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Bei der ganzen Anlage seines geistigen und sittlichen Naturells war nun nichts natürlicher, als daß der König gerade für Geibel vor allen anderen zeitgenössischen Dichtern die wärmste Sympathie fühlte. Der melodische Fluß und die glänzende Vollendung seiner Verse bezauberten ihn, der tiefe Brustton idealer Gefühle und Gesinnungen kam einer verwandten Stimmung in der Seele des Königs entgegen.
Schon im Frühjahr 1852 berief er den ihm so teuren Dichter in seine Nähe und war glücklich, daß er im persönlichen Verkehr Geibels Charakter ebenso schätzen lernte, wie er seine Dichtungen bewundert hatte. Geibel war nach München übergesiedelt und hatte dort seinen jungen Hausstand gegründet. Eine Professur der Literaturgeschichte und Poetik war ihm übertragen worden, die er in den ersten Jahren ziemlich ernst nahm; eine Schar angehender junger Poeten sammelte sich um ihn und suchte in den Vorlesungen, die er in seinem Hause hielt, Belehrung über poetische Technik. Ob es dabei zu eigentlich wissenschaftlicher Arbeit, zumal im Gebiete der Literaturgeschichte, gekommen, weiß ich nicht zu sagen. Jedenfalls war das Verhältnis zum Könige der Hauptzweck seiner Gegenwart in München.
Er war freilich bei aller angeborenen Loyalität nicht fähig, die Rolle eines geschmeidigen Höflings zu spielen. Gleich zu Anfang, als der König ihm durch seinen bisherigen Amanuensis, den Ministerialrat Daxenberger, eine Auswahl seiner eigenen Gedichte zur Prüfung geschickt hatte mit der Frage, ob er sie zur Veröffentlichung geeignet halte, hatte Geibel unumwunden vom Druckenlassen abgeraten. Der König, weit entfernt, darüber empfindlich zu werden, hatte ihm diese Warnung als einen Freundschaftsdienst hoch angerechnet und ist auf den Lieblingswunsch eines jeden, der sich dilettantisch mit Versemachen beschäftigt, nie wieder zurückgekommen.
Der Verkehr mit Geibel aber regte in ihm die Neigung zur Poesie so lebhaft an, daß er neben den Männern der Wissenschaft, die er an seine Universität berief, um auch privatim ihres belehrenden Umgangs zu genießen, auch einige Poeten zu den Abendgesellschaften zuzuziehen beschloß, in denen er geistige Nahrung und Erfrischung der verschiedensten Art zu gewinnen wünschte.
Es konnte nicht fehlen, daß diese Gründung einer »geistigen Tafelrunde« in den Kreisen der einheimischen Gelehrten und Dichter eine sehr unfreundliche Stimmung erzeugte.
Schon die Berufung hervorragender Gelehrter an die Universität hatte, wie oben bemerkt, aus den verschiedensten Ursachen lebhaften Unmut erregt. Die besondere Gunst, die einigen dieser Fremden, vor allem Liebig, durch die Teilnahme an den Symposien des Königs zuteil wurde, mußte die feindselige Gesinnung der zunächst betroffenen altbayerischen Kreise nur noch erheblich steigern, da die bevorzugten »Berufenen« allgemein im Verdacht standen, weil sie das Ohr des Königs hätten und häufiger und zwangloser als selbst die Minister mit ihm verkehrten, diesen Vorzug, wenn auch nicht immer in persönlichem Interesse, doch zu immer stärkerer Zurückdrängung der verdienten einheimischen Männer zu mißbrauchen. Es half nichts, daß auch bayerische Gelehrte zu den Symposien geladen wurden. Die Liebig, Bischof, Jolly, Riehl, Bluntschli, Carriere, späterhin Sybel und Windscheid waren doch in der Mehrzahl und gehörten zu den Stammgästen an diesem königlichen Tische.
Nun vollends die Bevorzugung fremder Poeten, da es in dem bayerischen Dichterwald doch wahrlich »von allen Zweigen schallte«! Schon mit Dingelstedts Berufung war man unzufrieden gewesen. Man hielt ihn nach seinen »Nachtwächterliedern« nur für einen der politischen Dichter und Tendenzpoeten, die nachgerade abgetan waren – zudem hatte er sich durch seine »Verhofräterei« den Liberalen verdächtig gemacht, während er den Altgesinnten durch allerlei Frivolitäten Anstoß zu geben fortfuhr. Immerhin war er nicht als Dichter, sondern als Theaterintendant nach München gekommen und hatte ein Amt, mit dem ohnehin ein Gehalt verbunden war. Auch wurde er nicht zu dem engeren Kreise des Königs hinzugezogen. Daß aber zwei andere fremde Dichter durch die Gnade des Königs eine Jahrespension genossen, ohne weitere Verpflichtung, als an den Symposien teilzunehmen und in München ihr Dichten und Trachten weiter zu treiben, entflammte die Gemüter, zumal der einheimischen Kollegen, zu heftiger Empörung.
Die Schuld an dieser unerhörten Vernachlässigung der talentvollen Landeskinder schob man nächst Dönniges natürlich Geibel in die Schuhe. Zwar hatte er von vornherein ein freundliches Verhältnis zu dem angesehensten der bayerischen Dialektdichter, Franz von Kobell, gefunden, der zu den Intimen des Hofes gehörte. Wo aber blieben die anderen, die zwar über die Grenzen Bayerns hinaus sich nicht bekannt gemacht hatten, aber innerhalb derselben eines gewissen Ansehens genossen? Wo blieb sogar der berühmte Oskar von Redwitz, dann Andreas May, Ludwig Steub, Franz Trautmann, Hermann Schmid, Franz Bonn, Heinrich Reder, Teichlein, Ille und so viele andere unter den jüngeren Talenten, denen ein königliches Jahrgehalt und die Soupers in der »Grünen Galerie« des Königsschlosses von ihren Freunden und Lesern lieber gegönnt worden wären, als dem in Peine an der Fuse geborenen Bodenstedt und gar dem Schreiber dieser Zeilen, dem es als ein unvertilgbarer Makel anhaftete, mit Spreewasser getauft worden zu sein?
Gewiß wäre niemand froher gewesen als Geibel, wenn er unter den genannten einheimischen Poeten den oder jenen dem Könige zur Aufnahme in seinen engeren Kreis hätte empfehlen können. Wie weit entfernt er von jeder prinzipiellen Geringschätzung der süddeutschen Talente war, hatte er zunächst durch die liebevolle Sorgfalt bewiesen, mit der er Hermann Linggs Gedichte herausgab, in der Vorrede auf ihn als einen »Ebenbürtigen« hinweisend, und späterhin durch das freundschaftliche Verhältnis mit dem Münchener Hans Hopfen, dem Schweizer Leuthold und dem Schwaben Wilhelm Hertz. Er war es auch, der Lingg und später Melchior Meyr eine Jahrespension beim König erwirkte, wie er denn überhaupt auch in materieller Fürsorge für Dichter, die er anerkannte, unermüdlich war, nicht nur durch sein Fürwort beim Könige (das auch Otto Ludwig zugute kam), sondern in großherzigster Weise aus seiner eigenen Tasche.
Wenn er sich gleichwohl den damaligen Poeten Münchens gegenüber zurückhaltend bewies, so geschah es ohne alle persönlichen Motive, aus dem Grunde, weil er keinen darunter für voll nahm.
Daß er ein gutes Recht dazu hatte, hat einer der talentvollsten jüngeren Münchener Dichter offen ausgesprochen, Max Haushofer in dem trefflichen, durch feines Urteil und gerechte Verteilung von Licht und Schatten ausgezeichneten Essay »Die literarische Blüte Münchens unter König Max II.«, aus dem oben schon eine bezeichnende Stelle angeführt worden istBeilage zur »Allgemeinen Zeitung«, 15. und 16. Februar 1898..
»Den vormärzlichen Dichtern Münchens gebrach es nicht an Talent, aber an der Energie des Strebens. Süddeutsche Gemütlichkeit ging ihnen über jeden Erfolg. Vormittags beim Bockfrühschoppen im ›Achazgarten‹ zu sitzen, den Nachmittag in einem der Kaffeehäuser des Hofgartens zu verplaudern und den Abend, wenn er schön war, auf einem der damals noch so prächtigen aussichtsreichen Keller zuzubringen: das war in jener Zeit ein viel schöneres und poetischeres Tun als das Sitzen am Schreibtisch.«
Es war aber doch wohl nicht vorzugsweise diese Neigung zu vergnüglichem Lebensgenuß, was die talentvollen Altbayern nicht zu strenger Arbeit im Dienst der Muse kommen ließ. Gerade weil hier im Süden der poetische Trieb den Begabteren mehr im Blute lag, ihre Natur von Hause aus künstlerischer gestimmt war als dem nüchternen Menschenschlag im Norden, fühlten sie weniger die Pflicht innerer Vertiefung und glaubten den Kranz »schon im Spazierengehen« zu erringen. Daß auch der Dichter nicht nur im Technischen viel zu lernen habe – hatte doch auch der berühmteste bayerische Poet, Graf Platen, sich nachgerühmt: »Die Kunst zu lernen, war ich nie zu träge« – sondern daß es etwas wie ein künstlerisches Gewissen gebe, dessen Mahnungen nicht als Schulweisheit eines pedantischen Präzeptors verspottet und vernachlässigt werden dürften, ahnten die wenigsten. Sie begnügten sich nach Art aller Dilettanten mit dem, was ihnen in angeregter Stunde von ihrem Genius beschert worden war, und antworteten, wenn sie auf Mängel dieses ersten Hinwurfs hingewiesen wurden, wie jener Poet in Shakespeares »Timon«: »'s ist eben nur ein Ding, mir leicht entschlüpft.«
Dazu kam, daß es vor fünfzig Jahren in München völlig an einer einsichtsvollen literarischen Kritik gebrach. Der Journalismus stand selbst in Bayerns Hauptstadt auf keiner höheren Stufe als heutzutage in den Lokalblättern kleinerer Provinzstädte, und auch das »Blatt für Diplomaten und Staatsmänner«, die »Augsburger Allgemeine Zeitung«, befaßte sich nur gelegentlich in der Beilage mit neueren belletristischen Erscheinungen. Was in norddeutschen kritischen Journalen hin und wieder geurteilt wurde über ein Buch, das aus dem Süden kam, machte, wenn es noch so sachlich und maßvoll klang, keine tiefere Wirkung, da man überzeugt war, die norddeutsche Kritik stehe der süddeutschen Produktion von vornherein mit einem geringschätzigen Vorurteil gegenüber. Auch fehlte es in München an einem Verleger für andere als wissenschaftliche, geistliche und pädagogische Literatur, und bei Cotta anzukommen, war ein seltener Glücksfall.
Noch verhängnisvoller aber als der Mangel einer öffentlichen Kritik war hier die Scheu vor jenen »goldnen Rücksichtslosigkeiten« im persönlichen Verkehr der Schriftsteller, die den Berliner Tunnel trotz manches pedantischen Zuges für die Bildung junger Talente so ersprießlich gemacht hattenWie ernst es Freunde mit gegenseitiger Kritik ihrer dichterischen Arbeiten nahmen, wie unumwunden sie sich aussprachen und selbst die völlige Verwerfung nicht als Kränkung empfanden, sieht man in einem höchst interessanten Beispiel aus den Briefen Bernh. v. Lepels an Theodor Fontane (Vierzig Jahre B. v. Lepel von Th. Fontane, Berlin, F. Fontane & Co. 1901).. Junge Künstler haben in der Regel mehr Vorteil von kameradschaftlicher wetteifernder Anregung untereinander, als von der eindringlichsten Unterweisung älterer Meister. Nun galt es aber für sehr unschicklich, offen ins Gesicht seine Meinung zu sagen, da man ja hinter dem Rücken der guten Freunde seiner scharfen Zunge keinen Zwang anzutun brauchte. Ich selbst, als ich einigen Kollegen keinen besseren Beweis meines freundschaftlichen guten Willens geben zu können meinte, als wenn ich ihnen in der schonendsten Form aussprach, was mir neben dem Gelungenen noch einer Besserung fähig schien, mußte zu meinem Schaden erfahren, daß dies des Landes nicht der Brauch sei. Man wollte en bloc gelobt werden und beschuldigte den unberufenen Tadler eines Mangels an guter Erziehung oder einer hochmütigen, wenn nicht gar feindseligen Gesinnung. Ich sah denn auch bald ein, daß mein redliches Bemühen hier an die Unrechten kam. Den wenigsten war es so ernstlich um die Sache zu tun, daß sie die Mühe daran gewendet hätten, auch wenn sie einen Einwand zugeben mußten, noch einmal Hand an ihr Werk zu legen. Sie fühlten sich persönlich beleidigt und trotzten nun erst recht auf die Unantastbarkeit ihres ersten Hinwurfs.
Einem so viel älteren Poeten wie Franz von Kobell gegenüber hätte ich mich wohl gehütet, meinem kritischen Vorwitz Luft zu machen. Auch waren seine frischen Lieder und kleinen anekdotischen Gedichte in bayerischer und pfälzischer Mundart voll Mutterwitz und volkstümlichem Reiz schon durch den Zügel des Dialekts in ihrem munteren Gange gesichert, wie ja auch im Dialekt keine Sprachfehler gemacht werden. Was er hochdeutsch dichtete oder gelegentlich für die Bühne schrieb, hatte freilich auch einen dilettantischen Anstrich, fand aber ebenfalls so allgemeinen Beifall, daß sich niemand versucht fühlen konnte, die höchsten ästhetischen Maßstäbe daran zu legen. So wenig wie an die Verse seines Freundes, des Grafen Franz von Pocci, der so recht der Typus des vielseitig begabten altbayerischen Dilettantismus war. Als Knabe hatte ich den »Festkalender«, den er in Gemeinschaft mit Guido Görres herausgab, mit Entzücken studiert, die schnurrigen oder romantischen Balladen auswendig gelernt, die hübschen Bilder eifrig nachgezeichnet. Nun begnügte sich der liebenswürdige Mann freilich nicht mit seinen Erfolgen in geselligen Kreisen, wo er seine witzigen, oft sehr anzüglichen Karikaturen durch lustige Verse erklärte, noch mit dem Beifall der Kinderwelt, für die er seine vielen drolligen Puppenspiele dichtete, sondern er verfaßte auch anspruchsvollere Dramen, die allerdings von neuem bewiesen, daß es in dieser dichterischen Gattung mit einer leichtherzigen Improvisation nicht getan, sondern ernste Arbeit unerläßlich ist.
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Ich gedenke aber nicht, hier die Geschichte des literarischen Münchens um die Zeit, ehe ich mich dazu gesellte, zu schreiben. Einen hinlänglichen Überblick über die Bestrebungen der einheimischen Poeten hat Max Haushofer in dem erwähnten Aufsatz gegeben, aus dem ich selbst erst manches erfahren habe, was mir damals entgangen war. Unter anderm, daß schon im Jahre 1848 in München – überhaupt die Stadt der Vereine – ein »Verein für deutsche Dichtkunst« gegründet wurde, der im Jahre 1851 ein Jahrbuch erscheinen ließ, darin unter mir bekannten Namen viele völlig verschollene. Sieben Jahre später gab Graf Pocci – »auf eine Anregung, die vom Königshause ausgegangen war« – ein Münchener Album heraus, in dem sich eine noch viel größere Anzahl von einheimischen Namen findet. Dann entstand im Jahre 1852 »der Poetenverein an der Isar« unter dem Vorsitz des eifrig dichtenden Papierfabrikanten Medicus, der besonders einen jüngeren Freund, August Becker, zu fördern bemüht war und viel dazu beitrug, diesen hoffnungsvollen Anfänger in dem Wahn einer früh erreichten Meisterschaft zu bestärken.
All dieser Vorgänge auf dem bayerischen Parnaß habe ich nur erwähnt, um den Boden zu schildern, der dem Neuling heiß genug werden sollte, und die Stimmung der kollegialen Gesellschaft, die alle drei Berufenen empfingBekannt ist das satirische Gedicht, mit dem der witzige Redakteur der Augsburger Allgemeinen Zeitung, Altenhöfer, die fremden Poeten begrüßte. Es war den autochthonen Gegnern aus der Seele gesprochen. Merkt es euch, ihr Geibel, Heyse, die ein Wind beliebig dreht, Hofgunst ist ein Dingel, das auf keinem festen Boden steht..
Bodenstedts Berufung war durch Dönniges veranlaßt worden, der an dem ziemlich äußerlichen Witz des Mirza-Schaffy Gefallen gefunden hatte und von dem Verfasser der »Völker des Kaukasus« und »Tausendundein Tag im Orient« sich für die Unterhaltung der königlichen Tafelrunde viel versprach. – Geibel hatte sich fügen müssen, obwohl er von Bodenstedts Talent nicht so gut dachte. Im Vergleich zu den anderen westöstlichen Poeten – außer Goethe vor allem Rückert, Daumer und Platen – schien ihm Mirza-Schaffy des tieferen poetischen Gehalts, der echten, leidenschaftlichen Empfindung zu entbehren und der vielgerühmte Witz oft nur in billigen Reimspielen zu liegen, die höchstens einem Laienpublikum imponieren konnten. Was Bodenstedt nicht in der orientalischen Maske, sondern als guter Deutscher geschaffen hatte, seine eigenen Gedichte, Dramen, Novellen, stand so tief unter jenen poetischen Reisefrüchten, daß man sich des Verdachts nicht erwehren konnte, es handle sich bei diesen mehr oder weniger nur um Nachdichtungen geistvollerer Originale, – worüber Bodenstedts Erklärungen nie ein volles Licht verbreiteten.
Auf seine eigene Verantwortung hatte Geibel dagegen, wie gesagt, meine Berufung befürwortet und durchgesetzt, in jeder Weise ein Wagnis. Es war nichts Unerhörtes, daß ein Fürst einen anerkannten Dichter in seine Nähe rief und ihn aller Lebensformen überhob. So hatte Friedrich Wilhelm IV. Kopisch nach Potsdam berufen, Rückert als Professor an die Berliner Universität, und Tiecks müder Pegasus genoß den königlichen Gnadenhafer. Was aber bisher von meinen Sachen gedruckt worden war, hatte schwerlich den Weg nach Bayern gefunden und konnte höchstens als Talentproben gelten, die mir keinen Anspruch darauf gaben, so vielen älteren einheimischen Dichtern vorgezogen zu werden. Dazu war mein Äußeres noch jugendlicher, als meine jungen vierundzwanzig Jahre. Ich sehe noch Liebigs verwunderte Miene bei meinem ersten Besuch, da er glaubte, ich sei gekommen, für meinen Vater, der berufen worden, Quartier zu machen, und höre das Lachen der Frau von Dönniges, als ich ihr erzählte, ich würde in sechs Wochen Hochzeit machen.
Der König indes hatte durch die »Urica«, die »Brüder« und das »Spanische Liederbuch«, die Geibel ihm vorgelegt, eine günstige Meinung von meinem Talent gewonnen, auch darein gewilligt, daß mir die erbetene Honorarprofessur an der Universität übertragen wurde. Nicht daß ich denn doch Zweifel gehegt hätte, ob ich es wagen dürfe, mich als Poet zu etablieren und in dichterischen Aufgaben ein ganzes Leben lang Genüge zu finden, sondern weil ich nicht wußte, wie mir in der Stellung eines königlichen »Günstlings« und Pensionärs zumute sein würde. Da ich mir wenig Talent zum Hofmann zutraute, wollte ich mir den Rückzug an die Universität offen halten.
Meine erste Audienz bei dem Könige, die am 28. März 1854 stattfand, überzeugte mich, daß es mir nicht schwer fallen würde, nach dem Wunsch dieses gütigen Fürsten in seiner Nähe ausschließlich meinem Talent zu leben.
Ich habe daher von dem Recht, an der Universität Vorlesungen zu halten, nie Gebrauch gemacht, zumal nachdem ich in Konrad Hofmann einen der gelehrtesten und geistvollsten Meister der romanischen Philologie kennen gelernt hatte, demgegenüber vollends ich mir der Unzulänglichkeit meines fragmentarischen Wissens beschämend bewußt wurde.
Die einfache Güte aber, mit der mein hoher Gönner mich empfing, das freundliche Interesse, das er an meinen Erstlingen zeigte, verscheuchten sofort jedes Gefühl von Befangenheit, mit dem ich ihm gegenübergetreten war. Ich fand ihn stattlicher, als er mir von Italien her im Gedächtnis geblieben war, das Gesicht jugendlicher und frischer, sein Anstand voll einfacher, natürlicher Würde.
Nun konnte ich ihm endlich persönlich für das mir in Rom bewiesene Wohlwollen danken, da er sich in meinen Bibliotheksnoten für mich verwendet hatte. Er erinnerte sich der Sache, fragte, ob ich auch in Spanien gewesen, was ich verneinen mußte, und ob in den dortigen Bibliotheken nicht noch unbekannte Schätze vergraben seien. Er knüpfte dabei an das Spanische Liederbuch an und fragte nach meinen gegenwärtigen Arbeiten, wobei er seine Neigung zur Poesie lebhaft äußerte. – »Majestät sind selbst Dichter« – – »Meine Zeit ist leider nicht mein. Aber ich kenne nichts, was eine bessere Erholung wäre, mehr das Gemüt und den Geist erhöbe, gerade in einer Zeit, die poetischen Bestrebungen so ungünstig ist. Was halten Sie davon, ob ein modernes geschichtliches Epos möglich wäre? Ich habe schon öfters mit Professor Geibel davon gesprochen, der aber nichts davon wissen will.« –
Meine Antwort darauf, und was ich über den weiteren Gang des Gesprächs an meine Eltern berichtete, will ich hier übergehen. Man wird begreifen, daß ich sehr glücklich war, in dem Fürsten, dessen Gnade mir zuteil geworden, einen Mann zu finden, den ich mit aufrichtigem Herzen verehren durfte. »Ich verspare mir,« hieß es in einem nach der Audienz geschriebenen Brief an die Eltern, »alles Nähere auf mündlich, wo auch allerlei Züge von hoher Menschlichkeit und Noblesse verraten werden dürfen, die der histoire secrète des Hofes angehören.« (Was hier gemeint war, ist mir nicht mehr erinnerlich.) Im ganzen hatte die Unterredung eine halbe Stunde gedauert, und ich war von ihrem Verlauf höchst befriedigt. »Abends sah ich mit Geibel die Terenzischen ›Brüder‹ im Theater, mit jener Frische und gutem Willen aufgeführt, wie man sie sonst bei Liebhabertheatern trifft. Nur einer war eigentlich ein voller Künstler (Christen?). König Ludwig und Königin Therese saßen links in der Proszeniumsloge, so daß ich sie genau und lange betrachten konnte. Der alte Herr ist sehr verwittert. Gegen die Mitte des Stücks kam das regierende Paar in die Loge gegenüber, die junge Königin sehr hübsch und beide stattlich zusammen. Geibel sah, wie der König mich von fern der Königin vorstellte. Eine nähere Bekanntschaft wartet meiner im Sommer. Darauf sind wir wieder bis gegen Mitternacht bei sehr gutem Wein und noch besserer Freundschaft beisammen geblieben.«