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Der Mönch

Es lebt ein Mönch hierherum, liebe Frau:
habt Ihr den Mönch gesehen?
»Nein.«
Und doch wohnt Ihr so nah
dem verfallenen Turme, aus Efeu gebaut,
wie es scheint,
eng benachbart den Trümmerresten
jener längst verlassenen Kirche,
drin des Mesners Glöckchen verstummte
in den Tagen des großen Korsen,
um sich nie mehr zu regen seitdem.
Wißt Ihr nicht, meine gute Frau, daß der Mönch
diese leere Ruine wie eine Mutter liebt?
Mehr, weit mehr:
ist ihm doch dies Gemäuer,
schwarz umlaubt,
weniger nicht als das Himmelsgehäuse
seiner schon im Warten und Harren erlöseten Seele.

»Und was wäre denn dies für ein Mönch?«
spricht das Weib, das die Klöppel
klappernd regt
und zur spinnwebduftigen Spitze die Fäden verknüpft.
Neben ihr,
unterm schleifenden Euter der blökenden Ziege,
milkt Adriana den Strahl sich ins offene Mäulchen.
Adriana heißt sie,
vielleicht auch Palmyra.

»Nein, ich weiß nichts davon,
nichts von Mönchen und Pfaffen«, so spricht sie,
»nichts vom Kleide des Himmels,
auch warte ich nicht auf das Jenseit.
Unverständliches sprecht Ihr, mein Herr,
und wie soll man es deuten?«

Hat die Wohltat des Mönchs
Euch nicht die Steine geschenkt,
draus Ihr die Höhlung gehäuft
für den beizenden Rauch Eures Herdes?
»Nutzt das heilige Gemäuer für Euch«,
also hört' ich ihn sprechen.
»Übrig bleibt noch genug von den seligen Trümmern.«
Nahm er nicht eine Schieferplatte, der Mönch, und vertraute
Sieverinas Gestalt ihr an
mit der Last auf dem Haupte,
oder wie sie gestreckten Armes, auf Zehen erhoben,
goldne Früchte, wie Kugeln so rund, aus den Wipfeln hervorzieht?

»Ja, ein Maler war hier,
doch wüßt' ich nicht, daß es ein Mönch war.«
Ja, es gibt einen Mönch,
den dies alte Gemäuer nicht losläßt,
ob Ihr gleich ihn niemals gesehn, und sähe ihn niemand.
Niemals war ein Mesner so treu, nie ein Kirchner noch Glöckner
so verwachsen mit Glocke und Kirche, als er es, der Mönch, ist
mit dem Kampanile im lieblichsten Tale,
des Vergessens,
dem zerborstenen Turme des Schweigens,
der doch unzählige Glocken
heimlich rührt:
betäubende Nahrung der Seele.

Karlsbad, 6. Oktober 1932.


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