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Gelegenheitsdichtungen


Gelegenheitsdichtungen

Prolog

zur Eröffnung des Deutschen Theaters in Berlin 1894

In das alte Haus berufen,
tret' ich vor, ein Alt- und Neuer.
Über neugefügte Stufen
tragen wir das alte Feuer.

In der Wunderflamme Schimmer
schließen wir den neuen Reihen,
streben vorwärts, aufwärts immer,
wie im Alten so im Neuen.

Aber weil wir uns bemühen,
müßt ihr vieles uns vergeben:
Hände sind, die erdwärts ziehen,
Hände, die uns aufwärts heben.

Und in langem Widerstreiten
vorwärts, rückwärts hingenommen,
können wir, wohin wir schreiten,
nur in Kämpfen zielwärts kommen.

Auch der nie geworfne Ritter
darf zuzeiten unterliegen,
Schild geborsten, Speer in Splitter!
Aber endlich wird er siegen.

Und so wie es einst den Alten
doch gelang in diesem Hause,
wollen wir die Fahne halten
ob der Straße Marktgebrause.

Reine Stimmen junger Kehlen
haben wir uns auch geworben,
und so wird es uns nicht fehlen,
denn die Kunst ist nicht gestorben.

Muß der Baum mit neuen Blättern
immer wieder sich entfalten,
wird trotz Sturm und Winterwettern
auch die Kunst uns nicht veralten.

Wenn es draußen tost und brandet,
sei es hier im Innern leise,
jeder finde sich gelandet
von der eignen Lebensreise.

Gleich dem Gotte mög' er sitzen
ungeängstet vom Geschicke
– unter ihm der Wolken Blitzen –
auf der Regenbogenbrücke.

Aus dem reingeklärten Blauen
neig' er furchtlos sich hernieder,
sich verlierend ganz im Schauen;
reicher findet er sich wieder.

Doch die Zartesten von allen
werden Bestes nicht genießen:
Schwindel darf uns nicht befallen,
wenn die Tiefen sich erschließen.

Alles müssen wir erfassen:
so das Schöne wie das Rohe,
das Gemeine und das Hohe
mit dem Künstler gelten lassen.

Und durchschmerzt es uns die Kehle
wie von wehem Tiefbegreifen,
werden sich von unsrer Seele
neunundneunzig Hüllen streifen.

Kaufmann, Arbeitsmann und Kaiser,
Christ und Jude, hingerissen,
werden, billiger und weiser,
Menschen sich erkennen müssen.

Ja, ich sehe solchen Räumen
manches herrlich vorbehalten;
Weise sinnen, Dichter träumen,
vieles will sich umgestalten.

Kirchen, Dome, Kathedralen
werden einstmals winzig scheinen
vor den Kuppeln jener Hallen,
drin sich Mensch und Menschen einen.

 

Prolog

zur Schillerfeier am 22. März 1905 in Wien

Klar, in dem bleichen Schein der Mitternacht,
erstrahlen weiße Gipfel: weit hinein
ins Land und weit hinaus und – weit hinauf.

Und aus der dunklen Reinheit niederwärts
quellen die goldnen Brunnen uns: die Sterne!
Kommt, die ihr nach dem Trunke durstig seid
und nach der Berge mitternächtigem Glanz!

Erhebt die Herzen zum Heroendienst,
so wird der Heros euer Herz erheben,
der uns vom Himmel als ein Sternbild grüßt:
Uns! uns! »Denn er war unser!«

So sprach ein Freund, ein Stadtgenosse sprach
dereinst dies Wort. Der milde Seelenlaut,
aus seines Schöpfers Mund hervorgegangen,
ist nicht mehr sein: er wuchs und schwoll zum Sturm,
millionenstimmig heute widerhallend
und weiterrollend in die Ewigkeit.

Ja, er war unser! Unser war er ganz!
Dem Fremden ewig fremd! Es brach sein Geist
aus Volkesgrunde, wie der Geiser springt,
voll Kraft und Schönheit in den deutschen Tag:
Naturgewaltig, quellhaft war sein Wurf
und Sprung. Gefährlich dem Philister war
das Stäuben seiner diamantnen Perlen
und ihrer scharfen Blitze harter Schmerz.

Sein Weg war Läuterung. In Platons Höhle
saß er, dem Licht des Eingangs zugekehrt,
nicht an dem Spiel der Schatten sich vergnügend
wie wir und nicht die Schattenbilder formend
in Lehm und Stein und Erz. Nein: schlackenlos,
durchsichtig vor der Sonne schwebend blieb
ihm die Gestalt und ward es mehr und mehr ...
ward mehr und mehr vom ewigen Licht durchschlagen.

Ja, er war unser! Unser war er ganz!
Dem Fremden ewig fremd! Sofern ihr Ohren
zu hören habt und jenen Stimmen lauscht,
die das Heroon nun durchbrausen sollen:
im mächtigen Schwingen der Begeisterung
mit allem Großen fühlt ihr ihn verschwistert.
Sein Tiefstes ist Musik, und ihre Meister
durchdrangen sich mit seinem tiefsten Geist.

Tretet herbei, ihr, die ihr kamt! und ihr,
in Scharen harrend auf den Opferrauch,
der frisch dem neuen Altar soll entsteigen:
ihr alle, die des Tempels Raum nicht faßt.
Auch ihr, die, abseits stehend, vorwurfsvoll
des erdgeborenen Bildners Hand bemängeln,
dankt ihm und preist ihn! Ist doch eure Brust
entzündet an dem Brande seiner Fackel,
sofern ihr Deutsche seid und je ein Glanz
mit Götterklarheit hymnisch euch durchdrang.

Auf zu des Lichtes fernen Paradiesen strebt
die Heerschar der Erkornen: fügt euch ein!
In die Gewalt des Fluges eingeschlossen,
im heiligen Wirbel dieser mächtigen Bahn
vergeßt, was irdisch ist an ihm – und euch!

Hört, wie die Berge und Gestirne singen!

 

Prolog

zu der Wohltätigkeitsveranstaltung für die Kriegsblindenstiftung am 26. November 1915

Euch, denen strenger Dienst des Vaterlandes
– des Vaterlandes dreimal heiliger Dienst! –
das Licht der Augen nahm, gilt diese Stunde:
Euer gedenken wir, euch bringen wir
die schwache Wohltat, die nicht heilt, nur lindert.
Wir, von des Staates erstem Diener an,
die alle in dem gleichen strengen Dienst
des Vaterlandes frei gebunden sind,
bereit, wie ihr, uns selber hinzugeben.

Entweihend wäre Mitleid, wäre Dank!
Wer, unter Menschen, wollte sagen, er
habe empfangen, was ihr hingeopfert?
So übermenschlich stark ist niemand, den
dergleichen Gabe nicht zermalmen müßte.
Und wer ist groß genug, dafür zu danken,
was hingegeben und genommen ward
in Gott für Gott und vor dem höchsten Richter?

Blindheit, die große Blindheit, die von Gott ist,
liegt auf uns. Keines Menschenauges Blick
durchbricht sie. Tastend untersuchen wir
das Schloß der Tür, die undurchdringlich ist,
und zahllos an der dichtverschlossenen Pforte
sind Tastende und Suchende gestaut:
wir, Gottes blinde Völker! – Dennoch preise ich
das Menschenauge und die Welt des Lichts,
die irdische, die Gott auf ihm errichtet
und die ihr, treue Kinder unserer Mutter,
im Schicksalssturme heißer Liebe hingabt.
Damit Germaniens blaues Auge weit
hinstrahle durch die Welt, mit Adlerblick
voraus der stets bereiten Schwinge eile,
gabt ihr das Licht des Auges klaglos preis!
Damit das Licht sich auf Germaniens Schulter
in hoher Luft mit goldnen Säulen stütze,
betratet ihr das Reich der Finsternis!
Damit das Gestern mit dem Morgen sich,
sich mit dem andern Erdentag vermähle,
gabt ihr des alten Tages Glanz dahin!

Ich sehe euch zum Siegesfeste nahn
in langem Zug, ihr Blinden ... Ach, es pilgern
Märtyrerscharen vor und hinter euch,
und mehr noch pilgern mit euch, ungesehen!
Der Tag umflutet euch, stumm schreitet ihr
indes durch feierliche Nacht, das Haupt
zurückgebogen wie im höchsten Anschaun,
die Sonne, die uns glühet, hoch in Händen.
O Sonne, Sonne, Augenschmerz durchbrennt
den, der dich festen Auges wahrhaft anblickt.

Wenn die Fanfare klingt, wenn von den Türmen
die Glocken Frieden rauschen übers Land
und durch das Schnauben königlicher Rosse
die erste Sichel aufblitzt, die ein Krieger
sich wieder eingetauscht hat für sein Schwert –
dann sorge jeder, der noch Augen hat,
daß er ihr Licht in jene Kammern trage,
die sich dem Sonnenstrahle nicht mehr auftun.
Und Sonnenwärme trage er hinein
aus vollen Händen – und aus voller Seele
geloben wir: Ja, ja, so soll es sein!

 

Zwei Weiheverse

zur Grundsteinlegung für das neue Urania-Haus in Prag
am 18. Oktober 1932

I

Ich schlage dich, Stein:
und wie du klingst,
ist's, als ob du zum Himmel dich schwingst
und Segen von dort herniederbringst!
Wir mauern dich ein:
Grund- und Eckstein sollst du sein,
guter Geister Hort und Schrein!
Mit ihnen sollst du alles durchdringen:
des zum Zeichen laß ich dich nochmals erklingen!

II

Kraft, gefesselt in diesem Block,
tu deine Pflicht:
trage den geistigen Bienenstock,
halt ihn im Licht!
Jahrhunderte möge er summen und brummen,
Honig sammeln und spenden, nie verstummen!

 

An Detlev von Liliencron

zu seinem sechzigsten Geburtstage

Du hast mir den Becher oft gefüllt,
und ich habe Gesundheit und Freude gesogen,
aber mein Durst ist nie gestillt:
Bleibe, Winzer, uns weiter gewogen!

Und dir bleibe Dionysos hold,
Göttlicher! Guter! und segne die Reben,
daß sie auch ferner ihr lauterstes Gold
seinem lautersten Sohne geben.

Lugano, April 1904

 

Meinem lieben, verehrten Freunde Max Pinkus

diesen Gruß zum siebzigsten Geburtstage

Siebzig Jahre: wie unendlich
sind sie hinter uns geweitet!
Welt und Leben liegt in ihnen,
Gott und Teufel, All und Nichts.
Nun, wir treten hin zu einem,
der im Raume seiner Jahre
viel geborgen, viel erfahren
und im Boden, den er baute,
selber tief verwurzelt steht –
Boden Schlesiens, wie keiner
rings im weiten deutschen Reiche
blutgedüngt und sorgenträchtig,
geistesdumpf, in Dumpfheit fruchtbar,
Blumen treibend, Buschwerk, Bäume,
wunderlichsten Geisterwald.
Ja, so ist es. Und höchst seltsam
ist das Licht, in dem die Waldung
steht, die Luft, in der sie atmet,
das Getier, das sie bewohnt.
Stockend, dumpf und darum fruchtbar
ist der Wald, und Zauberschwüle
füllt sein Innres nächtlich an.
Sind's die Wälder der Magnaten,
die ich meine? Ganz gewiß nicht!
Diese sind umhegt von Gittern
und Verboten. Auch die unsren
sind erhabne Majorate,
die den Zutritt jedem wehren,
welchen nicht der Geist gezeichnet.
Ja, in dieses Purgatorio
dringet nur der Auserwählte,
der am Jenseitshauch nicht stirbt.
In dem Haus des Jubilares
gibt es eine Tempelzelle,
die den Zugang uns eröffnet
in die reiche Dämmerwelt,
das Gebiet von Schlesiens Seele,
wo sie unter eigner Sonne
mystisch nebelt, grundhaft schwebt.
An den Magus dieser Zelle
und der Welt des Geisterechos
send' ich diese Schlesierworte,
glücklich, daß die Sonne aller,
trotz der andern in der Tiefe,
ihm, wie mir, noch immer scheint.

Agnetendorf, November 1927.

 

Zum siebzigsten Geburtstag von Baron Christian Ehrenfels

20. Juni 1929

Hat die Zukunft uns gelogen?
ihre Gärten, ihre Wiesen,
die uns mächtig angezogen?

Freilich, aus den Paradiesen,
die sie einstens uns gespiegelt,
hat sie grausam uns verwiesen.

Was sie doch uns aufgeriegelt,
ließ uns leider unsres Ringens
Gottestestament versiegelt:

schwerste Wege des Durchdringens
auf den Feldern blut'ger Kämpfe
zwangen uns in des Vollbringens

schwere Fron und bittre Kämpfe.
Nun, wir leben! uns umfluten
Frühlingshauch und Abgrundsdämpfe.

Bestes sahen wir verbluten:
doch trotz allem, was gestorben,
lebt die Hoffnung in den Guten,

die um Höchstes stets geworben.

 

Oskar Loerke zum 13. März 1934

Freund, der du Freund den Besten bist gewesen
und bist, die lebten und die heute leben,
du hast dich ganz und reich an sie gegeben:
ihr Wesen wardst du, so wie sie dein Wesen.

Mag nun dein Geist in Bachscher Fuge beben,
mag er des Kunstverwandten Herz durchdringen –
trotzdem, er kommt und geht auf eignen Schwingen,
die leicht zu eignen Himmeln ihn entheben:

so hör' ich heut die Neun im Reigen singen
und ihren Liebling tiefen Klangs verehren!
Und neue Gaben, Bester, dir zu bringen,

versprechen sie, von ihrem Gott, dem hehren,
der von Parnassos' Höhen niederglänzet,
wo ihm dein Opfer raucht auf den Altären:

Tritt unter sie, o Freund, und sei bekränzet!

 

Gratulation

Dem Schönen geboren,
dem Großen verschworen:
wer diesen Spruch sich auserkoren
und ihn gelebet sechzig Jahr,
der ist ein glücklicher Jubilar.

1938.

 

Björnstjerne Björnson

Ein Morgen, scharf und rein die kalte Luft.
Das Weiß des Schwans beschämend und die Brüste
von Schildjungfrauen, liegt die Nordlandsflucht
der Riesengipfel meiner Heimat. Fern
zu höh'ren Nordlandsbreiten schweifend, fliegt
mein morgenfrischer Geist und trinkt das Licht,
das stahlige, der Berge. Sei gegrüßt,
du Toter! Sei gegrüßt, du großer Toter!
Björnstjerne Björnson, Toter, sei gegrüßt!

Ihr weißen Schneegebirge, überströmt
vom Glanz des tageflutenden Gestirns,
gleicht einem Sarkophag aus Silber! Nein,
Gräbern von Hünen gleicht ihr, überdeckt
vom kalten, makellosen Hermelin
der Gottheit: Firnschnee, der Verwesung Feind!
Und hier, du Hüne, will ich dich bestatten.

Um einen solchen Toten sollst du ringen
wie um Patroklos: Deutschland, du Achill
im Schlaf! Ein solches Grab, von dir erkämpft,
ist ewiges Feuer, heiliges Feuer, ist
ein weißer Gottesbrand des Geistes, wo
ein Volk verloschne Fackeln zünden kann!

Doch ist dies weiße Riesengrab nicht dein,
nur mein! Wenn Deutschlands Männer sterben,
so schläft das Volk: an seinem Bette stehn
die schwarzen Magier mit dem Opiat,
und klanglos wird der deutsche Held vergraben –
es sei denn, daß des Kaisers Rock ihn schmückt,
dann lösen sie Kanonen! aber, ach,
es gilt dem Manne nicht, es gilt dem Rock!
Was soll der Rock? Laßt uns den Mann betrauern!

Ein solcher Mann! Steigt auf die Hügel, ihr
Mehrer des Reichs im Arbeitskittel! Alle
ihr armen Reichen aus den goldnen Zwingern
und Höhlen! kriecht hervor! erhebt euch! ruft
mit lautem Ruf nach einem solchen Mann!
auf daß er lebe so wie der, der starb,
und daß sein Volk, sein König ihn verdiene.

Agnetendorf, Anfang Mai 1910.

 

In memoriam August Gaul

Reich war dein Leben. Deiner Seele Fülle
fand Maß, Gesetz und Pfad auf eigner Spur,
du formtest, in des edlen Tieres Hülle,
die große, ewige, göttliche Natur.

Der du verschwunden nun aus unsrer Mitte,
wir sahn dich wandeln, ernster Meister du,
auf deinem stillen Weg mit ruhigem Schritte
dem unverrückbar festen Ziele zu.

Geliebt und feindlos, lebtest du in Frieden
mit Welt und Menschen, gut, bescheiden, mild;
den Freunden bleibt, von denen du geschieden,
in deinem Lächeln deines Wesens Bild.

Doch unter dieses Mantels weichen Falten
glänzt eine Rüstung: stählern harte Kraft
des Willens Ingrimm und der kalten
Erkenntnis hohe, finstre Leidenschaft,
und unter der bescheidenen Gebärde
der Stolz der Großen eines dieser Erde!

1921.

 

Dank für einen goldnen Kranz

An Frau Andy

Von den Schultern wie ein reicher Mantel
fällt das Gestern, eine schwere Hülle:
und schon haben unsichtbare Hände
ihn entführt: wohin? wer mag es wissen.
Bin ich jemals unter ihm geschritten?
Oder war er nur ein Stück von jenen
Dingen aus dem Vorratshaus des Traumes,
welche Tag und Nacht der Seele Spiel sind?
Nein, ich habe dieses Kleid getragen,
werte Hände haben es gewoben,
liebe legten es um meine Schultern,
um die Stirne mir ein goldnes Leuchten.
Und dies Leuchten, hat sich's nicht verdichtet?
Liegt es nicht vor mir, ein Stück des Kranzes,
golden-dauernd, im Jahrtausendalter,
welcher beßre Häupter einst geschmückt hat?
Menschen? Götter? oder solche Geister,
welche höher sind als Mensch und Gottheit?
Sieh, da rührt den Schmuck ein zarter Finger
eines schönen Knaben, der nicht altert.
Und er spreizt die Blättlein auseinander,
die er kennt, seit sie der Goldschmied prägte.
Er enthüllt die Sphinx, die goldbeflügelt
Meisterhand darunter eingebildet.
Und sie blickt ihn an – der Knabe lächelt,
schaut zu mir herüber, denn er kennt mich
wie mein zweites Ich – und lächelt weiter.
Gold bedeutet Sonne, spricht er wortlos.
Und die Sphinx, die in der Sonne ruhet,
sie erschließt dem Sterblichen das Höchste
und verbirgt es ihm zu seinem Glücke.

1932.

 

Dem kleinen Fräulein zum Andenken

das mir Genesungswünsche schickte

Gutes wünscht dem Unbekannten
eine kleine Unbekannte.
Dankbar grüßt der Unbekannte
diese junge Ungenannte!

Und sie sprach: »Wie sich's gestaltet,
kleines Leid ist dir gegeben!
Sieh: hier ist noch junges Leben,
allverjüngend, nie veraltet!«

Ja, der Hauch aus Jugendmunde
formt so wunderkräftige Sprüche,
trägt das ewig Jugendliche
bis ins Mark der trübsten Stunde.

Lugano, 19. April 1904.

Gudrun

Ariel, nun geh und trage,
was ich dir ins Herze gebe,
einer Schönsten meine Sage:
fern nach West und Süd entschwebe,
still bewahrend meine Rune
für das Königskind Gudrune.
Triffst du sie, wie sie zum Bilde
einem Meister sich gewähret,
sag, ich segne seine Gilde,
der so hohes Glück bescheret:
und dann musiziere leise
aus der Englein Notenbuche,
schlinge in die Wunderweise
eine Mär von einem Tuche.
Ihr am Ohr, ein leises Fächeln,
raune viele süße Fragen:
und, was gilt's, du wirst ein Lächeln
mir zurück ins Herze tragen.

Agnetendorf, Juni 1939.

 

Liebste Freundin im Bardo

Liebste Freundin im Bardo,
laß dich keineswegs erschrecken!
Wenn dich Visionen necken,
spotte ihrer frisch und froh!

Hörst du meine Stimme flüstern,
denke eines, der dich sah,
lebenslang und immer nah,
und auch jetzt dich sieht im Düstern.

Möge dich des Urlichts Fülle
lösen aus der letzten Hülle!
Und du bist mir näher jetzt,
Freundin, ins Bardo versetzt,
fast schon ohne Schranke, bist
jene, die noch um mich ist.

Rapallo, 15. Februar 1937.

 

An Agnes Sorma

Märchen kam und krönte mich
mit dem Lorbeerkranze,
und wir beide, es und ich,
standen da im Glanze.
Hier und dort und dort und hier,
Dichterin und Dichter,
fiel ein Schein auf dich von mir,
glänztest du mir lichter.

1897.

 

An Hermann Müller

Du hast, ein Seltener, Seltenes getan,
Gott grüß dich, lieber Märchenmann!
Es ruht noch manche Rätselkunde
in deinem tiefen Brunnengrunde.
Du wirst ins Eintagserdenleben
noch manche ewige Wunder heben.

1897.

 

An Else Lehmann

Ich hab' es erdacht, du hast es gemacht,
wir waren Genossen in mancher Schlacht.

1903.

 

An Ida Orloff

Du weißt, wer ich bin,
du weißt, wer du bist
im Märchen, das nicht mehr zu tilgen ist.

1906.

 

Sven Scholander

Wenn Sven Scholander die Saiten rührt,
so wird der Muse Hauch verspürt.
Und wenn ihm das Lied auf die Lippe tritt,
so hört man der Muse lachenden Schritt:
Sie tanzt sein Lied, er singt ihren Tanz.
Er küßt ihr den Busen, sie reicht ihm den Kranz.

 

Einer Pianistin ins Stammbuch

Wohllautzauber, perlend und frisch,
läßt du springen und steigen.
Kann der dankbarste Tintenfisch
nur drin schwimmen und schweigen.

27. September 1903.

 

An Lucy Campbell

Im göttlichsten Quartett hast du gesessen;
ich habe dich gehört und deine Saiten
in stiller, klarer Kraft und Reinheit weiten
den Erdenraum, sonor: oh, unvergessen!

Dein Cello sang mit eines Cherubs Tönen,
bestimmt und doch von Jugend ganz erfüllet.
Du hast des Meisters Wünschen ganz gestillet
im Tönereich, wo alle sich versöhnen.

2. März 1942.

 

Einem Freunde ins Gästebuch

Du bist ein Gast auf dieser Welt,
dein Haus ist ein Nomadenzelt.
Du öffnest denen, die wie du
hier fremde Gäste sind und wandern
und Frieden bieten: nicht den andern –
den bösen Geistern bleibt es zu.
Ihr teilet Brot und Trunk und Rast
auf eurem rätselvollen Zuge:
und Weltengast und Weltengast
vereint das Mahl, der Wein im Kruge.
Schicksalsgenossen, so verbunden,
genießet die erlösten Stunden!

Weihnachten 1933.

 

Widmung

in das »Buch der Leidenschaft« für Frau Alban Berg

Ein Vogel und eine Glocke,
die singen durcheinand,
an einem Rosenstocke
zupft eine weiße Hand.
Es tut eine Stimme schweigen
in Erz- und Vogelsang.
Mir ist so seltsam eigen,
weil sie mir dennoch klang.

Januar 1930.

 

Widmung

in »Spitzhacke« für Gräfin Gravina

Mensch und Buch bewohnen
die Dämonen.
Fest sie anzupacken,
die so gerne zwicken, zwacken,
wird der Mühe lohnen.
Mehr noch: sperrt sie ein,
bis sie lernen folgsam sein!

21. Januar 1931.

 

Vorspruch zu Gedichten

Nicht gesucht und nicht gewollt,
wie die Blüte quillt am Baume:
nieder fällt sie wie im Traume,
fruchtlos in des Maien Gold.

 

Mit einer Sendung Zigaretten

Opfer der Liebe sollt ihr mir ziehn,
an ihrem Munde dürft ihr verglühn.
Selig vor allen werdet ihr sein,
Liebe entzündet euch, äschert euch ein.

 

Einem Jüngling ins Stammbuch

Du bist ein junger Erdenfahrer,
so werde ein Gottessiegel-Bewahrer.
Die goldene Sonne auf grünem Steine,
das ist das Siegelein, das ich meine.
Sollst es in jedes Wächslein drücken
und dich und andre mit Sonnen schmücken.

1895.

 

Hans Korbel in ein leeres Manuskriptbüchlein

Mag die Laute weiterklingen,
dir zur Seite!
Schreite, schreite
immer rüstig fort mit Singen.
Besser dir erschließen
werden sich des Himmels Wege
überm ird'schen Stege.
Magst du dich ergießen
wie die Lerche, wie die Quelle
und dich schaukeln auf der Jugend Welle.

1934.

 

Meinem kleinen Enkel Arne ins Merkbuch

Das Licht lehrte mich stehen,
das Licht lehrte mich gehen,
es lehrte mich denken,
es lehrte mich lenken:
und alles, was der Nacht gebricht,
lehrt uns das Licht.

Hiddensee, 28. August 1940.

 

Meinem hochverehrten Nachbarn auf dem Parnass Eugen D'Albert

Daß der Meister fernblieb, war uns schmerzlich!
Wenn ich's rügte – heut bedaur' ich's herzlich.
Denn gehört es nicht zu unsern Pflichten,
Werk um Werk still-tätig aufzurichten?
Kann es irgend etwas geben,
als dem Werk und nur dem Werk zu leben?
Nein! Und hab' ich gestern es vergessen,
drückt das heute mich mit Zentnerlasten!
Vierzehn volle Tage will ich fasten
und dann fragen: Darf ich wieder essen?

Rapallo, 27. März 1927.

 

Für die Scheffelherberge zur Krone am Hohentwiel

Kehr' ich im Bilde bei euch ein,
lieber tät' ich's in Fleisch und Bein.
Bilder vertragen keinen Wein,
schweigen und können nicht fröhlich sein.
Darum bin ich in einer Nacht
unter euch zum Leben erwacht,
steige hernieder von der Wand
und nehme das Weinglas in die Hand:
schenkt mir, Hohentwieler, aus eurem Krug!
Guten Wein ja habt ihr genug.

November 1929.

 

Für das Erinnerungsbuch der »Heimatspiele der Porta Westfalica«

Ewige Kräfte, hier und dort,
Strom, Gestein und Dichterwort:
wirke alles fort und fort
als der Heimatliebe Hort,
eng vereint und nie getrennt!
daß der Mythos sei und lebe
und der heil'gen Pforte gebe
ihres Wesens Element.

Bad Eilsen, 2. Juni 1932.

 

Dank für die Glückwünsche zum fünfundsiebzigsten Geburtstag

Krönt als letzte meiner Pflichten
Dank mein Denken und mein Dichten:
wie denn sollt' ich mich beklagen? –
Köstlich ist es, Dank zu sagen
mit des Alters ernstem Munde,
es verklärt die letzte Stunde.

November 1937.


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