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Seit Wedekind hat sich nicht nur der Lulutyp in allen erdenklichen Variationen herausgebildet, begünstigt durch die verlogene Sentimentalität und schiefe Weltanschauung des Films. Es hat sich ein femininer Mann entwickelt, der sich nicht genug tun kann, die Herrschaft der Frau zu preisen, der diese Herrschaft immer weiter entwickelt sehen möchte. Dieser moderne Mann hat einen rein masochistischen Einschlag. Der Begriff »Herrentum« fehlt ihm. Auch die mit diesem Begriff verbundene Ritterlichkeit ersetzt er durch »Kameradschaft« – einen undefinierbaren Begriff, der auf die Verleugnung der Geschlechtsunterschiede, mindestens auf ihre Nichtbeachtung, Bagatellisierung, hinausläuft. Die vergewaltigte Natur rächt sich, indem sie die Erotik zwischen diesen Mann-mädchen und Mädchen-männern in ungeahnten Spielarten emporschießen läßt. Eine ungesunde Erotik, eine Mischung aus Familiengefühlen und wild sich gebärdenden Affekten, in Kokainräuschen gezeugt, aufgeputzt mit allerhand literarischem Schnickschnack und den Gebärden von halb Gestorbenen. Eine Krankenhausatmosphäre umgibt diese Erotik. Sie züchten ihre Triebe aus Finessen in abnorme Gelüste um, und ihr Ideal ist, wenigstens noch zu dieser Zeit, wo diese Zeilen geschrieben werden, ein überhageres Weib-Geschöpf mit einem spitzen Brustkorb, kleinen, rosinenhaften Brüsten, einem sehnigen Hals und palmbaumähnlichen Schenkeln. Wandelnde Mädchengerüste, deren Beine beim Schreiten klappern und deren Duft und Ausdünstung in billigen Parfüms erstickt sind.
Es soll nicht geleugnet werden, daß diese Zeit auch einen anderen Typ geschaffen hat, den Greta Garbo, die Filmschauspielerin von Hollywood, verkörpert. Es ist ein langer Körper, durchtrainiert in Bewegungskunst und harmonischen Stilübungen, hochgezüchtete Beine, eine mädchenhafte Brust, ein Charakter von kindlicher Beharrlichkeit. Ein Gesicht, das in vollendet sinnlicher Form den Pubertätsrausch ausdrückt, den diese Zeit träumt. Es soll nicht der hohe Reiz einer solchen kultivierten Knabenfrau geleugnet werden. Aber diese Reize sind nicht normal, und das Weib von Tizian und Rubens war nicht nur gesünder, sondern auch echter.
Die Venus der Alten ist verpönt. Die »Walkürenfiguren haben sich überlebt«. Aber mit der Ablehnung des natürlichen Frauenkörpers ging eine krankhafte Veränderung der männlichen Psyche einher. Der Mann wurde dem neuen Ideal hörig. Es liegt ein tiefes Geheimnis und Symbol in diesem Vorgang. Denn indem dieser erschöpfte Geschlechtsmensch Mann sich das Weib umbildete nach seinem Geschlecht, es die Merkmale seiner Weiblichkeit immer mehr verleugnen ließ, liebte er mehr und mehr das Ebenbild seiner selbst. Diese Knabenfrau mit den unweiblichen Brüsten und den männlichen Zügen, dieses bauchlose Geschöpf stellt in der Vereinigung mit dem Manne einen gefährlichen Ausflug in die Urzeit der Eingeschlechtlichkeit des Lebewesens dar. Und so wird das Weib dem Manne mehr Symbol seiner selbst, als fremdes Geschlechtswesen. Eine Verwirrung des Eros drängt den Mann, sich selbst anzubeten in diesem bizarren neuen Geschlecht, das sich dem seinen so weit genähert hat, daß es – theoretisch – Geburt und Mutterschaft sogar auf den Mann übertragen möchte.
Ein Übergangszustand, eine abnorme Erscheinung, die wieder verschwinden wird, aber der Bildung des Narzißmenschen im Weibe ungeheuren Vorschub geleistet hat.
Fast gleichzeitig aber wuchs – scheinbar widersinnig, aber sehr verständlich – der Geschlechterhaß, der nie schlummernde, und nahm die schärfsten Formen an.
Der Verfasser schildert ein solches »Verhältnis«, die Gestalt einer Frau und den ihr Hörigen, in einem Roman, nach dem Leben geschrieben. Keine Abhandlung könnte deutlicher, klarer, die entnervende Hörigkeit eines modernen Mannes schildern, wie es in diesen Zeilen zum Ausdruck kommt:
»Mie stand auf der Höhe ihrer Macht, ihres Ansehens und ihrer Schönheit. Ein Komponist hatte ihr ein Chanson gesandt: ›Kind, du riechst so gut ...‹.«
Mie erntete damit rauschenden Beifall. Sie hatte mit einem Male vier leidenschaftliche Verehrer, die sie gegeneinander ausspielte, und die sich bekämpften wie Pantherkatzen. Hans Zoller war zunächst der Auserlesene, ohne daß die Öffentlichkeit und die Rivalen es merkten. Mie erhörte ihn, und es entstand eine Freundschaft, aus der sie den meisten Nutzen zog, denn in kurzer Zeit eignete sie sich den Witz, die Schlagfertigkeit und die Kenntnisse der Vergangenheit ebenso an wie ihr Geliebter. Sie schöpfte sich von seinem Spott eine eigene Lebensweisheit ab. Sie galt in Kürze für geistreich und klug, sogar gebildet und erfahren. In einer Zeit, wo die Halbheit stets das Vorrecht der Beachtung genießt und von bereiten Lakeien der Intelligenz gern als Genie ausposaunt wird, wurden auch Mie's kleine Bonmots als Zeichen eines geistvollen Witzes berühmt. Besonders Graf Pernau war entzückt von der neuen Art seiner Geliebten, von der Lebhaftigkeit ihres Gemüts und der Schärfe ihres Urteils.
Er hielt für genialen Mutterwitz, was nur nachempfunden war. Denn obgleich er eine humanistische Bildung genossen, fehlte es ihm durchaus an jeder selbständigen Wertung der Dinge. Er war groß wie eine Tanne, tapfer, furchtlos und treu, ehrenvoll in der Gesinnung, die ihm eine Jahrhunderte alte Tradition eingepflanzt hatte. Aber er hatte so gut wie keine geistige Fühlung mit dem gewaltigen Übergangsleben seiner Zeit und hätte mithin ebensogut in die Arena der drei Musketiere gepaßt, ohne aus der Rolle zu fallen.
Hans Zoller war neben dem Grafen Pernau der erklärte Liebling Mies. Sie hatte eine ungewöhnliche Neigung zu ihm gefaßt, die mit der Ungeduld eines erotischen Waffenganges auf Leben und Tod erfüllt war.
Seine Frivolität war beleidigend. Das schmeichelte Mie. In der Tiefe seiner Leidenschaft aber glomm eine schwache Leuchte wie das ewige Licht in finsteren Kirchennischen. Dieses rote Glimmen war die verlorene Sehnsucht, die in Wirklichkeit den Zynismus dieses unbewußten Schauspielers speiste.
Mie fühlte es. Das reizte sie noch mehr zu einem erotischen Zweikampf. Sie begann zu fühlen, daß von dessen Ausgang ihr späteres Leben abhing. Denn sie war sich klar, daß sie, wenn der Prinz siegte, verloren war vor sich und vor der Welt. Daß aber, wenn Zoller in diesem Kampfe unterlag, ihre Herrschaft über den Mann für immer begründet und unerschütterlich sein mußte.
Sie war durch ihn selber alsbald so weit, seine Angriffe parieren zu können. Dazu verhalf ihr eine natürliche Begabung, die jede Frau in jeder Lage besitzt, nämlich die Kunst, sich anzupassen, Denkart und Gefühlsskala auf den Ton eines Mannes abzustimmen.
Je öfter Hans Zoller mit Mie zusammen war, desto eher schwand ihm die Vorstellung von einer bezaubernden Circe, die die Männer in Schweine verwandelte. Vielleicht war er gegen Mie, die jede seiner Schwächen geschickt ausspionierte und benützte, nicht genug auf der Hut. Jedenfalls begann er, sie studieren. So gab er die führende Rolle in den Unterhaltungen an Mie zurück, die ihn mit dem Augenblick schon beherrschte, wo er anfing, aus ihr ein Problem zu gestalten, das ihm eine Aufgabe stellte.
Graf Pernau wußte nichts von Mies Beziehungen zu Hans Zoller. Sie hatte die Herren miteinander bekannt gemacht, und der Graf empfand die Abende, die er in Gesellschaft Mies und Zollers verbrachte, als so anregend und angenehm, daß er stillschweigend über die gesellschaftliche Kluft hinweg sah, die ihn von dem sagenhaften Herrn Zoller trennte.
Dieser dachte sich immer mehr in die Rolle des starken Mannes gegen Mie hinein, während ihr Einfluß auf ihn bereits sein ganzes Leben durchströmte. Dieser Einfluß steigerte sich als bald zu einem Taumel, zu einer Raserei des Begehrens, das Mie mit der überlegenen Ruhe eines Weibes entzündete, die die Kerzen an dem Totenlager eines gleichgültigen Gatten ansteckt.
Bald suchte der Geliebte Mies das Tier, das in ihm tobte, zu erwürgen, bald ihm durch die tollste Freiheit beizukommen. Aber jeglicher Dressurakt mißglückte. Eine verruchte Leidenschaft peitschte ihn immer tiefer in ein Bacchanale der Lust.
Er fing an, Mie zu hassen, und der Kampf zwischen ihnen nahm fast eine persönliche Wendung. Aber Mie blieb die Stärkere, indem sie nachgab. Mie hatte ihn mit dem Rauschen ihrer Wäsche, mit dem Leuchten ihrer Hand in der Dämmerung, mit der anschleichenden Bewegung ihres Beines in Besitz.
Der Unglückliche, der ein so gefährliches Spiel heraufbeschworen, sah die Waffen, die er gegen Mie anwandte, sich gegen ihn selber wenden.
Er wollte sie verlassen.
Sie sandte ihm ein Lächeln zur Tür voraus. Das hing sich mit unzerreißbaren Stricken nach Mies Willen um seine Muskeln und lähmte ihn.
Sie warf ihn nieder, ohne sich zu rühren, sie brachte mit einem Blick sein Blut zum Kochen und demütigte ihn auf die entsetzlichste Weise. Er wollte sie erniedrigen und glitt statt ihrer in den Höllenpfuhl eines wahnwitzigen Rausches – kurz, er verlor mit jeder Schlacht an Boden und konnte den Tag seiner endgültigen Niederlage nach dem Verbrauch seiner Kräfte vorausberechnen.
Dieser Kampf, der die Urzeit der Geschlechter in den beiden Gegnern wachrief, spielte sich in aller Heimlichkeit ab, so daß es selbst für die, welche ihn zu verfolgen glaubten, zweifelhaft blieb, wie die Chancen standen.
Nur aus dem veränderten Wesen Hans Zollers, aus seiner Niedergeschlagenheit und wechselnden Laune, aus seinen sentimentalen Anwürfen und rasenden Orgiasmen der Unvernunft schlossen die Freunde, daß der gefährliche Kampf in ein verhängnisvolles Stadium getreten war.«
*
Alles verstehen, heißt alles verzeihen.
Vielleicht.
Die moderne Frau jedenfalls ist gar keine Lulu. Frei nach Alraune mimt sie Männertöterin. Die Männer nehmen das Spiel ernst, das ist ihr Unglück und ihre Dummheit in den Augen dieser Göttinnen des inneren Zwiespaltes. Diese moderne Frau ist parfümiert mit Erotik und seelisch geschwängert mit Kameradschaftstendenzen, Kinderproblemen, Scheidungsreformen, noch ehe sie verheiratet ist.
Warum kann und darf die moderne Frau diese Komödie ihrer Weiblichkeit aufführen?
Weil der Mann die Komödie mitspielt. Weil er Komödie will.
Man muß das doch nur einmal erleben. Nehmen wir an, wir befinden uns beim Anwalt.
Eine Dame tritt ein.
Eine süße Knabenfrau tritt ein, bemalt wie ein Sioux, durch unsere Illusion als Kulturmensch anerkannt.