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Die Ordnung in Berlin war wieder hergestellt, die Einwohner zu der »ersten Bürgerpflicht« zurückgekehrt. Das politische Fieber, das jung und alt ergriffen hatte, zitterte nur noch in dem leidenschaftlichen Interesse nach, mit dem man die Debatten in der Paulskirche verfolgte.
Auch die Musen, die ja unter den Waffen nicht ganz verstummt waren, bequemten sich wieder, friedlichere Weisen anzustimmen. Im Tunnel fuhr man fort, die Seenovellen des dicken Smidt anzuhören, Fontanes und Lepels Balladen mit»sehr gut« auszuzeichnen und sich in poetischen Wettkämpfen zu erhitzen. Ich selbst schwänzte immer regelmäßiger meine Kollegien und war ein desto häufigerer Gast im Kuglerschen Hause, das mir ein zweites Elternhaus geworden war.
So verging das Jahr 1848. Im Frühjahr 1849 bezog ich die Universität Bonn.
Ich war, wie gesagt, nach den zwei Jahren, in denen ich in Berlin klassische Philologie studiert hatte, nur darüber klar, daß ich zu dieser Wissenschaft weder Talent noch Neigung hatte. Ob zu einer andern und zu welcher, darüber sollte ich in Bonn mit mir ins Reine kommen.
Am ehesten bildete ich mir ein, das Zeug zum Studium der Kunstgeschichte zu haben. Hatte sie doch auch Kugler, ihren Mitbegründer, nicht so ganz in Beschlag genommen, daß sie ihm nicht Zeit und Kraft für allerlei novellistische und dramatische Allotria übrig gelassen hätte. Und so hoffte ich im stillen, das unumgängliche Brotstudium in dem zu finden, was meinem teuren Freunde eine so angesehene Stellung verschafft hatte und wofür ich eine entschiedene Anlage auch in mir zu erkennen glaubte.
Und war es nicht auch günstig genug, daß ich mein neues Universitätsjahr gerade in Bonn zubringen sollte, von wo aus die beste Gelegenheit war, in den Städten hinab und hinaus am Rhein die Geschichte der Baukunst anschaulicher zu studieren, als aus gedruckten Büchern und architektonischen Atlassen? Immerhin fanden sich zunächst in Köln und Aachen Kirchen genug, an denen ich beweisen konnte, was ich in Kuglers Vorlesungen gelernt hatte. Ich war auch eifrig bemüht, mich so tief als möglich ins Technische hineinzuarbeiten, und da Kugler mit diesem Vorhaben einverstanden war, munterte er mich dazu auf, auch das Thema meiner Doktordissertation aus dem Kreise der Baugeschichte zu wählen. Nichts Geringeres betraf es als die Untersuchung, wie es mit den Bauhütten des Mittelalters bestellt gewesen war, ihre zünftige Organisation und ihren sagenhaften Zusammenhang mit der Freimaurerei zu erforschen.
Meine Erwartung, durch Kinkels Vorlesung über Geschichte der Malerei an das Studium der Kunstgeschichte ernstlicher gefesselt zu werden, war freilich eine Täuschung gewesen. Statt eines ernsten Gelehrten im Stil der Kugler, Schnaase, Böttiger, Burckhardt sah ich einen Schönredner auf dem Katheder, der mit selbstgefälliger Würde sein Auditorium zu bezaubern suchte. Als ich von ihm gehört hatte, daß es »der höchste Sieg des Geistes über die Materie sei, nur ein bißchen rote Farbe zum Ausdruck des Zorns oder der Scham auf einem Menschenantlitz zu gebrauchen«, besuchte ich diese Vorlesungen nicht mehr, die denn auch bald durch des Dichters abenteuerlichen Freischarenzug ins Badische abgebrochen wurden.
Auch mit der Ästhetik des alten Brandis, in dessen Kolleg ich zuletzt neben dem Dichter der »Anneliese« Hermann Hersch der einzige Zuhörer war, blieb es beim ersten Anlauf. Auch das war nicht das Rechte, das Eine, was mir not tat. Mit der klassischen Philologie vollends hatte ich innerlich schon gebrochen, eh ich nach Bonn kam. Auch eine so bedeutende Persönlichkeit wie Friedrich Ritschl konnte den Abtrünnigen nicht zurückführen. Ich war dem Ritschlschen Hause aufs wärmste empfohlen worden und verehrte in dem großen Gelehrten auch den gütigen Menschen, der sich meiner aufs freundlichste annahm. Eine ähnliche Güte bewies mir der alte Welcker, der eine eigene Gabe hatte, jungen Menschen das Herz aufzuschließen und sie für die Welt der Griechen, in der er lebte, zu begeistern. Gleichwohl gelang es keinem dieser beiden verehrten Lehrer, mich zur klassischen Philologie zurückzugewinnen.
Ich ließ mir aber von dem Dunkel, das über meiner Zukunft lag, die Jugendlust nicht trüben, die hier an den lachenden Rheinufern hell aufblühte, sondern verbrachte den Sommer 1849 wie sonst nur ein Fuchs sein erstes Semester, mehr in lustigen Streifzügen durch die herrliche Gegend und in den kleinen Weinkneipchen von Endenich, Kessenich und Rolandseck, als in den Hörsälen, immer in der Gesellschaft sehr guter Freunde, wenn ich auch ein für allemal mich von allem, was Korpskomment hieß, ferne hielt. Denn ich begriff nicht, wie junge Leute, die eben die Fessel des Schulzwangs abgestreift haben, statt ihre Freiheit ungebunden zu genießen sich sofort wieder unter eine kameradschaftliche Zucht schmiegen und auf Kommando trinken, singen, fechten und bummeln mögen, wie es ihnen von ihren Oberen vorgeschrieben wird. Für gewisse unselbständige Charaktere mag es zweckmäßig sein, sich erst einem Korpsgeist unterwerfen zu müssen, der ihnen einen gesellschaftlichen Halt gibt, bis dann vielleicht ihr Selbstgefühl daran erstarkt. Ich fühlte dazu kein Bedürfnis und hielt mich an einzelne Freunde, zu denen auch die Brüder Herman und Rudolf Grimm zählten. Nur dieser, der Jüngere, studierte diesen Sommer in Bonn, sein älterer Bruder kam nur einmal zum Besuch. Dabei fiel eine drollige Szene vor, die sich in der Erinnerung so belustigend ausnimmt, wie sie im Erleben peinlich war.
Ich hatte von Franz Kugler auch einen Gruß an Simrock mit auf den Weg bekommen, mit dem er als Student befreundet gewesen war. Noch immer hatte ich keine Gelegenheit gehabt, diesen Gruß zu bestellen, da Simrocks Persönlichkeit mich wenig anzog und die mittelhochdeutsche Dichtung, um die er sich durch seine etwas steifen Übersetzungen immerhin verdient gemacht hatte, mir damals fern lag. Die jungen Grimms, zu denen er in einer Art Onkelverhältnis stand, besuchten ihn sofort und luden auch mich eines Nachmittags zu einem gemeinsamen Spaziergang nach Plittersdorf ein.
Nach der ersten stummen Begrüßung richtete ich Kuglers Auftrag aus, worauf auch nur wieder ein stummes Kopfnicken erfolgte. Als wir uns dann in Bewegung setzten, schritt der Professor mit Herman voran, ich folgte mit Rudolf, nahe genug, das Gespräch vor uns mit anhören zu können, das nicht sonderlich belebt war. Auch der Wein, den wir tranken, als wir unser Ziel erreicht hatten, war nicht imstande, die Stimmung mehr in Schwung zu bringen. Als wir daher den Heimweg antraten und ich wieder die langen schwarzen Rockschöße des Herrn Professors philisterhaft vor mir hin und her schwanken sah, ertrug ich es nicht länger, als stummer Trabant hinterdrein zu wandern, ohne von dem immerhin verehrten Manne eines Wortes gewürdigt zu werden, und brach ein Gespräch vom Zaune, durch das ich ihn ein wenig zu interessieren dachte. Heut morgen, sagt' ich zu Rudolf, habe ich ein sonderbares Gedicht gelesen, in welchem die Vorgeschichte von Schillers »Ritter Toggenburg« in demselben Versmaß erzählt wird. Als ob das nicht gerade so echt dichterisch wäre, wie Schiller, dem die historischen Antezedenzien sehr gleichgültig waren, mitten ins Zeug hineingeht. Der da etwas zu ergänzen für nötig gefunden hat, muß ein rechter Pedant gewesen sein.
Da steht Simrock plötzlich still, wendet sich um und sagt mit dem ruhigsten Tone: Der Pedant bin ich gewesen.
Daß ich gern in den Erdboden versunken wäre, wird man mir glauben. Doch kam von diesem hochdramatischen Augenblick an eine lebhafte Unterhaltung unter uns vieren in Gang, und der alte Herr entließ mich, da wir uns vor seinem Hause verabschiedeten, mit einem freundlichen Händedruck.
Unter allen aber stand mir ein Braunschweiger, Bernhard Abeken, den ich in Berlin kennen gelernt, am nächsten. Ich wohnte mit ihm zusammen in zwei Zimmern eines ansehnlichen Hauses, das dem Besitzer eines großen Warengeschäfts, Röttgen, gehörte. Im Winter darauf, als mein Stubengenosse mich verließ, fand ich ein bescheidneres Quartier in der Rheingasse bei einer Witwe Böschemeyer, die einen kleinen Laden mit Eisenkram hielt, und deren schönäugige Tochter Settchen mich darüber hinwegsehen ließ, daß das Stübchen nach dem Hof hinaus nicht viel Sonne und einen rauchenden, eisernen Ofen hatte.
Abeken war schon ein bemoostes Haupt, vier Jahre älter als ich, und machte bald darauf in seiner Heimat das erste juristische Examen. Sein klarer, kritischer Verstand und ein trockner Humor, mit dem er uns Jüngere behandelte, ließen das warme Gemüt nicht auf den ersten Blick erkennen. Doch war sogar ein Stück Poet in ihm. Als ich viele Jahre später an allerlei Büsche klopfte, um für den Novellenschatz verborgene Findlinge zu sammeln, geriet ich auch an eine pseudonyme Erzählung in Westermanns MonatsheftenEine Nacht. Von Ernst Andolt. Westermanns Monatshefte 1857. »Fünf Jahre später erschien unter seinem wahren Namen ein Roman ›Greifensee‹, der zum größten Teil schon aus der Studentenzeit stammte, doch durch mancherlei lebendige Details nicht für die mangelnde Reife und die zerstreute Gesamtwirkung entschädigen konnte.« (Vorwort im Novellenschatz.), die ich der Aufnahme in diese Mustersammlung durchaus würdig fand, und erfuhr auf meine Anfrage bei der Redaktion, daß kein anderer der Verfasser sei als Bernhard Abeken.
Er hat später auch eine politische Rolle gespielt und ist in den Reichstag gewählt worden, wie auch der Zweite meiner Bonner Intimen, Levin Goldschmidt, der in der Folge als Meister des Handelsrechts eine hervorragende Stelle an den Universitäten Heidelberg und Berlin wie am Reichsgericht in Leipzig eingenommen hat. Damals offenbarte sich unser politisches Interesse ziemlich fragwürdig durch die heftige Parteinahme für die revolutionären Vorgänge am Rhein und im Badischen. Es fehlte nicht viel, so hätten wir uns Kinkel bei seinem abenteuerlichen Freischärlerzuge angeschlossen. Doch versäumten wir den richtigen Zeitpunkt und erkannten dann bald, daß wir bei diesem phantastischen Unternehmen unsere Haut sehr töricht zu Markte getragen hätten.
Dieser Sommer am Rhein steht in vollem Sonnenschein vor meiner Erinnerung; er wurde noch gekrönt durch eine erste Schweizerreise in den Herbstferien. Der gute Onkel Louis, den ich in Mannheim aufsuchte, hatte das Reisegeld dazu hergegeben, allerdings ziemlich schmal bemessen, so daß es nur für eine zehntägige Fußwanderung mit den bescheidensten Ansprüchen ausreichte. Doch die Wonne, in der herrlichen Gotteswelt der Alpen, mein Ränzel auf dem Rücken, tagelang dahinzuträumen, war durch keine Einschränkung zu verkümmern.
In Basel klopfte ich bei meinem teuren Jakob Burckhardt an und verbrachte einen unvergeßlichen Abend mit ihm auf seiner stillen Klause hoch überm Rhein, wo er mir einen edlen Burgunder nebst einer Hasenpastete vorsetzte und seine italienischen Liedchen wieder einmal sang. Dann stieß ein jüngerer, guter Freund aus der Berliner Zeit zu mir, der Wiener Heinrich Jaques, später an den politischen Kämpfen in Österreich lebhaft beteiligt, der dritte meiner Jugendfreunde, der in einen Reichstag gewählt wurde. Damals war er ein schmächtiger, zarter Juvenil mit schwarzen Locken um ein schmales, blasses Gesicht von stark orientalischem Typus, dem große schmachtende Augen einen anziehend schwermütigen Ausdruck verliehen. Er begleitete mich aber nur bis Zürich, von wo mir ein anmutiges Erlebnis im Gedächtnis geblieben ist. Abends durch die dunkle Stadt schlendernd, hörten wir aus den erleuchteten Fenstern eines Hauses weiblichen Chorgesang. Mein Freund, ein eifriger Musiker – er war Virtuose auf dem Cello –, blieb lauschend stehn, ich schlug vor, hinaufzugehen und zu fragen, ob man dem Konzert nicht beiwohnen dürfe. Gesagt, getan. Als wir oben in einer Pause anklopften, öffnete uns der Dirigent, ein älterer Herr, der uns auf unsere bescheidene Anfrage, da wir uns als Musikenthusiasten vorstellten, freundlich einzutreten bat. Der Saal war voll junger Mädchen in hellen Sommerkleidern, die uns sehr erstaunt und untereinander flüsternd musterten. Wir wurden aber als reisende Kunstfreunde von Distinktion behandelt und zu ein paar Sesseln in der vordersten Reihe geführt, in denen wir uns niederlassen mußten, während der Musikdirektor uns das Beste, was gerade einstudiert war, zum besten gab.
Nach einer Stunde war der musikalische Abend zu Ende. Nun erschienen die Dienerinnen der jungen Damen, sie nach Hause zu holen, jede mit ihrem Laternchen, so daß sich die nächsten Straßen wie mit einem Schwarm großer Leuchtkäfer belebten, bis die Sternennacht wieder allein herabfunkelte.
So ganz wonnevoll aber wurde dem fahrenden Schüler erst zumut, als er sich einsam dieser gewaltigen Natur gegenüber sah. Die Briefe nach Hause strömen über von der ungebundenen Jugendlust des angehenden Poeten, die selbst durch einen heftigen Katarrh – mein lebenslanger Spielverderber! – kaum gedämpft werden konnte. Auch der verließ mich endlich, und ich fühlte mich lebensfroher und glücklicher als je.
Hier aber muß ich noch eines wundersamen Erlebnisses gedenken, dessen schwermütig süße Erinnerung mich auf dem ganzen Heimwege begleitete und heute noch, wenn ich ein kleines, altes Bildchen betrachte, mich im Innersten bewegt.
*
Ich war am 6. September in Alpnach, noch halb verschlafen, früh um fünf Uhr aufgestanden, hatte dann bald meine Wanderung über Sarnen angetreten und um Mittag die große Scheideck erreicht, darauf den Brünig überschritten, alles in allem für einen richtigen Alpenwandrer keine erhebliche Leistung. Ich aber, da ich meine Kräfte noch nicht geübt hatte, kam gegen Abend sehr erschöpft in Meiringen an und hatte kaum noch Augen dafür, wie hübsch der kleine Ort vor mir lag, rauschende Gießbäche von allen Seiten und die grünsten Wiesengelände um die sauberen Häuser. Ich dachte nur einen Bissen zu essen und dann einen langen Schlaf zu tun.
Wie ich aber die enge Treppe im Hotel du Sauvage hinaufklettre zu meinem Zimmer im obersten Stock, steht da ein Mädchen am Treppengeländer in der Berner Tracht, schwarzes Mieder, breite, schneeweiße, gestärkte Hemdärmel, die bis an die Ellbogen reichten, um den Kopf eine breite Flechte, ein Gesicht, das selbst in dem halbdunkeln Flur mich auf den ersten Blick bezauberte, große, reine, sehr edle Züge und stille, dunkle Augen, ein schlanker Hals auf einer stolzen Gestalt, die sich mit einer ganz eigenen ruhigen Anmut bewegte. Sie erwiderte meinen Gruß nur mit einem stummen Kopfnicken und führte mich in mein schmales, einfenstriges Zimmer, wo ich mein Ränzel ablegte.
Als sie dann das Bett bereitete und mir frisch Wasser brachte, stand ich nur immer und verfolgte jede ihrer Bewegungen. Hunger und Müdigkeit waren vergessen, ich hatte nur einen Wunsch, dies Gesicht in mein Büchlein zu zeichnen. Das sagte ich ihr endlich, und sie nahm es ohne einen Zug von geschmeichelter Eitelkeit hin, ging wieder, um erst noch draußen etwas zu verrichten, und kam dann, immer sehr still und wie abwesenden Geistes, wieder zu mir herein. Der letzte Tagesschein fiel in die Kammer, sie setzte sich auf den Stuhl am Fenster, das schöne, gemmenhafte Profil gegen die Wipfel der Nußbäume draußen gekehrt, und ich sputete mich, die kurze helle Zeit zu nützen. Währenddessen erscholl ein paarmal von unten herauf ein wütendes Klingeln. Gilt das Ihnen? fragt' ich. – Es ist der Engländer im ersten Stock, er hat mir eine Handvoll Gold geboten, wenn ich zu ihm käme, ich tu's aber nicht. O kein Mensch glaubt, was ein armes Meidli in einem Hotel oft auszustehen hat, wenn's nicht wüescht ist und ehrbar bleiben will!
Dann sprachen wir weiter nicht viel miteinander, sie blieb aber nicht ruhig, sondern wandte beständig das Gesicht nach mir um und sah mich an, bis ich endlich lachend aufstand, nachdem ich eine flüchtige Skizze zustande gebracht hatte, und sagte, ich wolle sie nur freigeben, die Nacht breche herein, ob sie das Bildchen anschauen wolle. Sie nickte wieder, warf einen Blick auf das Blatt und schlug dann ihre großen Augen voll zu mir auf. Im nächsten Augenblick hatten wir uns umfaßt, und unsre Lippen ruhten aufeinander.
Es war das so gekommen, als müsse es sein, als hätte ein elementarer Zug uns einander in die Arme geführt und alle Fremdheit abgestreift. Mir war zumut wie im Traum. aber nun war der Bann gebrochen, und sie fing an zu sprechen, in einem mit schweizerischen Lauten und Worten gemischten Hochdeutsch, das mir ungemein lieblich klang. Es war, als fühlte sie das Bedürfnis, mir den Verdacht zu benehmen, sie sei eine der leichtsinnigen Wirtsmägde, die mit jedem Fremden sogleich vertraulich umgehen. Ach Gott, sagte sie, wie ist das nur gekommen! Ich dachte an nichts und sang in meinem Stübli, da werd' ich gerufen; es komme ein Fremder. Wie ich nun an die Stiege trete und seh Sie heraufkommen, wird mir's ganz wirblig im Herzen. Ich verwundre mich über mich selbst, daß ich so rede, aber ich habe Sie lieber, als ich je ein Menschenkind gehabt habe. – Und dann wieder, während wir still am Fenster lehnten und ich ihr reiches Haar streichelte und ihre Wange küßte: Je länger ich dich anschaue, desto holder wirst du. Du mußt ein guter Mensch sein, es steht in deinen Augen. Ich wollte, der liebe Gott bescherte dich mir, da dürft' ich den ganzen Tag by dir sy, nit immer küsse, nur anschaue. Ach geh du weg! Ich bekomm' dich viel zu lieb, und dann ist's ein Herzeleid!
Man rief nach ihr im Hause. Sie machte sich los und sagte: I ha' jetzt z'schaffe. Gang du abe und iß, nachher stiehl' i mi wieder zu dir. – So begleitete sie mich bis an die Treppe, wo wir uns mühsam trennten.
Ich aß dann im Gastzimmer unten zu Nacht, mir war alle Eßlust vergangen. Immer mußt' ich an das eben Erlebte denken und wußte nicht, was ich davon halten sollte. So unerfahren ich war, hatte ich doch genug von den Abenteuern gehört, die Reisenden im Berner Oberland, die darauf ausgehn, nur zu willig entgegenkommen. Dann brauchte ich mir nur Bäbelis Blick und den Ton ihrer Stimme zurückzurufen, um jeden schnöden Verdacht weit abzuweisen.
Einmal sah ich sie hinten durch das Gastzimmer gehen, ein leuchtender Blick traf mich, mir stieg das Blut ins Gesicht, wie wenn alle, die an den Tischen saßen, das Geheimnis erraten müßten, dann eilte ich, in meine Zelle hinaufzukommen.
Gleich darauf trat sie wieder bei mir ein, mit einer brennenden Kerze im zinnernen Leuchter, deren Schein ihr reizendes Gesucht noch ganz anders verklärte als vorher das schwindende Abendrot. Dazu das Lächeln, mit dem sie mich grüßte, gleichsam triumphierend, daß sie mich nun wieder in Besitz nehmen konnte. Sie setzte sich zu mir und küßte mich auf die Augen – das ist mir noch heute lebhaft in der Erinnerung, als etwas besonders Liebliches. Ich zog sie auf meinen Schoß, und sie sagte mir Liebesworte ins Ohr, die mir sehr süß klangen, trotz der rauhen Aussprache des ch. Draußen war's tiefe Nacht geworden, wir hörten die Gießbäche tosen und verworrene Stimmen im Haufe und plauderten ganz leise miteinander. Hör, sagte sie, du mußt mich heiraten, willst du? O du hast Eltern, die du fragen mußt! Ach, wenn du nach niemand zu fragen hättst! Schau, ich hab' ein Haus mit zwei Schwestern zusammen und ein Güetli. Ach, ich tät', was du wolltst, wenn du mein wärst für Zeit und Ewigkeit! Wärst du mein Mann, ich tät dich noch vieltausendmal lieber haben. Aber am End hast du schon eine Frau? – Ich lachte und sagte ihr, wie jung ich sei, ich könne noch lange nicht ans Heiraten denken. – O, sie könne warten, sie sei ein paar Jahr älter als ich, das schade aber nicht. Es eile ihr nicht mit dem Heiraten, wenn's nur dann der wär', den sie gern hätt' – sonst bring' ich dem Herrgott eine Jungfernseele. Ich hab' schon mehr als einen heiraten können, schon als ich erst sechzehn Jahr alt gewesen bin, aber immer nicht gewollt. Es ist auch schon einer um mich im Grab. Ach wärst du mein, zu Nacht wollt' ich dich nur ein einziges Mal küssen, aber der Kuß sollt' dauern bis zum Morgen!
Als ich ihr keine Hoffnung machen konnte, wurde sie traurig. Was ist das doch für ein Schicksal, daß du kommen mußtest! Es war die sechste Stund', da ich dich zuerst sah. Ich werd' die Zit behalten, wo der Herrgott so gnädig war – o so ungnädig! Aber du bleibst doch noch hier – morgen – übermorgen – mir zulieb? – Dann ward sie wieder abgerufen, und ich saß allein in schweren, schwülen Gedanken, dabei von Müdigkeit befangen und der Sorge, was werden sollte. Sie kam endlich wieder, freudestrahlend und in überströmender Zärtlichkeit. Es sind noch so viel Fremde gekommen, sagte sie, und unten isch's wüescht. Ich hab' aber eine Frau gebeten, daß sie meine Arbeit für heut abend tun soll, ich bezahl's ihr frili, aber da kann ich doch zu dir und noch e bitzli von dir profitiere. Ach Schätzeli, ich lieb' dich über die Maßen. Jetzt aber gang schlafen, du bist müed. Nein, ich möcht' dich nit schlafen sehn; wo sollt' ich dann hin mit mein bitzli Bravheit! Oder nein, gang nur zu Bett. Ich komme noch einmal und bring dir e gueti Nacht, ich bleib schon fest und bet zuvor: Führe mich nicht in Versuchung!
Sie kam dann auch und hatte ein Scherchen mitgebracht und fragte mich, ob ich von ihren Haaren wolle, was ich freudig bejahte. Dann schnitt sie mir eine lange Strähne von meinem Kopf ab und verbarg sie an ihrer Brust. Und dann – parting is such sweet sorrow – das Herz schlug mir bis in den Hals hinauf, aber sie wand sich glühend und scheu aus meinem Arm, der sie halten wollte, und schlüpfte hinaus.
Als ich am andern Morgen die Augen aufschlug, sah ich sogleich in die ihren. Sie saß auf dem Rand meines Bettes und lächelte mir guten Morgen zu. Dann aber, da ich zum Bleiben nicht zu bewegen war, stürzten ihr die Tränen aus den Augen. Wenigstens wiederkommen sollt' ich, auf alle Fälle schreiben, sie könne mich nicht verlieren. Ich gab ihr ein seidenes Tuch von mir, das ihr gefiel, zum Andenken und sagte, daß ich ihr was schicken wolle. – Aber keinen Schmuck! bat sie. Wann i di ha', bin i scho' überschmuckt. Ach, du wirst mich vergesse, bald! – Ich ging dann hinab, um zu frühstücken. Als ich wieder hinaufkam, kauerte sie an meinem Bett und sagte: Ich drücke den Kopf dahin, wo deiner lag, das tut so weh! Dann sprang sie auf und fiel mir ans Herz unter strömenden Tränen, endlich so von Sinnen, daß sie neben dem Bett hinfiel und ich, die Verwirrung ihres Schmerzes benutzend, mich hinausschleichen konnte.
Als ich unten im Freien war und zu dem Fenster droben zurücksah, stand sie regungslos an der Brüstung, ihre blassen Wangen schimmerten von Tränen, die sie nicht zu trocknen suchte, so behielt ich ihr trauriges, holdes Bild im Auge, bis ich um die Krümmung des Weges bog.
Wie lang und tief ich es im Herzen behielt, wie auch ihre Briefe den Kummer um dies verlorene Glück nur verstärkten, das am Stirnhaar zu fassen ich nicht mutig oder – gewissenlos genug gewesen war, bis ich sie endlich bat, nicht mehr zu schreiben, das mag jeder sich vorstellen, dem sein Schicksal einen ähnlichen Verzicht jemals auferlegt hat.
*
Nach Bonn zurückgekehrt, wurde ich von den alten Freunden herzlich begrüßt. Unter diesen habe ich vor allen Jakob Bernays zu nennen, einen der schärfsten und tiefsten Denker, die jemals sich der Aufgabe der Philologie, Erkanntes zu erkennen (Böckhs Definition), unterzogen haben. Er hatte eine Zuneigung zu mir gefaßt, wie zu einem jüngeren Bruder, und ist späterhin bis an seinen allzu frühen Tod mit warmer Freundschaft mir nahe geblieben. Von seiner jüdischen Tradition, an der er mit starrer Pietät festhielt, war in unserm Verkehr nichts zu bemerken, außer daß er mir zuweilen am Sabbat von der süßen Speise, die ihm ein jüdisches Restaurant zu seinem frugalen Mittagstisch lieferte, in seinem Ofen etwas aufhob, was er sich für den jungen Freund am Munde abgespart hatte. Er war sehr arm, auch noch kein erfolgreicher Dozent, bis er den Ruf nach Breslau erhielt, wo er neben Theodor Mommsen eine hervorragende Stellung einnahm. Auch waren es nicht seine Vorlesungen (über Ciceros Briefe), was mich an ihn fesselte, sondern der persönliche Verkehr, in dem ich die Allgegenwart seines Wissens und die Schärfe seines Urteils nicht nur im Gebiet der klassischen Philosophie und Historie, sondern auch in den modernen Literaturen bewundern lernte. Nur eins fehlte ihm, was überhaupt dem jüdischen Stamm nur selten eigen zu sein pflegt: das Organ für das eigentlich Künstlerische. (Als ich ihn einmal aufforderte, ein Bild anzusehen, das irgendwo ausgestellt war, versetzte er achselzuckend: Wozu soll ich das? Ich war ja im Louvre.) So konnte mir sein Urteil über das Häuflein Dichtungen, das ich nach Bonn mitgebracht hatte, in Rücksicht auf die – innere und äußere – Form nicht maßgebend sein. Doch hatte ich's ihm zu danken, daß er mich auch im Genuß der »unvergleichlich hohen Werke« in die Tiefe führte und es dahin brachte, daß ich mich von Spinozas stillem, starkem Licht durchleuchten ließ. Jetzt zuerst fing ich an, auch den beiden Größten, die ich freilich stets verehrt hatte, Shakespeare und Goethe, ein eigentliches Studium zu widmen. So vollzog sich in mir eine heilsame Katharsis, nicht ohne Schmerzen. Meine eigenen bisherigen Leistungen erschienen mir höchst unbedeutend, die Dramen meines teuren Kugler konnte ich nicht mehr für voll ansehen, und Geibels Lyrik bestand nur in wenigen Stücken vor meiner schonungslos geschärften Kritik. Damals erschienen die Märchen (Der Jungbrunnen. Neue Märchen eines fahrenden Schülers. Berlin, A. Duncker), die ich für die Kuglerschen Kinder gedichtet hatte, vielfach auf den Spuren Clemens Brentanos wandelnd und mit Berliner Mutterwitz allzu reichlich gewürzt. Ich hatte in die Herausgabe gewilligt, um durch das Honorar meinem Vater die Sorge für meinen Unterhalt auf der Universität in etwas zu erleichtern. Im Herzen schämte ich mich, in der sturmbewegten Zeit, an der ich den lebhaftesten Anteil nahm, mit so unreifer leichter Ware hervorzutreten, und beschwor die Meinigen in jedem Brief, die Maske des »fahrenden Schülers« nicht zu lüften.
Hier aber muß ich einer edlen Frau gedenken, die in jener Zeit, wo ich eine innere Krisis durchzumachen hatte, mir mit heilsamer gütiger Strenge zu Hilfe kam.
Ich war, wie schon oben erwähnt, durch meinen Vater an Ritschl empfohlen worden, in dessen Hause ich die herzlichste Aufnahme fand, obwohl ich schon damals der klassischen Philologie abtrünnig geworden war. Zu seiner jungen Gattin faßte ich sofort ein unbedingtes Vertrauen, so daß ich ihr bald meine lyrischen Versuche beichtete und außer den Märchen die beiden Novellen »Luise« und »Vincenz und Veilchen« zu lesen gab. Sie war ohne Frage die geistvollste Frau, die mir in meinem jungen Leben begegnet war, vom feinsten Verständnis für alles Menschliche und Dichterische und jene »großen Gedanken, die aus dem Herzen kommen«, darin, wie auch ihrem Stamme nach, eine Verwandte der Rahel, doch ohne deren unendliches Bedürfnis, sich in Briefen auszusprechen, nur im Gespräch unwiderstehlich anziehend, wie diese, und ohne eigentlich schön zu sein, durch die Anmut ihres Temperaments in jedem Kreise hervorglänzend.
Gegen Weihnachten (1849) kam ich einmal wieder eines Abends zu ihr und traf sie allein, da sie eben sich mit meiner Poeterei beschäftigt hatte. Die Szene, die nun folgte, darf hier nicht übergangen werden, wie in den früheren Auflagen dieses Buches, da ich selbst erst jetzt den Brief wieder aufgefunden habe, in dem ich sie meinem Vater ausführlich schilderte, so wie seine Antwort darauf. Nur in kurzem Auszug aber soll hier von beidem berichtet werden.
Die teure Frau sprach zunächst von der größeren Novelle. »Sie hatte viel zu tadeln, was ich mir selbst vorgeworfen hatte . . . es sei nicht groß, sondern mit dem Geschmack gemacht, nicht mit dem vollen Herzen. In der ›Luise‹ sei mehr Macht, unbefriedigend, jugendlich, aber ergreifend . . . Tagelang hatt' ich selbst schon dies Gefühl einer schwächlichen, zerfetzten Existenz mit mir geschleppt . . . . Nun ward ich mir klar bewußt, daß ich auf Unwegen (sic) bin, meine Kraft vergeude im Mittelmäßigen und Kleinen« usf.
»Glauben Sie noch an mich und meine Zukunft? fragt' ich endlich die herrliche Frau. Ja, sagte sie rasch, wenn Sie selbst an sich glauben. Es hat mir Schmerz gemacht, Sie in diesen Berliner Kreisen sich verzetteln zu sehn, wie Sie hier ein gleichgültiges Verhältnis weiterführen, dort einem halben Talent sich anschließen, dort wieder ein zierliches Liedchen machen müssen und über all den tausend kleinen Sorgen die größte, die um Ihre eigene Größe vergessen. Kommen Sie zu sich und setzen Sie alle ungeteilte Kraft daran, ein Dichter zu sein – und in diesem Sinne noch eine gute Weile weiter, was ich mir in mancher guten hellen Stunde halb eingestanden hatte, während ich doch so hinlebte.«
»Ich gab ihr still die Hand, es war wie ein Gelöbnis. Noch ist es nicht zu spät, sich zu ermannen, sagte sie. Sie sind neunzehn Jahre alt. In dem Alter gehen andere zur Universität, und Sie haben Ihre Zeit ja nicht verloren. Aber vor allem – wenn Sie nach Berlin gehen, wird aus Ihren männlichsten Entschlüssen nicht das Geringste. Sagen Sie's Ihren Eltern. Sie werden Sie entbehren, es wird sie hart ankommen. Aber wenn ich einen Sohn hätte, wie Sie, und er käme und sagte: Mutter, ich fühl's, ich darf nicht um dich bleiben, höhere Güter gingen mir verloren! – so wäre ich standhaft und ließe ihn gehn.«
Die Aufregung, in der wir beide uns befanden, beruhigte sich endlich, nachdem mein Entschluß feststand. Daß ich nicht von Hause so gestellt war, um als freier Poet leben zu können, hatte ich ihr gestanden. Ich mußte daher irgendein Studium ergreifen, ein Brotstudium, das mich auf eigene Füße stellen könnte. Mit der Fortsetzung meiner kunstwissenschaftlichen Arbeiten, insbesondere zur Geschichte der Architektur, sah es übel aus, da die Forschungen zu einer Dissertation über die Bauhütte im Mittelalter ins Stocken geraten waren. Mehr hatte mich die romanische Philologie angezogen, da ich die Vorlesungen des verehrten Friedr. Diez über Dante mit größtem Eifer und Genuß besucht hatte. Zudem hatte ich hier einen Stoff gefunden, der meine dichterische Phantasie lebhaft beschäftigte und zugleich das zu leisten versprach, was meine teure Gewissensprüferin mir zur Pflicht gemacht hatte: die ernste Versenkung in eine schwere, leidenschaftliche poetische Ausgabe, die dramatische Gestaltung einer Tragödie Francesca von Rimini.
So schied ich von jener Stunde im Innersten beruhigt und getröstet und ging, zu Hause angelangt, sofort daran, meinem lieben Vater von den neuen Entschlüssen zu meiner Zukunft Rechenschaft abzulegen. Nachdem ich ihm jenes entscheidende Gespräch ausführlich mitgeteilt hatte, fragte ich ihn, ob es ihm nicht zu schwer fallen würde, mich ein weiteres Jahr in Bonn zu unterhalten: Von seiner äußeren Lage wußte ich nur, daß seine Einnahmen eben ausreichten, ihm eine sorgenfreie Existenz zu gewähren und den einzigen Luxus, den er sich gönnte, die Vermehrung seines großen »Bücherschatzes«. Doch für den Fall, daß mein längeres Studium in Bonn sein Budget übermäßig belasten würde (obwohl ich, zumal er mir keinen regelmäßigen Wechsel schickte, sondern nur wieder Geld, wenn ich dessen bedurfte, mir jede irgend entbehrliche Ausgabe versagte), machte ich allerlei naive Vorschläge, wie ich mich selber durchbringen könnte, hoffte zunächst auf eine zweite Auflage meines »Jungbrunnens«, die hundertfünfundzwanzig Taler Gold einbringen würde (wozu es nie kam), auf Privatstunden, die ich geben könne, ja ich dachte auch einen Augenblick an Porträtmalerei, wo ich im Notfall nur ein Jahr brauchen würde, meiner Hand und Technik sicher zu werden.
Die Antwort auf diesen Herzenserguß, die ich Mitte Januar 1850 erhielt, habe ich nach zweiundsechzig Jahren mit tiefer Rührung wieder gelesen, da sie Zeugnis gibt von einem Verhältnis zwischen Vater und Sohn, wie es inniger und vertrauensvoller nicht zu denken ist. Von den sechs enggeschriebenen Seiten dieses Briefes soll hier nur der Anfang mitgeteilt werden.
»Mein geliebter Sohn!
Du stehst an einem Scheidewege, zu dem Dein Lebens- und Bildungsgang Dich früher oder später führen mußte. Du wirfst Dich aber weder blindlings auf gut Glück in eine oder die andere Bahn, noch bleibst Du unschlüssig schwankend stehen, die Bestimmung von anderen erwartend, die Du nur in Dir selbst finden kannst. Vielmehr bist Du, wie es einem klaren und starken Geiste gebührt, ernstlich mit Dir selbst zu Rate gegangen, hast den inneren Kampf redlich durchgekämpft und einen Entschluß gefaßt, der Deiner würdig ist und dem ich meine unbedingte Zustimmung nicht versagen kann. – Und wäre Deine Entscheidung anders ausgefallen, hättest Du Deinem Dichterberufe mißtrauend, Dich ganz der kunstgeschichtlichen Forschung zu widmen beschlossen: ich würde, wenn auch mit Schmerz und innerem Widerstreben – denn mein Leben wäre um meine schönsten Hoffnungen betrogen – das Resultat Deiner ernsten Selbstprüfung billigen müssen. Ich hätte von Dir nicht fordern können ›sei ein Dichter!‹ wenn Du selbst an Deiner poetischen Sendung zweifeltest. – Wie freue ich mich nun, daß der Ausspruch Deiner inneren Stimme mit meinen Wünschen und meiner langst gehegten Überzeugung von Deinem wahren Beruf so vollkommen in Einklang ist!« –
Und weiterhin:
»Es wird uns zwar hart ankommen, Dich noch einen Sommer entbehren zu müssen; wenn es aber zu Deinem Besten ist, so fällt jede andere Rücksicht weg. . . . In Hinsicht der Kosten mache Dir vorläufig keine Sorgen. Ist die Sache einmal für gut befunden und beschlossen, so werden sich auch die Mittel dazu finden . . . .
Ich drücke Dich mit innigster Liebe an mein Herz.
Dein treuer Vater und Freund C. H.«
(Daß ich gleichwohl darauf verzichten mußte, meine romanischen Studien unter Diez fortzusetzen und daneben in der Stille mich in meine Francesca von Rimini zu versenken, hatte seinen Grund nicht etwa in einer Sinnesänderung meines teuren Vaters. Ein leidenschaftliches Verhältnis, das nicht ganz geheim geblieben war, mußte für immer abgebrochen werden, was nur geschehen konnte, wenn ich nach Bonn nicht mehr zurückkehrte.)
Den Rest der Zeit, die ich noch in Bonn zubrachte, verwendete ich darauf, mit dem Studium der romanischen Philologie Ernst zu machen. Damals war sie noch eine junge Wissenschaft, gleichsam erst aus dem Haupte eines einzigen Mannes geboren, des hochverdienten Friedrich Diez, der trotz seiner grundlegenden Werke über Leben und Dichten der Troubadours, der romanischen Grammatik und des Wörterbuchs, wodurch er für die romanische Wissenschaft das geworden war, was die Brüder Grimm für die germanische, nur wenig Schüler hatte. Zu diesen gesellte ich mich in seinem Kolleg über Dante. Auf eigene Hand aber hatte ich mich in das uferlose Meer des spanischen Theaters gestürzt, auch angefangen, spanische Lieder und Romanzen zu übersetzen. Wenn ich auch nicht hoffen konnte, es in dieser Wissenschaft jemals zur Meisterschaft zu bringen, so war doch hier auch für eine geringere Kraft noch so viel zu tun, daß ein redlicher Arbeiter sich auch als Handlanger und Geselle verdient machen konnte.
Daneben gedieh in raschem Hinwurf jenes Trauerspiel »Francesca von Rimini«, ganz im Banne der Shakespeareschen Kunst, doch bei aller jugendlichen Unreife wenigstens von einem starken Leidenschaftshauch durchweht und mit so rücksichtslosem Ernst zu Ende geführt, daß es als eine feierliche Absage gegen die Berliner Kleinmeisterei erscheinen konnte.
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Als ich dann Ostern 1850 nach Berlin zurückkehrte, empfand ich es zunächst schmerzlich, daß ich in die altvertrauten Kreise als halb entfremdet wieder eintrat. Aus meinen verwandelten ästhetischen Gesinnungen, die mit den bisher gläubig anerkannten vielfach im Widerspruch standen, hatte ich den Freunden gegenüber kein Hehl gemacht. Ich konnte nicht vermeiden, denen weh zu tun, die sich meiner dichterischen Bildung so liebevoll angenommen hatten. Aber die anfängliche Verstimmung wurde bald gelöst. Das Stück, das ich drucken ließ, wenn auch manches darin den lieben Frauen unheimlich war, wurde doch auch von ihnen als ein neuer Schritt auf meiner Bahn begrüßt, und Kugler sowohl wie Geibel, den ich wieder in Berlin antraf, wie auch mein lieber, gütiger Vater waren der Meinung, mit dieser Arbeit, wenn sie auch noch nicht für ein Meisterstück gelten konnte, hätte ich meine Lehrjahre ehrenvoll beschlossen. Minder freundlich urteilten die Biedermänner im Tunnel, denen schon früher manches in meinen Versen nicht sittsam genug gewesen war. Und vollends die sogenannte gute Gesellschaft ließ es mich erfahren, daß sie es nicht verzeihen kann, wenn ein junger Poet es vorzieht, statt auf ihre landläufigen moralischen Vorschriften auf sein eigenes Gewissen zu horchen. Die Mütter schüttelten in den Kaffeekränzchen ihre tugendhaften Häupter und beklagten meine Mutter um den verlorenen Sohn, der ohne Zeichen der Reue aus dem rheinischen Venusberge heimgekehrt sei. Auch würdige Männer, die im stillen auf meiner Seite waren, hielten es für Pflicht, ihre sittliche Entrüstung auszusprechen. Der alte Tieck aber schickte dem unvorsichtigen Verleger durch seinen literarischen Famulus Köpke die Warnung, mit einem so zucht- und talentlosen jungen Manne sich fernerhin ja nicht einzulassen.
Ich hatte freilich versäumt, dem alten Herrn, dem ich nur eine historische Bedeutung zuerkannte, unterwürfig, wie er es verlangte, zu huldigen und Heerfolge zu geloben.
Mich kümmerten all diese Dinge nicht, da ich mir in aller Bescheidenheit bewußt war, nur das meinte getan zu haben.
Das alte, trauliche Verhältnis zu den Freunden, auch im Tunnel, war bald wieder hergestellt. Ich war klug genug, meine neuen Anschauungen für mich zu behalten und ruhig auf meinem Wege fortzugehen. Nun galt es auch, die wissenschaftlichen Studien nachdrücklicher zu betreiben. Ich studierte die Provenzalen privatissime bei Mahn, dem einzigen, der in Berlin in ihrer Sprache und Literatur zu Hause war, daneben sogar ein wenig Baskisch, von dem auch er nur die Anfangsgründe sich zu eigen gemacht hatte. Auch hörte ich über spanisches Theater bei V. A. Huber, dessen geistvolle Vorträge mich mehr anregten als die fleißige, aber ziemlich kritiklose Geschichte des spanischen Theaters von Adolf Friedrich von Schack. Mit Geibel gemeinsam gab ich dann im Jahre 1852 ein »Spanisches Liederbuch« heraus, geschmückt mit einer reizend übermütigen Umschlagvignette von der Hand meines teuren Adolf Menzel, mit dem ich auch außer den Tunnelsitzungen gute Freundschaft hielt. Meine Hauptangelegenheit aber in diesem fünften Universitätsjahr war die Vorbereitung zur Promotion und die Abfassung einer Dissertation über den Refrain in der Poesie der Troubadours.
Es war im Mai 1852, daß ich mich zu dem hochnotpeinlichen Verhör über meine sehr junge und unsichere Gelehrsamkeit in dem Saale der Universität einfand, wo die hohe philosophische Fakultät ihren Spruch tun sollte. Sie war ziemlich zahlreich versammelt. Die Kollegen meines Vaters glaubten es ihm schuldig zu sein, ihr Interesse an seinem Sohn dadurch zu bezeugen, daß sie ihn scharf ins Gebet nahmen. Und so erwies mir der alte Böckh die Ehre, sich über eine Stelle in Aristoteles' Poetik lateinisch mit mir zu unterhalten, Trendelenburg griff eine von mir aufgestellte These über Spinoza auf, Ranke ließ sich unter anderem die Reihe der gotischen Könige, die in Spanien geherrscht, von mir hersagen – zum Glück hatte ich sie mir zufällig eingeprägt bis auf einen einzigen, den Ranke selbst dann hinzufügte – der greise von der Hagen legte mir seine Ausgabe des Nibelungenliedes vor und ließ mich ein paar Strophen übersetzen. Lachmann, den ich am meisten gefürchtet hatte, war nicht erschienen.
Auf all diesen Gebieten, wo ich mich keiner tieferen Studien rühmen konnte, zog ich mich leidlich aus dem Handel. In meinem eigensten Fach ging es mir nicht so gut. Der alte Immanuel Bekker, der neben der klassischen Philologie auch die romanische an der Berliner Universität vertrat, hatte meine Abhandlung sehr günstig beurteilt. Bei dem Besuch, den ich ihm machte, ihn zum Examen einzuladen, hatte ich ihm anvertraut, daß ich in den zwei Studienjahren, nachdem ich umgesattelt, mich außer den Provenzalen hauptsächlich mit Spaniern und Altfranzosen beschäftigt hatte. Hier wußte ich wirklich ein wenig Bescheid und konnte meinen Mann stehen. Gleichwohl beliebte es ihm, mich ausschließlich in romanischer Grammatik zu examinieren, die ich nur so weit studiert hatte, als zum Verständnis der Werke notwendig war.
Noch jetzt, wenn manchmal in Angstträumen jene Stunde in meiner Erinnerung auflebt, wenn ich die scharfen, trockenen Augen des kleinen Mannes auf mich gerichtet sehe und gewisse Fragen wieder höre, auf die ich verstummte oder eine verkehrte Antwort gab, fühle ich beim Erwachen, daß mir Mörikes »examinalischer Schweiß« auf die Stirne getreten ist.
Ich erfuhr nachher, selbst seine Kollegen hätten dem unerbittlichen Peiniger vorgeworfen, daß er mir keine Gelegenheit gegeben, zu zeigen, was ich wirklich gelernt hatte. Da aber seine Stimme den Ausschlag gab, wurde mir mitgeteilt, daß ich nur multa, nicht summa cum laude bestanden hatte.
Ich nahm mir das nicht sonderlich zu Herzen, da ich keinen Gelehrtenehrgeiz hatte und vor allem glücklich war, von dem langen Druck der letzten Monate aufatmen zu können.
Im stillen war ich seit Jahr und Tag mit Kuglers Tochter, der ich das Märchen vom Glückspilzchen und dem langen Poeten erzählt hatte, heimlich verlobt. Dies öffentliche Geheimnis durfte nun ans Tageslicht kommen. Ein schöner Brautsommer folgte, den ich mit der Familie meiner künftigen Schwiegereltern in dem Schönhauser Landhause Bernhard von Lepels verlebteDamals entstand auch das Gedicht »Michelangelo«. In seinen Sonetten, die ich als eine der Vorstudien zur italienischen Reise in die ländliche Musenstille mit hinausgenommen hatte, fand ich eines, in dem der alte Meister den Zwiespalt seines Gemüts ausspricht, da die von ihm geliebte Frau wohl durch ihre seelischen Reize, nicht aber durch ihr Äußeres seinem Ideal entspreche. Das hatte mich dazu geführt, in dieser Frau die berühmte Dichterin Vittoria Colonna zu vermuten. Leider aber widerlegte deren schönes Porträt späterhin diese Vermutung, und so habe ich das Gedicht, obwohl es vielen Beifall gefunden hatte, von der Aufnahme in die letzte Ausgabe meiner epischen Dichtungen ausgeschlossen..
Dann aber mußte geschieden sein, da ich mich zum Aufbruch nach dem gelobten Lande Italien zu rüsten hatte.