Paul Heyse
Gegen den Strom
Paul Heyse

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Sechsundzwanzigstes Kapitel.

Inzwischen war Greiner, nachdem er Helene am Stadttor getroffen hatte, nach dem Damm geritten, wo er wußte, daß seine Hilfe von nöten war. Er band dort sein Pferd an einen Baum und ging eilig nach der Stelle, wo der Fluß die Bresche gerissen hatte. Der Morgen hatte sich langsam gelichtet, er konnte schon von fern unterscheiden, daß die Flut immer noch unaufhaltsam eindrang und auch den Zwischenraum zwischen Damm und Stadtmauer ausgefüllt hatte, wenn auch jetzt nicht mehr mit stürmischer Gewalt, da der Regen mäßiger wurde und ein Teil der Flut nach der Wiese gegenüber abfloß. Der Moorgrund drüben war in einen weiten See verwandelt, nur der Chausseedamm ragte über der grauen Fläche hervor und in der Ferne das kleine Stationsgebäude.

Oben auf dem Uferdamm angelangt, fand Greiner einen Haufen Männer, Handwerker und Feldarbeiter, die eifrig die Lage besprachen und allerlei Mittel, dem Unheil zu steuern, vorschlugen, ohne daß einer Hand anlegte. Den Hauptmann kannten sie alle und er diesen und jenen, von den Arbeiten am Kloster her. Als er unter sie trat, nahmen alle die Mützen ab, und es schien, als ob sie nur auf ihn gewartet hätten. Er hatte mit seinem scharfen Auge von hier aus erkannt, daß vor allem die Bäume und Balken weggeräumt werden müßten, die von oben her der reißende Fluß in seinen Wirbeln dahergeflößt und vor den mittleren Brückenpfeiler geworfen hatte, wo sie nun den ruhigen Ablauf hemmten und mit ihrem Anprall die Brücke selbst gefährdeten. Der mittlere Holzpfeiler, morsch und von den Wellen rings angenagt, konnte jeden Augenblick brechen. So forderte er zwei rüstige Männer auf, nach der Brücke hinüberzuwaten und mit Stangen und Seilen dem Fluß freien Ablauf zu schaffen.

Warum sie nicht längst angefangen hätten, Bäume zu fällen und das Loch zu verstopfen? rief er einem Alten zu, in dem er den Zimmermeister erkannte.

Sie hätten keine Erlaubnis dazu. Der Bürgermeister liege mit der Gicht zu Bette, ein Bote, der an ihn abgeschickt worden, sei nicht bis zu ihm gedrungen, da sein Haus neben dem Rathaus am Markt unter Wasser stehe.

So fragt nicht lange die Obrigkeit, sondern euern eignen Verstand, was ihr tun sollt! Ich übernehme die Verantwortung und stehe für jeden Schaden.

Seine Entschiedenheit und die kräftige Kommandostimme wirkten Wunder. Ein paar ältere Bürger, die mit Schrecken daran dachten, daß sie durch dies eigenmächtige Gebaren ihre schattigen erbgesessenen Angelplätze verlieren würden, wollten protestieren, kamen aber nicht zu Worte. Mit Sägen und Äxten wurde den stattlichen Erlen und Eschen zu Leibe gegangen, und mehrere Stunden lang erscholl außer dem eintönigen Rauschen des Flusses kein anderer Laut, als das Kreischen und Schallen der Werkzeuge, nur manchmal dazwischen der feste, ruhige Ton des Mannes, der das hastige Geschäft leitete.

Über diesem Nächsten vergaß er aber auch nicht ein Entfernteres. Auf ein Blatt aus seinem Taschenbuch schrieb er eine Depesche, die er durch einen flinken Burschen nach dem kleinen Bahnhof schickte, der zum Glück, trotz der steigenden Hochflut, sich noch trockenen Fußes erreichen ließ. Das Telegramm rief den Ingenieur eilig herbei, der in einer nahen Stadt wohnte. Greiner hatte ihn gleichfalls in der Zeit des Klosterbaus kennen und schätzen lernen und auch sein Projekt einer festen Ufermauer, das an der Indolenz und dem Geiz des Windheimer Stadtregiments gescheitert war, unterstützt.

Doch erst am späten Abend, nachdem die Bresche vorläufig verstopft und eine augenblickliche Gefahr abgewendet war, erschien der Herbeigerufene, der über Land gewesen war und nur noch den letzten Zug hatte benützen können. Er lobte alles, was der Hauptmann zustande gebracht hatte, und sprach seine Zuversicht aus, daß das Unheil für einmal zum Stehen gebracht und ein weiteres Anschwellen des Flusses nicht zu befürchten sei.

Doch müsse, wenn man nicht beim nächsten Wolkenbruch eine Wiederkehr des nächtlichen Schreckens erleben wollte, die Aufrichtung einer steinernen Schutzwehr sofort in Angriff genommen werden.

Dem stimmten alle Anwesenden und selbst die Angelfanatiker bei, da der Ingenieur erklärte, ein Wallspaziergang werde auch auf der Mauer herzustellen sein, wenn sie in der rechten Weise angelegt werde. Greiner aber nahm den Mann beiseite und äußerte ihm seine Ratlosigkeit, wie das Wasser, das in die Stadt eingedrungen, hinauszuschaffen sei, da es an Abzugswegen fehle und man es doch der Sonne nicht überlassen könne, den See vor dem Blauen Engel langsam auszutrocknen.

Der Ingenieur machte ein grimmiges Gesicht und ballte die Faust gegen das Städtchen.

Da haben sie's nun, was ich ihnen hundertmal gepredigt habe! rief er. Aber die Schlafhauben waren ja aus ihrem Dusel nicht zu wecken und wollten die Augen nicht aufmachen. Sie müssen wissen, Herr Hauptmann, an der tiefsten Stelle, nicht weit vom Gasthof entfernt, liegen drei Versitzgruben, mit festen Gittern bedeckt, durch die bei Regenwetter das Wasser aus der oberen Stadt, das in den Rinnsteinen herabfließt, versickern soll. Die Vorfahren der heutigen Stadtväter waren einsichtige Leute und sorgten für Reinlichkeit und Gesundheit der Einwohner. Aber die heutigen lieben vor allem ihre Ruhe, und was ihnen nicht auf die Nägel brennt, das achten sie nicht. Sie haben die Achseln gezuckt, als ich ihnen vorstellte, der Unrat, der seit hundert Jahren da hineingeschwemmt worden, müsse einmal gründlich ausgekehrt werden, sonst könne man bei Hochwasser was erleben. Aber sie fanden in ihrer Weisheit es nicht vonnöten, dafür zu sorgen, daß die Pfützen, die sich bei Landregen bildeten und die Luft verpesteten, ihren Ablauf erhielten. Kommst du nicht heute, so kommst du doch morgen. Nun haben sie die Bescherung, nun könnt' es eine Woche dauern, bis der Weg zum Blauen Engel frei würde. Zum Glück habe ich mir die Stellen, wo sich die Abzugskanäle befinden, gut gemerkt, und wenn's auch Mühe kosten wird, durch das Wasser zu ihnen hinunterzudringen, – ich will die Sache gleich in Angriff nehmen und die Nacht durch arbeiten lassen. Sie aber, Herr Hauptmann, sollten sich nun Ruhe gönnen und das weitere mir überlassen. Sie haben das Ihrige getan, und morgen, wenn Sie so gut sein wollen, hier wieder nach dem Rechten zu sehn, da Sie doch mehr Ansehn bei den Leuten haben, als ein simpler Ingenieur, besprechen wir den Bau der Schutzmauer, und den alten Krachschädel von Bürgermeister lassen wir in seine Gichtbaumwolle eingewickelt und tun hinter seinem Rücken, was not ist.


 << zurück weiter >>