Treppenstufen empor und wurde von dem Stubenmädchen in Frau Totzkes Salon geführt.

Sich im Zimmer ein wenig umzuschauen, blieb ihm keine Zeit.

Frau Luise Totzke war unmittelbar nach seinem Eintritt von rechts hereingerauscht.

Etwa sechsunddreißig Jahre alt mochte sie sein, doch ließ sich das auf den ersten Blick mit Sicherheit nicht feststellen.

Denn für ihre Hautpflege hatte sich Frau Luise die Errungenschaften der modernen Kosmetik stets zunutze gemacht, so daß sie der flüchtige Betrachter gut und gern zehn Jahre jünger schätzen mochte. Ihre elegante und gut gekleidete Figur unterstützte auch Eduards erste Annahme, da er zu einer näheren Betrachtung seines Gegenübers – sie hatten sich bald auf einen Wink Luisens gesetzt – gar nicht kam, weil seine Sinnesorgane durch wuchtige von ihr strömende Parfümwolken außer Tätigkeit gesetzt waren.

Frau Luise glich in ihren elastisch-eleganten Bewegungen einer Katze.

Ihre großen grauen Augen, die zunächst in sinnlichem Gefunkel Eduards Gestalt von Kopf bis Fuß gemustert hatten, ruhten recht wohlgefällig auf ihm. Jetzt begann ihr Examen:

»Sind Sie noch Student, Herr – – – Herr – – –«

»Weitbrecht ist mein Name,« war seine Antwort.

»Ganz richtig, Herr Weitbrecht,« fuhr Luise fort und betrachtete seine auf dem Tisch liegende Visitenkarte –.

Eine Verlegenheitspause entstand.

»Ich bin Regierungsbauführer – also mit den Studien zu Ende,« nahm nach kurzem Schweigen Eduard das Gespräch wieder auf, »meine dienstliche Inanspruchnahme ist vorläufig nicht sehr groß, so daß mir die freie Zeit für einige Privatstunden wohl bleibt.«

»Regierungsbauführer – ach, das ist ja riesig interessant! – Sie leben wohl hier bei Ihren Eltern?«

»Meine Eltern sind tot, ich wohne mit meinem älteren Bruder, der in Berlin studiert, zusammen.«

»So, einen Bruder haben Sie auch – – und älter ist er als Sie – – – und studiert noch, während Sie bereits Ihr Studium hinter sich haben! Ach, das ist wirklich riesig interessant!

Was studiert er denn so lange?«

»Mein Bruder war zunächst Fahnenjunker und hat sich erst spät zum Studium der Zahnheilkunde entschlossen. Er hat dieses Fach gewählt, weil es die kürzeste Zeit erfordert!« setzte er entschuldigend hinzu.

»Und wie lange studiert er schon, der Herr Bruder?«

»Er geht dieser Tage ins Staatsexamen.«

»Ach wie interessant! – – Nun aber zu Ihnen! Wann könnten Sie meinem Emil die Stunden erteilen? Am Vor-, Nachmittag oder Abend?«

»Nachmittags oder abends, gnädige Frau, da ich früh meist dienstlich beschäftigt bin, aber nachmittags bin ich immer frei!«

Luise funkelte ihn wieder mit ihren Katzenaugen an.

»Ich glaube, Sie sind mir ganz der Rechte, Herr Weitbrecht! Hoffentlich vertragen Sie sich gut mit meinem Jungen – er ist augenblicklich in der Schule! – – – Der Emil ist ein bißchen faul! Aber, ich denke, es wird wohl alles werden!«

»Das hoffe ich auch, gnädige Frau! Was ich tun kann, um ihn zu fördern, soll geschehen.«

»Na, von mir aus betrachten Sie sich als engagiert, Herr – – Herr –«

»Weitbrecht, gnädige Frau!«

»Ja so! Herr Weitbrecht – und nun noch die Honorarfrage – –! Ihre Beantwortung stellen Sie mir nur anheim. Ihr Schade soll es nicht sein!«

»Sie gestatten mir also, mich jetzt zu empfehlen, meine Gnädigste?«

»Da wir alles Wichtige besprochen haben, erwarte ich Sie morgen gegen ein halb acht Uhr zum Abendessen!«

Als Eduard sich ein wenig weigern zu wollen schien, beschloß Luise mit einem vielsagenden Blick die Unterredung:

»Das habe ich von jeher so eingerichtet, daß die Nachhilfestunden von acht bis neun oder von sechs bis sieben gelegt werden, damit der betreffende Herr sich auch mir dann ein bisserl zu widmen gezwungen wird! Ja – das muß sein! Und nun: Auf Wiedersehn, Herr Weitbrecht! Bis morgen!«

Eduard hatte nicht mehr Zeit gefunden, Luisens ihm flüchtig gebotene Hand zu küssen.

Frau Totzke war aus dem Zimmer gerauscht, und nur ihr aufdringlicher Fliederduft erinnerte Eduard daran, daß es auch für ihn jetzt an der Zeit sei, zu gehen.


Der nächste Abend brachte dem kleinen Emil Totzke einen neuen Stundenlehrer. Und Eduard brachte er auch viel Neues.

Nach dem gemeinsamen Abendessen – Frau Luise hatte sich als seine Tischdame aufgespielt und ihn besonders liebevoll bedient – überließ ihn die Herrin des Hauses zwar seinem Schüler, hatte aber die ausdrückliche Anordnung getroffen (vom Aussprechen einer Bitte konnte bei ihrem kategorischen Imperativ keine Rede mehr sein), daß »Herr Weitbrecht sich ja nach dem Unterricht noch einmal bei ihr zu melden habe; denn auch sie wünsche sich über die Geheimnisse der Algebra näher unterrichten zu lassen«.

Emil war ziemlich weit zurück – –! Und Eduard hatte viele Mühe aufzuwenden, um ihm die elementarsten algebraischen Leitsätze, deren Kenntnis die Untertertia einmal verlangte, klar verständlich zu machen. Aber der Verstand des Knaben verschloß sich geradezu feindlich gegen die Aufnahme dieses Lehrstoffes. Auch für ihn bedeutete Mathematik ein »Anathema dicker Köpfe«. Denn den Dickkopf, den hatte Emil wohl vom Großvater selig ererbt. Aber, was half es?

Eduard bemühte sich um den harten Schädel und hatte nach Verlauf der ersten Stunde wenigstens die kleine Genugtuung, daß der Junge ihm erklärte, so lieb und gut wäre noch kein »Pauker« mit ihm verfahren!

Und jetzt wolle er auch gern lernen.

Das aber sollte auch Eduard bald nach Frau Luisens meisterlicher Methode.

Den Kleinen brachte das Mädchen gleich nach der Stunde zur Ruhe, und Eduard meldete sich bei der Hausfrau – wie ihm geheißen worden war. Luise lud ihn mit leichtem Kopfnicken ein, Platz zu nehmen und ließ sofort alle Minen springen.

Zunächst weckte sie den ganz Verschüchterten. Denn Eduard war von der Anstrengung der verflossenen Algebrastunde noch ganz vor den Kopf geschlagen.

Aber Frau Luise wußte bald Rat.

Das Mädchen kredenzte gerade ein Gläschen Portwein, die Herrin höchstselbst schälte ihm eine Birne ganz mundgerecht, so daß Eduard sich bald etwas gehen ließ und eine Unterhaltung in Gang brachte.

Luise hatte sich recht kokett auf den Diwan gesetzt, das heißt mehr gelegt als gesetzt.

Da sie sich während des Unterrichts umgekleidet hatte, ließ ihr seidenes »Teegown« Eduards weinbewegten Phantastereien einen weiten Spielraum.

Als sie ihm da plötzlich gar ihr zierliches Füßchen zeigte, wurde Eduard mutig. Und wurde mutiger.

Das Hausmädchen hatte längst auf einen strengen Blick Luisens das Zimmer verlassen, und ohne zu wissen, wie es geschah, hatte Eduard der Herrin nach dem dritten Kelche Malaga ganz unbewußt und unvermittelt die ihm willig überlassene Hand geküßt!!!

Das übrige besorgte Frau Luise …

Handfest packte sie in gewohnter Kraft das neue sich ihr bietende Glück und ließ es nicht mehr locker.

Mit einer katzenartigen Eleganz wußte sie sich eine übermütige zweite Jugend, die ihr aus Eduards treuen Augen entgegenglänzte, zu erringen und zu sichern.

Und Eduard fühlte sich zum ersten Male von weichen Weiberarmen umschlungen, von weichen Weiberhänden gefesselt und von weichen Weiberlippen glühend geküßt.


Diese Nacht barg Eduard Weitbrechts Sündenfall …


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