Paul Heyse
Gegen den Strom
Paul Heyse

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Siebentes Kapitel.

Er verhielt sich eine Weile ganz still und sah Peter Paul zu, der eben die Untermalung des Kopfes begonnen hatte. Der schönen Frau stieg eine warme Blutwelle in die Wangen, da sie die ruhigen Augen des Arztes auf sich gerichtet sah, sie wußte aber nicht, warum sie jetzt errötete, da sie doch den Blick des Malers gleichmütig ertragen hatte. Es war ihr alter Kummer, daß jede Gemütsbewegung sich in ihren Zügen verriet.

Vortrefflich, lieber Freund! hörte sie jetzt den Doktor sagen. Wenn Sie so fortfahren, wird's ein Meisterstück. Ich hätte noch allerlei auf der Zunge, was ich aber hinunterschlucke, weil ich der gnädigen Frau ansehe, daß es ihr ohnehin unangenehm ist, hier wie ein Meerwunder angestaunt zu werden.

O Herr Doktor, versetzte der Maler, das Wort »Aller Anfang ist schwer« ist grundfalsch. Schwer ist das Weitermachen und Vollenden, wenn man leichtherzig ins Zeug gegangen ist. Ich hatte gedacht, so alla prima ziemlich fertig zu werden, um die gnädige Frau nicht zu sehr zu plagen. Nun habe ich bei genauerem Studium hundert intime Reize entdeckt, um die es jammerschade wäre, wenn sie nicht auch auf die Leinwand kämen. Ja, wenn ich hoffen dürfte –

Ich merke, daß Ihnen noch eine zweite Sitzung erwünscht wäre, sagte Helene mit einem gütigen Lächeln. Nun, da ich, solang ich noch hier bleibe, doch keine nützlichere Beschäftigung habe und von den angelnden Herren unten am Flusse mir schwerlich einer seinen Platz abtreten würde, so will ich gern morgen noch einmal kommen.

Peter Paul sprang auf, ergriff wieder wie gestern eine ihrer Hände und rief, sein Schnurrbärtchen bescheiden darauf drückend: Was Sie sind, verehrte Frau, hab' ich Ihnen gestern schon gestanden. Ich kann nur sagen: Vergelt's Ihnen Gott, was Sie an einem armen, nach schöner Natur verschmachteten Kunstjünger tun. Aber auch ich möcht's Ihnen ein bissel lohnen. Wenn's Ihnen lieb wäre, das Bild zu besitzen, ich will Ihnen diese Leinwand überlassen, nachdem ich die Figur auf der Wand danach gemalt habe. Dann aber müßten Sie mir freilich noch ein paar Sitzungen mehr bewilligen. Ich möchte mein Bestes tun und zeigen, was ich kann.

Davon wollen wir noch weiter sprechen, lieber Herr, versetzte Helene, indem sie aufstand. Jetzt ist's hohe Zeit, in meinen Gasthof zurückzukehren, wo um eins gegessen wird.

Ich vergaß zu sagen, unterbrach sie der Doktor, unser Prior hat mich beauftragt Sie zu bitten, daß Sie an unserm einfachen Mittagstisch vorlieb nehmen möchten. Auch unsrer Klostervögtin liegt sehr daran, zu zeigen, daß sie noch etwas anderes kann, als einen Eierkuchen backen.

Nein, Herr Doktor, erwiderte sie, indem sie den Schleier aus den Haaren löste und den Hut wieder aufsetzte, danken Sie Herrn von Greiner für die freundliche Einladung. Ich würde aber meine Engelwirtin schwer kränken, wenn ich mich zu ihrer Table d'hote nicht einfände. Morgen also wieder um dieselbe Stunde, Herr Peter Paul?

Er stand auf, sie zu begrüßen, der Doktor aber, der sah, daß er noch etwas zu malen wünschte, ließ es nicht zu, daß er Helene hinausbegleitete, sondern öffnete ihr selbst die Tür und führte sie durch den Korridor und die Treppe hinab ins Freie.

Unten fanden sie das Evchen mit seinem zottigen Spielgefährten, die beide herzuliefen. Es war wieder sehr hübsch in dem stillen Bezirk, der Braune ging frei im Hof herum und weidete verträglich neben der Ziege in dem hohen Grase, und die Tauben umflatterten den Brunnen.

Ein trefflicher Mensch, unser Peter Paul, sagte der Doktor, und wirklich sehr talentvoll. Dabei von einer rührenden Anspruchslosigkeit, wie nur eine echte Künstlerseele, deren kühnste Wünsche erfüllt sind, wenn sie sorgenfrei ihrem Genius angehören kann. Sie können aber wohl denken, daß wir nicht der Meinung sind, wie er selbst, die Gastfreundschaft, die er hier genießt, sei eine reichliche Vergütung für alles Schöne, was er uns hier gestiftet hat. Wenn er eines Tages von uns scheidet und eine sehr fühlbare Lücke zurückläßt, nicht bloß wegen seines Geigenspiels, sondern weil wir ihn wie unsern Benjamin liebhaben, soll er eine Summe mitnehmen, die ihm ein paar Jahre wenigstens gestattet, nicht um Lohn zu arbeiten.

An die Welt hier oben, sagte sie, wird er jedenfalls wie an eine glückliche Insel zurückdenken, und wie der Umgang mit Ihnen allen auch auf seine Bildung gewirkt haben mag, ist gar nicht abzumessen. Schade, daß kein Annex an Ihrem Bau sich findet, wo auch für eine Frau, die in der Welt nicht mehr ihr Heil sieht, eine stille Zuflucht sich böte. Sie sollten wirklich den zerstörten Flügel wieder aufbauen und darin für meinesgleichen ein Asyl eröffnen.

Trauen Sie sich zu, daß Sie Beruf zum Klosterleben hätten? fragte er lächelnd, den Kopf des Kindes streichelnd, das mit seinen ungleichen Schrittchen an seiner Seite blieb. Man kann die Abkehr von der Welt nur ertragen, wenn sie einen enttäuscht oder tödlich beleidigt hat.

Oder wenn wir nichts mehr in ihr besitzen, woran unsre Seele hängt. Dann ist Einsamkeit die tröstlichste Gesellschaft.

Vorausgesetzt, daß man ihr einen Inhalt gibt. Aber eine Frau, deren Tag nicht damit ausgefüllt wird, zu bestimmten Stunden ihren Rosenkranz zu beten –

Sie scheinen mir nicht zuzutrauen, Herr Doktor, daß ich verstehen würde, mich zu beschäftigen? Oder halten Sie uns Frauen überhaupt für minderwertige Geschöpfe, deren Verstand gerade nur für die Erfüllung von Hausfrauenpflichten ausreiche?

Gewiß nicht, sagte er sanft, aber daß sie mit wenigen Ausnahmen bei aller geistigen Regsamkeit auf die Länge nur in einem praktischen Wirkungskreis Genüge finden, davon bin ich überzeugt. Sehen Sie, gnädige Frau, von uns hier oben hat jeder seine Wissenschaft, unser Professor seine Mathematik und ein Buch über Pädagogik, an dem er arbeitet, der Prior setzt kriegswissenschaftliche Studien fort, ich meine botanischen und pflanzenphysiologischen, Herr Rabe schreibt volkswirtschaftliche Aufsätze. Nun und für den guten Kaplan ist ausgesorgt. Wenn er täglich seine stille Messe gelesen hat, vertieft er sich in die Kirchenväter. Zu welcher Wissenschaft würden Sie Ihre Zuflucht nehmen, wenn das ermüdende Gleichmaß der Tage Ihnen auf die Seele fällt?

Mag sein, sagte sie, vor sich hinblickend, daß uns auf der Höhe des reinen Gedankens, wenn wir uns wirklich hinaufschwingen könnten, nicht auf die Länge wohl würde, daß die Luft dort uns ein wenig anfröstelte und wir dahin zurückstrebten, wo wir uns um irgendwelche Menschen tätig verdient machen können. Auch die meisten Nonnen halten es ja bei ihrem Rosenkranz nicht aus, sondern widmen sich Schulpflichten oder der Krankenpflege. Aber auch die Männer – verzeihen Sie, ich begreife nicht, daß zum Beispiel ein Arzt sich darauf beschränken kann, Pflanzen zu sammeln und das Gesetz ihres Wachsens und Blühens zu studieren, da so viele Leiden der Menschheit nach seiner Hilfe verlangen.

Sie waren längst an der Gitterpforte angelangt. Der Doktor riegelte sie auf und sagte sehr ernst: Erlassen Sie mir für jetzt die Antwort hierauf. Es kommt wohl die Stunde, wo ich Ihnen erklären kann, warum das so sein muß, was mir selbst als ein trauriger Notbehelf erscheint. Wenn Sie wirklich nicht unser Gast sein wollen, darf ich Sie nicht länger aufhalten. Die Wirtin im »Blauen Engel« würde es mir nicht verzeihen, wenn ihr Essen verdürbe, weil es auf Sie wartete.

Er drückte herzlich die Hand, die sie ihm gab, und sah ihr durch die Gitterstäbe nach, bis sie im Walde seinem Blick entschwunden war.


 << zurück weiter >>