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Seitdem hat sich in der Welt nichts geändert. Die Männer benehmen sich scheinbar überlegener, aber sie sind noch viel abhängiger von der Frau geworden. Die Frauen tun, als hätten sie die Liebe überwunden und sind Sklavinnen einer schwülen, ungesunden Erotik geworden, in der sie die Männer beherrschen.
Zu Ende des vergangenen Jahrhunderts verklang die Romantik, die im Biedermeier Triumphe gefeiert hatte. Es gab Frauen, die für ihre Liebhaber Wäsche bestickten, die Stickerei mit ihrem eigenen Blute färbten. Die schöne Karoline von Linsingen verfiel in den Scheintod, als sich der Herzog von Clarence, ihr Geliebter, von ihr abwandte, und wäre beinahe lebendig begraben worden.
Tragisch und erschütternd hat in diesem Jahrhundert manche große Leidenschaft von Männern geendet, die ihren Namen ins Buch der Unsterblichkeit eingetragen haben.
Nie war die Liebe in dem unglücklichen Maler Anselm Feuerbach gestorben, der die einfache Schustersfrau Anna Risi in Rom unsterblich gemacht hat. Nana nannte er sie.
Sie war sein Modell. Die Natur hatte ihrem Körper die Majestät dieser Frauen verliehen, die wie Königinnen aussehen und als Waschfrauen oder Dirnen enden.
Anselm war immer einsam gewesen. Dreißigjährig ist er verkannt, erfolglos, verbittert. In Nana findet er sein Schicksal. Die Freundin. Das Modell. Die Frau, die ihre kühl verhaltene Erotik in sein Leben ergießt, bis stürmende Wogen ihn ausfüllen.
»... Daß gerade ich das Glück haben soll, ich, die schönste Frau von Rom ...!« schreibt er an die Mutter. Bald ist Nana Dame geworden. Verwöhnt. Feuerbach sucht nach Luxus für Nana. Wie einst der große Rembrandt für seine Frauen. Die Unsterbliche stellt Ansprüche, wird launisch, verwöhnt.
Eines Tages ist sein Atelier leer. Wer kennt diese Leere? Häuser mögen alle Dinge bergen, die Menschen suchen. Eine Frau geht hinaus. Eine Frau drückt eine Tür hinter sich ins Schloß. Da funkelt kein Diamant mehr, da leuchtet kein Licht. Denn eine Frau ist gegangen. Eine Frau, die Licht war und Helle und Geschmeide.
Anselm suchte. Türen auf, Türen zu. – Er rief, klagte an, verfluchte, umsonst. Was rief je eine Frau zurück, die schon auf dem Wege zu einem anderen war?
Dann: Einige Jahre später – Winter in Rom. Ein Einsamer wandert durch die Straßen. Alles ist dunkel in ihm, dunkel um ihn.
An Nana denkt er.
Hättest du das nicht getan, nicht Verrat geübt – wie vieles wäre anders gekommen!
Da weckt ein Schatten Anselm Feuerbach aus seinen Gedanken.
Er steht an einer Straßenecke. Feiner Regen rieselt nieder.
Ein Weib lehnt da an einer Hausecke.
Welk, müde, zerlumpt, Strandgut der Liebe.
Sie bettelt.
Ihre Hand schwebt im Raum, eine müde, arme, noch immer schöne Hand. Eine Hand, die zu nehmen wußte.
Anselm, der Einsame, fährt zurück. Er starrt diese Hand an, er schaut unter den Schal, der halb das Gesicht der Bettlerin verhüllt. Zwei düstere Augen glänzen noch immer unter einer hellen Stirn. Ein Atemzug des Grauens.
»Nana!« schreit der Künstler. »Nana!«
Nana bettelt!
Die Herrliche – in der Gosse!
O, Jammer der Welt! Wer hielte da stand? Anselm flieht. Flieht in einsame Verzweiflung!
Niemand weiß, wie und wo diese Nana endete, die einen deutschen Sohn hörig machte.
Schließlich: Anselm Feuerbach konnte vergessen, wenn auch seinem Leben die Harmonie des Glücks versagt blieb.
Aber jener Abbé Rancé, der als Reformator des Trappistenordens erst jene furchtbare Schweigepflicht einführte – er war bis zu seinem dreiunddreißigsten Jahr ein eleganter Flaneur gewesen, wie wir sie im 17. Jahrhundert an Frankreichs Hof zu hunderten kennen – jene weltlichen jungen Abbés, denen die schönen Frauen besonders zugetan waren. Der Abbé von Rancé liebte die schöne Herzogin von Montbazon, die sechzehnjährig an den sechsundfünfzigjährigen Herzog verheiratet worden war.
Aber so sehr Rancé sich den Sitten seiner Zeit anpaßte, er war ein Idealist, und seine Liebe zu der Herzogin von Montbazon war, im Gegensatz zu zarten Verhältnissen jener Zeit, rein und makellos, darum aber nicht weniger leidenschaftlich,
Eines Tages legte ihm die Geliebte den Schlüssel, der durch die Gartenpforte in ihre Gemächer führte, in die Hand und sagte: »Armand, ich mache Sie damit zum unumschränkten Herrn über mich und mein Leben.«
Armand Rancé mußte am selben Tage verreisen. Später mitten in der Nacht nach Paris zurückgehetzt, treibt ihn eine unüberwindliche Sehnsucht, von dem Schlüssel Gebrauch zu machen. Er schleicht über Hintertreppen in das Schlafgemach der Angebeteten und findet die Geliebte auf ihrem Ruhebett, den blutbefleckten Körper in Todesstarre, den Kopf abgeschnitten und ganz oberflächlich wieder an den Hals genäht.
Unaussprechliches Entsetzen packte ihn, wie vom Blitz getroffen sank er bewußtlos zu Boden.
Später wurde ihm die Lösung des Rätsels gegeben: Die Herzogin war in seiner Abwesenheit tödlich erkrankt. Ihr letzter Wunsch war gewesen, die Ärzte möchten nach ihrem Tode ihren Körper öffnen, um die Art der Krankheit festzustellen. Dies war in ihrer Wohnung geschehen. Der Arzt, der die Sezierung vornahm, hatte sich einige Stunden entfernt und das Haus sorgfältig verschlossen. Er hatte nicht geahnt, daß ein Liebender zurückkehren und die Geliebte so wiederfinden würde.
Rancé trat in das Kloster La Trappe und lebte dort in Buße noch siebenunddreißig Jahre.
Der Liebesbund des Dichters Alfred de Musset mit der geistreichen George Sand nahm ein leidenschaftliches und häßliches Ende.
Die vornehme Duse, eine der edelsten und größten Künstlerinnen ihrer Zeit, hat den römischen Dichter d'Annunzio wiedergesehen, als nicht nur seine Liebe erloschen war, sondern auch mancher häßliche Zwischenfall.
Sie war und blieb dem Dichter Muse und Freundin, aber ihre Liebe war eine Kette von Leid, die diese seltene, treue Frau durchs Leben trug. Sie war Meisterin in vielen Künsten, aber sie konnte eines nicht: vergessen.
Dramatisch plauderte die schöne Tänzerin Otero, die vor zwanzig Jahren die Welt begeisterte, über ihre Liebhaber und die Revolverschüsse, die die Verlassenen gegen sie abgefeuert haben, wenn sie nicht selbst die Waffe gegen einen Ungetreuen hob.
»... Ich sah Pirievski ohne Bewegung in Marseille wieder. Er spielte im Kasino wie ein Wahnsinniger. Er sah mich an und murmelte: Liebste! Wir fahren jetzt nach dem Süden! Wir reisen!
Er reiste, aber allein, in den Tod. –
»Meine Augen werden dich immer schauen, auch dann, wenn ich schon gestorben bin,« hatte der gefeierte Valentino, der Liebling einer ganzen Welt, zu der Frau gesagt, die zwar nie seine Geliebte gewesen ist, die er aber unter allen Frauen, die ihm angehörten oder ihn verehrten, am aufrichtigsten geliebt hat: Pola Negri.
Denn dieser große Valentino liebte die Frauen wie Don Juan, ein Höriger, ein Zärtlichkeitsfanatiker.
Daß zwischen ihm und der Negri Herzensfreundschaft bestanden hat, haben beide nie geleugnet. Die Pola aber ging nach Deutschland, Valentino blieb in Hollywood. Auf der Totenbahre fand die Diva den Geliebten wieder. Er hatte auf sie gewartet. Er hatte dem Tode noch Stunden abgerungen, um die Heißersehnte zu sehen. Ob seine Augen sie noch sahen, als er gestorben war? Er lag in einem goldenen Zimmer in einem Salon des »Campbell«. Vier italienische Faschisten hielten die Ehrenwache an dem Katafalk. Durch eine Glasscheibe sah man Rodolfos blasses, von braunen Locken umrahmtes Antlitz. Da kniete die stolze Pola Negri, aufgelöst in Schmerz und Tränen, nieder und nahm Abschied für immer von dem Treuesten ihrer Treuen – und wie viele Männer waren dieser Frau verfallen.
Eine der zartesten Geschichten aus den wilden Jahren der Eroberung des neuen Erdteils ist die überlieferte Liebe der schönen Prärieblume Pocahontas zu dem englischen Kapitän John Smith.
Bei einem Schiffbruch im Jahre 1607 wurde der einzige Überlebende, Kapitän Smith, von Indianern gefangen und verwundet nach dem Lager des Stammeshäuptlings geschleppt. Ein furchtbares Ende stand dem Unglücklichen bevor.
Aber Pocahontas, die noch nicht fünfzehnjährige Tochter des Häuptlings, verliebte sich in den blonden Fremdling. Sie erreichte, daß ihr der Gefangene zur Pflege übergeben wurde.
Zwei Monate später war Kapitän Smith entflohen. Er lebte von da an in der englischen Ansiedlung Jamestone. Als kurz darauf der Chikahominy-Stamm einen Überfall der Festung, die die Europäer angelegt hatten, planten, siegte wieder die Liebe in der Indianerin gegen die Pflicht. Sie floh aus dem Lager zu Smith und warnte ihn. Der Angriff der Rothäute wurde blutig zurückgeschlagen.
John Smith, tief in den Vorurteilen seiner Zeit befangen, konnte sich nicht dazu entschließen, seine Retterin vor aller Öffentlichkeit als seine Gattin anzuerkennen. Als Dienerin, als Sklavin lebte sie in seinem Hause, glücklich, dienen zu dürfen.
Durch eine Pulverexplosion im Munitionslager verlor Smith einen Arm und ein Auge. Er ging nach Europa zurück.
Pocahontas war von allen verlassen. Als Abtrünnige durfte sie nicht zu ihrem Stamm zurückkommen. Die weißen Ansiedler verachteten sie als Farbige.
Lord Delawares, der neue Gouverneur, nahm sich der Unglücklichen an. Er brachte sie im Hause des Verwaltungsbeamten George Kendall unter, wo sie unterrichtet wurde und zum Christentum übertrat. Man berichtete ihr, John Smith sei während der Überfahrt seinen Wunden erlegen.
Allmählich wurde die schöne Indianerin äußerlich eine Europäerin. 1613 heiratete sie Arthur Rolfe, einen Neffen Kendalls.
Als der junge Offizier nach der Heimat zurückversetzt wurde, nahm er seine Gattin mit sich.
In London, mitten in einer Menschenmenge, die die aus weiter Ferne Zugereisten umdrängten, erkannte Rolfes Frau plötzlich Kapitän Smith. Sie riß sich von ihrem Gatten los, stürzte auf den Totgeglaubten zu und rief voll Schmerz: »John! Warum hat man mich belogen! Ich liebe nur dich, John! Ich gehöre dir!«
Umsonst versuchte man der Blume der Wildnis europäische Rechts- und Ehebegriffe klar zu machen. Die Wildheit der sturmdurchtosten heimischen Steppen war in ihrer Seele erwacht.
Als auch der treulose Smith, der das Gerücht von seinem Tode absichtlich hatte aussprengen lassen, ihr klar zu machen suchte, daß sie bei dem ihr angetrauten Manne bleiben müsse, brach ihr Herz.
Kaum dreiundzwanzigjährig starb die Indianerin an gebrochenem Herzen, das Opfer einer für uns Europäer kaum begreiflichen Treue.
Noch einmal richtete sie sich auf, ihre Lippen summten den uralten heiligen Sang des roten Volkes. Ihre letzten Liebesworte galten dem Manne, dem sie als halbes Kind Treue gelobt, und der sie verraten hatte.
So starb Pocahontas, die Prärieblume aus dem Stamme der stolzen Chikahoniny, die Tochter des Häuptlings Powhatan, nach dem seltsamen Wiedersehen mit dem Geliebten.
Eine Hörige?
Die Psychologen würden eine wissenschaftliche Formel für diese Liebe finden. Sie war menschlich. Wenn Treue Hörigkeit ist, so war diese Frau hörig. Aber es ist ein Unterschied zwischen Hörigkeit und Treue, und die Prärieblume bietet ein Beispiel, diesen Unterschied zu erklären: Hörigkeit ist Sexualwahn. Treue ist der Schatten einer Liebe, für die es nie eine Erklärung geben wird, denn sie ist nicht von dieser Welt. Trotz Darwin, Schopenhauer und Weininger.
Glauben wir daran. Sonst wäre die Sittengeschichte der Erotomanie eine Bibel des Satans.