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Pima grüßt zum Geburtstag 15. November 1936

Still erwach' ich dem sonnigen Tag.
Himmlisch leuchtet das südliche Meer.
Plötzlich trifft mein Besinnen auf dich,
ferner Freund.

Vor Jahren – wie vielen, sag' ich nicht –,
am gleichen Tage des Jahres,
hast du zum erstenmal
Licht und Luft dieser Erde getrunken.
Ins Mysterium allen Erwachens
tief versenkt,
sucht meine Seele dich auf,
dich zu grüßen im fernen Nord.
Horch!
Die Schelle am Tor,
schüchtern bewegt!
Hinterm gewaltigen Gitter von Eisen
harrt eine Greisin.
Leise zittert die weiße Hand,
beben die Flügel des bleichen Näschens.
Wandelst du nacht durch den seligen Morgen,
Mütterchen,
befangen im Traume des Alters?
Nein,
denn dein bläuliches Auge strahlt
meerhaft.
Oh, und wie schön du bist,
Altchen, im Silberseidengespinst des Scheitels!
Komm,
komm herein in den Garten,
wo Kaktus, Palme und Rose steht,
gleichsam als Wächter zahlloser Blumen,
jedes Blütchen ein Fest!
Komm herein, komm zu mir, sei mein Gast!
Sieh, eine einsame Frau wie du,
feir' ich das Wiegenfest
eines fernen Freundes.
Ich will dir wohltun,
ihn zu ehren und mich.

Da saß sie nun,
in sich gesunken, doch hellen Geistes.
Schmetterlinge umgaukelten sie,
eine Marmorsäule der Loggia warf
über sie ihren Schatten.
Wer bist du?
Sendete dich ein Gott, den Tag mir zu heiligen?
Welchen Auftrag führst du im Schild?
Denn eine Bettlerin unter Bettlern
bist du nicht.

Mütterchen!
Ruh dich aus!
Hast am Ende, so kommt mir vor,
diese Nacht nicht geschlafen? –
Leise lächelnd bestätigte sie's
durch Bewegen des Kopfes.

Wie?
Du wärest wohl gar gewandert die Nacht durch?
Und doch haben Gewitter getobt
auf dem Passo di Bracco?

Und ich ging,
eine nahrhafte Suppe
dem Weiblein zu kochen,
eigenhändig am Herd.

Und sie löffelt.
Verspätete Hummeln
kriechen täppisch brumselnd am Rande des Tellers.
Sie achtet es nicht,
sie schweigt, sie ißt.
Perlen fiebrigen Schweißes treten
auf ihre Stirn.
Und ich,
ich schaue ihr zu.
Tief bewegt erwart' ich ihr Gastgeschenk.

Pontremati ist ihr Geburtsort.
Von vierzehntausend Bewohnern nahm die Pest
zwölftausend hinweg,
darunter den Vater.

Vierzehn Jahr war sie alt,
als ihr die Mutter, die Witwe, den Mann gab.
Drei Knaben hatte sie ihm geboren,
kaum zwanzig geworden,
als er starb.
Sie blieb ihm treu,
blieb ledig, erzog ihre Söhne.
Zu Männern geworden,
raffte der Tod sie dahin.
Soviel erfuhr ich vorerst von ihr.
O wie Schweres ist über dich doch gekommen,
mein Mütterchen!

Sie gibt mir zurück:
»Ich sehe nur ihn noch am Kreuz
und die Schmerzensmutter.
Gute, freundliche Frau,
die hier schon auf Erden
gleichsam im Garten des Paradieses wohnt!
Glaub mir,
ich bin eins mit Marien geworden!«

Und nun höre,
mein Freund in der Ferne:
da erkannt' ich, wer mich besuchte!
Es trat eine Glorie
um der zitternden Pilgerin Haupt,
die doch so stark war.
Und sie sprach:

»Nur wenn ich leide,
leide ich nicht.
Schwächeres Leiden
entfernt mich der Gottesmutter
und meinen lieben Söhnen am Kreuz,
die am Throne des Höchsten
jetzt für mich beten.«

Hat sie dies so gesprochen,
wie ich's erzähle, mein Freund?
Nein! Es war eine andere Sprache,
die der Cherubim und Seraphim vielleicht,
die nicht über die Zunge geht
oder, wenn sie es tut,
die Erde erschüttert.

Der Weg ist lang,
den die Greisin ging:
zweiundachtzig Jahre im Leben.
Sie nahm Abschied von mir;
sie geht ihn weiter.
Gerne hätt' ich die Schwester gehalten.
Auch mein Schicksal, du weißt,
ist wie ihres Marien verwandt.
Doch wie es auch sei:

nimm, Pilger, diesen Bericht als Gruß!
Pilgrime sind wir ja alle.

Ich zerbrach den Teller,
aus dem die Gottesmutter gegessen,
daß irdische Speise
ihn nicht mehr entweihe.

Das mußtest du wissen:
als Gruß zum Geburtstag.

Agnetendorf, 18. November 1936.


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