Paul Heyse
Gegen den Strom
Paul Heyse

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Drittes Kapitel.

Der Reiter war ein hochgewachsener Mann im Anfang der Vierziger, dem man auf den ersten Blick auch in der grauen bürgerlichen Kleidung den früheren Offizier ansah. Er trug einen grünen Jagdhut, lederne Gamaschen über den Beinkleidern, einen kurzen Rock mit grünen Aufschlägen. Das Gesicht war wettergebräunt, regelmäßig gebildet und mit einem kurzgestutzten Vollbart umgeben. Als er sich der Dame näherte, vertiefte sich die Falte zwischen seinen starken Brauen, und seine Augen blickten ernst und kühl.

Er verneigte sich etwas steif und sagte: Mit wem habe ich die Ehre?

Sie schien, so weltgewandt sie war, diesem strengen Blick gegenüber mit einer gewissen Befangenheit zu kämpfen. Doch bezwang sie sich und erwiderte: Ich muß um Entschuldigung bitten, Herr Hauptmann, daß ich hier einzudringen gewagt habe. Ich weiß, daß Sie sorgfältig darauf halten, in Ihrer Abgeschiedenheit nicht gestört zu werden. Aber eine mir sehr teure heilige Pflicht zwingt mich, trotzdem mich Ihnen zu nähern und um ein kurzes Gehör zu bitten.

Der ernste Mann antwortete nicht sogleich. Er schien zu überlegen, ob er nicht dennoch den Besuch ablehnen solle, und in seiner Erinnerung nachzuforschen, wo er das Gesicht der Fremden etwa schon gesehen haben möchte. Dann beugte er sich zu dem Kinde hinab und flüsterte ihm etwas zu. Das Evchen nickte gehorsam, ließ die Hand der Dame los und hinkte langsam, den Hund am Halsband führend, mit ihm um die Kirche herum und dem Maler nach.

Ich stehe zu Diensten, gnädige Frau, sagte der Hauptmann jetzt. Darf ich bitten, mir zu folgen? Ich führe Sie zu einem Sitz, wo Sie die Güte haben wollen, mir den Anlaß Ihres Besuches mitzuteilen.

Hiermit ging er ruhig ihr voran, und sie kamen, ohne ein Wort zu wechseln, zu der Laube neben dem Portal des Hauses, in der das Evchen gesessen hatte. Als die Fremde sich auf die Steinbank niedergelassen, sagte sie: Sie erinnern sich meiner gewiß nicht, Herr von Greiner, obwohl wir aus derselben Stadt sind. Ich bin zehn Jahre jünger als Sie und war ein kleines Ding, als Sie, damals ein zwanzigjähriger Leutnant, in den Krieg zogen. Später, ein Jahr, nachdem Sie geheiratet hatten, bin ich Ihnen in einer Abendgesellschaft begegnet, ich trug damals noch meinen Mädchennamen, zwei Jahre darauf heiratete ich Baron Rittberg und lebte auf unsrem Gut in Mecklenburg. Ich verlor meinen teuren Mann schon nach drei Jahren und bin erst jetzt, vier Jahre später, einmal wieder in die alte Heimat gekommen – wo ich so manches traurig verändert fand!

Sie schwieg und sah ernst vor sich hin. Auch er blieb stumm und blickte unverwandt auf das Bilderbuch, das Evchen auf dem Tisch hatte liegen lassen.

Dann nahm sie sich zusammen und zwang sich zu einem Lächeln.

Verzeihen Sie, daß ich all diese Personalien ausgekramt habe, die Sie nicht im geringsten interessieren können. Es geschah nur, weil ich mich in Verlegenheit fühle, wie ich zu der Hauptsache kommen soll, zu dem, was mich hierhergeführt hat. Jemand, der mir sehr teuer ist, hat mir einen Auftrag gegeben, dessen ich mich entledigen muß auf die Gefahr hin, Ihnen schmerzliche Erinnerungen zu wecken. Es betrifft –

Er machte eine heftige Bewegung und erhob abwehrend die Hand.

Ich muß Sie bitten, gnädige Frau, sagte er mit einem düsteren Blick, der dem ihren zu begegnen vermied, – wenn Sie den Auftrag, der Sie zu mir geführt, von der Frau erhalten haben, die meinen Namen trägt, jedes weitere Wort zu sparen. Ich habe, seit sie sich von mir getrennt hat, jede Annäherung von ihrer Seite abgewiesen, auch keinen ihrer Briefe angenommen. Es ist nichts geschehen, was meinen Entschluß, sie als tot zu betrachten, hätte ändern können. Und darum –

Er trat von dem Tisch zurück, als wünsche er das Gespräch zu enden und die Laube zu verlassen. Sie regte sich aber nicht.

Da Sie die Briefe ungelesen zurückgeschickt haben, Herr Hauptmann, wissen Sie nicht, daß allerdings etwas geschehen ist, was Einfluß auf Ihren Entschluß haben könnte, es wäre denn, daß Sie es in der Zeitung gelesen hätten.

Ich lese hier keine Zeitungen. Doch was es auch sein könnte –

Nun, Herr Hauptmann, so ganz gleichgültig wird es Ihnen schwerlich sein, daß vor einem halben Jahr der Mann gestorben ist, der zwischen Ihnen und Ihrer jungen Frau gestanden hat – Ihr Schwiegervater.

Es blieb ein paar Minuten still in der Laube. Dann kam es von den Lippen des finsteren Mannes: Ich begreife, daß dieser Todesfall der Familie und zumal der Tochter schmerzlich sein mußte. Ich selbst habe kein weiteres Interesse daran, da ich den Verstorbenen weder geliebt noch gehaßt habe. Auch sind Sie im Irrtum, gnädige Frau, daß ich ihm die Schuld beimäße an dem, was vorgefallen. Wenn seine Tochter bei der Wahl zwischen ihm und mir auf seine Seite trat, so hat sie allein die Verantwortung dafür zu tragen. Sie war mündig. Mit dem Augenblick, da sie sich für ihn entschied, war das Band zwischen uns zerrissen, darüber konnte sie nicht im Zweifel sein. Der Tod des Vaters, das werden Sie begreifen, kann nicht wieder verbinden, was nun fünf Jahre getrennt gewesen ist. Und so möchte ich Sie ersuchen –

Wieder machte er eine Bewegung nach dem Ausgang hin. Auch jetzt blieb sie ruhig auf ihrer Bank.

Lieber Herr Hauptmann, sagte sie mit einer sanften Stimme, ich maße mir nicht an, über das traurige Schicksal, das über Sie gekommen, ein Urteil zu fällen. Jedenfalls würde es parteiisch sein, da ich Juliane wie eine jüngere Schwester liebe. Das stammt schon aus unserer Kindheit. Ich bin sechs Jahre älter als sie und habe schon als Schulmädel das reizende Kind wie eine große Puppe in die Arme genommen und nichts Lieberes gewußt, als mit ihr zu spielen. Das ist so geblieben, auch als wir beide größer wurden. Ich war ein wildes, heißblütiges Geschöpf und hatte allerlei Unarten an mir, während meine kleine Freundin mir als das Ideal eines weiblichen Wesens erschien. Ich gönnte sie eigentlich keinem Manne und wurde, als sie sich verlobte, – wir waren damals getrennt – erst ruhig über ihre Zukunft, als mir von allen Seiten versichert wurde, wie rühmlich Sie sich im Kriege gehalten hatten und wie alle Menschen Sie hochschätzten. Nein, lassen Sie mich ausreden! Sie müssen doch hören, wie ich mir das Recht dazu nehmen darf, den Anwalt meiner liebsten Freundin zu machen, auch in einer Sache, wo ich nicht auf ihrer Seite sein konnte.

Wirklich? unterbrach er sie mit einem bitteren Ton. Diese Frau, die Ihnen als das Ideal aller Weiblichkeit erschien, konnte also doch ein Unrecht begehen?

Ich habe es ihr keinen Augenblick verhehlt, versetzte sie mit einem Seufzer. Ich bin auch überzeugt, es wäre nicht geschehen, wenn ich dort gewesen wäre. Ich erfuhr's aber leider erst aus ihrem Brief, und der meine konnte Geschehenes nicht mehr ändern. Aber so schwer auch ich sie anklagen muß, – bedenken Sie, lieber Herr Hauptmann, wie jung sie war und unter welchen Verhältnissen sie aufgewachsen war. Mit achtzehn Jahren war sie Ihre Frau geworden, im Hause ihres strengen Vaters immer noch als ein Kind behandelt, ohne einen freien Blick ins Leben, mit den Vorurteilen ihres Standes erfüllt, und auch an Ihrer Seite – verzeihen Sie, wenn ich auch das berühre – ich weiß, daß Sie selbst sie zu sehr geliebt haben, um sie anders zu wünschen, als sie war, und sie zu einer freieren Welt und Lebensanschauung erziehen zu wollen. Insofern sind Sie mitschuldig an dem, was geschehen ist.

Mitschuldig?

Sie haben ein junges Mädchen zu Ihrer Frau gemacht, das noch ein halbes Kind war. Gerade diese süße, unerfahrene Unschuld hat Sie angezogen, die haben Sie möglichst lange ihr erhalten wollen. Und nun verlangten Sie plötzlich, daß sie handeln sollte wie eine Frau mit einem ausgereiften Charakter! Können Sie sich wundern, daß sie, als eine so schwere Kollision der Pflichten vor sie hintrat, in der Entscheidung sich vergriff und das wählte, was ihre Jugenderziehung ihr als das rechte erscheinen ließ, wenn ihr auch das Herz dabei brechen wollte?

Standesvorurteile? Erziehung? fuhr er heftig auf. Über all das muß ein richtig beschaffenes Herz hinauskommen, wenn es das Heiligste gilt, die vor Gott gelobte Lieb' und Treue gegen den Menschen, dem sie sich fürs Leben verbunden hat. Dazu bedarf es keiner gereiften Welt- und Lebensanschauung, nur des reinen, siegreichen Gefühls für das eine, was not tut, nur des Respekts vor der einmal übernommenen Pflicht. Eine Seele, die sich dazu nicht aufzuschwingen vermag, kann man nur beklagen und mit der angeborenen Enge und Schwäche entschuldigen: – das Recht, die Gefährtin eines Mannes zu sein, dessen Kinder sie erziehen soll, hat sie verscherzt.

Kollision der Pflichten? fuhr er nach einer kurzen Pause fort. Gewiß gibt es solche, und die Wahl ist nicht immer leicht, aber das richtige für ein liebendes Weib, das den Instinkt seiner höchsten und heiligsten Pflicht hat, gleichwohl unverkennbar. Eine Frau, deren Mann ein Verbrechen begangen hat, das ihn aus der menschlichen Gesellschaft ausstößt, ihn vor ihren Augen als einen Elenden brandmarkt, der seinen Kindern nur ein abschreckendes Beispiel tiefster Verworfenheit sein kann, – wenn die sich von ihm abwendet, wird kein Mensch sie verurteilen, da es einen moralischen Ekel gibt, der unüberwindlich ist. Kann Ihre Freundin mit gutem Gewissen behaupten, daß eine solche Kollision der Pflichten sie zum Verrat an mir getrieben habe?

Gewiß nicht, Herr Hauptmann. Aber es gibt noch andere schwere Herzenskämpfe, in denen ein zartes, unerfahrenes Gewissen des rechten Weges sich nicht klar bewußt ist, und so wie ich die Lage zu beurteilen vermag, in der meine arme junge Freundin sich befand –

Ich zweifle, gnädige Frau, unterbrach er sie lebhaft, daß Sie ganz genau von den Tatsachen unterrichtet sind. Nun denn, ich will Ihnen in aller Kürze sagen, was geschehen ist.

Als ich Juliane kennen lernte, war ich eben Hauptmann und aus einer anderen Garnison in die meiner Vaterstadt zurückversetzt worden. Ich war zweiunddreißig Jahr alt, sie achtzehn. Was ich bisher von Frauen erfahren, hatte mich sehr gleichgültig gegen das Geschlecht gemacht. Ihnen brauche ich nicht zu erklären, was mich an der jungen Tochter meines Obersten anzog, so mächtig, daß ich nach wenigen Wochen um ihre Hand anhielt.

Sie haben recht, ihre liebliche, vom Leben noch unberührte und unverfälschte Jugend gewann ihr mein Herz, ich dachte nicht daran, sie erst noch erziehen, ihren Charakter bilden zu wollen. Sie machte mich glücklich, wie sie war. Daß Aufgaben an sie herantreten könnten, denen ihr Kopf und Herz nicht gewachsen wären, fiel mir nicht im Traum ein. Daß sie mir mehr geben, mehr für mich sein könne, als sie mir gab und war, dachte ich nie.

Dann kam das Kind zur Welt. Ich sah mit inniger Freude, wie sie ganz in ihren Mutterpflichten aufging. Ich selbst war vom Dienst und einigen wissenschaftlichen Arbeiten, die ich nebenher betrieb, vollständig in Anspruch genommen.

So lebten wir vier glückliche Jahre. Auch daß ich mit meinen Schwiegereltern kein wärmeres Verhältnis gewinnen konnte, war nur ein Schatten an meinem hellen Himmel, der meine Zufriedenheit nicht ernstlich trüben konnte. Die Mutter war der Meinung, ihre Tochter hätte eine weit glänzendere Partie machen können. Der Papa, ein etwas jähzorniger, nicht sonderlich gebildeter, sonst aber wackerer Haudegen, konnte nicht verbergen, daß er meine historischen und kriegswissenschaftlichen Schreibereien für sehr überflüssig hielt. Aber das berührte mich wenig. Ich hatte eine heitere Jugend hinter mir, da ich aus einem wohlhabenden Hause stammte und auf dem elterlichen Gut aufgewachsen war. Aber meine Eltern starben, als ich die Knabenschuhe eben vertreten hatte. Dann kam ich ins Kadettenkorps und mußte mich meine Jünglingsjahre hindurch ohne eine liebevolle Hand behelfen, die meinen heftigen Charakter gesänftigt hätte. Zum Glück liebte ich meinen Beruf, der mir vom Vater her als der manneswürdigste erschien. Aber das Beste im Leben blieb mir versagt, das lernte ich erst in der Ehe kennen.

Ich hab' es nicht lange genießen sollen.

Ich war eines Abends in ein Café gegangen, um mit einem Bekannten etwas Dienstliches zu besprechen. Es geschah nicht oft, daß ich zu der Stunde ausging. Meist verbrachte ich die Abende bei meiner Frau oder den Schwiegereltern. Nun sah ich beim Eintritt in das Café an einem Tisch einen Herrn sitzen, dem ich lieber nicht begegnet wäre. Ich wußte, daß er einen alten Haß gegen mich hegte, da er, kurz eh' ich um Juliane anhielt, ihr ebenfalls einen Antrag gemacht hatte und abgewiesen worden war. Er war Assessor am Stadtgericht, wegen seines leichtfertigen Lebens und seines Hangs zum Spiel übel angeschrieben, und es mag sein, daß Julianes Vater ihn das etwas schroff hatte empfinden lassen. Gegen mich hatte er seitdem allerlei gehässige Reden geführt, hinter meinem Rücken, und ich war ihm ausgewichen, da ich einen Zusammenstoß vermeiden wollte.

Hier aber mußte ich's darauf ankommen lassen. Auch saß er mit dem Rücken gegen die Eingangstür und war mit einigen Freunden in ein Spiel vertieft. Ich setzte mich also zu meinem Bekannten, der mich schon erwartet hatte, an einen entfernten Platz und vergaß bald seine Gegenwart.

Doch hatte ich gesehen, daß er eine leere Flasche Wein vor sich stehen hatte, und der Kellner brachte ihm eine neue. In der Hitze des Spiels stürzte er rasch auch von der ein paar Gläser hinunter, stand dann plötzlich mit einem hochroten Kopf vom Tische auf, und ich hörte, wie er sein Pech verwünschte, das ihn den ganzen Abend verfolgt habe, und für morgen Revanche forderte.

Damit wandte er sich um, und seine Augen gingen nach der Stelle, wo ich saß. Sein Gesicht verzerrte sich zu einem häßlichen Grinsen, er lachte höhnisch auf und kam dann mit langsamen, unsicheren Schritten auf mich zu.

Nahe an meinem Tisch blieb er stehen, verbeugte sich und sagte mit heiserer Stimme: Was verschafft uns das Vergnügen, den Herrn Hauptmann einmal hier zu sehen? Ich freue mich, die Gelegenheit zu haben, dem hochgeehrten Herrn einmal sagen zu können, wie ich über ihn denke. Über seine militärische Qualifikation darf ich mir kein Urteil erlauben. Was aber seinen bürgerlichen Charakter betrifft, so erlaube ich mir, ihn für einen elenden Intriganten zu erklären, der Herr Hauptmann wird wissen, was mich dazu berechtigt, und somit habe ich die Ehre, mich dem Herrn Hauptmann ganz gehorsamst zu empfehlen.

Er machte eine Bewegung, als ob er sich entfernen wolle, blieb aber, beide Fäuste auf die Tischplatte gestemmt, stehen, da ihm die Knie zitterten. Mein Bekannter, der über diese Frechheit empört war, wollte dazwischenfahren. Ich hielt ihn aber zurück und sagte gelassen, aber so laut, daß es die zunächst Sitzenden hören konnten: Ich würde Ihnen auf diese unverschämte Rede antworten, wie Sie's verdienen, wenn ich nicht sähe, daß Sie sich in einem unzurechnungsfähigen Zustande befinden. Gehen Sie nach Hause und schlafen Ihren Rausch aus. Morgen, wenn Sie zur Vernunft gekommen, erwarte ich, daß Sie dies beleidigende Wort zurücknehmen.

Er starrte mir aus verglasten Augen dreist ins Gesicht, brach dann in ein heiseres Lachen aus und rief: Sie wagen zu behaupten, daß ich berauscht sei? Sie sprechen von Unzurechnungsfähigkeit und Zurücknehmen? Um Ihnen zu zeigen, werter Herr, daß ich ganz nüchtern bin und weiß, was ich rede und tue, nehmen Sie das als eine Bekräftigung der Meinung, die ich von Ihnen habe!

Damit hob er die Hand gegen mein Gesicht mit einer Gebärde fassungsloser Wut. Ich hatte Geistesgegenwart genug, den Schlag zu parieren und ihn zurückzustoßen, dabei verlor er das Gleichgewicht und stürzte rücklings zu Boden.

Seine Freunde sprangen herzu, hoben ihn auf, drückten ihm den Hut auf den Kopf und führten ihn nach dem Ausgang. In der Tür aber wandte er sich um, schüttelte die Faust gegen mich und schrie: Für heute mag's genug sein. Ich habe ohnedies Pech genug gehabt. Morgen das weitere!

Der Auftritt hatte natürlich große Aufregung hervorgerufen. Alle Anwesenden aber waren auf meiner Seite, da man uns beide kannte, und so verließ ich das Lokal ziemlich ruhigen Herzens und erwähnte auch gegen meine Frau kein Wort von dem Vorgefallenen.

Sie hatte auch kein Arg, als am anderen Morgen zwei Herren zu mir kamen, im Auftrag ihres Kollegen mir seine Forderung zu bringen. Ich erklärte, daß ich sie nicht annehmen würde. Wenn von einer Beleidigung die Rede sein könne, sei ich es, der Satisfaktion zu verlangen hätte. Ich verzichtete aber darauf, da ich eine Kränkung meiner Ehre durch einen Menschen, der seiner Sinne nicht mächtig gewesen, so wenig erfahren könne, wie wenn ein Irrsinniger ehrenrührige Beschimpfungen gegen mich ausgestoßen hätte. Vollends widersinnig sei es, daß ich ihn hätte beleidigen wollen, da ich mich auf die bloße Abwehr beschränkt hätte. Ich verweigerte also das Duell.

Die Herren verließen mich mit Achselzucken, und ein paar Tage hörte ich von dem widerwärtigen Handel nichts mehr. Dann aber erhielt ich eine Einladung, mich dem Ehrenrat zu stellen.

Auch jetzt noch glaubte ich, durch die einfache Darlegung des Sachverhalts die Sache beizulegen. Ich erfuhr aber, daß man anderer Meinung war. Mein Gegner war Leutnant bei der Reserve, er hatte das Vorgefallene so dargestellt, daß ich als der Angreifer erschien. Alles, was ich sagte, begegnete Zweifeln, die nicht anders als durch den Zweikampf sollten gelöst werden können. Mein Feind leugnete die Absicht, mir ins Gesicht zu schlagen, mein Stoß erschien als ein tätlicher Angriff, für den ich Genugtuung zu geben hätte, so fiel der Spruch des Ehrengerichts zu meinen Ungunsten aus.

Er hielt einen Augenblick inne. In der Erinnerung an das erlittene Unrecht hatte sich sein Gesicht verdüstert, er drückte die Augen ein und atmete schwer. Dann fuhr er mit fester Stimme fort.

Sie begreifen, daß ich einen harten Kampf zu kämpfen hatte. Ich sollte mein Glück, mein Leben, alles was mir teuer war, dem ungewissen Zufall preisgeben, ob die Kugel eines elenden Hassers den Weg zu meinem Herzen finden möchte. Denn obwohl ich ihm als Pistolenschütz wahrscheinlich überlegen war – als der Beleidigte, wofür der Ehrenrat ihn ansah, hatte er den ersten Schuß. Daß ich mein Leben ohne Zaudern in die Schanze schlagen würde, wo es eine höhere Pflicht und die wahre Ehre galt, hatte ich im Felde bewiesen. Das Eiserne Kreuz, das man mir verliehen, bezeugte es. Aber von jedem Schurken, der selbst nichts zu verlieren hatte und mich seinem Hasse opfern wollte, mich vor die Pistole fordern zu lassen, schien mir ein wahnsinniger Gedanke, und ich war nach kurzem Besinnen mit mir einig darüber, daß ich mich zu dieser Torheit nicht herbeilassen sollte.

Ich erklärte also, ich nähme das Duell nicht an. Alles, was meine Freunde mir dagegen sagten, prallte an der Überzeugung ab, daß ich gegen Weib und Kind und das Vaterland eine unverzeihliche Schuld auf mich laden würde, wenn ich dem unsinnigen Vorurteil eine Konzession machte, gegen die mein Gewissen sich auflehnte.

Aber »Unsinn, du siegst, und ich muß untergehn!« hat schon ein anderer im Sterben ausgerufen.

Einmal im Krieg hatte ich eine winterliche Nacht auf freiem Felde zugebracht, schwer verwundet, frierend und von Durst gepeinigt. Aber mein Herz war ruhig; ich hatte meine Schuldigkeit getan, und wenn ich mich verbluten sollte, eh' am Morgen Hilfe kam, – nun, ich wäre in meinem Beruf gestorben. Doch der Gedanke, einem konventionellen Ehrenkodex zum Opfer zu fallen, der mir als Pflicht auferlegte, so viel heiligere Pflichten zu verletzen, – dagegen bäumte mein Trotz sich auf. War in anderen Ländern, wo Mannesehre doch auch hoch im Preise steht, dies sogenannte Gottesurteil, dem der Offizier bei uns sich blindlings zu unterwerfen hat, nicht auch als eine ritterliche Torheit erkannt und verpönt worden, ohne daß die militärische Ehre und Würde Schaden gelitten hätte?

Ich wußte freilich, daß jeder büßen muß, der sich herausnimmt, weiser und gerechter sein zu wollen, als seine Zeit und die Gesellschaft, in der er lebt. Aber, Gott helfe mir, ich konnte nicht anders! Und wenn ich heute, da ich weiß, wie schwer die Buße sein sollte, mich abermals zu entscheiden hätte, ich handelte genau wie damals, ohne mit der Wimper zu zucken! –

Er schwieg ein wenig. Sein Gesicht war tief gerötet, die Augen blickten düster zu Boden. Dann sagte er: Es kam, wie es kommen mußte. Ich hörte, daß man im Ehrenrat denn doch stutzig geworden war. Ein paar Verständige hatten für mich gesprochen. Aber die Mehrheit behielt das letzte Wort.

Ein paar Tage später, nach einem letzten vergeblichen Versuch, mich umzustimmen, erfuhr ich durch einen teilnehmenden Freund auf der Straße, daß ich meinen Abschied bekommen würde und nicht einmal die Erlaubnis, die Uniform weiter zu tragen.

Ich hatte kaum etwas anderes erwartet. In meinem Gewissen war ich vollkommen unerschüttert, ja fast heiter, und nur der Gedanke trübte meine Stimmung, welchen Eindruck die Entscheidung auf die Meinigen machen würde.

Meinen Schwiegervater hatt' ich während der kritischen Tage nicht gesehen. Ob meiner Frau von der Sache etwas zu Ohren gekommen sein mochte, wußte ich nicht. Ich ging nach Hause mit dem Vorsatz, nun mit ihr ernst und liebevoll über die Sache zu sprechen, und da ich wußte, daß sie mich liebte, zweifelte ich nicht, sie zu überzeugen, daß ich recht gehandelt hatte.

Als ich aber ihr Zimmer betrat, fand ich sie nicht. Auch die Kinderstube war leer. Mein Bursch sagte, die gnädige Frau sei zu ihren Eltern gegangen.

Eine Ahnung überfiel mich, doch wollte ich ihr noch nicht Raum geben. Ich eilte nach dem Hause meiner Schwiegereltern und fragte nach meiner Frau. Statt ihrer trat mir der Papa entgegen.

Erlassen Sie mir's, die Szene, die nun folgte, zu schildern. Der alte Soldat erklärte mir in einem Tone, der jeden Einspruch abschnitt, wenn ich bei meinem Entschlusse bliebe, das Duell abzulehnen, könne er es mit seiner militärischen Pflicht und Ehre nicht vereinigen, sein Kind an der Seite eines Mannes zu lassen, der den Rock des Königs entehrt und sich unwürdig gezeigt hätte, dem Stande, der nur unbescholtene Mitglieder dulde, anzugehören.

Ich schrieb dann an Juliane. Ich stellte ihr alles vor, was mich zu dem verhängnisvollen Schritt getrieben, nicht zum geringsten Teil um ihretwillen, und forderte sie auf, zu mir zurückzukehren. Wir wollten, wenn ihr Vater sich von uns lossage, an einem andern Ort unser Leben neu beginnen – ein Brief, von dem ich dachte, daß er selbst ein verhärtetes und von Vorurteilen befangenes Gemüt erweichen müsse.

Tags darauf kam die Antwort. Sie war offenbar vom Vater diktiert. Nur am Schluß hatte sie ein paar eigene Zeilen hinzugefügt, die mich rühren sollten, mir aber nur bewiesen, daß der armen eingeschüchterten Seele jedes Verständnis für das, was meinem ganzen Wesen die Richtschnur gab, vollständig fehlte. – –

Er hatte die letzten Worte in so tiefer Bewegung hervorgestoßen, daß sie sah, der Schmerz über diese Erkenntnis war so frisch in ihm, wie am ersten Tage. Zugleich trat er aus der Laube und machte draußen ein paar Schritte, um wieder Fassung zu gewinnen. Als er dann unter den Schatten der Efeuranken zurücktrat, stand sie von der Bank auf, streckte ihm beide Hände über den Tisch entgegen und sagte: Lieber Herr Hauptmann – ich fühle Ihnen alles, alles nach, was Sie gelitten haben müssen! Wie sehr Sie im Recht waren, sich aufs tiefste gekränkt und verwundet zu fühlen, hab' ich Ihnen ja schon gestanden. Und nichts liegt mir ferner, als Ihnen zu verdenken, daß Sie es so und nicht anders aufnahmen, sondern jeden Versuch, noch einen Ausgleich zu finden, im Gefühl, was Sie Ihrer Manneswürde schuldig waren, unterließen. Sie mußten es darauf ankommen lassen, daß Juliane sich auf ihre Pflicht gegen Sie besann, und abwarten, ob sie an Ihrer Liebe eine Stütze finden würde gegen die feindlichen Mächte, die sich zwischen Sie stellten. Aber wenn das nicht geschah – warum das nicht geschehen konnte, darüber sind Sie nicht vollständig genug unterrichtet. Sie wären es, wenn Sie alle die Briefe, die das arme gefolterte Kind – das war sie ja noch trotz ihrer Mutterschaft – geschrieben, nicht uneröffnet zurückgeschickt hätten. Sie sagte Ihnen darin, daß ihr Vater sie mit seinem Fluch bedroht hatte, wenn sie einem Manne, den er ehrlos nannte, als Gattin zur Seite bliebe. Die Mutter fiel vor Aufregung in ein schweres Leiden, daß sie's nicht übers Herz brachte, sie in diesem Zustand zu verlassen – können Sie ihr das zu einer unverzeihlichen Schuld anrechnen? Daß sie endlich hoffte, die Sehnsucht nach ihr oder doch nach dem Kinde werde Sie in Ihrem Entschluß wankend machen – auch das muß Ihnen verständlich sein. Und nun – fünf lange Jahre dieser furchtbaren Herzensnot und Entbehrung – und ihr erstes, nachdem der Tod sie von ihrem Kerkermeister befreit hat, ein herzbewegendes Flehen um Begnadigung, ein Bekenntnis, daß sie Gnade freilich verscherzt hätte, aber um des Kindes willen – o Herr Hauptmann, sie hat mir diesen Brief, den Sie nicht annehmen wollten, gezeigt – ich bin überzeugt, daß seine Worte den Weg zu Ihrem Herzen gefunden hätten und daß das Vorrecht aller starken Menschen, der Schwäche zu verzeihen, Ihnen nicht bloß als ein Gebot unserer heiligen Religion, sondern als etwas Süßes und Beseligendes erschienen wäre, das seinen Lohn in sich selbst trägt.

Er sah ernst vor sich hin und antwortete nicht sogleich. Dann sagte er: Es bedarf Ihrer beredten Fürsprache nicht, gnädige Frau. Verziehen habe ich längst und denke an die, die mir so bitter weh getan, ohne Groll, wie an eine Tote. Aber wenn sie je in mein Leben wieder einzutreten suchte, würde ich aufs neue fühlen, daß Verzeihen nicht Vergessen ist. Alles Vergangene, was über mein Schicksal entschieden, würde wieder aufleben, und nie könnte ich mit hingebender Liebe die Hand wieder fassen, die mir diesen Schlag zugefügt.

Ich habe ihr alles gelassen, was selbst die weltliche Gerechtigkeit einer Frau, die sich freiwillig von ihrem Manne getrennt hat, abzusprechen pflegt: meinen Namen, mein Kind. Das einzige, was ich brauche, um fortzuleben, meine Ruhe, die werde ich gegen sie zu schützen wissen, nachdem ich durch meine Flucht aus der Welt auf so vieles verzichtet habe, was für einen tätigen Menschen in noch kraftvollen Jahren Bedürfnis zu sein pflegt. Und so wollen wir hinfort aneinander denken, als ob jedes auf einem anderen Stern lebte. Gott helfe mir, ich kann nicht anders.


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