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Am 13. Februar 1855 war Geibels »Meister Andrea« aufgeführt und sehr freundlich aufgenommen worden. Die geniale Leistung des alten Jost, der den zerstreuten dicken Bildschnitzer mit so viel seinen Zügen ausstattete, daß man das psychologische Wagnis durchaus glaubhaft fand, steht mir noch heute in lebendigster Erinnerung.
Nun kamen von Stücken der Berufenen meine »Pfälzer« an die Reihe.
Ich finde über die erste Aufführung in einem Brief an meine Eltern einen ausführlichen Bericht. Da er bezeichnend ist für die damaligen Zustände des Münchener Theaters und den Eindruck, den diese erste Lampenprobe auf den dramatischen Anfänger machte, will ich einiges daraus mitteilen:
»Den Schauspielern verdarb es etwas den Humor, daß das halbe Parkett leer war. Am ersten Mai, wenn nur ein Strahl von Sonne die Bierkrüge streift, bleibt kein echter Münchener in der Stadt. Alle nahen und fernen Gärten sind belebt von Musik und Bockfröhlichkeit, das wurde mir von allen Seiten vorausgesagt, und Friedrich Haase (der die Hauptrolle spielte) drang in mich, die Aufführung zu verschieben. Ich konnte es leider nicht, wenn ich das hier schon viel zu viel angekündigte und besprochene Stück nicht bis zum Winter ruhen lassen wollte. Heute, am 2ten, reis't Haase auf vier Wochen zu einem Gastspiel nach Prag. Wenn er wiederkommt, gehen andere, zumal der König, dem ich es doch auch schuldig war, ihm endlich das Stück vorzuführen. Warum freilich mein sehr verehrter Freund Dingelstedt die Sache von Weihnachten bis zum Mai hat hinschleppen lassen, weiß Gott und munkelt dieser und jener.« (Er verreiste auch einige Tage vor der Aufführung, beteiligte sich nicht an den Proben und kam erst nach der Premiere zurück.) »Der alte Hölken, mein Regisseur, und die Schauspieler schüttelten die Köpfe, schnitten diplomatische Gesichter, taten aber trotzdem ihr Bestes, was freilich nicht immer gut war. Haase (der sich gegen die Übernahme der Rolle gesträubt hatte, da er schon damals alte Charakterrollen spielte und behauptete, dieser junge Weißbursche »liege« ihm durchaus nicht) war im allgemeinen vortrefflich. Die fliegende Hitze, die Herbigkeit, im ersten Akt der Übermut der Freude, die Resignation zuletzt – das alles stand ihm natürlich, lebhaft und anziehend. Schade, daß er, wo die irische Poesie durchbrechen sollte, weich werden zu müssen glaubte. Der alte Bodenmesser, Herr Büttgen, soll gut gewesen sein. Mir fehlte an ihm die Größe und puritanische Macht, das Zähgläubige, die bornierte Würde. Anna, seine Tochter, Frau Dahn-Hausmann, gefiel mir wieder besser als den anderen. Im letzten Akt war sie erschütternd. Eine große Wirkung machte der rote John, der in seiner Rolle stak wie in einer abgetragenen, zerschlissenen, bequemen Jacke. Christen heißt der Schauspieler. Er und Lang, der Emissär, sind Lieblinge des hiesigen Publikums und machten die Szene auf Carrick-o-Gunnel zu einer der klagendsten des ganzen Stückes. Frau Büttgen, die alte Bodenmesser, sehr gut. Straßmann (Adam) – – hat den »Stock von einem Pfälzer« so hölzern gemacht, daß Anna und der Autor in ihrem Recht waren (ihn fallen zu lassen). Alle Nebenrollen sehr schicklich, die Ensembles vortrefflich eingeübt, nur der Sturm im letzten Akt hinter der Szene etwas zu prahlerisch. Lieber Gott, die Maschinisten wollen sich auch bemerklich machen.
»Ich stand in einem dunklen Winkel des ersten Ranges. – Als es aus war und ich sehr verstimmt (trotz des Hervorrufs), daß so viel bloße Natur und Unglück im Stück ist und so wenig poetische Rührung, so viel Tränen um mich herum flossen und ich stumpf und dumm dastand, nachdem ich in den Proben mich satt gerührt hatte, – ging ich noch und sagte den Schauspielern Dank, küßte die kleinen Hände der Frau Dahn und vertiefte mich dann in die Nacht. – – Geibel begegnet mir und will mir meinen Unmut ausreden. Es glückte ihm so wenig wie den anderen, die wir unterwegs trafen. Einen reinen Eindruck von dem Stück konnte ich freilich nicht haben nach den abmattenden Proben. Aber so viel weiß ich doch, daß eine nur pathologische Wirkung sich abnützt, eine künstlerische nicht. Es kann mich nicht trösten, daß das Publikum nichts Ähnliches empfand, – doch bereue ich auch keinen Augenblick, daß ich die ›Pfälzer‹ auf der Bühne gesehen habe. Ich habe so unabsehlich viel dabei gelernt, daß ich mir selbst einen schlechten Erfolg gern darum gefallen ließe.
»Der König hat sich wieder sehr liebenswürdig bewiesen. Die bei Hof uralt übliche Landpartie des ersten Mai hat er abgekürzt, um zur Theaterzeit zurück zu sein, und mir nach dem dritten Akt seinen Adjutanten geschickt, mir seinen Beifall zu melden.«
Die erste Wiederholung fand am 22. Juni statt, sieben Wochen nach der Premiere. Bei der Probe an dem nämlichen Tage zeigte Dingelstedt von neuem, daß er dem Stück oder seinem Verfasser nicht wohlwollte, da er alles gehen ließ, wie's Gott gefiel. Auch hatte er das Parkett so groß machen lassen wie zu der gestrigen Ballettvorstellung, worüber selbst die Schauspieler räsonnierten, und den freien Eintritt aufgehoben. Es war also wieder ein halb leeres Haus, zumal nach sechs Regentagen dieser siebente im schönsten Sonnenglanz strahlte. Das »gewählte« Publikum aber zeigte sich sehr dankbar, alle Szenen, die am ersten Abend gewirkt hatten, schlugen wieder ein, und am Schluß wurden »alle« zweimal gerufen, damals durchaus nicht so selbstverständlich wie heutzutage.
Also durchaus kein »Miß-« oder »Achtungserfolg«. Der populäre Stoff hatte seine Schuldigkeit getan trotz des in München bedenklichen Themas (Gegensatz von pfälzischen Protestanten und irischen Katholiken). Die Lokalblätter freilich läuteten das Stück zu Grabe. (Warum gehen die »Pfälzer« nicht in ihr Land? fragte der witzige Redakteur des »Punsch«, unser unversöhnlichster Gegner.)
In meinen Briefen nach Hause finde ich, obwohl ich nach und nach besser von diesem Erstling denken lernte, gleichwohl eine tiefe Verstimmung. Kurz vor der Wiederholung waren Otto Ludwigs »Makkabäer« in Szene gegangen, hauptsächlich auf das Betreiben Geibels, der dem Könige das große Werk gerühmt und für seinen Dichter ein Jahrgehalt erwirkt hatte. Auch ich war enthusiastisch dafür eingenommen. »Das Münchener Publikum aber verhielt sich völlig kalt und schimpfte im Hinausgehen über das langweilige Stück. Wie mußt' ich mich schämen, daß sie sich in meinen ›Pfälzern‹ nicht gelangweilt haben!«
Freilich wurden diese besser gespielt, während in den »Makkabäern« eigentlich nur die Damböck (Lea) der großen Aufgabe gerecht geworden war. In der Presse aber hütete man sich, dies einzugestehen. Man frohlockte: nach den Erfahrungen mit den »Pfälzern« und den »Makkabäern« sei der Bankerott der »norddeutschen Dramatik« unbestreitbar an den Tag gekommen.
Ich schwieg ganz still und ließ es von Laubes Urteil abhängen, ob ich mein Stück drucken lassen und an andere Bühnen versenden solle. Erst im September kam der Bescheid aus Wien. Laube riet ab. Das Stück sei im Bau und den Motivierungen zu jäh, um das Publikum zu interessieren. Er bezeichnete damit in seiner Sprache, was ich in meiner den Mangel an dichterischer Verklärung des Stoffes nannte. Unrecht hatte er gewiß in bezug auf den äußeren Bühnenerfolg. Für diesen ist immer der Stoff entscheidend, der sich ja selbst in meiner rohen Zubereitung als wirksam bewährt hatte. Doch gab ich sofort jeden Gedanken daran auf, das Stück noch weiter sein Glück versuchen zu lassen. Ich steckte damals tief in einer neuen Arbeit, einem Trauerspiel »Otto III.«, das mich Jahr und Tag in Atem hielt und dann doch trotz Geibels lebhaftem Beifall mir so wenig genügte, daß ich jede Spur davon vernichtete.
Mein Verhältnis zu Dingelstedt war durch diese Episode begreiflicherweise nicht wärmer geworden. Doch war ich aufrichtig froh, als ein Besuch Auerbachs die unliebsame Spannung zwischen uns löste. An zwei Abenden waren wir drei beisammen, und es kam zu einer völligen Aussprache, bei der Dingelstedt gestand, er habe Geibel und mich für seine Feinde gehalten, weil wir ihn zu unseren Donnerstagen – im »Krokodil« – nicht hinzugezogen hatten. Wir hatten keine Ahnung gehabt, daß ihm daran gelegen sein möchte. Nun stießen wir auf einen »unbewaffneten Frieden« mit Champagner an, und bis zu Dingelstedts Entlassung im Jahre 1857 ist auch eine Störung dieses Friedens von keiner Seite vorgekommen.
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Meine Stellung dem Münchener Publikum gegenüber war durch mein theatralisches Debüt jedenfalls gebessert worden. Das Vorurteil gegen den norddeutschen Poeten, der zu hoch hinaus wolle und die »ungebildeten Bayern« geringschätze, hatte ich durch das einfache Volksstück entkräftet. Wie wunderlich aber, nicht bloß »von Gunst und Haß verzerrt«, mein Charakterbild noch schwankte, ersah ich aus einer vertraulichen Mitteilung Baron Leonrods, der mir immer eine freundschaftliche Gesinnung bewiesen hatte und mir bei einem der Symposien nach wiederholter Bitte, es ja nicht übel zu nehmen, eröffnete, »man habe die beste Meinung von meinem Talent, glaube aber, daß ich mir nicht immer so viel Mühe gebe, wie ich könnte, da ich die Form so oft vernachlässigte. Mit etwas mehr Feile würde manches gewiß vollendeter werden.« Ich versicherte diesem aufrichtigen Freunde, daß ich die »Urica«, die er ausdrücklich ausnahm, für das mangelhafteste Stück in den »Hermen« hielt, und nahm übrigens den Wink mit einer gewissen Genugtuung hin, da ich in meiner Heimat von Prutz, Kossak, Gutzkow und anderen Kritikern über meinen »akademischen Kultus der schönen Form« mir die härtesten Dinge sagen lassen mußte. Wer aber war »man«? Ich konnte auf keinen geringeren als den König raten, dem der»Perseus« in den »Hermen« gewiß als ein ungeheuerliches Produkt – eine antike Mythe in Knittelversen! – sehr seltsam vorgekommen war. Eine solche »Unform« verstieß gegen alle landläufigen ästhetischen Begriffe, in denen ihn Geibels volltönende Lyrik bestärkt haben mochte.
Ob ich es mit meiner nächsten größeren Arbeit bei König Max besser traf, ist mir immer zweifelhaft geblieben. Ich durfte mir freilich sagen, daß ich mir viel »Mühe« damit gegeben und es auch an der »Feile« nicht hatte fehlen lassen. Denn dies epische Gedicht »Thekla« hatte, seit ich es im ersten Entwurf aus Rom mitgebracht, neben all meinen anderen Arbeiten mich unausgesetzt beschäftigt und war mir ein wahres Schmerzenskind geworden, da ich inzwischen wohl auch über seine Form hinausgewachsen war. Ich hatte den Hexameter gewählt als das für eine Erzählung aus der ersten christlichen Zeit passendste neutrale Metrum. Doch mußte ich mir sagen, daß es selbst in der freieren, unpedantischen, unplatenschen Behandlung des Verses wenig Aussicht habe, dem deutschen Ohr vertraut zu klingen. Hatten doch selbst das herrlichste Gedicht in dieser Form, »Hermann und Dorothea«, und der geniale »Reineke Fuchs« eine wirkliche Popularität nie erlangt.
Nun aber war es so weit gediehen, daß ich es nicht aufgeben, noch weniger umschmelzen konnte, und so erfüllte ich während des Sommers 1857, den ich nach meines Vaters Tode mit meiner Mutter und der ganzen Kuglerschen Familie in Freienwalde zubrachte, so gut ich konnte eine immer schwerer gewordene Pflicht, indem ich das Gedicht in dem Kapellchen von Ägidis vinea domini beendete.
Als ich dann einen Abschnitt daraus im Symposion, einen anderen bei der Königin vorlas, hatte ich trotz des höflichen Beifalls die Empfindung, daß die Majestäten nach einer Fortsetzung nicht begierig waren. Besseres Glück fanden »Die Sabinerinnen«, die im Jahre darauf bei dem dramatischen Wettbewerb den Preis gewannen. Der Premiere am 20. Mai mußte ich fern bleiben, da ich krank war, auch die Maske meiner anonymen Autorschaft nicht lüften wollte. Bei der Wiederholung hatte ich freilich an dem Spiel der Meisten wenig Freude. Die Straßmann-Damböck (Hersilia) blieb weit hinter ihrer Aufgabe zurück, nur das Dahnsche Ehepaar war vortrefflich, Frau Dahn-Hausmann (Tullia) hinreißend, ganz ohne theatralische Manieren, die rührendste Tragik, zu der eine einfache Mädchenseele heranreift.
Im Publikum war die Stimmung entschieden günstig, sogar Schleich im »Punsch« äußerte sich anerkennend. Besonders warm beglückwünschte mich der König, als bei einem der Symposien die verschlossenen Zettel geöffnet wurden und das öffentliche Geheimnis meiner Autorschaft an den Tag kam.
Das Stück wurde dann im Sommer noch in Wien, Berlin und auf einigen anderen großen Bühnen aufgeführt, überall mit lebhaftem Beifall, doch ohne dauernden Erfolg. Zum Teil war die Abneigung des Publikums gegen alle »Stücke mit nackte Füß'« – wie man in Wien sagt – daran schuld, zum größeren Teil die Schwierigkeit, an derselben Bühne zwei junge tragische Liebhaberinnen zu finden, die das sabinische Schwesternpaar gleich sympathisch darzustellen vermochten. Auch ist es die Frage, ob der Stoff überhaupt vorzugsweise dazu angetan sei, tragisch behandelt zu werden, ob die Konflikte sich nicht weit natürlicher und wirksamer humoristisch lösen ließen.
Es kam noch anderes hinzu, mir den Eindruck dieses erfreulichen Ergebnisses bald zu verwischen.
Am 18. März 1857 war mein teurer Schwiegervater Kugler gestorben. Er hatte die »Sabinerinnen« noch eben im Manuskript kennen gelernt. Frau Klara übersiedelte mit den beiden Söhnen zu uns nach München; bald gesellte sich Adolf Wilbrandt hinzu, Bernhard Windscheid war als Lehrer der Pandekten an die Universität berufen worden und unserm engeren Kreise, dem das Sybelsche Ehepaar schon längst angehörte, nahe getreten – unser Leben hatte ein völlig anderes Gesicht bekommen. Ich selbst war während des nächsten Jahrs mit der Redaktion des »Literaturblatts zum deutschen Kunstblatt« über und über beschäftigt, nebenbei mit jener Übersetzung von Cavedas Geschichte der spanischen Baukunst, deren Manuskript Kugler noch durchgesehen hatte.
So konnte ich unserer Sommerfrische in Ebenhausen kaum froh werden, zumal alle poetische Produktion hinter der kritischen und geschäftlichen Arbeit zurückstehen mußte. Doch fühlte ich den Boden unter meinen Füßen nun erst wahrhaftig befestigt und die Liebe zu der neuen Heimat mir so ins Blut gedrungen, daß es mir nicht schwer fiel, den wiederholten dringenden Bemühungen des Großherzogs von Sachsen, mich nach Weimar zu ziehen, zu widerstehen. Ich dachte nicht daran, die Erfüllung dieser einfachen Pflicht der Dankbarkeit gegen meinen königlichen Gönner bei ihm selbst geltend zu machen. Er erfuhr davon aber durch andere und erhöhte meine Jahrespension auf fünfzehnhundert Gulden, indem er in der huldvollsten Weise aussprach, daß er auf mein Bleiben in seiner Nähe Wert lege.
Es sollte mir bald so gut werden, das Wohlwollen des gütigen Königs und die Hoffnungen, die er auf mich gesetzt, auch in den Augen seiner nächsten Umgebung und der weiteren Kreise Münchens zu rechtfertigen.
Am 2. Januar 1860 fand die erste Aufführung meiner »Elisabeth Charlotte« statt. Es war mein erster durchschlagender, unbestrittener Erfolg, den auch die Aufnahme auf fast allen deutschen Bühnen bestätigte. In München kam mir eine treffliche Besetzung zustatten: wieder das Dahnsche Ehepaar – Frau Dahn-Hausmann unübertrefflich! – Konstanze Dahn als Maintenon, Christen als Chevalier de Lorraine, Richter als Graf Wied, nicht zuletzt die prächtige Jungfer Kolbin der Seebach – ein Zusammenspiel, das selbst durch einige schwächere Mitwirkende nicht erheblich gestört werden konnte.
Zu dem günstigen Eindruck in München half nicht wenig, daß die Heldin des Stückes die pfälzische Prinzessin war, die am französischen Hofe ihr deutsches Herz bewahrt und deutscher Tugend sogar bei dem »Sonnenkönig« Achtung verschafft hatte. Dazu der warme patriotische Pulsschlag, der die Handlung beseelt, der derbe Humor der alten Kammerfrau und die spannend verschlungene und erfreulich sich lösende Handlung. Selbst das Mißwollen des damaligen Intendanten von Frays konnte den Erfolg nicht mehr verkümmern. Der alte General, Dingelstedts Nachfolger, der das Stück erst vierzehn Tage später wiederholen wollte, mußte sich darein fügen, die zweite Aufführung wenigstens auf den neunten anzusetzen.
Sogar der alte König Ludwig hatte sich durch die Verherrlichung seiner pfälzischen Urahnin für mein Stück gewinnen lassen. Am Tage nach der Premiere war er einem meiner Bekannten auf der Straße begegnet und hatte ihm zugerufen: »Habe gestern das Stück von dem Heyse gesehen. Ein schönes Stück, ein sehr schönes Stück! Mag sie aber alle nicht!« (Niemals hat er sich einen der Berufenen vorstellen lassen.) König Max aber sagte mir bei einem der späteren Symposien: »Mein Vater ist ganz begeistert von Ihrer Elisabeth Charlotte. Sie können denken, wie mich das freut.«
Ich selbst hatte schon damals kein reines Gefühl gegenüber dem Stück. Zwar, als ich es nach langen Jahren einmal wieder las, mußte ich mir sagen, daß ich es wohl nicht hätte anders machen können, als ich getan, wenn ich die Absicht hatte, die Liselotte zum Mittelpunkt eines wirksamen Schauspiels zu machen. Dazu mußte sie noch jugendlich genug sein, um eine Herzensgefahr tapfer, doch nicht ganz leicht zu überwinden. Der Vorstellung aber, die wir uns nach ihren berühmten Briefen von ihr gemacht, durfte sie bei mir nur durch die Geradheit und Tüchtigkeit ihres Charakters entsprechen. Ja, selbst wenn es möglich gewesen wäre, sie als korpulente alternde Frau mit allen Zynismen ihrer brieflichen Expektorationen auf die Bühne zu bringen, wäre damit der wahren historischen Figur doch Unrecht getan worden. Was uns in ihren Äußerungen als deutsche Derbheit gegenüber französischer Sitte und Sprache anmutet und zuweilen auch das Maß des Schicklichen zu überschreiten scheint, war in jener Zeit der zügellosen Sitten nichts weniger als unfürstlicher Ton. Sie selbst, so wenig man sie am Hofe Ludwigs XIV. liebte und verstand, erscheint in den zeitgenössischen Berichten stets als die fière Palatine, der niemand eine Unkenntnis höfischer Sitte nachsagte.
So hatte ich mich entschließen müssen, was an Derbheiten gesagt werden mußte, der Jungfer Kolbin zuzuweisen. Immerhin aber erinnerten die leichtflüssigen Jamben allzu wenig an den gutbürgerlichen, unverfrorenen Stil der Briefe. Die dankbare Aufgabe, Liselotte etwa wie den alten Götz unserem Volk in einem getreuen Bilde, holzschnittartig und doch vornehm gehalten, vorzustellen, hatte ich nicht gelöst.