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Don Juan! Wißt ihr denn, wer er ist?
Warum er die tausendste Frau geküßt?
Warum jedes Dorf und jede Stadt
Seine Witwen und seine Bastarde hat?
Weil er, zur Sehnsucht ewig verdammt,
Gottsuchender Büßer, ewig entflammt,
Jagt mit der Inbrunst heiligem Licht
Nach der Madonna und findet sie nicht.
Mit neunhundertneunundneunzig Frauen
Ließ sich der Unermüdliche trauen,
Und bleibt als Reinster geschmäht und verflucht
Und sündigt im Glauben und sucht und sucht. –
Sie trugen die Kronen der Königinnen, Doch unter dem Purpur der Mägde Linnen, Verklagten den Sünder mit Weh und Gekreisch – Denn unter dem Linnen war Fleisch. Nur Fleisch!
»Jeder von uns – ob Frau oder Mann – ist bewußt oder unbewußt sexuell auf einen bestimmten Typ – seinen Typ – ein für allemal eingestellt. Daran ändert selbst die etwaige Vielheit sexuellen Erlebens nichts, denn wenn wir die Partner, die im Mittelpunkt dieser Erlebnisse stehen, kritischer mustern, werden wir sehen, daß in jedem von ihnen, bald in die Augen springender, bald mehr oder minder maskiert, diejenigen Merkmale anklingen, die sich dem Typ des Betreffenden nähern oder ihn in möglichst großer Vollkommenheit bringen.« (E. R. Dobrejeff.)
In die Gattung der idealen Masochisten gehört ohne Frage auch der Don Juan als legendäre Erscheinung und als Typ.
In der landläufigen Auffassung ist er der sieghafte Held, der alle Frauenherzen im Flug erobert, einer der Glücklichsten, die sich Frauengunst weder erkaufen, noch mühsam erringen müssen. Er ist, so denkt man, der Träger des sex appeal, ausgestattet mit geheimnisvoller erotischer Kraft, der sich die Frauen nicht entziehen können.
Das ist eine falsche Vorstellung, die beweist, daß man den »Wüstling« nicht nach einem Schlagwort beurteilen darf. Man muß freilich einen gründlichen Unterschied zwischen dem Typ Don Juan und etwa Casanova machen, den wir ja aus seinen Memoiren hinreichend kennen. Diese prahlerischen und aufschneiderischen Geständnisse beweisen nur, daß unser Casanova ein frivoler und rücksichtsloser Mädchenjäger war, etwa das, was man im Volksmund sehr richtig als »Schürzenjäger« bezeichnet.
Es spielte für Casanova keine Rolle, ob das Objekt, dem er eben seine Wollust zuneigte, eine Dame der Aristokratie, eine Kammerzofe oder eine Stallmagd war. Er huldigte dem Prinzip, daß bei Nacht alle Katzen grau sind. Er war ein Massenerotiker, und er verhält sich zu Don Juan etwa wie ein wahlloser Vielfraß zu einem Feinschmecker von erlesenem Geschmack.
Es ist aber natürlich nicht dasselbe, ob ein Mensch erlesene Weine schätzt und zu beurteilen versteht, oder ob er ein Säufer ist, der den Fusel nicht minder liebt wie den edelsten Wein, dessen Güte er nur nach dem Konsum wertet.
Casanova, als Mensch und Liebhaber maßlos überschätzt, ist sicher eine sehr interessante Lektüre für die armen Schächer der Liebe, für die Kommis der Erotik, für die Lehrlinge der Libido.
Im übrigen aber ist er so uninteressant wie möglich, es sei denn, daß man Leistungen nach Quantität schätzt, und Eros als einen kleinen Gott der Witze in Herrengesellschaften ansieht.
Casanova hat ohne Frage die Liebe geleugnet, er hat die Erotik nicht gekannt, er war blinder Parteigänger ganz einfacher Triebmenschen. Die Herren der Schöpfung, die, im Alter zwischen sechzehn und fünfundzwanzig, sich ihrer Erfolge bei willigen kleinen Ladenfräulein und Küchenfeen rühmen und Zotensammlungen als Liebesbreviere ansehen, haben ein Recht, sich für Casanovas zu halten. Wie weit sie ihr berühmtes Vorbild erreichen, wird eine Frage ihrer Konstitution und der Zeit sein, die ihnen zur Verfügung steht.
Nicht dümmeres aber, als solche primitiven Lebejünglinge Don Juans zu nennen.
Wem fiele es ein, diese Musketiere der Fleischeslust mit Tannhäuser zu vergleichen? Tannhäuser aber ist das deutsche Ebenbild Don Juans. Er ist Peer Gynt, der Suchende, nie Findende. Der Idealhörige – nicht des Weibes, nicht der Weiber, sondern der Liebe. Also doch des All-Weibes.
Peer Gynt verläßt die Geliebte, die nicht Erkannte und doch in den Tiefen der Seele Ersehnte, um dem Phantom Liebe nachzujagen, um die Eine und Einzige auf Erden zu suchen, das Ideal, die verkörperte Liebe.
Zerschunden vom Leben, von Abenteuern zerzaust, kehrt der alt Gewordene zurück und findet die Frau vor, an der er vorübergegangen ist, und die doch die Eine und die Einzige war, und die er verleugnet hat um einer Triebidee willen.
Nicht anders Tannhäuser, der im Hörselberg seine Mannjahre vertrödelt und den verdorrten Zweig in seinen Händen neu ergrünen sieht, erschüttert das Wunder schaut, als man die tote Landgräfin an ihm vorüberträgt. Sie war die Einzig-Eine – und Venus war nur Wahn.
Am deutlichsten tritt das Problem aber in Don Juan selbst hervor. Dieser Don Juan ist der Ritter Bayard der Liebe. Nicht die Weiber sucht er: das eine Weib ist ihm Inhalt und Begriff der Liebe, und weil das eine Weib nie hält, nicht halten kann, was die unerhörte Geistlichkeit dieses Liebesritters verlangt und sucht, darum wandert er von Frauenmund zu Frauenmund – ein Geschundener, ein Höriger seiner Idee. Und wir sehen (nicht mehr staunend, wenn wir das Wesen der Frau erkannt haben), daß dieser edle Genießer des Leidens um das Weib gar keine willfährigen Stalldirnen findet. Daß es die besten Töchter sind, die gewähren. Daß es das reinste Blut ist, das ihm verfällt.
Er aber, der hundertmal die Eine und Einzige gefunden hat, geht mit geschlossenen Augen weiter den Weg nach dem Monsalvat seiner Sehnsucht. Keine konnte ihm gewähren, was er sucht, denn er ist der Idealhörige. Er sucht ja die Liebe selbst, er muß ja leiden, und die Größe seines Wollens und seiner Erfolge beruhen eben in dieser maßlosen Vergeistigung seines Triebes.
Der Sexus erreicht übersinnliche Kraft. Ein Halbgott der Liebe, weil er ein Büßer und ewig Dürstender ist, durchschreitet er das Reich der Frauen.
Und diese Frauen neigen sich ihm zu. Denn was Don Juan sucht, ist ihr eigenes Suchen, ist Wille von ihrem Willen, Herz von ihrem Herzen. Das Weib in Urgründen seines Wesens und seiner Bestimmung, rein masochistisch eingestellt, sieht den durchgeistigsten Masochismus der Liebe bloßgelegt in der ewigen Sehnsucht dieses durch Bestimmung Sehnsüchtigen ohne Ruhe und Frieden.
Dieser Ahasver klopft nicht vergeblich an die geheimsten Instinkte des Weibes. Man könnte, vulgär gesprochen, sagen, Don Juan ist der femininste Vertreter der Verführer. Aber die Tiefe des Problems wäre damit nicht durchlichtet. Er ist mehr. Er trägt das Schicksal beider Geschlechter in sich. Er ist der Unerlöste, weil es keine Lösung für ihn und seine Hörigkeit gibt. Und er ist der wahre Don Juan, weil sein Leid und seine Freude – Freude in seinem Leid und in seiner Geschundenheit – das Leid des Weibes und das Glück des Weibes in Ewigkeit ist.
Auch Faust ist eine Don Juan-Natur. Goethe war es in bedingtem Maße (Frau von Stein!). Dante ist Don Juan, in letzte Geistigkeit gewandelt.
Tausende, Millionen solcher Geschundener sind über die Erde gegangen. Ungezählte Beispiele ließen sich anführen. Der Raum gestattet nur eines, den Roman und Prozeß des Herrn von Pivardière (1697-1701), wie Pitaval ihn verbürgt.
Louis de la Pivardière stammte aus einem der ältesten Häuser der Touraine. Er heiratete eine Dame »von ungemeiner Anmut, Liebreiz und natürlicher Ungezwungenheit im Umgang«. Sie hatte von ihrem Vater das Rittergut Nerbonne geerbt.
Durch mehrere Jahre mußte Herr von Pivardière in den Kriegen Ludwigs XIV. im Felde zubringen und konnte nur abwechselnd seine Heimat und seine Gattin besuchen.
Eine Viertelmeile vom Schlosse lag die Abtei von Miseray, auf der sich gewöhnlich zwei oder drei Chorherren von der Regel des heiligen Augustinus aufhielten. Sie liebten die Geselligkeit und bewirteten und besuchten die benachbarten Edelleute.
Seit 1685 war ein gewisser Silvan Francois Charost, ein Geistlicher aus einer sehr angesehenen Familie, Prior in der Abtei. Der Prior mußte jeden Sonnabend im Jahre in der Kapelle des Schlosses Nerbonne eine Messe lesen. Jedermann hatte den Prior und den Gutsherrn nie anders als im besten Einvernehmen gesehen, sooft der Erstere in Nerbonne anwesend war. Ebensolche Innigkeit und Einigkeit schien zwischen den beiden Ehegatten zu herrschen.
Dies änderte sich. Frau von Pivardière begann Verdacht zu schöpfen hinsichtlich des Betragens ihres Gatten. Er kam immer seltener, blieb immer kürzere Zeit, und es schien, als komme er nur, um die eingegangenen Pachtgelder zu erheben. Ihr Verdacht hinsichtlich einer Untreue ihres Gatten bekam eine bestimmte Richtung, als ihr im Juli 1697 ein Geschäftsfreund aus Paris meldete: Ein Kapuziner aus Auxerre habe sich bei ihm schriftlich und dringend nach dem Aufenthalt des Herrn von Pivardière erkundigt, weil eine Frau aus Auxerre nicht wisse, wohin sie ihm seine Kleider und Wäsche schicken solle.
Nach den Briefen des Herrn von Pivardière war er nie von der Armee weggekommen. Wie konnte also die fremde Frau in Auxerre ihm Wäsche und Kleider nachschicken wollen? Der Verdacht Frau Margueritas wurde Überzeugung, daß ihr Gatte in Auxerre eine Liebschaft unterhielt.
Im August 1697 fuhr Herr von Pivardière wieder nach seinem Gut.
Dieser 15. August war das Fest Maria Himmelfahrt und Der Freier gleichzeitig war auch die Kirchweihe der Schloßkapelle von Nerbonne. Der Prior und alle adligen Nachbarn waren von Frau von Pivardière zu Gast geladen worden. Als Herr von Pivardière nun nach Sonnenuntergang im Schloß ankam, fand er eine glänzende Gesellschaft vor, bei der Abendmahlzeit versammelt.
Alle erhoben sich bei seinem Eintritt und bewillkommneten ihn herzlich. Auch der Prior drückte seine aufrichtige Freude aus, den Freund wiederzusehen. Nur Frau von Pivardière blieb auf ihrem Stuhl sitzen und warf kaum einen Blick auf den Eintretenden. Man bemerkte es. Eine Dame äußerte freimütig: »Es sei nicht ganz artig, wenn eine Frau ihren Mann nach so langer Abwesenheit so kaltsinnig empfange.«
Herr von Pivardière antwortete spöttisch: »Ich bin ihr Mann, das ist wahr, aber ich bin nicht ihr Liebhaber.« Er setzte sich darauf hin, ohne noch ein Wort zu sprechen. Eine allgemeine Verstimmung ergriff die bisher so frohe Gesellschaft, man brach rasch auf, um dem peinlichen Beisammensein ein Ende zu machen.
Am nächsten Morgen war der Schloßherr verschwunden. Bald sickerten Gerüchte durch, Frau von Pivardière habe ihren Mann gemeinsam mit dem Prior ermordet.
Der merkwürdige, kulturhistorisch ungemein interessante Prozeß, der folgte, interessiert uns hier nicht. Frau von Pivardière wurde verhaftet, der Prior kam vor das geistliche Gericht. Die Sache stand schlecht für die Angeschuldigten, als ein Mann auftauchte und sagte, er sei der totgesagte Schloßherr. Man wollte ihn als Schwindler entlarven, aber er war wirklich der Totgeglaubte. Und nun stellte sich folgendes heraus:
Herr von Pivardière hatte schon 1693 die Kriegsdienste verlassen. Er hielt diesen Umstand gegen seine Gattin geheim.
In Auxerre hatte er an einem Sommerabend beim Spaziergang auf dem Walle ein sehr schönes Mädchen getroffen, in das er sich sterblich verliebte. Er quartierte sich bei ihrer Mutter, Madame Pillad, die ein kleines Gasthaus hielt, ein, doch vorsichtigerweise nicht unter dem Namen de la Pivardière, sondern unter dem Namen Bouchet. Aber obgleich auch das Mädchen eine zärtliche Neigung für ihn fühlte, widerstand doch ihre »seltene Tugend«, wie Pitaval sagt, seinen stürmischen Anträgen. Ihn dagegen überwältigten dergestalt ihre Reize, ihre Lebhaftigkeit, ihr Verstand und ihre Herzensgüte, daß er eine Bigamie für keine zu schwere Sünde erachtete, in ihren Besitz zu gelangen. Er heiratete sie und – Herr von Pivardière, der Lehnsherr und Gerichtsherr von Nerbonne, ward, um doch ein Geschäft zu treiben, was ihn und die Seinen nähren könnte, Gerichtsbedienter, Huissier, in Auxerre. Der vor kurzem verstorbene Ehegatte seiner neuen Schwiegermutter hatte diese Stelle bekleidet, und die Witwe verschaffte sie ihrem Schwiegersohn. Herr von Pivardière verwaltete mit Geschicklichkeit und Treue das Huissieramt, kehrte aber von Zeit zu Zeit immer wieder nach Nerbonne zurück, sei es, um sein Doppelleben zu verschleiern, sei es, um nur die Pachtgelder zu erheben, oder weil ihn auch an seine erste angetraute Gattin eine Neigung fesselte.
Wie dem auch sei, es wurde festgestellt, daß der Schloßherr seine zweite Gattin zärtlich geliebt und mit ihr in mustergültiger Ehe gelebt hatte, der auch Kinder entsprossen waren.
Der fatale Prozeß gegen seine erste Gattin hatte ihn gezwungen, sein Geheimnis preiszugeben.
Die Strafe, die er wegen Bigamie erhielt, war dank des Eingreifens des Königs gering. Aber seine erste Frau ließ sich von ihm scheiden. Die zweite trennte sich gleichfalls von ihm.
Pitaval berichtet, Louis de la Pivardière sei wieder in königlichen Diensten angestellt worden, und zwar als Offizier. Er fiel nicht auf dem Felde der Ehre, sondern im Kampfe mit Schleichhändlern.
Wir dürfen annehmen, daß wir es mit einem Fanatiker der Liebe zu tun haben, der von seiner Leidenschaft beherrscht wurde. Ein sonst ganz normaler Mensch, ein tapferer Offizier, aber ein unglücklicher Abenteurer des Herzens.