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Kriegspfade der Liebe

Durch aller Zeiten Wende geht, wie das geheimnisvolle Einhorn durch die Wälder der Phantasie, der Sexus.

Er setzt die rohesten Elemente in Musik und gibt der Menschheit die Zusage der Ewigkeit: unsterblich zu sein.

Der Sexus begleitete die ersten Menschen durch Urwälder. Er war mit dem ersten Weib, das inmitten flammender Not und steter Gefahr den Blick in die Weite des Horizonts lenkte, wo Himmel und Erde zusammenschmolzen und die brennende Sonne in der Nacht erlosch, als der erste Mann mit Ger und Pfeil dem wilden Tiere nachjagte oder in schwachem Einbaum über die Wellen glitt. Der Sexus war da, ehe der erste Schrei eines Tieres durch die Einsamkeit der Wildnis tönte. Er lebte zwischen den Dingen, kam zu den Menschen und sagte:

Sigismonda trauert über dem Herzen Guiscardos
Hogarth

Sieh hin! Wohin dein Auge blickt, ist Schönheit, Werden und Glanz! Sieh die Sonne in Purpur! Den Himmel im Meer, das Meer im Himmel, Wolken und Felsen wie granitene Perlen, die Berge wie silberne Altäre, die in der Einsamkeit thronen. Das Wasser wie rauschende Strähnen, Grün und Purpur – die ganze Erde ein Schoß der Liebe.

Ist die Illusion stark genug, Jahrtausende, Jahrmillionen zurückzuschrauben?

Unser Sexus ist Illusion. Denn nur was dem Einzelnen heute das Liebesleben ist, entscheidet! Was es der Gesamtheit ist, läßt sich begreiflich in kein Lexikon einreihen, auch nicht in ein Lexikon der Erotik. Man müßte sonst die Liebe in hunderttausend Einheiten zerlegen.

Das Paradies hat auch nicht zwischen Euphrat und Tigris gelegen. Der Garten Eden und die Erbsünde sind in uns selbst begründet.

Warum nur haben so viele Menschen ihren Haß, ihren kritischen Witz, ihre Verachtung über Eros ausgegossen?

Paris entführte eine Königin – (was heute die Kabinette kaum mehr in große Erregung versetzen würde) – und hat einen der blutigsten Kämpfe der Vorzeit heraufbeschworen. Daß er damit den Text zur »Schönen Helena« geliefert hat, möge der Zorn der Nachwelt über den unkriegerischen Don Juan im alten Troja mildern.

Er war sicher nicht der Verführer. Er war hörig und gehorsam der schönen Gattin des langweiligen Menelaos, und die Entführung geschah im Rausche des Dienens. Denn diese schöne Helena wollte entführt sein, selbst um den Preis des Trojanischen Krieges.

Um die Mitte des 9. Jahrhunderts wurde ganz Franken durch Waffenlärm erschüttert. Papst Nikolaus I. schleuderte den Bannfluch gegen den König von Lothringen – eines Weibes wegen, das Waltraute hieß. Und zu einer Zeit, als der Kardinal Mazarin hinreichend durch die äußere Politik beschäftigt war, fand man am Pariser Hofe Muße, sich eines »Damenkrieges« anzunehmen, der zwischen den schönen Herzoginnen von Longueville und Montbazon infolge erotischer Konflikte entstanden war.

Die Königin Anna von Österreich entschied zugunsten der Herzogin von Longueville, aber Coligny trat für die Herzogin von Montbazon in die Schranken, während die Gegnerin Guise zum Hörigen ihrer Ehre erkor. Coligny fiel, die Skuderie schrieb einen Roman darüber, und ganz Paris sang Gassenhauer über eine Geschichte, die nichts weiter war als viel Lärm um ein wenig Erotik.

Liebespaar
Willy Jaeckel

Als zu Anfang dieses Jahrhunderts die Kronprinzessin von Sachsen mit einem gewissen Giron heimlich den Dresdner Hof verließ, da wurden die Botschafter halb Europas alarmiert, wenn auch nur zu einem blinden Lärm. Das Schicksal der Frau Toselli hielt die Welt in Atem, und doch handelte es sich nur um eine verliebte Frau. Larochefoucauld würde vielleicht in Hinblick auf die Begleitmusik der Ehescheidungen dieser unglücklich veranlagten Frau wiederholen: »Wenn man die Liebe nach ihren Wirkungen beobachtet, ähnelt sie mehr dem Hasse als der Freundschaft.«

Dieser Autor hatte rein schopenhauerische Ansichten über die Frau: »Die Weiber glauben, zu lieben, obschon sie es nicht tun. Die Beschäftigung mit einer Kabale, die geistige Erregung, die jeder Liebeshandel mit sich bringt, der natürliche Hang zu dem Lustgefühl, geliebt zu werden, und die Pein, sich zu versagen, läßt sie ihre Liebesfreude für wahre Leidenschaft nehmen.«

Er geht noch weiter: »In der Liebe geht der Betrug fast immer über das Mißtrauen hinaus« – um später sich und seinem ganzen System mit dem naiven Geständnis zu widersprechen, das vielleicht die höchste Wahrheit über die Liebe enthält: »In ihrer ersten Leidenschaft lieben die Frauen den Geliebten, in der späteren die Liebe.«

Das war allerdings die Zeit der Ninon de Lenclos, die, als sie achtzig Jahre alt geworden war – in der Nacht nach ihrem Geburtstage – den Abée Gedoyn bei sich einließ, nachdem sie ihn mehrere Monate die Grausamkeit ihrer Zurückhaltung hatte beklagen lassen. Die kurze Leidenschaft dieses Mannes war stark genug, um Ninon für die kommenden fünf Jahre der Ruhe zu entschädigen, bis sie sich in den Armen des letzten »Unüberwindlichen« ergab.

So interessant der liebenswürdigen Ninon die Herren Saint-Etienne – er war der Erste und folglich beneidenswerteste aller Glücklichen –, Pecour, Villarceaux, Scarron und alle die Bekannten und Unbekannten erscheinen mochten, für uns entbehren sie jedes Interesses neben Ninon.

Hundert Maler und doppelt so viele Dichter haben uns nur ein unfertiges Konterfei von dieser Frau hinterlassen. Sowenig sich die Kunst dieses Leibes bemächtigen konnte, der keinem gehörte, weil er allen gab, der Linien dieses Gesichtes, das nie das gleiche und täglich schöner war, sowenig könnte man beschreiben, wer Ninon gewesen ist.

Der Journalist trompetet die Herrschaft der farbigen Frau in die Welt hinaus
Simplizissimus

Sie war die französische Aphrodite, Laïs in ihrer Wiedergeburt.

Dieser Frau war sexuelle Hörigkeit fremd, aber sie sollte sie dennoch kennen lernen.

Der Chevalier de Villiers, ein zwanzigjähriger glänzender Offizier, hat sich vor ihren Augen erstochen, weil Ninon ihn nicht erhört hat, Ninon, deren Höriger er war.

Herr de Villiers war ihr Sohn, der sie nach zwanzig Jahren zum erstenmal sah, ohne die Tragödie des Zufalls zu ahnen.

Ninon mußte das kommen sehen. Vielleicht war sie stolz darauf. Vielleicht ...

Aber der junge Mann hatte nicht das sonnige Temperament seiner Mutter.

Er war ein Pariser, vielleicht seiner Zeit schon voraus. Eine Werthernatur. Auch dieser Werther aus Goethes Zeit war hörig.

Darum mußte er sterben. Damals hat Ninon geweint, vielleicht über sich selbst. Dann aber liebte sie wieder.

Die kleine Zauberin
Félicien Rops

Sie wußte, daß der Tod ein Schicksal ist, während die Liebe nur eine ideale Täuschung bedeutet, die den Abstand zwischen Genuß und Ermattung überbrückt. Sie sah die Liebe weder als das Werk eines Engels noch eines Teufels, sondern einfach als Harmonie. Sie war niemals sexualhörig, aber damit hat sie nur bewiesen, daß Hörigkeit keine Schwäche, sondern eine Bestimmung ist.

Das Geheimnis, nicht hörig zu sein, liegt vielleicht in dem Rezept des Herzogs von Choiseul, eines Zeitgenossen der Pompadour. Der König fragte ihn einmal, welcher Eigenschaft er seine Liebeserfolge verdanke.

»Keiner Eigenschaft, Sir,« lautete die Antwort, » ich liebe selbst sehr viel«.

Er hätte erklärend hinzusetzen müssen: »Ich huldige immer nur der Sinnlichkeit.« Denn es ist sicher, daß der kalte Genießer bei den Frauen viel erreicht, wenn er Liebe heuchelt. In einer französischen Gesellschaft sagte Chamfort über den Herzog von Lauzen, er prahle mit seinen Erfolgen bei den Frauen, aber sicher sei nicht viel dahinter. »Er macht gar kein Hehl daraus, ein Wüstling zu sein.«

»Was das betrifft,« entgegnete ihm da ein Höfling, »lassen Sie sich nichts vormachen! Gerade mit solchen Allüren gewinnt man Königinnen.«

Viele Männer leiden in der Tat an der Liebe, weil sie das Instrument nicht verstehen, auf dem sie spielen wollen, und oft ist Hörigkeit nicht viel anders als Torheit, Unerfahrenheit. Sie sind Kunktatoren der Liebe, denn Goethe sagt: »Komm den Frauen zart entgegen ... Doch bist kühn du und verwegen« – etc.

Es gibt keine größere Lehrmeisterin der Liebe als Ninon de Lenclos, die den Männern über ihr Thema die ernstesten und geistreichsten Predigten gehalten hat. Sie liebte die hörigen Männer nicht, die so viel Ähnlichkeit mit Sklaven haben.

Was nützen alle Chancen, wenn die Männer blind sind? »Manchmal sind sie so bizarr,« sagt Ninon, »daß sie die Partie aufgeben, wenn der Widerstand zu lange dauert«.

In der Tat, wie viele Ritter Toggenburgs sind nichts weiter als arme Unwissende, die gegenüber den Koketterien, Launen und Eitelkeiten geliebter Frauen in Melancholie verfallen, obgleich sie wiedergeliebt würden, wenn die Circes ein Mittel hätten, die Dummheit zu kurieren! Diese lächerlichen Don Juans sind wie Zeus, der seinen Donnerkeil in Junos Schlafzimmer gelassen hat. Junger Mann, du kannst aus dem Olymp kommen und doch kein Gott sein. Denn Göttern ist nichts Menschliches fremd.

Virgil beschreibt die Schlauheit der Galathea, die das., was sie erstrebte, ablehnte. Sie reizte den Geliebten, indem sie ihn zurückwies. Als sie in ein Gebüsch flüchtete, geschah es in der Absicht, daß er sie sehen, ihr folgen und seinen Lohn empfangen würde.

Der Marquis Faublas war nicht Don Juan, der das Weib sein Leben lang gesucht hat. Faublas und Casanova suchten nur die Weiber.

Und die Antwort, die Faublas auf einen Liebesbrief erhielt, ist bezeichnend für ihn und die Frau.

»Wer hat Ihnen gesagt, daß ich vor Kummer sterbe, weil Sie mich nicht lieben! Wenn das wahr wäre, so könnte nur ich es wissen. Aber habe ich es Ihnen gesagt, mein Herr? Und Sie tun, als ob Sie Ihrer Sache ganz gewiß wären? Sie lieben und sagen mir, daß Sie mich lieben, weil Sie glauben, daß ich Sie liebe. Sie glauben also, mir eine große Gnade zu erweisen, wenn Sie mein Herz und meine Hand begehren? Mein Herr, wenn ich so unglücklich bin, nie etwas anderes als Mitleid einzuflößen, so werde ich wenigstens klug genug sein, nicht zu lieben, oder diskret genug, meine Neigung zu verbergen.«

Was würden Sie daraufhin denken und tun, junger Mann, der Sie durch Flugzeuge und Automobile so ernst geworden sind, daß Sie über jedes Hindernis nachdenken und sogar Bücher darüber schreiben?

»Jugend«

Sie würden die Partie aufgeben. Faublas zeigte seinem Freunde Rosambert den Brief.

»Und das betrübt Sie?« sagte der. »Tausendmal küssen sollten Sie diesen Brief!« Der Ton dieser Epistel beweist, daß Sie geliebt werden. Sie macht Ihnen furchtbare Vorwürfe, weil Sie sich einbilden, daß Sie geliebt werden. Aber nirgends sagt sie, sie liebte Sie nicht.

Ehehörig
Rowlandsen

Hätte Faublaus sich an die Ninon wenden können, sie hätte ihm geantwortet:

»Alle vernünftigen Frauen führen eine ähnliche Sprache, wenn ihre Verehrer anfangen, sie merken zu lassen, daß sie gewisse Ansprüche an sie machen. ›Ich will nur Ihr Herz,‹ sagen sie. ›Ihre Liebe und Achtung ist alles, was ich begehre.‹ Sie werden genug Frauen finden, die weniger schwierig sind, und die Ihnen mit Vergnügen das gewähren, was ich Ihnen versagen muß. Aber ich werde Sie niemals um ein Glück dieser Art beneiden. Hüten Sie sich, solche schönen Gefühle offen zu bekämpfen und die Aufrichtigkeit der Frauen bei solchen Gelegenheiten zu bezweifeln. Das wäre ungeschickt. Wenn Sie aus ihrem Irrtum Nutzen ziehen wollen, so müssen Sie ihn gutheißen. Es ist Absicht der Frau, Sie glauben zu machen, daß die sinnliche Lust nicht für sie existiere, und daß es einzig nur höhere und geistige Freuden sind, die sie erstrebt. Wenn viele Frauen auch wirklich so veranlagt sind, viele reden nur so, um Ihnen damit zu imponieren. Was aber auch immer die Ursache des wechselnden Betragens der Frauen sein möge, ist der Mann nicht schon zu beneiden, daß die Frau sich die Mühe gibt, ihn zu täuschen?«

Wenn der Mann den Gegenstand seiner Neigung unermüdlich verfolgt, ja, wenn er die Verfolgung zur Zudringlichkeit treibt, wenn er sich an allen Plätzen einfindet, wo er die Geliebte treffen könnte, wenn er sich vor ihr genügend beherrscht, nicht von Leidenschaft spricht, in jeder Beziehung aufmerksam, respektvoll, sich aber unerschütterlich zeigt, dann wird er siegen.

Es gibt keine bessere Angriffsweise, als Gleichgültigkeit zu heucheln. Nicht auf Briefe zu antworten. Nicht zu dem darin bewilligten Stelldichein zu kommen. Drei Tage lang keinen Besuch zu machen, dann das kälteste Billett zu schreiben – das ist ein Meisterstreich!

Solange ein Mann die Frau die Vorbereitungen zum Angriff sehen läßt, wird er sie stets zur Verteidigung bereit finden. Hat man je von einem geschickten Feldherrn, der die Absicht hatte, einen Platz zu überrumpeln, gehört, daß er dem Feind durch alle seine Bewegungen verriet, auf wen sich das drohende Unwetter entladen würde? Fragt man je einen Sieger – in der Liebe wie im Kriege –, ob er seine Erfolge der Kraft oder der Geschicklichkeit verdankt? Er ist Sieger, er empfängt den Lorbeer, er steht am Ziele seiner Wünsche, er ist glücklich. Folget seinem Beispiel, so wird euch das gleiche Schicksal blühen! Maskiert eure Marschrichtung! Deckt die Ausdehnung eurer Absichten erst auf, wenn man ihrem Erfolg nichts mehr in den Weg legen kann! Die Schlacht muß geschlagen, und der Sieg gesichert sein, ehe noch der Krieg erklärt ist! Ahmt mit einem Worte jene Kriegervölker nach, deren Pläne und Feldzüge man nur aus den Verwüstungen erfährt, die sie hinterlassen!

Nie wird eine Frau den Mann hochfahrender behandeln, als wenn sie glaubt, er sei allzu verliebt, um zu wagen, ihr nahezutreten. Ebenso gefühllos wie der Händler, dem man zu klar gezeigt hat, daß sein Stoff Gefallen erregt, macht die Frau dem Mann einen hohen Preis.

Je weniger Leidenschaft an den Tag gelegt, desto mehr Leidenschaft wird erweckt.

Ein wenig Spiegelfechterei in der Liebe ist unerläßlich. Nötigenfalls gehe ich vielleicht so weit, euch zu raten, ein wenig schuftig zu sein. (Hier möchte ich betonen, daß Ninon de Lenclos spricht, und das Zeitalter der Galanterie gemeint ist.) Bei jeder andern Gelegenheit ist es zweifellos ehrenhafter, Gimpel als Gauner zu sein. Aber in der Galanterie sind die Dummköpfe allein Gimpel, und die Gauner haben immer die Lacher auf ihrer Seite. Ein leidenschaftlicher Liebhaber macht hundert Schnitzer. Die aussichtsvollsten Affären zerrinnen ihm zwischen den Fingern. Jeden Augenblick gibt er sich Blößen. Sein Ungeschick ist sogar so groß, daß er sich sowohl durch Übereilung als durch Schüchternheit schadet. Er läßt sich tausend kleine Gelegenheiten entgehen, die sonst immer einiges Gebiet erobern helfen. Ein Mann dagegen, der der Liebe nur aus reiner Freude an der Liebe obliegt, nützt die geringsten Vorteile aus und läßt sich nichts entgehen. Er sieht seine Fortschritte. Er kennt die schwachen Stellen des Gegners, und dort greift er an. Alles, was er tut, strebt einem festen Ziele zu, alles ist überlegt. Seine Unvorsichtigkeiten sogar sind oft die Frucht der gesündesten Reflexion und so vervollständigen sie nur seine Erfolge. Schließlich beherrscht er die Sachlage so sicher, daß er gewissermaßen den Tag seines Triumphes im voraus ansagen kann.«


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