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Auf einem anderen Gebiete freilich, dem der Wissenschaften, war von einem ähnlichen jugendlichen Auf- und Vorwärtsstreben desto weniger zu spüren.
»Wenn wir einen Blick auf jenen Kulturboden werfen, den München in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts darbot, finden wir, daß es ein ziemlich rauher Boden war, rauh wie die ganze Hochebene, über welche die Frauentürme hinschauen. Kein Goethe und kein Schiller, kein Lessing und kein Wieland hatten diesen Boden mit geistiger Saat befruchtet. München war eine Stadt von Kleinbürgern, von Staatsbeamten und Hofbediensteten, in welcher als lebhafteste Gäste die Schrannenbauern mit ihrer schallenden Geißel und die Tölzer Flößer mit ihren blanken Äxten und ihren qualmenden Pfeifen einkehrten. Und dennoch war dieser Kulturboden kein hoffnungsloser. Denn in die alte Hochburg der Jesuiten war die Akademie der Wissenschaften eingezogen; aus der Staatsverwaltung hatte ein scharfer, aufklärender Wind den ärgsten Dunst und Staub vergangener Jahrhunderte herausgefegt; in der Prannerstraße tagte schon um dreißig Jahre früher als in dem klugen Berlin eine Volksvertretung unter dem Schirm einer volksfreundlichen Verfassung, und in der Residenz thronte ein Fürst von lebhaftem Geist, von feurigen Idealen und beseelt von dem unermüdlichen Willen, aus seiner Stadt München etwas zu machen, das in ganz Deutschland nicht war.« (Max Haushofer.)
Die Männer aber, zum Teil bedeutende Gelehrte, die der Akademie angehörten oder Lehrstühle an der Universität inne hatten, waren im Lauf der Zeit von dem allgemeinen Geiste behaglichen Genügend angesteckt worden, der den Ehrgeiz, sich durch wissenschaftliche Taten hervorzutun, als eine sehr »ungemütliche« Störung empfand. Sie glaubten, vollauf ihre Schuldigkeit zu tun, wenn sie ihre Vorlesungen und Examina abhielten, ohne durch neue Forschungen und deren literarische Verwertung sich an den Fortschritten ihrer Kollegen im übrigen Deutschland zu beteiligen.
In den höheren Schulen, die größtenteils noch den alten geistlichen Zuschnitt bewahrten, hatte der treffliche Thiersch, der schon als »Präzeptor Griechenlands« sich bewährt hatte, einen frischeren Geist anzuschüren gesucht, mit zweifelhaftem Erfolge. Alle freie, liberale Wissenschaft, die vor traditionellen Vorurteilen nicht haltmachte, war der damals in Kirche und Staat herrschenden Partei ein Dorn im Auge, und König Ludwigs Interesse richtete sich so ausschließlich auf seine künstlerischen Unternehmungen, daß ihn das Zurückbleiben der großen gelehrten Institute hinter der Zeit wenig bekümmert haben würde, auch wenn man ihn über die Gefahren, die der geistigen Kultur dadurch erwuchsen, aufgeklärt hätte.
In seinem Sohne, zu dessen Gunsten er, durch die bekannten Ereignisse dazu gedrängt, auf den Thron verzichtete, erstand ihm ein Nachfolger, dessen höchste und ernsteste Sorge eben das wurde, was der Vater vernachlässigt hatte.
König Ludwig war eine geniale Erscheinung gewesen, eine Künstlernatur mit dem Sinn für Glanz, Größe, freie und schöne Entfaltung des äußeren Lebens. Sein Sohn, der siebenunddreißigjährig zur Regierung kam, war in allem das Widerspiel des Vaters, der die Erziehung seines Thronfolgers sich nicht sonderlich hatte angelegen sein lassen.
König Max selbst hat es oft genug gegen die, die sein Vertrauen genossen, ausgesprochen, daß er die großen Lücken seiner Bildung schwer empfinde und alles daran setzen wolle, die Unterlassungssünden seiner Jugend so viel als möglich wieder gut zu machen. Wie gewissenhaft er dabei zu Werke ging, dessen sind alle diejenigen Zeuge, die ihm jemals näher gestanden.
Er war wie in all seinen äußeren Regierungsakten so auch in dem Bestreben, seine innere Welt zu ordnen und zu bereichern, das inkarnierte Pflichtgefühl, unfähig, mit einer Sache abzuschließen, ehe er sie völlig durchdrungen, unermüdlich im Fragen und wieder Fragen und daher oft lange unschlüssig, wenn es galt, in einer Sache, die ihm noch Zweifel erweckte, eine Entscheidung zu treffen. Hatte er aber das ergriffen, was ihn das Rechte dünkte, so hielt er mit zäher Beharrlichkeit daran fest und war bei der Durchführung selbst unter schwierigen Kämpfen in seinem Mut nicht zu erschüttern.
Dabei war ihm alles Scheinwesen verhaßt, und es wird wenig Fürsten gegeben haben, die ihm an Selbstverleugnung, an Unzugänglichkeit für höfische Schmeichelei, an Bescheidenheit überragendem Verdienste gegenüber gleichkamen. Vor dem Bestreben, es in äußeren Erfolgen seinem genialen Vater gleichzutun, auf Gebieten, in denen er sich nicht heimisch fühlte, bewahrte ihn »die schlichte Gediegenheit seines Wahrheit suchenden Geistes«, wie Alfred Dove es treffend bezeichnet hat. Überall war es ihm um die Sache zu tun, nicht um die Person, am wenigsten um seine eigene. Das schloß nicht aus, daß er von seiner königlichen Würde eine hohe Meinung hatte und jede Schmälerung derselben als eine persönliche Unbill empfand. Auch das aber nur, da er es für seine Königspflicht hielt, das ihm anvertraute Herrscheramt mit vollem Nachdruck zum Segen seines Staates und Volkes auszuüben.
Nun suchte er, sobald er ans Regiment gekommen war, das Gebiet, auf dem er sich um das Wohl seines Bayernlandes vor allem verdient machen könnte. Die Künste hatten unter seinem Vater eine so hohe Blüte erreicht, daß er ihre weitere Förderung ruhig der Zeit überlassen zu dürfen glaubte. Dagegen konnte viel, in mancher Hinsicht noch alles geschehen, um auch die Wissenschaften auf die gleiche Höhe zu bringen, und da diese Aufgabe zugleich seiner persönlichen Begierde nach weiterer Erkenntnis entgegenkam, zögerte der junge Fürst nicht, das schwierige Werk sofort offen in Angriff zu nehmen.
Schwierig insbesondere, da nicht nur das Widerstreben gewisser klerikaler Kreise, sondern auch der Unmut der heimischen Gelehrten zu überwinden war, die durch das Eindringen berühmter Kollegen von auswärts in dem bequemen Besitz ihrer bisherigen Stellung gefährdet wurden.
Wie unbekümmert um alles Geschrei in den Blättern, alles Gerede und Gemurre in der Gesellschaft König Max seinen Weg fortsetzte, ist bekannt. Über sein Verhältnis zur Geschichte, die natürlich ihm innerlich näher stand als die Naturwissenschaften, haben die Meister der Historie Ranke, Döllinger und Sybel sich so ausführlich in den ergreifenden Denkreden auf ihren erlauchten Gönner ausgesprochen, daß ich mich jeder eigenen Äußerung enthalten darfSiehe den vortrefflichen Aufsatz »Ranke und Sybel in ihrem Verhältnis zu König Max« in Alfred Doves »Ausgewählten Schriftchen, vornehmlich historischen Inhalts«. Leipzig 1898..
Doch wenn König Max keine Künstlernatur war, so war doch auch kein Gelehrter an ihm verdorben; schwerlich würde er sich, auch wenn er nicht zufällig für den Thron geboren worden wäre, zu einem Professor der Geschichte ausgebildet haben. Denn so sehr er stets die Forderung betonte, Geschichte müsse in objektivem Geiste betrieben und geschrieben werden, so war sein Interesse doch wesentlich bestimmt durch das Bedürfnis, von der Darstellung vergangener Zeiten und Menschen für die Gegenwart zu lernen, für sein staatsmännisches Geschäft Aufklärung und Lehren aus der Betrachtung abgeschlossener politischer Entwicklungen zu schöpfen. Dazu lag in seiner zarten und weiblich feinen Natur neben dem ernsten Wahrheitstrieb der Hang zu schwärmender Kontemplation, zu träumerischem Versenken in eine Welt der Ideale, wie sie durch Dichtermund offenbart worden sind. Von allen geistigen Gaben seines Vaters war nur das dichterische Talent auf ihn übergegangen, freilich auch das in minder eigenartiger Form und seinem bescheidenen Charakter gemäß so zurückhaltend, daß die Welt nichts davon erfahren konnte.