Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
So kehrte ich denn erleichterten Herzens nach Berlin zurück, wo am 15. Mai die Hochzeit stattfand. Ein lustiger Polterabend im Kuglerschen Hause ging vorher, an dem allerlei sinnige und unsinnige Scherze getrieben wurden. Nach verschiedenen Einzelanreden an das Brautpaar teilte sich vor einer der Mansardennischen ein Vorhang, und ein würdiges Ehepaar erschien, Fritz Eggers als Gatte und eine Tante der Braut (Lorchen Ritschl) als seine Frau. Sie führten einen kleinen, trockenen Dialog über die Unsicherheit, die in der Stadt herrsche. Unter anderm sei ein Preis auf die Ergreifung eines berüchtigten Räubers, Borscht, gesetzt worden. Alsbald wurde die Frau unruhig. Es sei ihr, als habe sie im Zimmer ein verdächtiges Geräusch gehört. Der Mann war der Meinung, dasselbe rühre von ihrem Söhnchen her – keinem Geringeren als Adolf Menzel, der in einem Kinderkleidchen am Boden kauerte und sehr ernsthaft mit einem hölzernen Pferde spielte. Doch gleich darauf kam unter dem Sofa ein haarbuschiger Gesell hervorgekrochen, Wilhelm Lübke in einer schäbigen Räubertracht, der sich als den steckbrieflich Gesuchten zu erkennen gab und das erschrockene Ehepaar auf den Knien anflehte, ihn laufen zu lassen. Dies geschah denn auch mit einigen großmütigen Worten, und der erste Akt war kurz und gut zu Ende.
Ich hatte dem Spiel in höchster Verwunderung zugeschaut und mir den Kopf zerbrochen, aus welchem Grunde diese kindische, völlig witzlose Komödie in unsern Polterabend hineingeschneit sei. Die übrigen Zuschauer schienen sich desto köstlicher zu amüsieren, nicht zum wenigsten über unsere verdutzten Mienen, so daß ich endlich mit verlegenem Lachen in den Applaus mit einstimmte. Gleich aber ging es an den zweiten und letzten Akt, der im Manuskript nicht über zwei Seiten füllen konnte. Das nämliche Ehepaar mit seinem schon damals kahlköpfigen Söhnchen erschien auf einer Reise, in einem Walde, wo ihre unsichtbare Kutsche sich verirrt hatte. Sie waren wieder vor Räubern in Furcht, und wirklich erschienen auch einige verdächtige Kerle mit geschwärzten Gesichtern, die sie aufforderten, ihre Barschaft herzugeben. Sie flehen auf den Knien um Gnade – vergebens. Da, wie der Mann schon seine Börse herauszieht, erscheint aus dem Dickicht, einem mit einer Decke verhängten Kleiderschrank, der vorhin begnadigte Räuber Wilhelm Lübke, schreckt das Gesindel, dessen Anführer er ist, mit einem wütenden Blick zurück und ruft feierlich, indem er die Knieenden aufhebt: Beruhigen Sie sich: ich bin Borscht! Vorhang fällt.
Schon bei Beginn des zweiten Akts waren mir die Schuppen von den Augen gefallen: das Stück, das den Titel »Der dankbare Räuber« führte, war mein eigenes dramatisches »Erstlingswerk«, in meinem zwölften Jahre in ein kleines Oktavschulheft geschrieben, in welchem es ganze fünf oder sechs Seiten füllte. Meine gute Mutter hatte es aufbewahrt und der mutwilligen Bande zur Aufführung ausgeliefert.
Ein unstillbarer Lachkrampf schüttelte mich, als mir die Sache klar wurde, und die Vorstellung endete unter so stürmischem Beifall, wie ihn keines meiner späteren, ein wenig reiferen Bühnenwerke davongetragen hat.
Die Trauung fand in derselben Kirche statt, wo ich auch eingesegnet worden war. Der Prediger hatte das Lied, das gesungen werden sollte, drucken und an die Hochzeitsgesellschaft verteilen lassen. Ich konnte mich eines Lächelns nicht enthalten, als ich die anzüglichen ersten zwei Zeilen las:
O Mensch, mit deinem Tichten Ist wenig auszurichten – |
was freilich nur sehr geistlich gemeint war, da der Prediger in der Traurede eine höchst wohlwollende Anspielung auf meine poetische Zukunft machte.
Die Freunde vom Tunnel hatten mir ein schönes Album mit Versen und Handzeichnungen verehrt, das mich darüber beruhigte, meine allzu hitzigen kritischen Unmanieren sollten mir nicht nachgetragen werden. Nach einer fröhlichen Hochzeitsreise durch Thüringen über Koburg, Bamberg, Nürnberg trafen wir am 25. Mai in der neuen Heimat ein. Am 1. Juni wurde ich zu meiner zweiten Audienz ins königliche Schloß beschieden, wo ich dem Könige die eben erschienenen »Hermen« und ein Exemplar der »Arrabbiata« überreichen konnte. Ich fand ihn noch huldvoller und mitteilsamer als das erstemal. Er versprach sogar, mir von seinen eigenen Poesien einiges mitzuteilen (»im Vertrauen; Sie dürfen nicht allzu scharf kritisieren.« – Es ist nie dazu gekommen). Ich erwähnte, da er äußerte, wie selten ein echter Poet sei, Hermann Lingg, dessen Gedichte Geibel eben herausgegeben hatte, und den ich nicht genug zu rühmen wußte. Auch ließ ich die Gelegenheit nicht unbenutzt, von meinem hochverehrten Mörike zu sprechen. Linggs Gedichte hatten dem Könige »nur teilweise gefallen«; Mörike hatte er nie nennen hören. »Es ist eine Schande!« sagte er. Dann kam er wieder darauf zurück, daß er ein modernes Epos entstehen zu sehen wünsche und sich meiner Vorliebe für Erzählungen in Versen freue. (Durch Geibel wußte ich, daß sein höchster Wunsch eine Epopöe aus der bayerischen Geschichte war.)
So bestärkte mich auch dies zweite Gespräch in der Überzeugung, daß auch ohne ein sonderliches Talent, Fürstendiener zu sein, meine Stellung zu diesem leutseligen, warmherzigen und wahrheitsuchenden Könige mir nichts auferlegen werde, was irgend ein Opfer der innersten Überzeugung von mir verlangte.
Zunächst aber sollte fast dieses ganze Jahr in völliger Freiheit von allen höfischen Pflichten vergehen, da der König viel abwesend war und erst Anfang Dezember das erste Symposion stattfand.
Ich war dessen froh, denn wir hatten genug zu tun, unsern jungen Hausstand einzurichten. Man konnte damals nicht wie heutzutage mit einem einzigen Gang in ein großes Möbel- und Hausgerätlager seine ganze häusliche Ausstattung besorgen. Nur zwei größere Möbelmagazine fanden wir, die überdies durch die Vorbereitungen zu der ersten Industrieausstellung im Glaspalast bedeutend gelichtet waren. So erlangten wir, was wir brauchten, nur stückweise; manches mußte eigens bestellt werden. Heute kamen die Stühle, morgen ein Schrank, nach Wochen erst mein Stehpult; die Büchergestelle ließen sich noch länger erwarten. Doch konnten alle diese Geduldsproben uns in unserem jungen Eheglück nicht anfechten, ja die Freude, daß jeder Tag etwas Neues brachte, wog die jetzige Bequemlichkeit, mühelos eine fertige Renaissance- oder Biedermeiereinrichtung zu erwerben, reichlich auf.
*
Dazwischen hatten wir Besuche zu machen und zu empfangen.
Die Gesellschaft, auf die wir angewiesen waren, bestand fast ausschließlich aus der Kolonie der Berufenen, unter denen einige waren, die ein geselliges Haus machten. An ihrer Spitze Dönniges, der damals bestgehaßte Mann in München, da die klerikale Partei und die zurückgesetzten Einheimischen in ihm den bösen Genius des Königs sahen. Es ist bekannt, daß Ranke, bei dem Kronprinz Max 1831 in Berlin gehört hatte, als es sich darum handelte, einen jüngeren Mann von historisch-politischer Bildung zur Leitung der Studien desselben zu bestellen, hierzu Dönniges als einen seiner begabtesten Schüler empfahl. Vom Jahre 1842 bis 1845 hatte denn auch Dönniges dem Kronprinzen Vorlesungen über Staatswirtschaft und Politik gehalten. Nach kurzer Entfernung kehrte er 1847 als Bibliothekar des Kronprinzen nach München zurück und blieb nach dem Thronwechsel als Berater ohne eigentliches Amt ihm zur Seite. Was gründliches Wissen und vielseitige literarische Bildung betraf, war die Wahl gewiß glücklich, und die energische Natur des jungen Gelehrten kam dem Könige bei dessen oft unschlüssigem, allzulange abwägendem Charakter gewiß zustatten. Aber Dönniges war alles andere eher als ein Diplomat, hatte wohl Klugheit genug, den Protestanten nicht hervorzukehren, im übrigen aber nicht das geschmeidige Talent, in seinem verantwortlichen Stellung als nächster Beirat des Königs den maßgebenden Behörden gegenüber stets zu lavieren und unnötiges Ärgernis zu vermeiden.
Ein etwas burschikoser, franker und gutmütiger Zug in seinem Wesen machte mir den Verkehr mit ihm sofort bequem und angenehm, zumal ich mich nächst Geibel ihm vor allen zu Dank verpflichtet fühlte. In seinem Hause aber, wo ein Ton herrschte, der mir nicht ganz zusagte, fühlten wir uns nicht heimisch, so viel interessante Menschen dort aus und ein gingen. Weit anziehender war uns das gastliche Haus des alten Thiersch, der schon vor der durch König Max eröffneten neuen Ära in München eine einflußreiche Stellung gewonnen hatte, freilich ebenfalls stark angefeindet durch die kirchlichen Superioren, die sich in ihrer Alleinherrschaft über die Schule durch sein freieres pädagogisches Regiment bedroht fühlten. Es war sogar zu einem Attentat auf das Leben des Verhaßten gekommen, ein Dolchstoß hatte ihn im Rücken verwundet; in seinem furchtlosen Fortschreiten aber auf dem Wege, den er für den richtigen hielt, hatte dies Abenteuer den ehrwürdigen Mann nicht aufhalten können.
Es war in der Tat eine Freude, diesen nestorischen Greis, aus dessen rötlich gefärbtem, von silberweißem Haar umrahmtem Gesicht zwei milde und doch geistig belebte blaue Augen strahlten, an der Seite seiner edlen Frau, umgeben von den hochbegabten Söhnen und liebenswürdigen Töchtern zu sehen, in den künstlerisch ausgestatteten weiten Räumen seines Hauses, wo er oft zahlreiche Gäste versammelte, zwischen ihnen mit gewinnender Freundlichkeit umhergehend und jedem ein gutes Wort gönnend. Aus dem unteren Saal gelangte man in den Garten, wo es oft von fröhlichem jungem Volke schwärmte. Natürlich war dies Haus nun auch der Sammelpunkt für die Berufenen.
In gleicher Weise machte sich auch Justus von Liebig um die Münchener Geselligkeit verdient. In meinem langen Leben sind mir wenig Menschen begegnet, die so wie er in ihrer Erscheinung »Anmut und Würde« vereinigt hätten. In der Schönheit seiner Züge konnte er den Vergleich mit Rauch aushalten; doch war sein Blick feuriger, sein Habitus der eines herrschenden Geistes, dessen Übergewicht über seine Helfer und Genossen sich gelegentlich mit gebieterischer Lebhaftigkeit fühlbar machte. Die durchdringende Klarheit seines Blickes, der doch zuzeiten wieder einen träumerisch sinnenden Ausdruck hatte, verriet den genialen Forscher und Finder. Dazu kam, während er im Schreiben die Sprache meisterlich beherrschte, eine gewisse tastende Unsicherheit im mündlichen Vortrag, die aber ihren Reiz hatte, da man das Werden des Gedankens im Geist des Sprechenden zu belauschen glaubte. Auch im geselligen Geplauder schien er oft durch ein Problem, das in ihm fortarbeitete, zerstreut, und nur am Abend, wo er regelmäßig mit vertrauten Freunden, Jolly, Bischof, Pettenkofer, später v. Sybel, im Whist Erholung suchte, war er ganz bei der Sache, die von seiner Tagesarbeit weit ablag.
Zur Poesie hatte er kein intimes Verhältnis. Die Freundschaft mit Platen hatte er wohl nur dem Zauber seiner Persönlichkeit zu verdanken gehabt, dem jeder schönheitsfrohe Mensch verfallen mußte. In seinen späteren Jahren, wo ich ihn kennen lernte, fesselte überdies die vornehme Gelassenheit, mit der er seinen Weltruhm ertrug, während er leidenschaftlich fortarbeitete, als ob es gelte, jetzt erst sich einen Namen zu machen.
Der Aufschwung, den die Naturwissenschaften an Universität und Polytechnikum nahmen, war ausschließlich sein Werk. Wie Dönniges die historischen Interessen des Königs, Geibel die poetischen vertrat, so war als dritter im Bunde Liebig der verantwortliche Minister im Gebiet der exakten Wissenschaften.
Auch Dingelstedts Haus stand uns offen. Es kam aber zu keinem freundschaftlichen Verhältnis zwischen uns. Obwohl er es an äußerlicher Höflichkeit auch mir, dem jüngsten »Günstling«, gegenüber nicht fehlen ließ, wußte ich doch, daß er es schwer ertrug, zu den Symposien nie hinzugezogen zu werden. Für den König war er nur der Intendant, nicht der Dichter, und seine Person so wenig wie seine Poesie hatte den kosmopolitischen Nachtwächter bei König Max in Gunst bringen können. Kein Wunder, daß der Monarch, in dessen Wesen nicht ein Hauch von Frivolität war, durch Dingelstedts zur Schau getragenes Witzeln und Höhnen über mancherlei, was ihm in dem alten München krähwinkelhaft erschien, wie auch durch die vormärzlichen Tendenzen seiner Lyrik abgestoßen wurde. Wer den »langen Franz« näher kannte, wußte, daß zwei Seelen in seiner Brust wohnten. Die demagogische aber wurde mehr und mehr durch die aristokratische unterjocht. Es wurde der höchste Ehrgeiz dieses anfänglichen Freiheitskämpfers, in seinem Auftreten es jedem hochgeborenen Dandy gleichzutun und den Adel zu erlangen, um in den Kreisen der höheren Gesellschaft zu glänzen, wozu er alle Anlagen hatte. Der gleiche Zwiespalt der Gesinnungen fand sich auch in dem Poeten. Von Hause aus war er ein so guter, sentimentaler deutscher Gemütsmensch wie irgendeiner seiner hessischen Landsleute. Aber sein Aufenthalt in Paris und London hatte ihn dazu verführt, nicht sich dieser heimischen Mitgift zu schämen – er wurde ein zärtlicher Gatte und Vater und schrieb die gefühlvollsten Verse über sein häusliches Glück –, daneben aber den Ton eines zynischen Weltmanns anzustimmen und mit zweideutigen Abenteuern zu kokettieren.
Ich besprach damals seine Gedichte im Literaturblatt des deutschen Kunstblatts, natürlich voll Anerkennung ihres poetischen Werts, doch schließlich mit dem Rat an den Verleger, einen family-Dingelstedt herauszugeben. Er hat mir diesen Scherz nicht übelgenommen, auch seinen glänzenden, stets schlagfertigen Witz nie an mir ausgelassen. Seine persönliche Liebenswürdigkeit versöhnte mich auch immer wieder mit ihm, wenn ich ihm etwas, das er mir oder anderen angetan, übelgenommen hatte, und da ich wohl begriff, daß es ihn kränken mußte, mich trotz meiner Jugend in dem literarischen Kreise des Königs zu sehen, der ihm verschlossen blieb, so suchte ich jede Gelegenheit, einen freundlicheren Ton in unser Verhältnis zu bringen. Nach seinem Weggang von München gelang dies auch. Er beglückwünschte mich, wenn eines meiner Dramen unter seiner Leitung in Weimar oder Wien Beifall erhalten hatte, und soll sogar, als er sein Ende nahen fühlte, mich zu seinem Nachfolger am Burgtheater vorgeschlagen haben.
Zudem mußte ich sein Talent als Bühnenleiter aufrichtig bewundern. Seine Neigung zum Herrschen und Repräsentieren kam ihm dabei zustatten, da alle Mitglieder des Theaters in der Kunst, Komödie zu spielen – gelegentlich auch zu intrigieren –, ihn als den überlegenen Meister bewunderten und die Weiber vollends unter seinem Zauber standen. Noch später, da er schon München verlassen hatte, sagte mir die Frau eines Schauspielers in Weimar: »Er ist unwiderstehlich. Wenn er mir beföhle, von einem Turm herunterzuspringen, ich müßt' es tun.«
Mit all diesen glänzenden Gaben brachte er es aber nur zu äußeren Ehren und einflußreicher Stellung, während der Poet in ihm verkümmerte. Sein einziges Drama »Das Haus des Barneveldt« wurde bei der Münchener Aufführung schon wegen der Ungunst, in der der Dichter beim Publikum stand, äußerst kühl aufgenommen. Rings um sich her sah er jüngere Talente aufkommen, die ihn in Schatten stellten, und in den lichten Intervallen zwischen Erfolgen, die nur seine gesellschaftliche Eitelkeit befriedigten, wandelte ihn gewiß zuweilen ein bitteres Gefühl des Heimwehs an nach den Idealen seiner Jugendjahre, wo er seine Locken unfrisiert im hessischen Winde flattern lassen und sich gesagt hatte: Anch' io sono poeta!
Gegen Kaulbach, der damals auf der Höhe seines Ruhmes stand und mit allen Berufenen befreundet war, hatte ich mich von vornherein entschieden ablehnend verhalten. Seine Kunst, die ich in ihren Anfängen sehr bewundert hatte – die Hunnenschlacht gilt mir noch heute für ein geniales Werk – war mir von Jahr zu Jahr, je mehr die großen historisch-symbolischen Wandbilder im Berliner Neuen Museum vorschritten, immer ungenießbarer geworden, so sehr ich die geistige Kraft anerkennen mußte, mit der einige Höhenpunkte der Weltentwicklung hier in theatralischen Tableaus dargestellt erschienen. Aber die immer zunehmende Naturlosigkeit und schematische Behandlung der menschlichen Gestalt, das konventionelle Pathos, das sogar die Porträts zu rhetorischen Masken entseelte, wirkte so abstoßend auf mich, daß ich mich in eine leidenschaftliche Gegnerschaft zu dem immerhin bedeutenden Künstler verrannte und ihm, wo es irgend anging, auszuweichen suchte. Ich trieb meine schroffe Haltung so weit, daß ich sogar auf eine Einladung Kaulbachs durch Geibel, ihm zu einer seiner lebensgroßen Porträtzeichnungen zu sitzen, zurücksagen ließ, ich bedauerte, nicht kommen zu können, ich hätte keine Zeit. Freilich waren mir die großen unmalerisch stilisierten Köpfe meiner Freunde mit gespannt geöffnetem Blick und hölzernen Stirnen und Wangen höchst widerwärtig. Die Unart aber eines so jungen Menschen gegen einen gefeierten älteren Künstler, der ihm auch sonst ein entschiedenes Wohlwollen zu erkennen gab, ging doch über das Maß des erlaubten hinaus.
Damals verstand in allen Klassen der Gesellschaft niemand eine solche Antipathie, die heutzutage zu bekennen der jüngste Akademiker für seine Pflicht hält, wie denn sogar der gewaltige Cornelius von der übermütigen und gedankenlosen sezessionistischen Jugend über die Achsel angesehen wird. Ich selbst habe später die Übertreibung meiner damaligen Abneigung einsehen gelernt und sie um so mehr als eine zwar im Kern berechtigte, in ihrer Äußerung aber ungehörige Grille erkennen müssen, da der Fehler der Naturlosigkeit, den ich Kaulbach nicht verzieh, in ähnlichem Maße auch meinem sehr geliebten Genelli anhing. Was mich aber in dessen Zeichnungen die offenbare Manier in der Formgebung, den konventionellen Familienzug in den Köpfen leichter nehmen ließ, als die gleichen Mängel der Kaulbachschen Kunst, war teils jene träumerisch-poetische Phantaste, der Genellis schönste Kompositionen entsprangen, teils die groß angelegte Persönlichkeit, die antike Naivität des vom Glück gemiedenen Künstlers, der zu gründlichen Modellstudien selten die Mittel gehabt hatte, da er oft nicht einmal so viel besaß, um das Kartonpapier und die Bleistifte zu seinen Entwürfen zu bezahlen. Damals lebte er in tiefster Dürftigkeit sehr zurückgezogen, und wir gaben die Schuld seiner Not zum guten Teil dem glücklicheren Nebenbuhler, der, wie wir meinten, zwischen ihm und den königlichen Aufträgen standMan erzählte, Genelli habe einmal mit mehreren anderen Künstlern eine Audienz bei König Ludwig gehabt. Als die Reihe an ihn kam, habe der König gefragt: Was machen sie jetzt, lieber Genelli? – Ich führe das Leben eines Wüstlings aus, Majestät – Der König, der nicht wußte, daß Genelli einen Zyklus von Zeichnungen unter diesem Titel in Arbeit hatte, und das »aus« nicht gehört, sondern nur »ich führe« verstanden hatte, wandte ihm den Rücken und hat ihn nie wieder empfangen wollen.. Gewiß mit Unrecht. Wie beide Künstler und zumal der Geschmack der großen Menge und die Kunstbegriffe der Besteller beschaffen waren, hatte Kaulbach die Rivalität Genellis nicht zu fürchten. Aber wir waren nun einmal im Zuge mit der Ungerechtigkeit, und so ging es in einem hin. Wir, worunter vor allen der edle Holsteiner Charles Roß gemeint ist, außer ihm der Bildhauer Brugger, der Kupferstecher Merz, der geniale Rahl, der sich zuweilen bei uns blicken ließ, und einige andere dunkle Ehrenmänner klassischer Observanz, die mit Genelli zusammen den bedenklichen Ungarwein der Schimonschen Weinstube tranken (siehe die Novelle »Der letzte Centaur«). Roß aber, ein Landschafter von großem Talent, doch so wenig voll ausgereift wie Genelli selbst, war der Hauptvermittler bei den Unterhandlungen mit Schack, der eine farbige Zeichnung Genellis – die Vision des Ezechiel – ankaufte und damit den ersten Schritt tat, der Not des Meisters ein Ende zu machen.
So habe ich denn Kaulbachs gastliches Haus nie betreten.
Habe ich nun aber noch des Bluntschlischen Hauses gedacht, das durch die Person des Hausherrn in seiner warmblütigen schweizerischen Eigenart und geistigen Tatkraft eine große Anziehung ausübte, so ist der Kreis der eingewanderten Familien, die eine Geselligkeit in größerem Stil unterhielten, so ziemlich geschlossen. Der Umgang mit diesem trefflichen Gelehrten (seit 1848 Professor des deutschen Privatrechts und des allgemeinen Staatsrechts an der Münchener Universität), dessen Wesen von jedem noch so leichten Schulstaub frei geblieben war, erhielt noch einen besonderen Reiz durch das psychologische Rätsel, wie es möglich war, daß ein Mann, der sich vielfach als praktischer Politiker bewährt hatte, sich den Phantastereien eines so problematischen falschen Propheten wie Friedrich Rohmer wehrlos gefangen geben und um seinetwillen sogar seiner Heimat hatte entsagen können.
In den altmünchener Häusern dagegen, auch wenn sie sich nicht spröde gegen die »Fremden« verhielten, herrschte noch die oben erwähnte landesübliche Ungastlichkeit. Der einzige Kobell lud alljährlich im Mai zu einem vergnüglichen Bockfrühstück seine Freunde aus beiden Lagern ein. Die adeligen Familien, deren Standesgenossen es sich in Berlin hatten angelegen sein lassen, Geibel in ihre Kreise zu ziehen, verhielten sich ihm wie allen Berufenen gegenüber ablehnend, aus den verschiedensten Motiven, zumeist wohl aus Groll darüber, daß diese nicht hoffähigen Gelehrten und Schriftsteller eines vertraulichen Verkehrs mit der Majestät gewürdigt wurden, der ihnen versagt blieb.