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Szenische Dichtungen


Till Eulenspiegel

Ein Wald. Planwagen mit Pferdchen. Till, siebzehnjährig, und sein alter Vater steigen heraus.

 

Der Vater

Till, Till, halt still!

Till

Wie Vater will.

Der Vater

Zieh mich hervor, hier steig' ich aus,
ich weiß gewiß, ich bin zu Haus.

Till

Hier in dem regenfeuchten Walde?

Der Vater

Ich bin zu Haus, du merkst es balde.

Till

Bleib unter deiner Plane, bleib!
Der Regen fällt in langen Strähnen.

Der Vater

Nun flenn auch du noch Abschiedstränen!
Mach hurtig, Till, und sei kein Weib!

Till

Was soll ich tun?

Der Vater

Es ist vor Wochen,
vor Jahren unter uns besprochen.
Verlier kein Wort, die Frist ist um;
noch bin ich laut, bald bin ich stumm.

Till

O Herr, ich kann Euch nicht verstehn.

Der Vater

So nimm die Hacke, nimm den Spaten!
Kannst du's nicht hören, nicht erraten,
auch ohne beides muß es gehn.
Wer gar nichts kann und nichts erreicht:
ein Grab für andre gräbt er leicht.

Till

Wieso ein Grab?

Der Vater

Mach keine Worte!
Ich sage dir, wir sind am Orte.
Ich möchte hier nicht lange frieren;
könnt' ich's, ich würde selbst mich rühren.
Komm, hüll mich in den alten Rock,
bring mich zu jenem Wurzelstock!
Dort will ich sitzen und betrachten,
wie du das Wurzelwerk durchstichst,
die schwarze, schwere Scholle brichst
und immer tiefer dringst mitsachten.

Till

Du sprichst im Fieber, Vater. Nein!

Der Vater

Das Leben mag ein Fieber sein.
Ist's so, dann ist es bald vorbei,
und ich bin endlich fieberfrei. –
Nun hurtig!

Till

Hurtig, Vater? Was?

Der Vater

Was ich dir eben sagte, das!

Till

Ich kann nicht.

Der Vater

Till, du machst mir's schwer;
weiß Gott, ich nahm dich sonst für mehr.

Till

Weil Ihr es denn nicht anders wollt.

Er beginnt ein Grab zu graben.

Der Vater

Die Erde knirscht, die Scholle rollt.
O furchtbar grausiges Entzücken,
auf diesen Spatenstich zu blicken,
der bröckelnd auseinanderweicht
und keinem anderen Staube gleicht;
ein Tritt, ein Schnitt, schon wieder schollert's,
und über Halm und Heide kollert's.
Schatzgräber Till, o halte ein,
hier blinkt's von edelstem Gestein.
Hier gilt es beide Augen schließen,
erblindend Glänzendstes genießen.
Die dritte Scholle bricht hervor,
und heiliger Donner trifft mein Ohr.
Erschrick nicht, Till, vor deiner Macht,
grab weiter, weiter deinen Schacht!

Till

Weil mir's nicht ziemt zu widersprechen.

Der Vater

Stich zu, du mußt den Star mir stechen.
Schon hebt die Schaufel goldnen Sand.
Ich wittere schon den nahen Strand,
und mich gelüstet es zu landen.
Siehst du das diamantne Riff?
Dort, dort zerschmettre ich mein Schiff!
Dort schlag' ich diese Welt zuschanden.

Till

Nun gut, es sei! Ich schaffe Rat.
Ich bin bereit, den Schatz zu heben:
doch mußt du eine Frist mir geben.

Der Vater

Till, Till, wer gibt, was er nicht hat?

Till

Mit Erde will ich meinethalben
dir deine blinden Augen salben.
Du sollst den goldnen Strand ersteigen,
den du so innig dir ersehnst
und schon so lockend nahe wähnst.
Ich will den Weg dahin dir zeigen.
Doch dazu muß ich tüchtig schwitzen.
Was willst du hier im Regen sitzen?
Komm, kriech in unser warmes Nest:
indes bereit' ich dir dein Fest.

Der Vater

Nein, niemals wieder in den Karren!
Hör, Till, du wirst mich hier verscharren,
verstehst du mich? Im Ernst gesprochen!
Der Bann des Daseins ist gebrochen.
Ich stehe wieder, wo ich stand,
eh ich die Welt im Staube fand,
und wiederum zu neuem Staube
lockt weiter mich der alte Glaube.
Begreifst du nun, wie sehr es drängt
und was am Augenblick jetzt hängt?

Till

Du magst es noch so eilig haben,
leicht ist es, sterben! – schwer, begraben.
Kannst du nicht warten, mach es ab,
ich grabe nachher dir dein Grab.

Der Vater

Nein, Till, so wirst du mich nicht los,
hier heißt es brechen oder biegen:
erst will ich auf dem Rücken liegen,
geborgen in der Mutter Schoß!
Sosehr ich in der Irre lief,
ich weiß: wovon ich ausgegangen,
dort gilt es wieder anzufangen.
Bequem gestreckt, sechs Spannen tief,
tu' ich den letzten Atemzug.
Dann ist's vollbracht, dann sei's genug.

Till

Nun, wie Ihr wollt. Auf diese Art
bleibt Pfaff' und Küster uns erspart.
Es kostet keinen Leichenschmaus.
Das Grabgeleite bleibt zu Haus.
Die Liese läutet mit der Schelle,
statt Glockenturmes Sturmgegelle,
wir sparen Nägel, Leim und Bretter
und machen keinen Schreiner fetter.
Herunter Jacke denn und Hemd,
das Eisen frisch zu Grund gestemmt:
von selbst fast Lag' um Lage weicht,
schon ist die rechte Schicht erreicht.

Der Vater

Unmöglich, Till!

Till

Ging dir's zu schnelle?

Der Vater

Wie angemessen mit der Elle.

Till

Gebt acht, daß Ihr nicht stolpert, denkt,
wie leicht man sich ein Glied verrenkt:
daß Ihr nicht noch zu guter Letzt
den Bader mir in Nahrung setzt!
Gebt mir die Hand, steigt sacht herein!

Der Vater

O Till, mein Kind, du spottest mein.

Till

Nur sachte!

Der Vater

steigt ins Grab

Welch ein großer Schritt!

Till

springt heraus

Auch der! – Lebt wohl! Ich mach' nicht mit.

Der Vater

Ih, Gott verhüt's! Wo denkst du hin?
So leicht ist hier nichts zu gewinnen.
Wer enden will, muß erst beginnen.
Werd erst, was ich geworden bin.

Till

Ich weiß mir anderes noch zu hoffen.

Der Vater

Ein Netz von Straßen steht dir offen.
Die Mähre zieht, die Achse hält,
es rollt das Rad: dein ist die Welt!

Till

Was machst du, Vater? Liegst du weich? –
Dies ist mir doch der tollste Streich
von allen, die du je vollführt.
Doch nun, der Schwank ist durchprobiert,
zum Jahrmarkt sind wir nun versehen.
Steh auf und laß uns weitergehen!

Der Vater

Ich gehe schon, ich schreite, schreite,
nach allen Seiten, fort ins Weite.
O Till, o Till, wer kann es fassen?
dies ist ein Wandern ohne Straßen.
Hier wirst du einst mir neu begegnen:
komm, guter Sohn, und laß dich segnen!

Till

Er dehnt sich, reckt sich sonderbarlich:
dies nimmt kein gutes Ende, wahrlich.
Wenn Euer Stück nicht besser endet,
so springt kein Batzen aus dem Säckel.
Und wenn das Blättlein so sich wendet,
dann fehlt zum Sarg nur noch der Deckel.
Ein junger Narr, ein alter Narr:
der eine stumm, der andre starr. –
Ist es zu fassen? Nie und nimmer!
Vater, er spaßt, er spaßt wie immer.
Sprich, mach ein Ende, gib Bescheid:
Was hüllst du dich in dieses Kleid,
in dies Kartäuserweiß des Schweigens?
Jetzt, wo mein ganzes Wesen drängt
und fragend dir am Munde hängt,
jetzt stiehlst du mir die Antwort eigens?
Willst du denn nun nicht auferstehn?
Wir haben heut noch weit zu reisen,
du weißt den Weg und mußt ihn weisen.

Ein Greis in Gestalt eines christlichen Eremiten ist aus den
Büschen hervor und an das Grab getreten.

Der Greis

ohne Bewegung

Die Sache wird so schnell nicht gehn.
Und wer auch wollte einen wecken,
der, eben noch am Wanderstecken,
kaum auf dem Pfühl sich ausgestreckt? –
Der Schlaf ist heilig, der ihn deckt.

Till

Dies klingt nicht übel, läßt sich hören.
Wo aber, sage, kommst du her?

Der Greis

Gott selbst kann solchen Schlaf nicht stören;
tut er's, so ist er selbst nicht mehr.

Till

Wie weißt du das? Sag, wer du bist!

Der Greis

Ich bin ein Muni und ein Christ,
ein Stück von dir, ein Freund, ein Schatten!

Till

Wenn wir die Freunde, die wir hatten,
vertauschen sollen mit dergleichen
Gebilden aus den Schattenreichen,
so muß ich meinen Kram verschenken
und an den nächsten Baum mich henken.
Dann ist Kommerz und Mühsal nutzlos,
und ich bin arm und nackt und schutzlos.

Der Greis

Was arm, was nackt? Till, du bist jung,
gelenk und frisch zu Wurf und Sprung,
behend dich am Trapez zu schwingen:
bist auf dem Turmseil schwindelfrei.
Du balancierst ein rohes Ei
und schluckst sechs blanke Degenklingen.
Den wilden Hengst machst du zum Lamm.
Du musizierst auf jedem Kamm.
Du bist der hübschen Kinder Lust,
dir hebt sich jede volle Brust.
Kaum halb ein Jüngling, ganz noch Knabe,
steht jede goldne Tür dir offen.
Was hast du heute nicht zu hoffen?
Greif in des Stockes vollste Wabe
und achte keiner Biene Stich!
Die Frucht, die auf dich her hängt, brich!
Dort liegt entseelt, der dir's verboten:
die Schaufel her, begrab den Toten!

Till

Die Hand ist lahm, der Spaten stumpf.
Soll ich auf diesen heiligen Rumpf,
in dieses Antlitz Erde schütten,
das, klar von einem fremden Licht,
stumm Nieerhörtes zu mir spricht?
Du hast besiegt, was du gelitten.
Es strahlt Triumph von dir empor.
Ich wußte nicht, wer du gewesen,
nun kann ich's von der Stirn dir lesen,
Erkenntnismacht bricht voll hervor:
Kein Schellennarr, ein wahrhaft Weiser,
viel mächtiger als Max, der Kaiser.

Der Greis

Heb auf die Schaufel, hurtig, Till,
gönn ihm die Erde, die er will,
von Sohneshand um ihn gehäuft,
von deiner Tränen Salz beträuft.
Die Welt bleibt deinen Sinnen helle
auch ohne diese Strahlenquelle,
die, ob du's selber auch nicht weißt,
von deines Lebens Mark sich speist.

Die letzten Worte des Greises, den ein vorüberziehender Nebel unsichtbar gemacht hat, kommen aus der Ferne.

Till

Wohlan, du Echo jenes Hauchs,
der mich von seiner Lippe rührte,
als mich des Vaters Hand noch führte,
du Stimme eines Nebelrauchs:
ich folge dir – mit Schaudern freilich! –,
denn selbst dies Echo ist mir heilig.

Er schüttet das Grab zu und wirft den Spaten weg

Vollendet ist's! Nun will ich ruhn.
Wer wird mir diesen Dienst einst tun?
Ein Mann? Ein Weib? Gekrönt? Geschoren?
Nah? Fern? Schon überhaupt geboren?
Alt oder jung zu dieser Stunde?
Till, oder gehst du vor die Hunde?
Nun, wann und wer es immer sei,
ich habe nichts zu tun dabei.


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