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An dieser Stelle will ich auch in Kürze ein Unternehmen erwähnen, zu dem ich mich mit Freund Wichert verband, und das von unseren dramaturgischen Kollegen mit Hoffnungen begrüßt wurde, die leider nicht in Erfüllung gingen: die Gründung der Genossenschaft deutscher Dramatiker und Komponisten.
Wie schlimm es vor vierzig Jahren um die Verhältnisse der deutschen Bühnenschriftsteller stand, ist kaum den wenigsten noch erinnerlich. Eine so naive Recht- und Schutzlosigkeit, ein so unbilliges Mißverhältnis zwischen dem Aufwand an Arbeitskraft und dem Ertrag hat schwerlich auf einem anderen Kulturgebiet bestanden. Nur wenige große Theater (Berlin, Wien und München) zahlten regelmäßige Tantiemen für dramatische Werke, für Opern dasselbe zu gewähren war immer noch nicht Brauch geworden, vielmehr wurden selbst die zugkräftigsten Repertoireopern mit einmaligem Honorar abgefunden. In Konzerten aufgeführte Musikstücke brachten dem Komponisten nichts ein, und die Verfolgung von Rechtsansprüchen war bei der heillosen Verworrenheit der Gesetzgebung auf diesem Gebiet unendlich erschwert und oft ganz hoffnungslos.
Dazu kam, daß die Schriftsteller und Komponisten in den Händen von Agenten waren, die mit wenigen ehrenvollen Ausnahmen ihre verantwortungslose Macht mißbrauchten, bei den Abrechnungen unredlich verfuhren und von ihren verkürzten Mandanten nicht zu kontrollieren waren.
Schon im Frühling des Jahres 1870 war von einem in Wiesbaden lebenden Leipziger, E. W. Batz, teils durch Zirkulare, teils durch persönlich angeknüpfte Verbindungen der Gedanke angeregt worden, zu einer Genossenschaft zusammenzutreten, welche die Interessen der Dramatiker und Komponisten mit vereinten Kräften und Mitteln übernehmen sollte. Herr Batz war niemand bekannt, man wußte, daß er nicht Schriftsteller war und wohl nur sich der Sache annahm, um die zu gründende Stellung eines Generalagenten für sich zu erlangen.
Der französische Krieg unterbrach die Vorbereitungen zu der für den September 1870 beschlossenen Vorversammlung. Erst zu Anfang 1871 konnte die Arbeit wieder aufgenommen werden, und Wichert entwarf ein Promemoria und ein ausführlicheres Statut, das dann auf dem ersten Genossenschaftstag am 15. Mai in Nürnberg die Grundlage der Beratungen bildete.
Die Beteiligung war nur gering. Es hatte viel befremdet, daß die Anregung von einem bisher unbekannten Wiesbadener Geschäftsmann ausging, statt von anerkannten dramaturgischen Notabilitäten. Andere waren nicht geneigt, so viel von ihrer persönlichen Freiheit zu opfern, wie nach dem Statut nötig geworden wäre. So waren außer Wichert und mir nur Batz, v. Hillern (Vertreter der Birchpfeifferschen Erbrechtsansprüche) und Eduard Mautner, als Delegierter der Wiener Interessenten, erschienen.
Als wir daher am ersten Morgen im Rathaus erschienen, wo Batz vom Bürgermeister den großen Sitzungssaal für uns erwirkt hatte – er hatte auch in großen Plakaten unser Kommen und seinen Zweck der Stadt verkündet –, konnte sich der treffliche Bürgermeister Herr v. Stromer eines Lächelns nicht enthalten, als er unser Trüpplein musterte, und schlug uns vor, statt des Rathaussaals in einem kleineren Gemach uns niederzulassen, was wir dankbar annahmen.
Auf die Ergebnisse unserer Beratungen will ich nicht näher eingehen. Genug, daß ein Statut zustande kam, das allen billigen Anforderungen entsprach. Schon nach drei Wochen waren die fünfzig Beitrittserklärungen, die vor der Konstituierung erfolgt sein mußten, beisammen, so daß die erste Generalversammlung am 12. Juli im Leipziger Schützenhause stattfinden konnte. Gegenwärtig waren etwa zwanzig Mitglieder, achtunddreißig auswärtige hatten sich durch ausdrückliche Vollmacht an der Konstituierung beteiligt. Von diesen nenne ich nur Gustav Freytag, den ich vorher auf seinem Gute Siebleben bei Gotha besucht und für die Sache gewonnen hatte, Roderich Benedix, den Veteranen des Lustspiels, Oswald Marbach, Gustav zu Putlitz, Alfred von Wolzogen, Karl Nissel aus Liegnitz. Dazu einige Agenten und Vertreter von Theaterbuchhändlern, von Komponisten Karl Reinecke und Karl Riedel, der zweite Vorstand des Allgemeinen deutschen Musikvereins.
Die erfreulichste Einmütigkeit hatte bei den Verhandlungen geherrscht. Zum Sitz der Genossenschaft war Leipzig gewählt und die Ausführung des Statuts den drei Vorstandsmitgliedern Benedix, Marbach, F. v. Flotow in Wien übertragen worden. In den nächsten vier Wochen wuchs die Zahl der Mitglieder von fünfzig auf achtundachtzig, unter denen kaum einer der namhafteren Autoren fehlte.
Leider hat das mit so schönen Hoffnungen begrüßte Werk nicht gehalten, was wir uns von ihm versprochen hatten. Am 1. Oktober 1899 löste die Genossenschaft sich auf, die alten Agenturen nahmen die Autoren, die ihnen abtrünnig geworden, wieder auf, der ganze Gewinn war, daß infolge der von uns ausgegangenen Anregung die Theatergesetzgebung vervollständigt und in den Agenturen eine solidere Geschäftsgebarung eingeführt worden war. Womit immerhin, so viel Übelstände noch bestehen, viel gewonnen ist.
Warum wir das gewünschte Ziel auf unserm Wege nicht erreichten, soll hier nicht näher zur Sprache kommen, bis auf einen, allerdings den wichtigsten Punkt. Wir hatten die Leitung der Agentur nicht wie bisher einem Geschäftsmann übertragen, der zu seinem eigenen Vorteil die Stücke vertrieb und in der Wahl der Mittel dazu nicht immer allzu ängstlich war, sondern einem Schriftsteller, den die Genossenschaft besoldete. Einem jeden, der im Laufe der Zeit diese Stelle bekleidete, fehlte teils die Umsicht, teils eben das persönliche Interesse. Während die früheren Agenten den Versand der Novitäten nach den ihnen bekannten Verhältnissen der einzelnen Bühnen einrichteten, auch wohl ein weniger hoffnungsvolles Stück dennoch zur Annahme brachten, weil sie sich nur unter dieser Bedingung bereit erklärten, auch ein zugkräftiges dem Theater zu überlassen, beschränkten sich unsere Generalagenten darauf, die eingelaufenen Stücke einfach in größeren Partien zu versenden, ohne auf einzelne besonders hinzuweisen, so daß die Intendanten und Direkteren sich bald daran gewöhnten, solche Sendungen uneröffnet im Winkel verstauben zu lassen. Die Dichter aber, die es unter ihrer Würde hielten, zur Verbreitung ihrer Dramen irgendeinen Reklameweg zu betreten, mußten hinter geriebenen Geschäftsleuten zurückstehen, die ihnen in den Theaterbureaus den Rang abliefen.
So hatte sich's wieder einmal gezeigt, daß dichterisches Talent und Geschäftsverstand zwei verschiedene Gaben sind, die nur selten in demselben Kopfe sich zusammenfinden.
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Es sei mir gestattet, hier aus meiner Erfahrung einen Fall anzuführen, der die grenzenlose Gleichgültigkeit der kritischen Parnaßwächter ergötzlich illustriert.
Im Jahr 1863 hatte ich eine Tragödie »Hadrian« gedichtet und gleich als Buch erscheinen lassen, da ich von vornherein auf eine Aufführung verzichtete. Wo sollte ich einen Charakterspieler finden, dem ich die Rolle des grüblerischen, feinsinnigen und doch gewaltherrischen alten Kaisers anvertrauen mochte, wo einen jugendlichen Liebhaber, der die äußere Schönheit und den geistigen Adel meines Antinous in sich vereinigte! Und so hatte ich das Buch weder einem Agenten gegeben noch selbst verschickt.
Ein Jahr aber nach der Veröffentlichung brachte die Augsburger Allgemeine Zeitung einen Bericht aus Athen über einen von der dortigen Regierung ausgeschriebenen dramatischen Wettbewerb. Den Preis hatte ein Trauerspiel »Antinoos« davongetragen, das einen bis dahin unbekannten Poeten, Angelos Vlachos, zum Verfasser hatte. Das Stück war im Theater zu Athen aufgeführt und mit dem größten Beifall aufgenommen worden. Nachdem aber dem Dichter der Preis zuerkannt worden, war er mit der Erklärung hervorgetreten, sein Stück sei keine Originaldichtung, sondern nur die wörtliche Übersetzung der Tragödie »Hadrian« eines in München lebenden Dramatikers, und er habe durch diese Unterschiebung nur an den Tag bringen wollen, wie wenig die athenischen Preisrichter zu ihrem Amt das Zeug hätten, da sie nicht einmal von bedeutenden Erscheinungen in Deutschland Notiz nähmen.
Der gute Angelos Vlachos, dem ich nie begegnet war, hatte in München studiert, doch nicht lange genug, um zu erfahren, daß der Poet auch in seinem Vaterlande nur wenig galt. Es war der griechischen Jury wahrlich nicht als ein Beweis grober Unbildung anzurechnen, wenn sie sich um ein deutsches Drama nicht bekümmert hatte, das in Deutschland selbst völlig unbeachtet geblieben war. Ja selbst, nachdem die immerhin belustigende kleine Geschichte durch ein paar Zeitungen gegangen war, regte sich nirgendwo das geringste Interesse, ein Drama kennen zu lernen, das seine Premiere auf dem Theater Athens erlebt und einen Preis davongetragen hatte. Von keinem Theater wurde ich um ein Exemplar zur Ansicht gebeten, und in keinem kritischen Journal erschien eine Besprechung, da man von vornherein in dem Volke der Dichter und Denker dies »Buchdrama« zu den übrigen gelegt hatte.
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Jede Zeit hat bekanntlich das Theater, das sie verdient. Schwerlich aber wird eine Epoche nachzuweisen sein, in der eine ähnliche Verwirrung aller ästhetischen Begriffe, ein so großer Mangel an gesunden künstlerischen Bedürfnissen, und infolge davon eine so völlige Stillosigkeit und bunte kosmopolitische Toleranz auf dem deutschen Theater geherrscht hätte, zugleich unter den schöpferischen Talenten so viel seltsame Verranntheit in technische Schrullen neben einer tiefen Verkennung der sittlichen und ästhetischen Grenzen, die eine gesunde Bühne zu respektieren hat.
Noch immer ist das deutsche Theater ein Land der unbegrenzten Möglichkeiten, ein Tummelplatz der verwegensten Experimente, von dem völlig banausischen Streben beherrscht, durch Neues und Unerhörtes dem Sensationsverlangen einer urteilslosen Menge entgegenzukommen, die statt dichterischer Genüsse im Theater nur sinnliche Aufregung, Befriedigung einer rohen Schaulust und Zerstreuung nach den Geschäften des Tages sucht. So ist es gekommen, daß es auf das Wort des Dichters im Theater immer weniger ankommt, daß reich und bunt ausgestattete Pantomimen und Schattenspiele großen Zulauf haben und in neuester Zeit die Kinematographentheater immer massenhafter die eigentlichen Bühnen verdrängen, deren Repertoire sogar sie sich aneignen, ohne daß bei dieser stummen Aktion das aus den niedersten Schichten bestehende Publikum so wie die sogenannten Gebildeten nur den geringsten Mangel empfänden. Was aber die noch bestehenden rezitierenden Theater betrifft, so ist es bei der ungeheuer wachsenden Konkurrenz zumal in der Reichshauptstadt, deren Vorherrschaft in der Bühnenwelt des Deutschen Reichs immer unbestrittener und unheilvoller wird, kein Wunder, daß die Bühnenleiter mit allen Mitteln in der Befriedigung dieser Bedürfnisse des Publikums sich zu überbieten suchen, worin diejenigen, die für neue Stücke sorgen, sie bereitwillig unterstützen. Im Gebiet des Sittlichen ist eine so schrankenlose Freiheit eingerissen, daß sogar der in der Jugend erwachende Geschlechtstrieb als »Frühlings Erwachen« in einzelnen Szenen, die durch keinerlei dramatische Handlung verbunden sind, auf die Bühne gebracht werden konnte – ein Äußerstes an Spekulation auf die niederen Triebe der Menge, zu dem selbst die zügellosesten Dramatiker unserer romanischen Nachbarn sich nie verirrt haben. Und dies unter dem Beifall eines Publikums, das sich aus sogenannten Gebildeten zusammensetzt und für »Kulturträger« gehalten sein will. Auch in anderer Weise geschieht manches Bedenkliche. Gewiß ist die Wiederbelebung langbegrabener wertvoller Dramen in hohem Grade verdienstlich. Doch bleibt es gefährlich, das vollständige Lebenswerk eines Dramatikers in großen Zyklen vorzuführen, da auch völlig verfehlte, niemals lebendig gewordene Sachen darunter zu sein pflegen, die man ruhig ihrer Verschollenheit überlassen sollte, dies alles nur, um auch dem Bildungsphilister Gelegenheit zu geben, mitsprechen zu können, wenn von gewissen sonst nur den Eingeweihten bekannten Werken die Rede ist. Damit es aber der bildungseifrigen Menge nicht zu beschwerlich werde, an dem völlig Fremden Interesse zu gewinnen, wird die Darstellung mit der ausgesuchtesten szenischen Kunst verblüffender Effekte zu einer Wirkung gebracht, die freilich mit dem, was der Phantasie des alten Dichters vorschwebte, nicht das mindeste mehr zu tun hat. Statt der tragischen Erschütterung durch die Macht echter Dichterkraft wird der Zuschauer mit sinnlichem Gaukelwerk überrumpelt und die Masse durch Massenwirkungen darüber getäuscht, daß sie unter dem Namen einer alten Kunst nur ein modernes Regiekunststück kennen gelernt hat. Das Äußerste hierin ist in den Aufführungen der großen griechischen Tragödien in Zirkustheatern geschehen, die man unter dem Namen von »Volksschauspielen« (sic) dem heutigen Publikum zum besten gegeben hat. Difficile est satiram non scribere.
Hin und wieder freilich erscheint auch, zumal in der letzten Zeit, ein Stück, das von einem feinen, echt dichterischen Geist beseelt ist und im Gedränge der lauten und lärmenden Konkurrenz bescheiden seinen Platz zu gewinnen sucht. Daß es ihn findet und zu behaupten vermag, ist ein erfreuliches Zeichen für den unverlöschbaren Trieb des deutschen Volkes nach dem, was man früher »Poesie« zu nennen pflegte, ein Wort, das heutzutage nicht mehr im Kurs ist, ein Trieb, der noch immer bei den Ausführungen klassischer Stücke zu seinem Rechte kommt, wie die ausverkauften Häuser bei solchen unvergänglichen Werken beweisen.
Und auch an Bühnenleitern fehlt es nicht, die die Verantwortlichkeit und Verwilderung unserer Theaterzustände beklagen und nach Mitteln ausspähen, ihr ein Ende zu machen. Dies zeigt sich unter anderem in mancherlei Bestrebungen, eine sogenannte Volksbühne zu schaffen, auf der unsere klassischen Dramen und unter den neueren nur sittlich gesunde Werke der Menge dargeboten werden sollen. Auch die Freilichttheater, die allerdings nur auf einen beschränkten Spielplan angewiesen waren, sollen dem gleichen Zwecke dienen. Ob es gelingen möchte, durch solche Bestrebungen unserem deutschen Volk das einzuflößen, was ihm bitter not tut: ein starkes nationales Gemeinbewußtsein, ein stolzes Selbstgefühl gegenüber den nachbarlichen Kulturvölkern, die es nicht bloß im politischen Leben, sondern auch auf ihrem Theater nicht daran fehlen lassen, wird hoffentlich nicht allzulange ein frommer Wunsch bleiben.