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XVI.

Martin hatte nicht durchgehalten.

So war auch Eduard gar nicht zu ihm gezogen. Kurz vor Ablauf des Prüfungsmonats hatte er sogar seine Besuche zu den Mahlzeiten, die er selbstverständlich bezahlen mußte, mit gutem Recht wieder eingestellt.

Und dies war so gekommen:

Während Martin eine Woche lang täglich wieder in den Vormittagsstunden den Besuch der zahnärztlich-klinischen Kurse der Universität aufgenommen hatte, war er dem Spiel auch völlig ferngeblieben.

Des Nachmittags hatten viele Kauflustige mit Besichtigungen und Probefahrten der zum Verkauf annoncierten Traber ihm genügend zu schaffen gemacht, bis es ihm dann schließlich gelungen war, Wagen und Pferde für einen immerhin annehmbaren Preis loszuschlagen. Von Walter Löwy beraten, hatte Eduard nämlich mit einer freiwilligen Versteigerung nach Ablauf der Woche gedroht.

Über Eduards jetzt immer mehr zum Durchbruch kommende Energie hatte sich Martin zuerst ein wenig gefreut und den schnellen Verkauf betrieben. Als er jedoch das Geld für das Gespann in der Tasche hatte, bereute er es tief, das ihm liebgewordene Traberpaar mit einem großen Verluste auf das stete Drängen des ihm »monoman« erscheinenden Bruders verkauft zu haben.

Nur um Eduard gleichsam für seine »Launen« zu bestrafen, nahm er an diesem Abend mit besonderer Eile sein Abendessen zu sich und schützte – als er sich von Eduard verabschiedete – eine Verabredung mit einem Reflektanten auf das Gespann vor.

Daß er dasselbe bereits verkauft hatte, behielt er klug für sich.

Und den erhaltenen Kaufpreis verschlang an diesem Abend im Klub in kurzen Stunden der Moloch Poker!!!

Am nächsten Morgen war Martin schnell auf seine Bank geeilt, um sich das fehlende Geld zur Ablieferung des Anteils an Eduard zu holen. Denn länger als einen Tag konnte er den Verkauf des Gespannes vor Eduard nicht gut verheimlichen.

Auf seinen Wunsch nannte man ihm bei der Depositenkasse die Endsumme seines Lombardkontos; er hatte im letzten Vierteljahr seine dort lagernden Papiere bereits über die Hälfte ihres Wertes beliehen und war dadurch mit dem Betrage von hundertachtundzwanzigtausend Mark Schuldner der Bank geworden.

Nach und nach hatte sich durch die fortwährenden Abhebungen für das Spiel die Summe so angehäuft! Da er sich nun vor dem Beamten in falschem Stolze schämte, gab er ihm den Auftrag, sofort für hundertundfünfzigtausend Mark Effekten zu verkaufen und das Guthaben der Bank aus dem Erlöse zu tilgen.

Zerknirscht verließ er das Geschäftslokal!

Auf der Straße drohte ein Schwindelanfall ihn fast niederzureißen.

Unverständlich, ja kaum glaublich war für ihn das schnelle Anschwellen des Schuldbetrages!

Er schrie nach einem Ausweg!

Heute wollte er es nochmals versuchen, vielleicht war die »Pechsträhne« zu Ende? – – – – Vielleicht hatte er heute endlich wieder das alte Glück!!! Vielleicht kam ein Wunder!?!

Eduard, mit dessen Fortgang sein Unglück begonnen hatte, war ja wieder versöhnt! – – – Und wenn er auch am gestrigen Abend verloren hatte – – – – einmal ist ja bekanntlich keinmal – – –! Heute würde – – – mußte es unbedingt glücken! – Das Wunder mußte geschehen!

Mit solchen Reflexionen ging er nach Haus. Und von diesem Tage an begann auch wieder seine alte Vertuschungspolitik Eduard gegenüber, bis er, als der Monat schon seinem Ende zuneigte, einmal wieder die ganze Nacht durchgespielt hatte. Am folgenden Tage erschien er zum Essen nicht am Tisch, weil er doch erst morgens zu Bett gegangen war.

Dem schon Ahnenden bekannte er jetzt durch sein gänzliches Ausbleiben wieder Farbe. So hatte es Eduard vorgezogen, sich schnell wieder ganz auf sich selbst zu besinnen, und mied – wie ehedem – seines Bruders Heim.

Martin hatten nun alle guten Geister verlassen.

Er war im Klub als der wildeste Spieler gefürchtet. Keiner der vielen dort verkehrenden Herren – die Mitgliederzahl hatte sich Tag um Tag vermehrt – spielte noch gern mit ihm, weil sein häßliches Betragen im Verluste ungenießbar wurde!

Gewann er auch einmal zufällig, nahm er sofort wieder verbindlichere Umgangsformen an. – – – Zumeist aber ging er mit starken Verlusten aus dem Klub – – – von allen gehaßt und gefürchtet.

Dennoch verstand er es, sich noch ganze sechs Monate über Wasser zu halten.

Er spielte jetzt oft zu niedrigen Sätzen.

Ja, es wurde ihm schließlich alles egal, wenn er nur überhaupt spielen konnte.

So war der Winter grau dahingegangen.

Die Brüder sahen sich jetzt sehr selten; denn Eduard hatte alles Zutrauen zu Martin verloren.

Der Frühling kam, und Martin raffte seine letzte Lebenslust zusammen.

Durch einen Zufall war er von einem Bekannten nach Karlshorst eingeladen worden, wo jetzt das Training der Pferde für die ersten Rennen auf der Tagesordnung stand.

Neue Talente flammten da plötzlich in Martin auf, als er in den Ställen die edelsten Pferde stehen sah, die dann alle nacheinander auf der noch ganz rasenkahlen Bahn »bearbeitet« wurden.

Herrenreiter wollte er werden! Es stand sofort fest bei ihm! Aber nach dem ersten Worte, das er zu seinem Wirt, einem bedeutenden Trainer, über diesen Wunsch sprach, riß der seinen Gastfreund gleich aus allen Himmeln.

»Mit Ihrer Kürassierfigur können Sie doch keinen Herrenreiter abgeben. Sie wiegen ja wenigstens Ihre zwei Zentner, Herr Weitbrecht!«

Ganz verzagt ließ sich Martin dann belehren, wie so ein Herrenreiter beschaffen sein müßte.

Im Laufe der Unterhaltung legte der Trainer Martin, der immer sehr vornehm auftrat, die Frage vor, ob er sich denn nicht einen Rennstall zulegen wollte.

Martin renommierte nun wieder ganz geschmeichelt, daß er zwar nur Infanterieoffizier der Reserve sei, daß er aber stets sehr viel für Reitsport und Pferdezucht übrig gehabt hätte, was ja auch daraus erhelle, daß – wie der Trainer wohl noch wisse – er ein Paar Traber für seine Equipage halte.

Der Trainer erzählte ihm dann, daß der Rennstall eines in nächster Nähe von Karlshorst wohnenden Freundes recht billig zu haben sei. Mit fünfundzwanzigtausend Mark Anzahlung würde der Mann ihm zehn rassereine Pferde, den dazugehörigen Stall, eine kleine Scheune und ein niedliches, vollständig eingerichtetes Wohnhäuschen zu durchaus angemessenem Preise gern verkaufen. Das Restkaufgeld würde der Besitzer ihm sicher zehn Jahre fest stehen lassen, so daß für den »Herrn Leutnant«, wie er Martin plötzlich anredete, »die ganze Sache doch nur eine Kleinigkeit sei«.

Martin, der von sich glaubte, ein äußerst tüchtiger Geschäftsmann zu sein, der zwar raffiniert war, von geschäftlichen Dingen im Grunde aber überhaupt nichts verstand, konnte der neuen Lockung nicht widerstehen.

Von seinem Vermögen hatte er gerade noch ein Viertel übrig.

Drei Viertel hatte er verspielt, verlebt, verzecht und für Kleidung, Frauen und Pferde verausgabt. Er überlegte, daß er ja noch seine kostbare Einrichtung verkaufen könne, und stellte im stillen fest, daß ihm immer noch dreißigtausend Mark verbleiben würden, wenn er die Anzahlung für den Rennstall erlegt hatte.

Dies alles fuhr ihm durch den Kopf, bevor er den Stall und die kleine Villa überhaupt gesehen hatte. Und sofort beschloß er für sich, »den ganzen Kitt auch zu erwerben«. Da er ohnedies endlich auch einen festen Beruf für sich ersehnte, erschien ihm der Vorschlag des Trainers als glänzende Kombination, die er unbedingt ausnutzen mußte.

»Rennstallbesitzer!« Das klang recht feudal und wirkte wieder stark auf seine Eitelkeit.

Es hätte des langen Sermons seines Wirtes gar nicht mehr bedurft, um den Gimpel auf den Leim zu locken. Nachdem der Trainer mit seiner hellen Anpreisung, die Martin gar nicht gehört hatte, weil er wieder einmal in Träumen schwelgte, zu Ende war, wurde angespannt.

»Auf zur Besichtigung!« jubelte es in Martin.

Am gleichen Nachmittag noch schloß der »Herr Leutnant« Martin Weitbrecht mit notariellem Akte in Berlin den durch Handschlag bereits nach der Besichtigung »perfekt« gewordenen Kauf ab. Das ganze Anwesen wurde ihm sofort aufgelassen und übergeben.


Es war just der erste April, als Eduard von Martin die Nachricht des Rennstallkaufes erhielt.

Zuerst glaubte er, daß der Bruder sich mit dieser Mitteilung einen Aprilscherz dachte.

Nachdem er aber dann den Brief zu Ende gelesen hatte, in dem ihm Martin die große Rentabilität seines neuesten Unternehmens in den leuchtendsten Farben und höchsten Gewinnziffern darlegte, wußte er, daß es ein bitterer Ernst war – kein Klownsprung in den April!

Voller Sorgen machte sich Eduard bald darauf eines Sonntags auf, um den Bruder auf dessen Einladung in seinem neuen Wirkungskreise aufzusuchen.

Natürlich holte ihn Martin im offenen Wagen von der Station Karlshorst ab und sang schon während der Wagenfahrt in großen hellen Tönen seinem ungewöhnlichen Geschäftsgeist und klugem Zugreifen im rechten Augenblick die größten Lobeshymnen.

Durch den fortwährenden Aufenthalt in der Landluft war er wieder recht frisch und froh geworden, doch trugen dazu die englischen Breeches in Stulpenstiefeln, ein »preß« anliegender Reitrock und nicht zum wenigsten das nach langer Pause wieder zu alten Ehren gekommene Einglas ein gut Teil bei.

Martin fühlte sich hier draußen auch wirklich in seinem Element. Er schaltete und waltete im Stalle wie der geborene Pferdepfleger, schimpfte die Kutscher aus, wenn er nicht alles in Ordnung vorfand, und zankte sich regelrecht mit den Jockeis herum, die aber seine Autorität noch nicht ganz anzuerkennen schienen.

Eduard hatte seine ehrliche Freude. Nun glaubte er den Bruder endlich auf der richtigen Linie. Er erblickte schon in der Tatsache, daß Martin sich selbst um alles kümmerte, den guten Willen des Älteren, nunmehr wenigstens etwas zu leisten, und konnte deshalb immerhin dessen neueste »Bestrebungen« gelten lassen.

Martin wieder schiffte mit geschwellten Segeln auf einer Flut sicheren Selbstbewußtseins einer strahlenden Zukunft entgegen. Er träumte laut:

»Der Name Weitbrecht wird durch mich in Sportkreisen unsterblich gemacht werden. Nach hundert Jahren wird man noch von meinen Gäulen und ihren Siegen erzählen!« rief er ein über das andere Mal aus. Dann zeigte er Eduard die Stammbäume aller seiner Pferde, auf die er so stolz war, als wiesen die Pedigrées seine eigene Ahnenzahl nach.

Jeder der Renner mußte Eduard vorgeführt und auf einer neben dem Stall befindlichen kleinen Reitbahn auch vorgeritten werden.

Martin erklärte (wie der geborene Sportsmann mit den in der kurzen Zeit des neuen Berufes von den Jockeis und Kutschern aufgeschnappten Fachausdrücken) die Vorzüge jedes einzelnen Vollblüters und nutzte die Gelegenheit, alles das, was er hier schnell gelernt hatte, bei dem sportsunkundigen Bruder anzubringen, weidlich aus.

Gegen Abend ließ Martin seinem Bruder – wie er sich ausdrückte – einen »ländlichsittlichen« Imbiß reichen und brachte ihn dann wieder höchst persönlich zur Bahnstation.

So schied Eduard vorläufig beruhigt und gab wieder einem leisen Hoffen auf den Älteren Raum.


Ein Vierteljahr war Eduard seinem Ziele noch fern, weil er sich entschlossen hatte, ein Semester länger zu studieren.

In emsiger Arbeit war dadurch alles Versäumte glücklich nachgeholt worden, und er fühlte sich ruhig und sicher! Für alle Fächer hatte er gleich viel geleistet, und besonders im letzten freiwillig zugelegten Semester war er von seinen Professoren den anderen Studierenden oft als Zeichengenie und Mustermathematiker hingestellt worden.

Aber Eduard gehörte keineswegs zu den Menschen, die sich durch derartige Belobigungen in Ruhe wiegen ließen. Trotzdem er wußte, daß ihm die beste Aussicht für eine erfolgreiche Prüfung winkte, ließ er keinen Tag vorübergehen, ohne diese oder jene Disziplin fleißig wiederholt und befestigt zu haben.

Von Martin, der nur ab und zu in Berlin weilte, hörte er wenig.

Die Rennsaison war bereits über ihren Höhepunkt hinausgediehen und näherte sich schon ihrem Ende.

Zu den ersten Rennen hatte Eduard natürlich immer zur Stelle sein müssen.

Als aber der Weitbrechtsche Stall absolut keinen Erfolg auf dem grünen Turf aufweisen wollte, sondern mit seinen Vertretern meist nur unter der Rubrik »Ferner liefen« genannt wurde, war es Martin später ganz recht gewesen, wenn Eduard, der nur wenig oder gar kein Interesse für den Rennsport hatte, den weiteren Rennen fernblieb.

Eine dunkle Verzweiflung wollte Martin manchmal übermannen, wenn er beim »Finish«, den Krimstecher an die Augen gepreßt, fiebernd auf der dem Start gegenüber befindlichen Tribüne stand und dann immer wieder die heißgehegte Hoffnung schwinden sah. Wie der Kapitän eines fast gesunkenen Schiffes verzweifelt noch auf die letzte schwimmende Planke springt, um nur einen kleinsten Hoffnungsfunken für noch kurze Augenblicke zu nähren, so sehnte auch Martin immer bis zum Ende jedes einzelnen Rennens vor Aufregung zitternd den Sieg seines Stalles herbei, trotzdem er schon nach der ersten Runde mit inzwischen erworbenem Kennerblick voller Schrecken sehen mußte, daß doch alles Hoffen vergebens sein würde!

Selbst Martins starke Nerven waren auf die Dauer gegen solche aufreibenden Minuten des Schwankens zwischen Sieg und Fall seiner Flagge nicht gefeit.

Zu diesen dumpfen Schicksalsschlägen gesellten sich auch weitere finanzielle Schwierigkeiten, welche seiner stahlharten Natur erst recht einen zermürbenden Abbruch taten.

Zehn Pferde wollten fressen, die kostspieligen Transporte von einem Rennplatz zum andern verschlangen Unsummen, die Besoldung der Trainer, Jockeis und Kutscher nicht zu vergessen! Und erst die Wetten!

Aus Hochachtung vor seinem eigenen Pferdematerial setzte Martin, um das Glück gleichsam zu zwingen, stets gerade auf sein bestes Pferd, ohne daß es sein Liebling im Rennen dazu brachte, auch nur einmal Favorit des Publikums zu werden.

Zweimal hatte Eduard bereits helfend einspringen müssen. Martin hatte beide Male eine »augenblicklich große Verlegenheit« vorgeschützt, die bei einem »Großbetriebe«, wie ein Rennstall ihn darstellte, oft für »wenige Tage« eintreten könne, bald aber wieder behoben sein würde.

Das erstemal hatte Eduard einen Scheck über fünfzehntausend Mark, das zweitemal noch einen über zwölftausend Mark ausstellen müssen. Martin hatte jedesmal dabei versichert, daß er diese »Gefälligkeiten« nur zur Hinterlegung benötige.

Aus den finanziellen Schwierigkeiten kam er aber nun nicht mehr heraus.

Schlag auf Schlag trafen ihn täglich neue Qualen.

In diesen Tagen wurde er auch aus der Berliner Wohnung exmittiert und die ganze Einrichtung vom Hauswirt versteigert. Länger als dreiviertel Jahre wollte sich der Wirt nämlich auf eine Stundung des Mietzinses nicht einlassen.

Eduard, dem ja die Hälfte der Möbel gehörte, teilte Martin aus Schamgefühl gar nichts von alledem mit!

Martin hatte den Kontrakt allein unterzeichnet, und ohne Wissen des jüngeren Bruders kamen so alle eingebrachten Möbel, die der Hauswirt als ausschließliches Eigentum Martins betrachtete, unter den Hammer. Die Auktion zerstreute die schönen Stücke in alle Winde!

Nachdem der Hauswirt sich zunächst für die ganze Kontraktdauer aus dem Erlöse schadlos gehalten hatte, erhielt Martin den Überschuß, einige hundert Mark, vom Gerichtsvollzieher ausgezahlt, die wie ein Tropfen Wassers auf dem heißen Stein verzischten.

Damit hatte er den Leidenskelch aber noch nicht bis zur Neige geleert!!

Eines Morgens erhielt er von einem Konkursverwalter die Mitteilung, daß der Vorbesitzer seines Rennstalles, wie sich inzwischen herausgestellt hatte, ein berüchtigter »Rennschieber«, die Konkurseröffnung über sein Vermögen beantragt hatte. Zu den Aktiven der Masse gehörte das auf Martins Anwesen im Grundbuch für den Vorbesitzer eingetragene Restkaufgeld, zu dessen Sicherheit Martin beim Kauf einen Blankowechsel in das Gewahrsam des Notars zu geben verpflichtet worden war.

Der Konkursverwalter forderte unter Androhung der sofortigen Präsentation des von ihm nunmehr in voller Höhe ausgefüllten Blankowechsels von Martin als Hypothekenschuldner die Tilgung der recht beträchtlichen Restschuldsummen innerhalb vierzehn Tagen.

Da Martin nach Ablauf der Frist natürlich nicht zahlen konnte, erfolgte der Wechselprotest, und die Konkursmasse strengte gegen ihn die Klage aus dem Wechsel an.

Zum dritten Male kam Martin nun als Bittender zu Eduard, dessen voller Tag jetzt gerade der eifrigen Arbeit gewidmet war.

Eduard war zuerst ganz niedergeschlagen, als ihm Martin seine große schwere Not berichtete. Er lehnte aber zunächst des Bruders Bitten weder ab, noch sagte er ihm die Erfüllung zu. – Da der Verhandlungstermin erst in fünf Tagen anstand, bat sich Eduard vielmehr eine dreitägige Bedenkzeit aus.

Vergeblich versuchte Martin immer wieder, von Eduard die sofortige Hergabe des Darlehns zu erzielen.

Er führte alle Heiligen ins Feld, operierte weidlich mit der Blutsverwandtschaft und drohte schließlich im Ablehnungsfalle Selbstmord zu begehen.

Als auch das auf den Jüngeren keinen tieferen Eindruck machte, da er Martins sehr stark ausgeprägte Liebe zum Leben genau kannte, warf sich Martin wie zu letztem Ansturm dem Bruder zu Füßen und flehte, wie ein Kind weinend, um Gewährung des Geldes.

Eduard aber verzichtete nicht auf die Frist, sondern beruhigte ihn nur damit, daß er sich auf keinen Fall so schnell entscheiden könne. Die Aufschiebung an sich wäre nicht etwa einer Ablehnung gleichbedeutend. Er müsse jedoch bei einer so hohen Summe, die die Hälfte seines Vermögens darstelle, gründlich mit sich zu Rate gehen.

Martin ließ sich schließlich, weil für ihn doch nichts anderes mehr auszurichten war, vertrösten und fuhr – jetzt hatte er plötzlich vor Eduard als dem augenblicklich Stärkeren große Achtung – nach seinem gefährdeten Landsitz zurück.

Inzwischen besprach Eduard die Angelegenheit mit Walter Löwy, der erst dazu riet, daß auch Martin seine Lage am besten durch Konkursanmeldung klären könne.

Eduard wollte jedoch in keinem Falle die Ehre seines Bruders beschmutzen helfen, und nach längerer Beratung mit dem Freunde entschloß er sich, Martin zum unbedingt letzten Male zu helfen.

Walter Löwy entwarf dann einen Vertrag über die Hingabe des Darlehns, den der Schuldner in Löwys Gegenwart unterzeichnen sollte.

Als Martin nach drei Tagen zur Entscheidung seiner Sache zu Eduard kam, war er nicht wenig erstaunt, Walter im Zimmer zu finden. »Ich bin sprachlos, daß wir hier diese diskrete Angelegenheit nicht allein unter uns verhandeln können!« begann er vorwurfsvoll zu schmollen.

Denn er fühlte sich über alle Maßen erniedrigt!

Eduard ließ sich jedoch in keiner Weise durch Martins selbst in der großen Bedrängnis auch hier zum Durchbruch kommende Herrschsucht einschüchtern und wies ihn in seine Bahn zurück.

»Ich habe den Referendar Herrn Dr. Löwy gebeten, mich bei einer eventuellen Hergabe des Darlehns –«

Weiter kam er jedoch nicht.

Martin war ihm schon um den Hals gefallen und küßte ihn wie ein Besessener – ohne von Walter noch weiter Notiz zu nehmen.

Langsam wurde er dann ruhig und sentimental und schwor unaufgefordert die heiligsten Eide, daß er Eduard ewig für die hilfreichste Unterstützung, die je ein Bruder dem anderen gewährt hätte, danken und daß er zeit seines Lebens nie aufhören wolle, einem so uneigennützigen Bruder mit Leib und Leben dienstbar zu sein.

Eduard machte jedoch der überschwenglichen Szene ein schnelles Ende, indem er Walter den aufgesetzten Vertrag zu verlesen bat.

Löwys Rat, die Hypothek von der Konkursmasse an Eduard abtreten zu lassen, bat Martin mit gutgespielter Innigkeit nicht erst in längere Erwägung zu ziehen, da übermorgen in der Klagesache schon Termin sei, die erforderliche Zession sich aber nimmermehr bis dahin ausführen lassen würde.

Unter allen Umständen wollte er aber einem gegen ihn erlassenen Urteil zuvorkommen!

Dagegen machte er den Vorschlag, daß Eduard zu seiner persönlichen Sicherheit die im Besitze des Konkursverwalters befindlichen Wechsel behalten solle.

Nachdem die Brüder sich in diesem Punkte geeinigt hatten, unterschrieb Martin Weitbrecht den Darlehnsvertrag, durch welchen er sich zur Rückzahlung des Darlehns verpflichtete, sobald er dazu in der Lage sein würde.

Als bei weitem längste Dauer des Schuldverhältnisses wurden fünf Jahre festgesetzt.

Das Geld jedoch erhielt er selbst nicht in die Hand!

Am nächsten Morgen erst erlegte Eduard die inzwischen besorgte Summe bei dem Anwalt des Klägers und nahm dafür die Wechsel in Empfang.


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