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Am 4. Dezember des Jahres 1854 fand nun auch das erste Symposion statt, an dem ich teilnahm.
Man wurde regelmäßig erst am Morgen oder Mittag zu diesen Abenden eingeladen und hatte in Frack und schwarzer Krawatte zu erscheinen. Oben in dem Vorzimmer der sogenannten Grünen Galerie nahmen einem die Lakaien den Mantel ab, man trat in den Billardsaal, der nur schwach erleuchtet war, dann empfing uns in dem nächsten, hohen, weiten Gemach der diensttuende Adjutant oder der Hofmarschall Baron von Zoller, ein liebenswürdiger Herr von der schlichtesten Höflichkeit, der uns allen sehr wert wurde. In meinem sonst lakonischen Tagebuch finde ich über das erste Symposion ausführlich berichtet. Neben Baron von Roller machten von der Tann als Generaladjutant und Baron Leonrod die Honneurs; bei den ferneren Abenden erschienen abwechselnd auch die Adjutanten Graf Pappenheim, Baron Struntz, General von Spruner und Graf Ricciardelli, letzterer ein mir besonders sympathischer Italiener, großer Jäger vor dem Herrn, dessen braunes Gesicht und schwarze Augen unter dem grauen Haarschopf auf den ersten Blick seine südliche Herkunft verrieten. Er kam mir sogleich aufs wohlwollendste entgegen. Aber auch die anderen Herren aus der nächsten Umgebung des Königs beflissen sich der größten gentilezza uns Nichtbayern gegenüber, und wir lernten in ihnen Männer kennen, deren Bildung, Talente und geistige Interessen es begreiflich machten, daß der König gerade sie zu seinen Adjutanten gewählt hatte.
An diesem ersten Abende waren außer den erwähnten nur noch Graf Rechberg, Dönniges, Liebig und wir drei Poeten geladen. Als wir alle versammelt waren, erschien der König und begrüßte jeden einzelnen mit seiner gewinnenden Freundlichkeit. Er fragte mich, was ich eben arbeitete, ich erzählte von dem Trauerspiel »Die Pfälzer in Irland«, das ich nach V. A. Hubers »Skizzen aus Irland« schon in Berlin entworfen hatte und soeben zu einem richtigen Theaterstück auszuarbeiten im Begriff war. Darauf setzte man sich an den langen ovalen Tisch, über den eine einfache grüne Decke gebreitet war, Bier in kleinen Gläsern und Sandwiches wurden herumgereicht, und der König, der kein Raucher war und fast immer an Kopfschmerzen litt, zündete eine von den Zigarren an, die mitten auf dem Tische standen, und tat ein paar Züge daraus, nur um seine Gäste einzuladen, seinem Beispiel zu folgen.
Damals war gerade der »Fechter von Ravenna« das TagesgesprächIch kann der Versuchung nicht widerstehen, hier einer lustigen Mystifikation zu gedenken, mit der wir uns an dem Streit über die Urheberschaft jenes Trauerspiels beteiligten. Für jeden Urteilsfähigen stand es fest, daß Halm das volle Autorrecht zukam, selbst wenn es wahr sein sollte, wie sein Rival behauptete, daß er durch ein am Wiener Burgtheater eingereichtes handschriftliches Drama auf den Stoff aufmerksam gemacht worden wäre. Das Bacherlsche Stück war ein lächerliches Dilettantenexerzitium und von der kindischen, durchaus unzulänglichen Behandlung abgesehen auch im Aufbau etwas ganz anderes, als das Werk des theaterkundigsten aller damals lebenden Wiener Dichter. Aber es fehlte nicht an menschenfreundlichen Seelen, die sich verpflichtet fühlten, sich des kleinen bayerischen Schulmeisters gegen den großen, berühmten österreichischen Baron anzunehmen, und besonders Otto von Schorn, ein Neffe des Malers, der in München damals Kunststudien oblag, hatte sich mit sittlicher Entrüstung zum Verteidiger des Unterdrückten aufgeworfen.
Wir hatten gerade wieder an einer dieser Streitschriften uns ergötzt, als einem von uns – Geibel, Carriere, Grosse und einige andere saßen bei einem Glase voll in der Maizeit beisammen – der Einfall kam, den hitzig Zankenden eine Falle zu stellen, indem wir eine Ballade fabrizierten, die den »Fechterstoff« in nuce enthielte und somit Anwartschaft darauf hätte, den Streit zu entscheiden, da sie für die beiden Dramatikern gemeinsame Quelle gelten könnte. Der Vorschlag fand allgemeinen Anklang, und die Anfertigung des falschen Aktenstücks wurde mir übertragen. Am folgenden Tage las ich mein Opus den Mitverschworenen vor, die es durchaus zweckentsprechend fanden. Das Gedicht war im Stil der Zeit Seumes und Pfeffels gehalten, von biedermeierischem Pathos durchweht, wofür hier nur die erste Strophe zeugen mag: Durch einen Freund in Kaiserslautern, der sich Joh. Jakob Oppermann unterzeichnete, wurde das Gedicht mit dem Autornamen Lothar an die Redaktion des Frankfurter Konversationsblatts gesendet, als von einem seiner alten Leser, der vor langen Jahren die Ballade in einer Nummer der Dresdener Abendzeitung gefunden und sich abgeschrieben habe. Vielleicht werde dadurch der entbrannte Streit um das eigentliche Urheberrecht entschieden, da sowohl Halm wie Bacherl sehr wohl diese Urform des Stoßes gekannt haben könnten. Der Scherz glühte über Erwarten. Noch erinnere ich mich lebhaft, mit welcher Entdeckerfreude Ernst Förster bei den Zwanglosen eintrat und die große Neuigkeit verkündete. Niemand bezweifelte die Echtheit des Fundes. Otto von Schorn allein scheint Unrat gewittert zu haben. Wenigstens reiste er sofort nach Dresden und unterzog sich der Mühe, sämtliche ältere Jahrgänge der Abendzeitung nach der famosen Ballade durchzugehen. Als dann doch endlich das Geheimnis unseres Schwanks an den Tag kam, hatten wir die Lacher auf unserer Seite. Nur an mir sein Mütchen zu kühlen, konnte einer der Getäuschten sich nicht versagen. In einer der nächsten Nummern derselben Zeitung, die mein Falsifikat gebracht hatte, erschien ein sehr schwächliches Gedicht »Die deutsche Lerche« betitelt, mit meinem Namen unterzeichnet. Niemand aber nahm Notiz davon.
Im edlen Auge Wonnetränen,
Den Blick gerichtet himmelan,
Schmiegt sich nach langem, bitterm Sehnen
Die Mutter an den Jüngling an.
Hell schauen Romas goldne Zinnen
Auf der Vereinten Glück herab,
Und die Erynnis schleicht von hinnen
Und senket ihren Schlangenstab.
Die nächsten Symposien folgten einander in kurzen Zwischenräumen weniger Tage. Der König schien großes Gefallen daran zu finden und brachte immer neue Fragen aufs Tapet, über die er zunächst den gerade Sachverständigsten unter uns zu hören wünschte. Doch verliefen die späteren Abende nicht ganz wie die ersten. Mehr und mehr wurde es Brauch, daß in der ersten Stunde ein wissenschaftliches Thema aus den verschiedensten Gebieten durchgesprochen wurde, ein naturwissenschaftliches, wie über Parthenogenesis (Siebold), Ebbe und Flut, Elektrizität oder die Entstehung des Sonnensystems (von Jolly, zuweilen mit Experimenten illustriert), Chemie (Liebig), Mineralogie (Kobell), ästhetische und literarhistorische, dann vorwiegend soziale und völkerpsychologische Probleme. Hierauf erhob sich der König und ging in das Billardzimmer voran, wo eine Partie Boule gespielt wurde, während deren er einen oder den andern in eine Fensternische zog und mit ihm besprach, was im Augenblick ihn beschäftigte, etwa über schwebende Besetzungsfragen von Lehrstühlen an Universität und Polytechnikum Liebigs Meinung zu hören wünschte oder über das Ausschreiben eines Wettbewerbs um das beste Drama mit Geibel sich beriet. War dies beendet, so verfügte man sich wieder an den langen Tisch, und nun hatten die Dichter das Wort, die sorgen mußten, daß immer etwas zum Vorlesen bereit war.
So verklang der Abend nach manchen oft stürmischen Debatten tönereich und harmonisch, und man blieb, wenn die Majestät sich zurückgezogen hatte, in heiterer Stimmung beisammen. Einmal war Liebig, der eine feine Weinzunge hatte, darauf gekommen, daß man uns Elfer zu trinken gab, und Baron Roller erklärte, es sei noch ein großer Vorrat dieses berühmten Jahrgangs im Keller, der allen anderen zu herb erschien und von jetzt an nur den Symposiasten gewidmet sein sollte.
Was diesen Abenden aber einen besonderen Reiz und Wert verlieh, war die unbedingte Redefreiheit, die zuweilen sogar in sehr unhöfischem Maße an die Grenze des Zanks sich verirrte. Hatte man in der Hitze des Gefechts dann vergessen, daß die Gegenwart des Königs doch einige Rücksicht erheischte, und hielt plötzlich inne mit einer Entschuldigung, daß man sich zu weit habe fortreißen lassen, so bemerkte der König mit freundlichem Lächeln: »Ich bitte, sich ja keinen Zwang anzutun. Ich habe nichts lieber, als wenn die Geister aufeinanderplatzen.«
Von dem leidenschaftlichen Wahrheitstrieb des edlen Fürsten, dessen ich schon oben erwähnte, kann ich kein schlagenderes Beispiel anführen, als jenes Symposion vom 21. April 1855, zu welchem alle bedeutenderen Architekten Münchens geladen waren, um sich über den Lieblingsgedanken des Königs, ob ein neuer Baustil zu schaffen sei, freimütig zu äußern. Der Gedanke entsprach dem Wunsch, nicht ferner, wie König Ludwig getan, Bauwerke der verschiedensten Zeiten und Stile zu kopieren und sich eigener Erfindung zu enthalten, sondern es womöglich mit völlig neuen Formen zu versuchen. Daß kein Fürst der Welt eigenmächtig in die Entwicklung dieser so eminent volkstümlichen, aus notwendigen Kulturbedingungen hervorsprießenden Kunst eingreifen könne, war dem Könige nicht aufgegangen. Er hoffte, durch seinen guten Willen und eine reiche Belohnung einem schöpferischen Genius auf einen neuen Weg verhelfen zu können.
Nun gereichte es ebensowohl ihm selbst wie den Männern, die er befragte, zur Ehre, daß nicht ein einziger darunter war, der dem königlichen Wahn zu schmeicheln suchte, vielmehr einer nach dem andern die Unmöglichkeit eines aus dem Boden gestampften neuen Baustils nachwies. Der König hörte jeden mit gespannter Aufmerksamkeit an, ohne eine Äußerung der Ungeduld oder des Unmuts, und dankte schließlich dem ganzen Kreise für die Offenheit, mit der man sich ausgesprochen.
In der Sache freilich wurde dadurch nichts geändert. Der Bau der Maximilianstraße und des Maximilianeums wurde fortgesetzt. Denn allerdings war König Max kein Mann der Tat, sondern beschaulicher Betrachtung, und manchmal kam die theoretische Erkenntnis zu spät, wenn ein praktischer Schritt nicht mehr zurückgetan werden konnte.
Wie ernst er es aber damit nahm, durch diese Symposien die Lücken seiner Jugendbildung auszufüllen, bewies er auch dadurch, daß er die Gespräche protokollieren ließ, um sie am nächsten Tage noch einmal durchzugehen, nicht anders, als wie ein fleißiger Student sein nachgeschriebenes Heft studiert.
Das Geschäft des Protokollierens war Franz Löher übertragen, der im Oktober 1855 als königlicher Privatbibliothekar angestellt worden war, mit dem weiteren Auftrag, über alle neueren literarischen Erscheinungen von Bedeutung dem Könige zu referieren.
Ein anziehend geschriebenes Buch über Amerika, vielleicht auch das talentvolle epische Gedicht »General Spork«, hatte Dönniges auf den westfälischen Gelehrten aufmerksam gemacht, der überdies, obwohl gleichfalls ein »Fremder«, als Katholik weniger Anfeindung zu befürchten hatte als wir anderen.
Er wußte auch diesen Vorzug aufs geschickteste sich zunutze zu machen und mit großer Schmiegsamkeit sich Personen und Verhältnissen anzupassen. Vor allem unterwarf er sich blindlings den Neigungen und Meinungen des Königs, indem er selbst bei seinen Literaturberichten alles herabsetzte, was gewissen Ideen Sr. Majestät widersprach, dagegen z. B. alle Bücher und Broschüren, die der großdeutschen und Triaspolitik das Wort redeten, rühmend hervorhob. (Ich hatte später in Berchtesgaden, da mir der König Lohers Referate zur Durchsicht geben ließ, Gelegenheit, mich von seinen Höflingskünsten zu überzeugen.) Wie klug der talentvolle Mann seine Schritte zu lenken wußte, hat der Erfolg gezeigt, da er nach dem Tode des Königs zum Archivdirektor ernannt wurde, eine Stelle, die sonst nur einem geborenen Bayern anvertraut zu werden pflegte. Welche Rolle er dann noch bei dem unglücklichen König Ludwig zu spielen sich nicht scheute, mag hier nicht weiter ausgeführt werden.
Aber seine feuilletonistische Gewandtheit und die Unbedenklichkeit, mit der er jeden Auftrag des Königs – der, wie alle Fürsten, von der Zeit, die zu gründlicher Arbeit nötig ist, keine Vorstellung hatte, – schlecht und recht erledigte, machten ihn bald unentbehrlich. Er war auch vorsichtig genug, an den Gesprächen der Symposien sich wenig zu beteiligen, außer wenn sie sein Spezialfach, die Geschichte und Kultur Amerikas, berührten. Im April 1856 erhielt er Urlaub zu seiner Hochzeitsreise, und die Führung des Protokolls ging auf mich über.
Es war kein ganz leichtes Amt, obwohl ich mit meiner raschen Hand nicht nur, wie mein Vorgänger, einzelne Stichworte notierte, die am anderen Tage zu einem zusammenhängenden Dialog verarbeitet werden mußten, sondern sofort in der Hauptsache den ganzen Vortrag und die Diskussion darüber nachschrieb und anderen Morgens fast nur noch eine Reinschrift zu besorgen hatte. In der ersten Hälfte dieses Jahres aber war das Interesse des Königs so sehr von verschiedenen Fragen in Anspruch genommen, daß vom 7. Januar bis zum 20. Juni nicht weniger als dreiundvierzig Symposien stattfanden. Die Themata waren mannigfaltig; hauptsächlich kamen die politischen Zeitströmungen, die Volksstimmungen in Spanien, Italien, England und Amerika, die kirchlichen Zustände in Frankreich und Amerika zur Sprache, dazwischen eine Übersicht über die moderne Geschichtschreibung, dann wieder Chemie und Physiologie. Als es tiefer in den Sommer hineinging, wurden die Symposiasten nach Nymphenburg geladen, in die reizenden Rokokosäle der Amalienburg und Badenburg, wo man, wenn man nicht gerade das Protokoll zu führen hatte, die Augen zu der offenen Flügeltür hinaus über den kleinen See schweifen lassen und sich an der glänzenden Sternennacht erquicken konnte.
So sehr war der König von der Wichtigkeit dieser Abendunterhaltungen durchdrungen, daß er, so gütig er sich sonst mir bewies, meine Bitte, einige Tage vor dem Schluß der damaligen Symposien entlassen zu werden, nicht gewährte. Am 26. November des vorigen Jahres hatte ich meinen teuern Vater verloren. Im Sommer darauf sollte eine Familienzusammenkunft in Freienwalde stattfinden, zu der ich ungeduldig erwartet wurde. Ich erhielt aber nicht eher Urlaub, als bis ich die Reinschrift des letzten Protokolls in der Kabinettskanzlei abgeliefert hatte.
In ähnlich raschem Tempo wurden die Symposien nie wieder abgehalten. Doch dauerten sie, gewöhnlich einmal wöchentlich, bis an den Tod des Königs fort, nur während des italienischen Krieges von 1859 einen Monat lang unterbrochen, da der Bürgermeister dem König vorgestellt hatte, dieser fortgesetzte Verkehr mit den Fremden und Protestanten mache ihn unpopulär. Der sonst so mutige Fürst, der aber »Frieden haben wollte mit seinem Volk«, gehorchte einer Anwandlung von Schwäche, da er die Gefahren der Weltlage überschätzte, und ließ auch andere Pläne und Bewilligungen an Gelehrte und Schriftsteller fallen, um sie dann nach dem Friedensschluß doch wieder aufzunehmen.
Er hatte auch sonst sich bemüht, die Bevorzugung der Berufenen sich von seinem Volke verzeihen zu lassen, indem er einheimische Gelehrte hin und wieder zu den Symposien hinzuzog: den alten Ringseis, Lasaulx, Döllinger, Pettenkofer, Dollmann, Lamont, Voigt, Seidl, Schafhäutl; von Künstlern gelegentlich Ziebland, Piloty, Kaulbach, Ph. Foltz und andere. Zuweilen erschien auch ein notabler durchreisender Gast, so an einem der Nymphenburger Abende der Großherzog von Mecklenburg, früher schon Fürst Pückler und Andersen; am 31. März 1859 ein ganzer Kreis illustrer Gäste zu Ehren der Säkularfeier der Akademie, darunter Helmholtz, Wöhler, Lepsius, Rudolf Wagner, Ehrenberg, Eisenlohr, wo es mehrere Stunden lang hochgelehrt zuging, da Helmholtz über Klangfarbe, Wöhler über organische Elemente in Meteorsteinen, Lepsius über Pyramiden sprach. Gegen seine Gewohnheit blieb dann der König auch bei dem Souper, dem, statt unseres herben Elfers, der Champagner einen festlichen Charakter gab.
In ähnlicher Weise wurden bei Gelegenheit der Gründung der historischen Kommission die Historiker gefeiert. Sybel hatte schon seit seiner Berufung regelmäßig an den Symposien teilgenommen. Nun erschienen am 6. Oktober 1860 auch die fremden Größen im königlichen Schloß, voran des Königs hochverehrter Lehrer Leopold von Ranke, mit ihm Waitz, Pertz, Lappenberg, Hegel, Wegele, und von den in München ansässigen Cornelius und Föhringer. Außerdem waren Dönniges, Liebig, Dollmann, Löher und die Poeten geladen, und der Abend gestaltete sich zu einem heiteren Fest, bei dem zuletzt Ranke einen Trinkspruch ausbrachte. Zum Schluß rief er das echt bayerische Pfüet (Behüt') Gott! das er als »Führ' Gott!« verstanden hatte, der neuen Gründung des Königs zu und mußte sich von Dönniges seines Irrtums belehren lassen.
Noch eines Gastes will ich hier gedenken, ehe ich den Bericht über diese denkwürdige Tafelrunde beschließe.
Gegen Ende Februar des Jahres 1859 war Fontane nach München gekommen. Geibel hatte auch ihn für uns zu gewinnen gesucht, und auch Dönniges war lebhaft dafür gewesen. Ich hatte bei einem der Symposien (am 14. März) von seinen Balladen und »Männern und Helden« vorgelesen und großen Beifall auch beim Könige damit geerntet. Er gewährte dann unserem Freunde am 19. März eine Audienz und ließ ihn zu dem Symposion am 24. März laden. Hier las Fontane unter anderem dem anwesenden von der Tann das Gedicht vor, das er in der Zeit, da dieser in Schleswig-Holstein sich die ersten Lorbeern geholt, auf ihn gedichtet hatte (»Hurra, Hurra! von der Tann ist da«). Seine Poesie und seine Person erweckten die wärmste Sympathie von allen Seiten. Weshalb es trotzdem zu einer Berufung nicht gekommen ist – die übrigens dem eingefleischten Märker auf die Länge schwerlich behagt haben würde – vermag ich nicht zu sagen.
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Neben den Symposien wurden Geibel und ich zuweilen zu den Teeabenden der Königin geladen, wo auch der König erschien, da er gern häufiger etwas Poetisches von uns vorlesen zu hören wünschte.
Es war immer nur ein kleiner Kreis: außer der Obersthofmeisterin Frau von Pillemand – einer ganz verwitterten, kleinen alten Dame, die Platens erste und einzige Liebe gewesen sein soll – die schöne Gräfin Charlotte Fugger und Fräulein von Redwitz, die zweite, ebenfalls sehr anmutige Hofdame, gewöhnlich von der Tann mit seiner Gemahlin, der Hofmarschall Baron Roller und eine sehr gescheite unverheiratete Dame, Fräulein von Küster, Tochter eines früheren preußischen Gesandten in München, die der jungen Kronprinzessin nach ihrer Ankunft in München attachiert worden war, um die noch sehr kindliche Bildung der reizenden jungen Frau ein wenig zu vervollkommnen. (Sie hatte dabei gewisse sittliche Rücksichten zu nehmen, deren man sonst gegenüber jungen Frauen überhoben zu sein pflegt. So erzählte man, es sei ihr zur Pflicht gemacht worden, beim Vorlesen von Romanen und Novellen das Wort »Liebe« stets durch »Freundschaft« zu ersetzen.)
Trotz alles Bemühens aber war es nicht gelungen, der Königin Interesse an Literatur und Poesie einzuflößen. Ihr war nur wohl im leichtesten Geplauder und besonders in der freien Luft des Gebirges, das sie unermüdlich nach allen Richtungen zu durchstreifen liebte. Auch am Theater fand sie keinen Geschmack und sah, wenn sie doch einmal mit dem Könige in ihrer Proszeniumsloge erschien, lieber ins Publikum als auf die Bühne.
Jene Teeabende, an denen gelesen wurde, erfreuten sich daher nicht ihrer Gunst; sie fügte sich eben nur dem Wunsch des Königs und pflegte während der Vorlesung in Photographiealbums zu blättern. Zuweilen flüsterte sie dabei der neben ihr sitzenden Dame ein Wort zu, einmal so laut, daß Geibel das Buch, aus dem er gelesen, auf den Tisch legte und mit finsterem Stirnrunzeln verstummte.
Der König, auf das peinlichste berührt, warf seiner Gemahlin einen unwilligen Blick zu und lud dann Geibel mit einer huldvollen Handbewegung ein, fortzufahren.
Ich selbst durfte mir einen ähnlichen Protest gegen einen Mangel an Respekt vor der Würde der Poesie nicht erlauben, sondern erhob nur die Stimme ein wenig stärker, wenn ich das Flüstern vom Sofa her vernahm. Übrigens waren diese kleinen Gesellschaften sehr behaglich, der König gewöhnlich besonders gütig, die Damen dankbar dafür, die allabendliche, ziemlich einförmige Konversation einmal durch etwas Poetisches unterbrochen zu sehen.
Ich hatte mit dem Vorlesen der »Brüder« angefangen, die die Königin »sehr schön, aber sehr ernst« gefunden hatte. Besonderen Beifall, auch bei ihr, fand ich dann mit der »Braut von Cypern«, weit mehr, zu meiner Verwunderung, als mit der »Hochzeitsreise an den Walchensee«, von der ich mir versprochen hatte, daß sie meine Qualifikation zum Hofpoeten besonders schlagend beweisen würde. Aber die realistischen Züge darin, wenn sie auch bayerische Szenerien und Volkssitten schilderten, fanden weniger Anklang bei dem Herrscherpaar, als die romantische Welt Cimones, und der düstere Walchensee konnte trotz aller Humore, die ihn umspielten, den Vergleich nicht aushalten mit der Purpurbläue des Mittelländischen Meeres.