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IX.

Ein diskretes Pochen weckte die kleine Hanni aus lichtem Vergessen. Über die Fülle der neuen Bilder, die ihr junges Leben in buntem Wechsel soeben erschaut hatte, war sie sich noch nicht ganz klar geworden – –! Zu schnell und gar zu unvermittelt war in der kurzen Zeit ihr bis dahin recht kleiner Gesichtskreis um ein ganz bedeutsames Maß erweitert worden.

In ihrem einfachen Straßenkleidchen saß Hanni auf einem schwellenden Sofa, vor sich den damastgedeckten Tisch in einem Salon à part der Dresselschen Weinhandlung Unter den Linden.

Der kleine Raum wurde durch mattrotleuchtende Birnen nur mystisch erhellt.

Martin, der ihr gegenüber saß, hatte eben die Weißlicht spendende Tischlampe ausgeschaltet, um eine intimere Beleuchtung für den Verlauf dieser Feier des Wiedersehens zu erzielen, und Hanni, deren Augen sich mit der gründlichen Betrachtung dieser ungewohnten Umgebung ermüdet hatten, überließ ihm nur zu gern ihr schmales Händchen, das er sicher zwischen seine kräftigen Hände gebettet hatte.

Durch das Pochen an der Tür erschreckt, ließen sie voneinander! Rasch ward eine harmlosere Stellung eingenommen, und Martin rief laut und vernehmlich sein »Bitte!«

Aber er mußte das noch einmal wiederholen.

Dann erst öffnete sich geräuschlos die Tür. Im Frack und seidenen Eskarpins erschien der glattrasierte Kellner, der Hanni, wie schon vorher bei der Bestellung, nochmals mit Kennerblick musterte, um zunächst eine Flasche Champagner in den neben dem Tischlein aufgestellten Kühler zu versenken.

Die Anrichtung des von Martin eigens »komponierten« Soupers stellte er auf dessen Frage für »sehr wohl«, »demnächst«, »sofort« in Aussicht.

Mit einem geschickten Fingerdruck entkorkte er sodann die Sektflasche unter dem unvermeidlichen Knall, der Hanni riesig belustigte, und bald perlte der Goldwein schäumend in den schmalen klaren Kristallkelchen.

Geräuschlos, wie er gekommen war, verschwand der Kellner wieder in der Tür, die ein schwerer Sammetvorhang verdeckte.

Martin erhob freudig seinen Sektbecher gegen Hanni.

»Aufs Glück!« Er trank ihr zu.

Sie führte zum ersten Male in ihrem Leben ein Sektglas zum Munde. Heiße Schauer ließen sie vor allem Neuen erbeben, das gerade heute sich ihr darbot.

Was alles hatte sie nicht heute schon kennen gelernt?

Sie wagte nicht, es weiterzudenken: was würde sie heute vielleicht noch kennen lernen?

Ein Wünschen und Warnen rang in ihr.

Martin sah in ihre nachdenklich blickenden Augen, um die sich eben ein feuchter Schleier, der Spiegel des in ihr tobenden Kampfes, legen wollte.

Bestimmt wiederholte er: »Aufs Glück, Fräulein Hanni, Prost!«

Da zersiebte sie alle kümmerlichen Bedenken!

Er war ja bei ihr. Der Wohllaut seiner Stimme nahm sie berauschend gefangen, und in seligem Lächeln hob sie das Glas und stieß mit ihm an, daß ein helles reines Klingen der Becher den Raum durchtönte.

»Ihr Glück, Herr Weitbrecht!« flüsterte sie fast lautlos.

Und dann trank sie:

Erst neugierig nippend – – bald aber sog sie den schäumenden Wein mit unbezähmbarer Gier in sich hinein, der wie ein Zaubertrank selbst ihre letzten nur noch schemenhaft aufhuschenden Sorgen bannte.

Martin war entzückt über ihre Freude am Trank und füllte schnell das stets hastig von Hanni bis zur Neige geleerte Glas.

Und die Wirkung ließ nicht auf sich warten.

Ein süßes Sehnen wurde in ihr immer lebendiger. Stärker noch als während der bangen letzten Wochen fühlte sie das brennende Verlangen nach seinem Kusse.

Mit feinem Instinkt ahnte Martin, was sein Gegenüber beseelte. Doch nicht ohne Erfolg hatte er im Studium der Frauenseele seine kurze Vorschule durchgemacht.

Jetzt hieß es nur die einfachsten Lehrsätze in Anwendung bringen.

Er wollte die Kleine durch kühle Zurückhaltung bis aufs äußerste reizen –! Sie selbst sollte ihm kommen, sollte sich ihm an den Hals werfen!

Deshalb warnte er, nachdem sie das dritte Glas getrunken hatte, nicht so hitzig dem Sekt zuzusprechen:

»Fräulein Hanni, ich fürchte stark für Sie! Eine Frau mit 'nem Schwips ist ja in meinen Augen ein Engel, aber – – – was sollen Ihre Eltern sagen, wenn Sie in dieser Verfassung um elf Uhr heimkommen?«

Hanni aber wollte jetzt nichts derlei hören.

Sie trank ihm wieder mit dem leeren Glase zu, und als er sich weiter wehrte, es wieder zu füllen, bot sie ihm in einer plötzlichen Aufwallung übermütig ihre Lippen dar, die ihm wie zwei rote Rosen entgegenblühten.

Der Anblick raubte auch ihm die Besinnung!

Seine Taktik vergessend, beugte er sich ihr über den Tisch entgegen und nahm das weinglühende Köpfchen in seine Arme.

In langem heißen Kusse hielten sie sich umfangen.


Martin fand die Einrichtung, daß man hier seine Aufforderung zum Eintritt des Kellners nach dessen nicht immer gerade gelegen kommenden Pochen erst nochmals wiederholen mußte, bevor der Ganymed ihr auch wirklich Folge leistete, recht löblich und zog an diesem Abend vielfach die Nutzanwendung dieses ihm sehr nachahmenswert dünkenden Hausgesetzes.

Hanni aber hatte viel zu lernen.

Zunächst zeigte er ihr die Kunst, den Hummer appetitlich zu zerlegen und zu verspeisen. Und sie erwies sich als überaus gelehrige Schülerin.

Beim Braten gab es wieder eine kurze Lektion wie »man« die Gabel hält und zum Munde führt.

Vor allem aber befriedigte ihn die Wahrnehmung, daß sie – er hatte das Gegenteil in den Winzerstuben oft zu seinem Zorn bemerkt – das Messer nicht anders als zum Zerlegen des Fleisches gebrauchte.

So konnte er sich ohne jede ästhetische Einschränkung dem Genuß der in deliziöser Vollendung gebotenen Speisen hingeben. Auch dem Weine sprach er reichlich zu. Während der Mahlzeit ließ er sich aber auch nicht gern stören, und Hannis gelegentlich hier und da zum Durchbruch kommenden Kußhunger vertröstete er geflissentlich auf später.

Dagegen ließ er sie jetzt nach dem Braten wieder trinken.

Die zweite Flasche war längst entkorkt und schon zur Hälfte ausgeschänkt, was Martin gemütlich neckend feststellte:

»Das Kribbelwasser hat es Ihnen ja mächtig angetan! Na, weil es Ihnen so gut schmeckt: Auf Du und Du! Prost!«

»Auf treue Freundschaft!« entgegnete sie und erhob sich gleich ihm zur Erfüllung der erforderlichen Zeremonie. Denn Martin blieb immer korrekt. Nun lernte sie noch dieses Abends letzte Weisheit, mit Sekt regelrecht Duzbrüderschaft zu trinken, und besonders reich erschien ihr dieser Ritus durch den herzhaften Kuß verschönt, mit dem Martin jetzt das junge Bündnis auch noch besiegelte.


In strengen Klängen mahnten die Glocken des Hedwigs-Kirchturms zum Aufbruch.

Schon neun Uhr!

Hanni hatte aufmerksam die Schläge mitgezählt – und es hieß haushalten mit der Zeit.

Sie wollten ja heute noch tanzen, und Martin freute sich sehr darauf, ihr den Tanzboden, seine eigentliche Domäne, erschöpfend vorführen zu können.

Er drückte auf die über dem Tische schwebende Glockenbirne und erbat vom Kellner die Rechnung, die ihm nach kurzer Zeit auf einem Teller diskret zusammengefaltet überreicht wurde.

In der Zwischenzeit ließ Martin Hanni einen Blick in seine Brieftasche tun. Mehrere Hundertmarkscheine, welche Eduard ihm in Vaters Auftrage zur schleunigsten Begleichung der Rechnungen übersandt hatte, wurden darin sichtbar.

Nachdem auch der eben mit der Rechnung zurückkehrende Kellner sich gebührend von der Kapitalskraft Martins hatte überzeugen dürfen, zahlte er mit einem der Scheine. – – Auf seinen Wunsch ließ der Kellner dann vom Portier eine Droschke heranpfeifen, endlich trat auch der Pikolo mit den beim Eintritt abgelegten Überkleidern in Funktion.

Martin ließ es sich nicht nehmen, seiner Dame galant selbst ins Jäckchen zu helfen. Dann warf er mit Unterstützung des Kellners auch seinen Paletot über.

Reichlich besoldet, beeilten sich Kellner und Pikolo, den scheidenden Gästen als Zeichen ihrer besonderen Zufriedenheit auch die beiden großen Glastüren offen zu halten.

Der Portier stand draußen schon grüßend an der Droschke, um den Herrschaften beim Einsteigen behilflich zu sein! Auch ihm wurde für diese Leistung sein Trinkgeld!

»Bahnhof Bellevue«, rief Martin dem Kutscher zu, der alsbald auf sein mageres Pferdchen einhieb, um schneller die stark befahrenen Linden verlassen zu können.

Buntbewegt flutete das Großstadtleben vorbei.

Soeben hatten die großen Geschäfte dieser einzigartigen Prachtstraße Berlins ihre Läden geschlossen, und die Menge der nach Hause eilenden Handlungsgehilfen und -gehilfinnen ergoß sich in den Strom der hier müßig im strahlenden Bogenlicht flanierenden Spaziergänger.

Und Hanni wie Martin versanken in dem Genuß der Schönheit Berlins. Nur so konnte es beider Augen in dem wimmelnden Menschengewühl entgehen, daß ein Herr, der ihr Erscheinen vor dem Hause lange erwartet hatte, einen schon bereitstehenden geschlossenen Wagen bestieg und ihn der Droschke in gemessener Entfernung folgen ließ.

Zehn Minuten nach Hanni und Martin betrat derselbe Herr – es war Albert Manstedt – unbemerkt von ihnen das Café Gärtner. – –

Nun waren sie also im C. G.

Hanni schwand schon beim äußeren Anblick jede Illusion.

Der Unterschied zwischen diesem Tanzlokal und den vor kurzem verlassenen Weinstuben traf sie so gewaltig, daß er ihr nicht einmal irgendeinen Vergleich zu wagen erlaubte.

Sie versank völlig in Unlust und Widerwillen!

Von einem würgenden Gefühl befangen, wollte sie schon wieder umkehren, aber Martin hatte ihr bereits die Jacke ausgezogen und – im Gegensatz zu den anderen Besuchern – mit seinen Überkleidern in der Garderobe abgegeben; er bezahlte das Eintrittsgeld und schob sie in den Saal, aus dem beiden ein Gemisch von Rauch und Schweißgeruch entgegenschlug.

Auf einer Bühnenempore saß in qualmgeschwängerten Nebel gehüllt die aus vier Mann bestehende Hauskapelle.

Von einer Geige und zwei Flöten übel betreut, sorgte ein klappriger Klimperkasten für die erforderliche Stimmung. Die Bemannung der Instrumente stellten drei ausgehungerte Schwindsuchtskandidaten, die gleichgültig und ohne allzu lange Pausen ihr vorgeschriebenes Pensum erledigten.

Am Klavier schaltete der Kapellmeister. Ein Gewohnheitssäufer, dessen aufgedunsenes Gesicht man nur zu sehen bekam, wenn er sich nach einem besonders »schmalzig« gespielten Musikstück vor dem beifallswütenden Publikum verbeugte.

Des jungen Volkes irdischer Himmel, der eigentliche Tanzmanege, war an den Wänden mit kleinen buntgedeckten Tischen umstanden, an denen Tänzer und Tänzerinnen gerade vom letzten Rundtanz Ruhe pflegten oder im Patzenhofer Bier Abkühlung und Erholung suchten.

Ein in der Mitte des Saales herabhängender Gaskronleuchter spendete den Tänzern nur recht spärliche Lichtquellen, die mühsam den zur Decke strebenden Nebel durchleuchteten. Von zehn an beiden Längsseiten verteilten Wandarmen wurde er in der Erhellung des qualmerfüllten Tanzbodens noch etwas unterstützt.

Die dichten über dem großen Raum lagernden Rauchwolken ließen die Neueintretenden von alledem zuerst nur die Umrisse erkennen! Sie benahmen ihnen für kurze Zeit den Atem.

Ein Gefühl des Ekels erfaßte Hanni, als sie an Martins Arm in diesen stickig-betäubenden Dunstkreis trat, und schnürte ihr fast die Kehle zu.

Aber dankbaren Herzens wollte sie diesen Abend auf keinen Fall in einen Mißklang austönen lassen und bezwang sich nochmals um seinetwillen.

Martin schien hier zu Hause zu sein.

Er wurde von dem in der Mitte des Saales stehenden Tanzmeister mit plumpvertraulichem Handschütteln begrüßt. Und schnell hatte der auch zwei Stühle an einen der weniger besetzten Tische herangestellt, wo Martin unter leichter Verbeugung mit Hanni vorläufig Platz nahm.

Allmählich paßten sich ihre Atmungsorgane der herrschenden Atmosphäre an, und nach kurzer Zeit wiegte Hanni sich in Martins Arm unter den spektakelnden Klängen der vier musizierenden Jammergestalten im Walzer.

Leicht und sicher führte sie Martin erst durch den überfüllten Saal!

Schon in der Tanzpause verfiel er jedoch der Nachwirkung des reichlichen Sektgenusses. Plötzlich nämlich hatte ein Zeichen des Klaviers die Musik brüsk unterbrochen. – Alle Paare blieben stehen, und der Tanzmeister machte mit einem Teller in der Hand einen Rundgang, um von den tanzenden Herren den Steuergroschen zu erheben, während tanzende Damenpaare »straffrei« ausgingen.

Die Stimmung war inzwischen schon ziemlich weit vorgeschritten, »Damen« und Herren hatten eben während des Tanzes den Refrain des gerade gespielten Walzers unter der Egide des besoffenen Klavierspielers mitgesungen, dessen glühende Nase jetzt wie ein roter Scheinwerfer die über der Kapelle liegenden Dämpfe zerteilte.

Das Damenheer stellte hauptsächlich die Berliner Konfektion.

Meist waren die einzelnen Exemplare auch gerade »seit einigen Wochen« aus dem Geschäft abgegangen und »lebten jetzt von ihren Renten« – wie sie sich ausdrückten –, befanden sich also auf dem besten Wege zur Halbwelt, die sonderbarerweise hier im C. G. gar nicht vertreten war.

Das Männermaterial war vielfältig verschiedener! Herren aus allen Altersstufen und Berufszweigen hatten sich zusammengefunden, um hier vereinzelt oder in Rudeln auf die Pirsch zu gehen und sich dabei, jeder auf seine eigene Faust und Art, zu belustigen.

Der vorgerückten Stimmung trug auch der Tanzmeister Rechnung, wenn er ab und zu – um einen guten Witz zu reißen – bei der plötzlichen Unterbrechung der Musik mit einer widriggreinenden Stimme in den Saal rief:

»Zur Kasse die Herren, wo jeschwitzt haben!«

Lachend leisteten die Tänzer auch jetzt wieder dieser geschmackvollen Aufforderung Folge!

Nur einer, Martin, brauchte nicht zu zahlen.

Er war glücklicher Besitzer eines Abonnements, das ihm der Tanzmeister in Gestalt einer weißen Schleife einst mit Rücksicht auf seine Anziehungskraft, die er auf die kleinen Mädchen ausübte, verehrt hatte.

Auch hier begünstigte man eben Sensationen.

Martin Weitbrecht als »Anreißer« des C. G.

Er war schon recht weit gekommen!

Heute aber wußte er nur geringen Gebrauch von der ihm damals erwiesenen Wohltat – so empfand er's – zu machen!

Auf einen Wink des Tanzmeisters setzte die Kapelle zu Fortsetzung und Schluß der Runde bald wieder ein. Martin tanzte mit Hanni den Walzer zu Ende und bat sie auf dem Wege zu ihren Plätzen, ihm nun ein wenig Ruhe zu gönnen, da er sich nicht ganz wohl fühlte.

Hanni aber war bei dem ersten Tanz auf den Geschmack gekommen und wollte nicht gerade gern verzichten: »Da darf ich doch aber mit anderen Herren tanzen?« nörgelte sie.

»Bitte, wenn du engagiert wirst und es dir sonst auch Spaß macht,« warf Martin gleichgültig ein.

Beim nächsten Tanz wagte sich noch niemand zu ihr.

Als aber Martin auch beim dritten und vierten keine Miene machte, seine Dame zu beschäftigen, und Hanni durch das lange Sitzen schon ein wenig nervös das buntkarrierte Tischtuch hin- und herzog, faßte sich ein Herr von dem Tisch, an dem sie saßen, den Mut, vorher bei Martin Hannis wegen um Erlaubnis zu bitten, die dieser geschmeichelt erteilte.

Nun wußten die »Hyänen des Schlachtfeldes«, daß Martin keine ausschließlichen Rechte geltend machte.

Alle, Mann für Mann, kamen sie, und Hanni flog von einem Arm in den andern.

Es war auch schon kein Tanz mehr – – es glich fast einem Bacchanale, der Anblick des sich wälzenden Menschenknäuels.

Mittlerweile war es elf geworden, und Hanni hatte eben die Erlaubnis zum wirklich allerletzten Tanz von Martin erhalten, der halb gleichgültig, halb eifersüchtig über seinem Glühwein brütete.

Ein junger Mann mit elegant festgelegtem Scheitel tanzte den Rheinländer mit ihr.

»Darf ich Sie wohl nachher zu einer Tasse Kaffee in die Konditorei von Presse einladen?« Dreist fragte der Jüngling, dessen vom Schaumschlagen stark gerötete Hände sie zweifellos auf einen Barbiergehilfen schließen ließen.

»Ich muß bestens danken,« lachte Hanni belustigt und amüsierte sich im stillen über die unverfrorene Art dieser Herren, die alle ohne Ausnahme sie immer gleich während des Tanzes um ihre Adresse gebeten oder aber ihr ihre Visitenkarte in die Bluse geschoben hatten.

»Ach so,« meinte ganz betrübt der Barbier, »da sinn Se woll in festen Händen, Fräulein?«

Mitten im Saale ließ ihn Hanni stehen, daß er wie ein begossener Pudel abziehen mußte.

Sie hatte jetzt aber auch ehrlich mehr als genug!

Am Tisch angekommen, bat sie Martin, nach Hause aufzubrechen.

Er aber drang darauf, daß sie sich erst noch ein wenig abkühlen sollte, statt sich erhitzt und müde der kühlen Nachtluft preiszugeben. Inzwischen ging er, beider Überkleider aus der Garderobe herbeizuholen.

Als er damit zurückkehrte, sah er schon von weiten einen schmächtigen Herrn in Mittelgröße vor Hanni stehen und dringlich auf sie einreden.

Martin beschleunigte, nichts Gutes ahnend, seine Schritte und hörte gerade noch Hannis entschiedene Weigerung, jetzt noch am Tanze teilzunehmen.

»Die Dame tanzt nicht mehr!« warf Martin energisch dazwischen. Der junge Mann bemerkte erst jetzt seine Anwesenheit und verbeugte sich ungelenk vor ihm.

»Mein Name ist Manstedt, Sie werden wohl gestatten, daß ich mit Fräulein Maaß einmal tanze. Wo sie doch vorhin mit Krethi und Plethi getanzt hat!«

Martin kochte.

»Die Dame tanzt nicht mehr.«

Er schrie es ihm fast ins Gesicht, und seine Augen erfüllte ein raubtierartiges Flimmern.

Albert schauerte vor diesem wutentbrannten Blick zusammen.

Instinktiv suchte er bei Hanni Schutz, oder schien es wenigstens zu erhoffen, daß sie ihm in irgendeiner Weise zu Hilfe kommen würde.

Aber regungslos blieb sie am Tisch!

Mitleid und Schrecken lasteten sich auf ihr kleines Seelchen, ihre blauen Augen irrten ängstlich flehend von einem zum andern, ohne jedoch die zwei Streiter beschwichtigen zu können.

Albert stand einen Augenblick regungslos da.

Keuchend rang er nach Luft.

Perlende Angstschweißtropfen hatten das braune, sonst wohlgeordnete Haar in grotesken Strähnen an seiner Stirn festgeklebt.

Wie in einem wirren Wahn befangen, wollte er seinen nun einmal ausgesprochenen Willen auch verwirklichen.

Vor innerer Erregung schlug seine vorher ruhig angenehme Stimme zu einem schrillen Diskant um, als er unter entsprechend heftigen Gesten abermals seine fixe Idee durchzusetzen versuchte.

»Warum soll ich mit der Dame nicht tanzen dürfen? Überhaupt werden Sie doch wissen, daß ich mit Fräulein Maaß verlobt bin.«

»War!« verbesserte Martin, »und das geht mich gar nichts an!«

»Ich habe ehrliche Absichten mit Fräulein Maaß,« übersprudelte sich Manstedt, an allen Gliedern zitternd, jetzt.

»Das geht mich nicht das Geringste an!« wiederholte Martin, »und im übrigen rate ich Ihnen jetzt, sich zu entfernen! Aber bitte etwas plötzlich!«

Die am Tisch sitzenden Herren bekundeten lebhaftes Interesse an dem immer drohender sich zuspitzenden Wortwechsel der beiden Rivalen.

Einer der Nachbarn – es mochte noch ein übermütiger Student sein, – rief laut:

»Der Kleine hat mit dem Stunk begonnen – raus mit ihm!«

Das nahm Albert Manstedt die nur mühsam bewahrte Vernunft. Nochmals beteuerte er in seinem Fistelton:

»Ich habe ehrliche Absichten mit der Dame! – Und Sie! Sie sind ein Verführer – –! Ja, das sind Sie!!

Weiter kam er nicht. Martins geballte Faust sauste zwischen seine Augenbrauen, daß er taumelnd umsank.

»Bravo!« brüllte man von allen Seiten.

Der zuerst noch kleine Kreis der umstehenden Zuschauer war jetzt plötzlich zu einem großen Auflauf angeschwollen.

Einer gab dem andern Auskunft über den Vorgang, der sich eben in kurzen Minuten abgespielt hatte. Der Mob, der Martin schon um seiner vorher bewiesenen »Kulanz« willen sehr wohlgesinnt war, beklatschte nun auch diese seine Art der Selbsthilfe.

»Raus mit dem Stänker!« heulten mehrere entfesselte Weiber, denen die trunkenen Männer ringsum sich anschlossen. Unter Püffen und Stößen der entbrannten Menge flog Albert Manstedt mit einem kräftigen Fußtritt des Tanzmeisters, der ihn schnell am Kragen gepackt hatte, auf die Straße.


Hanni weinte.


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