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Konrad Hauptmann spricht

Es war Sturm diese Nacht.
Und als ich erwacht,
lag ich und lauschte dem Schwall
der Lüfte und ihrem Schall.
Ein rötlicher Schimmer war
in mir wie von rotem Haar.
Wo sah ich doch eine solche Flamme,
ein solches Rot?
Bei ihm, von dem ich stamme.
Er ist tot.
Als Knabe noch sah ich einen Sarg,
der ihn barg.
Aber vorher
stand er vor mir.
Ich fürchtete seine Stimme sehr,
und wir,
wir Kinder allesamt.
Auf seiner breiten und weiten hohen Stirn
hat es drohend geflammt.
Sein Auge war kalt und hell
wie Firn,
seine breite und hohe Stirn
legte zornige Falten,
die oft mir galten.
Er hat meinen Namen genannt,
doch ich habe ihn nicht gekannt.
Nicht gekannt, obgleich ich ihn sah.
Er war da und nicht da.
Heut bin ich alt,
verhöre den Wind,
der sich in meine Fenster krallt.
Bald wild, bald lind,
hat er mich lebenslang umschlossen,
aus dunklen, aus hellen Himmeln ergossen.
Aber ich lausche noch mehr in mich,
in die Nacht meines träumenden Lebens,
die soeben dem Tage wich.
Vater, ich suchte dich immer vergebens,
einst im Leben und heut im Tod,
deines Herzens Wort, deines Herzens Not.
Aber auch das nicht such' ich so sehr
als andres: Vater, ich suche mehr!
Was du warst, eh du warst, darauf bin ich aus,
und was du bist, da du nicht mehr bist.
Vater, tritt ein in mein leeres Haus,
das heute so meines wie deines ist.
Nirgend, suchst du auch her und hin,
wirst du ein gleiches Willkommen finden.
Willkommen dem darbenden Kindersinn!
Ich möchte dich halten, ich möchte dich binden
an meines Herdes bescheidene Glut,
in Schalen will ich dir opfern Blut.
Möchte dein Schatten sich letzen an meinem,
wie ich mein Leben lebe von deinem. –
Plötzlich ist mir, ich sei ertaubt.
Des Traumes Abgrund schließt sich auf,
durch Straßen und Gassen geht mein Lauf.
Da kommt mir ein rot umlohtes Haupt
entgegen, auf breiten Schultern erhoben.
Es blickt auf mich nieder von hoch oben,
es faßt mich ins Auge fremd und kalt.
Ich kenne des Vaters Gesicht und Gestalt,
er aber nicht mich. Kein Gruß, kein Erkennen,
kein noch so kleines Erinnrungsentbrennen.
Vorbei, dahin! Und doch ist er da,
überall fern und überall nah.
Einsam schreite ich über Feld,
nichts weit und breit. Da kommt er gegangen,
aber in einer fremden Welt,
der meinen fern und nicht zu erlangen.
Und doch schein' ich ihn irgendwie zu binden,
denn bald darauf ist er wieder zu finden:
unter Menschen in einem Saal
verzehrt er wie ich sein einsames Mahl.
Er weiß nichts von mir, das ist gewiß,
doch er lebt in meiner Finsternis,
besucht sie oft auf gleiche Weise
zur Rast auf einer unendlichen Reise.
Ich habe dich als Kind gehaßt,
ich ächzte unter deiner Hand,
nun aber aus einem fremden Land,
als fremder Gast,
muß ich dir immer wieder begegnen.
Du kennst mich nicht, und ich muß dich segnen.
Ich ringe, sooft du vorübergehst,
mit Worten nach dir, die du nicht verstehst.


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