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17

Ein Mädchen öffnete die Tür. Er zögerte, seine Karte abzugeben. Niemand brauchte zu wissen, daß er zu ihr kam. Alle Welt würde in der Zeitung von der Ermordung Stefan Rambins gelesen haben. Er sah mehrere Mäntel und Hüte in der Diele hängen. Frau von Tweel hatte also Besuch. »Wen darf ich melden?« fragte das Mädchen noch einmal. »Gnädige Frau erwartet, mich«, sagte er. Sie verschwand und kam sofort zurück. »Frau Baronin läßt bitten.« Er legte seine Sachen ab und trat durch die geöffnete Tür.

Es war ein kleines Zimmer. Nur eine Couch und ein kleiner Schreibtisch mit Sessel standen darin. Durch einen halb zurückgeschlagenen Vorhang sah man in ein großes Musikzimmer, dessen Fenster verhängt waren. Auch aus diesem Raum blickte man durch einen halb geschlossenen Vorhang in ein anderes Zimmer. Dort saß Ursula mit ihren Gästen. Er konnte sie im Schein der Lampe deutlich erkennen. Die Stimmen der Sprechenden klangen gedämpft herüber. Neben der Stehlampe saß die massige Gestalt des Grafen Koska, der die Unterhaltung zu beherrschen schien. Einmal beugte sich der dunkle Kopf eines anderen Herrn in den Blickausschnitt. Die übrigen Gäste schienen Damen zu sein. Klaus lehnte an der dunklen Wand und sah die fernen Gestalten unter dem gelben Licht der Lampe wie auf einer Bühne. Ursula stand am Samowar und schenkte Tee ein. Sie weiß, daß ich hier bin, dachte er, und vielleicht merkt sie sogar, daß ich sie jetzt beobachte. Kühl und ruhig stand sie da. Das helle Seidenkleid floß mit mattem Schimmer an ihrer schlanken Gestalt hernieder. Sie hörte lächelnd den Worten des Grafen zu.

Dann kam sie, schloß den Vorhang hinter sich und schritt durch das dunkle Zimmer. Ihr klares, liebliches Gemmengesicht beugte sich in das Tageslicht, das vom Fenster her einbrach. Sie standen sich wortlos gegenüber und sahen sich an. Aus dem Salon kamen die Stimmen der Gäste.

»Ich habe die Briefe gebracht«, fing er an und zog das Päckchen aus der Tasche.

Sie nahm es mit ruhiger Bewegung an sich. »Ich danke Ihnen!«

»Sie haben Gäste«, sagte er. »Ich will Sie nicht aufhalten.« Dabei fiel ihm plötzlich Ellens Behauptung ein, daß Ursula in ihn verliebt wäre. Welch ein Wahnsinn! Er fühlte, wie ihre Gedanken tausend Meilen von ihm fort waren.

»Nein, nein, bleiben Sie!« bat sie und winkte ihm, Platz zu nehmen. Aber sie blieben beide stehen. »Es ist soviel geschehen inzwischen.«

Er nickte. Es war wirklich viel geschehen, seit er mit ihr in Ellen Bandlers Zimmer gesprochen hatte. Damals wußte er nicht, wie nahe sie dem Toten gekommen war, und kein Gedanke hatte ihn gestreift, daß sie selbst den Schuß abgegeben haben könnte. Aber glaubte er jetzt daran, da sie kühl und ruhig vor ihm stand? Konnte sie es gewesen sein? Er wußte es auch jetzt nicht. »Weshalb haben Sie mir nicht die Wahrheit gesagt?« fragte er plötzlich. Seine Stimme klang fast scharf. »Sie sind bei dem Toten gewesen. Sie haben ihm zwei Blumen auf die Brust gelegt, und dann haben Sie ihm die Schlüssel abgenommen.«

Sie sah ihn erstaunt an. »Woher wissen Sie das? Hat die Polizei das auch schon herausbekommen? Sie waren heute an der Stelle. Sagen Sie mir alles!«

Er berichtete ihr von dem Vormittag. Sie hing an seinen Lippen, fragte, wollte jede Einzelheit wissen.

»Ja«, sagte sie endlich, »ich habe ihn damals gleich gefunden. Er lag mitten auf dem Weg. Ich habe ihn beiseite gezogen und einige Zweige über ihn gedeckt. Ich habe ihm auch die Blumen auf die Brust gelegt. Es waren blaue Glockenblumen, die einzigen, die ich weit und breit finde konnte.«

»Weshalb haben Sie mir das nicht gesagt?«

»Ich hatte Angst davor. Ich dachte, wenn ich Ihnen sagte, daß ich bei dem Toten gewesen bin, dann würden Sie glauben, ich hätte ihn erschossen.«

»Und deshalb haben Sie mir auch heimlich die Schlüssel in den Mantel gesteckt. Aber nun werden andere Menschen glauben, daß Sie ihn erschossen haben.«

Sie antwortete nicht, sondern wandte sich zu dem Schreibtisch, löste die grüne Schnur von dem kleinen Paket und sah die Briefe durch. »Ja, es sind meine Briefe!« sagte sie. Ihre Ruhe entsetzte ihn. Einmal waren diese Sätze doch aus ihrem Innern gequollen. ›Ewig Deine Ursula‹ hatte er die eine Unterschrift gelesen. Und jetzt konnte sie ruhig die Blätter daraufhin durchsehen, ob sie vollständig waren Aber plötzlich bemerkte er, daß sie weinte. Er trat näher und sah, daß die Tränen über ihr Gesicht strömten. »Gnädige Frau!« rief er sie leise an, aber sie achtete nicht darauf. Ihre Augen blickten ins Leere. Die Tränen rannen unaufhörlich über ihre Wangen. »Sie haben ihn doch geliebt!«

Sie schüttelte den Kopf, ohne den Blick von den Briefen aufzuheben. »Nein, nein, wenn ich ihn geliebt hätte, dann wäre ja alles anders gekommen!« Endlich riß sie sich von den Briefen los und schloß sie ein.

»Weshalb vernichten Sie diese Blätter nicht?« fragte er.

»Ich werde sie verbrennen, heute abend noch. Aber dazu muß ich allein sein. Es sind Gäste da. Das ist ja so furchtbar für mich, daß ich das Leben weiterführen muß, als wenn nichts geschehen wäre.« Ihre Hände lagen wie tot auf der Tischplatte.

»Sie müssen mir erzählen, wie es war, als Sie ihn fanden.«

»Werden Sie mir glauben? Oder glauben Sie nun, daß ich ihn erschossen habe?«

»Sie hatten doch keinen Grund, ihn zu erschießen?«

»Vielleicht hat Ihr Kommissar damit recht, daß ich eifersüchtig war. Oder ich konnte den Zeugen beseitigen wollen. Sie wissen doch, daß ich in meinem Scheidungsprozeß um mein Leben kämpfe. Wenn Stefan Rambin tot ist, kann er nicht mehr gegen mich aussagen oder, wie man es wohl tut, die Aussage verweigern.«

»Aber Sie haben doch mit ihm nicht die Ehe gebrochen!«

»Und wenn ich Sie in diesem Punkt belogen hätte? Haben Sie die Briefe gelesen, die ich ihm geschrieben habe?«

»Ich habe einige Sätze und Ihre Unterschrift lesen müssen, um zu wissen, ob es die richtigen Briefe waren.«

»Und?«

»Nach diesen wenigen Sätzen hätte ich angenommen, daß Sie ihn geliebt haben.«

»Und wenn Sie die ganzen Briefe lesen würden, würden Sie das noch viel mehr annehmen. Das war wie ein Rausch damals, als ich sie schrieb. Soll ich Ihnen sagen, wie es war? Er riß mich in eine ganz neue Welt hinein. Es war, als ob ich ein anderer Mensch geworden wäre. Damals schrieb ich ihm diese Briefe. Aber dann kam das Erwachen Ich merkte auf einmal, daß ich gar nicht der Mensch war, für den er mich hielt. Ich ertrug plötzlich die Hochspannung nicht mehr, die von ihm ausging. Ich bin eine einfache Frau. Ich will ruhig und mit schönen Dingen um mich leben. Nichts weiter. Er legte zu viel in mich hinein. Ich schämte mich. Ich konnte ihm einfach nicht mehr folgen. Ich merkte, daß ich nicht zu ihm passe. Wirklich, es war so, daß ich nicht für ihn zureichte.«

»Sie!« rief er aus. »Sie, Ursula von Tweel, sollten für Stefan Rambin nicht zureichen?«

»Ach, Sie haben ihn ja nicht gekannt! Sie kannten ihn nur, wie er zu Hause war, in dieser Ehe, die auf ihm lastete. Aber draußen war er anders.«

»Weshalb soll seine Ehe auf ihm gelastet haben? Sie kennen seine Frau nicht. Agathe Rambin ist ein wundervoller Mensch, aber er hat sie kaputt gemacht. Ich glaube, er würde jede Frau kaputt machen.«

»Vielleicht hätte er auch mich kaputt gemacht«, sagte sie lächelnd.

»Ihre gesunde Kraft hat sich gegen ihn gewehrt.«

»Ach nein, es war ja doch anders. Ich konnte nicht mehr. Ich reichte wirklich für ihn nicht zu. Ich versuchte, mich zu zwingen, aber es ging nicht. Ich habe Nächte deswegen durchweint.«

»Hat er das gewußt?«

»Nein, er hat das nicht gewußt. Ich dachte ja immer, alles würde noch gut werden. Zehnmal habe ich mir vorgenommen, es ihm zu sagen, aber ich brachte es nicht über die Lippen.«

»So haben Sie es ihm nie gesagt? Er glaubte bis zuletzt, daß Sie ihn liebten?«

»Ja! An dem Tage, als er ermordet wurde, damals wollte ich die große Aussprache mit ihm herbeiführen. Der Rechtsanwalt meines Mannes hatte mir doch diesen Brief geschrieben. Daran wollte ich anknüpfen. Wir mußten doch jetzt alle Fragen durchsprechen. Aber – dann kam er nicht.«

»Aber Sie fanden dann seine Leiche.«

»Ja, ich fand seine Leiche. Gerade an diesem Tag konnte ich mich zu Hause nur schwer losmachen und ritt zu spät fort. Wenn ich früher gekommen wäre, wäre vielleicht alles anders gekommen. Als ich durch die Schneise ritt, hörte ich den Schuß fallen. Ich gab dem Pferd die Sporen, raste um die Ecke und sah, wie ein Mensch durch das Dickicht davonlief. Mein Pferd scheute, aber ich hätte ihm auch so durch den dichten Wald nicht nachreiten können. Ich habe gerufen und geschrien, aber es war niemand in der Nähe. Dann habe ich das Pferd angebunden und bin zu ihm gegangen.«

»Sie haben also den Mörder gesehen?« fragte er. »Es war nicht Ihr Mann?«

»Das ist es ja eben!« rief sie aus. »Ich weiß nicht, ob es mein Mann war. Nein, ich glaube, er war es nicht, oder er hat vielleicht einen andern geschickt, der es für ihn tat.«

»Sie haben den Toten dann gefunden?« fragte er. »Sie haben ihn gesehen, als er noch warm war?«

»Ja, er war noch warm. Ich dachte zuerst sogar, er lebe noch. Ich habe ihm auch die Augen zugedrückt, die noch offenstanden. Es war furchtbar. Eben hatte ich noch gemeint, ich würde ihn gleich sprechen, und nun lag er da quer über dem Weg.«

»Ich wundere mich, daß Sie in diesem Augenblick so viel Überlegung gehabt haben, um ihm die Schlüssel abzunehmen, und sicher haben Sie auch seine Taschen nach Briefen durchsucht.«

Sie stützte den Kopf in die Hände. »Nun glauben auch Sie, daß ich ihn erschossen habe.«

»Nein, ich glaube Ihnen alles, was Sie sagen.«

»Haben Sie sich nicht gewundert, als Sie das Schlüsselbund in Ihrem Mantel fanden? Was dachten Sie damals?«

»Ich wußte ja nicht bestimmt, daß Sie es mir in die Tasche gesteckt hätten. Ich rechnete auch damit, daß Sie diese Schlüssel Herrn von Tweel fortgenommen hätten.«

»Aber Sie wußten gleich, daß der Schlüssel zu dem Schreibtisch dabei war?«

»Ja, das wußte ich eigentlich sofort. Erst seit heute vormittag war es mir klar, daß Sie selbst dem Toten die Schlüssel und wahrscheinlich auch einige Briefe fortgenommen haben.«

»Die Brieftasche war fort, aber die Schlüssel habe ich ihm wirklich abgenommen. Es ist merkwürdig, nicht wahr, daß ich in diesem Augenblick meine Gedanken sammeln konnte. Aber in mir war eine furchtbare Angst. Ich kniete bei ihm und weinte so sehr, daß ich lange warten mußte, ehe meine Hände ruhig genug waren, um ihm die Augen zuzudrücken. Aber, daneben gingen meine Gedanken ganz klar. Es war, als ob sie nichts mit mir zu tun hätten. Eigentlich war es noch viel schlimmer, aber ich muß es Ihnen sagen. Können Sie sich denken, daß während der ganzen Zeit sogar etwas wie Freude in mir war? Das ist ja das Furchtbarste! Mein erster Gedanke war, daß nun diese entsetzliche Unterredung nicht mehr stattzufinden brauchte.«

»Das gibt es. Solche Gedanken kommen. Man darf ihnen nur keine Gewalt über sich geben.«

»Nein, nein, solche Gedanken dürfte man nicht haben. Aber sie waren in mir. Ich mußte daran denken, daß nun der Zeuge in meinem Scheidungsprozeß fehlte und daß ich jetzt vielleicht die Briefe wiederbekommen würde, da ich seine Schlüssel an mich nehmen konnte. Ja, ich habe seine Taschen nach Briefen durchsucht, die mir unangenehm werden konnten. Ich habe die Schlüssel an mich genommen. Da wußte ich natürlich noch nicht, daß ich sie Ihnen geben würde. Das kam erst später. Ich hatte die Schlüssel auch bei mir, als ich nach Michaelsbrück fuhr.«

»Haben Sie vielleicht gehofft, Sie könnten seinen Schreibtisch aufschließen?«

»Eigentlich nicht. Das war ja fast unmöglich. Aber es zog mich zu diesem Schreibtisch hin, dessen Schlüssel ich bei mir hatte. Aber ich bin gar nicht in dem Zimmer gewesen. Glauben Sie auch jetzt noch nicht, daß ich ihn erschossen habe?«

Er schüttelte den Kopf. »Nein, ich glaube Ihnen jedes Wort. Aber müssen Sie nicht zu Ihren Gästen zurück?«

»Ich habe ihnen gesagt, ich hätte eine Unterredung wegen meines Prozesses. Es sind alles Freunde, die oft bei mir sind.« Sie zögerte eine Weile und sah vor sich nieder. »Ich muß Ihnen noch etwas sagen: Ich wußte schon, daß Sie heute vormittag draußen in dem Wald waren.«

»Durch wen?«

»Mein Vater war bei mir. Er hat mir alles erzählt. Und mein Vater hält mich für den Mörder!«

»Um Gottes willen!«

»Mein Vater erinnerte sich daran, daß ich am Dienstagvormittag ausgeritten war. Er wußte gleich, daß die Pferdespur von mir herstammte. Er hat es mir auf den Kopf zu gesagt. Und er wußte auf einmal auch, daß ich Stefan Rambin kannte. Mein Mann muß draußen bei ihm gewesen sein, oder er hat ihn vielleicht auch in Berlin gesprochen. Aber wie hat mein Mann etwas von meiner Freundschaft mit Stefan Rambin erfahren können? Das ist das Rätsel, über das ich immer nachdenken muß.«

»Sie ahnen es wirklich nicht?« fragte Klaus. »Wissen Sie, daß Ellen Bandler heute in Bräsikow draußen war und mit Ihrem Vater nach Berlin zurückfuhr?«

Sie sah ihn erstaunt an.

»Und gestern bei dem Rennen habe ich Ellen Bandler mit Ihrem Mann zusammen gesehen. Man erzählt sich auch, daß Ihr Vater Ellen Bandler heiraten wolle.«

»Das ist doch ein dummes Gerede. Mein Vater ist ein alter Mann. Und bei dem Rennen wollte sich Ellen nur Attila ansehen. Ich weiß, daß sie zum Sattelplatz gegangen war. Ich habe auch Sie gesehen, Herr Rambin, wie Sie mit Ellen bei der Tribüne standen. Ich dachte, Sie würden mit ihr zu uns kommen, aber auf einmal waren Sie fort.«

»Haben Sie nie daran gedacht, daß Ellen Sie verraten haben könnte? Sie weiß mehr von Ihnen, als Sie ahnen. Ganz sicher hat sie von Ihrer Freundschaft mit Stefan Rambin gewußt. Sie ist es gewesen, die Ihrem Mann davon Mitteilung gemacht hat. Sie hat nun auch Ihrem Vater alles erzählt.«

»Das ist nicht möglich!« rief Ursula aus. »Ellen ist meine Freundin. Ich weiß, sie steht mit meinem Vater gut, aber das wäre doch so gemein ... Nein, ich kann das nicht glauben.«

»Vielleicht hat sie jetzt sogar schon die Polizei benachrichtigt.«

Aus dem Salon kam lautes Lachen. Man hörte deutlich die tiefe Stimme des Grafen Koska. Ursula zuckte zusammen.

»Wenn es Ellen gewesen wäre! Aber jetzt ist doch alles verloren.«

»Sie haben wenigstens die Briefe. Niemand kann Ihnen jetzt beweisen, daß zwischen Ihnen und dem Toten mehr bestand als eine gute Bekanntschaft.«

Sie schüttelte den Kopf. »Das hat jetzt alles keinen Zweck mehr. Seit mein Vater hier war, weiß ich nicht, was ich tue. Ich habe da bei den andern gesessen und mich unterhalten. Ich habe sogar gelacht. Aber in mir ist alles tot. Die Briefe ... ja, es ist gut, daß ich die Briefe zurück habe. Aber jeden Augenblick kann ich verhaftet werden. Alle Anzeichen sprechen doch gegen mich. Man wird mich verurteilen.«

»Das ist unmöglich. Aber Sie müssen diese Briefe vernichten.«

»Ja, die Briefe! Helfen Sie mir um Gottes willen! Diese Briefe müssen fort!« Sie schloß den Schreibtisch auf, nahm die Blätter heraus und sah sich hilflos im Zimmer um. Er merkte, daß sie wirklich kaum noch bei Sinnen war. Ihre Ruhe und Kälte waren Maske gewesen. »Es ist kein Ofen da, und in die Küche kann ich nicht gehen. Die Mädchen würden später aussagen, daß ich etwas im Herd verbrannt habe.«

»Ich werde sie an mich nehmen und vernichten. Sofort, auf der Straße.«

»Das wollen Sie auch noch für mich tun? Sie sind der einzige Mensch, den ich jetzt habe. Ich bin Ihnen ja so dankbar, Herr Rambin.«

Er nahm die Briefe an sich und stand unschlüssig vor ihr. Es war wie damals in Ellens Zimmer. Liebe ich diese Frau? Er sah ihr Gesicht im Dämmerschein, dieses klare Gemmengesicht mit der Lieblichkeit seiner feingeschwungenen Linien. Er konnte von diesem Gesicht nicht loskommen.

»Gehen Sie!« flehte sie ihn an. »Gehen Sie rasch, die Briefe müssen aus der Welt!« Sie reichte ihm die Hand, er drückte seine Lippen darauf.

»Ich – ich möchte Sie wiedersehen!« stammelte er. »Nicht jetzt, aber später, wenn alles vorüber ist. Darf ich wiederkommen?«

»Immer!« sagte sie. »Immer dürfen Sie wiederkommen.« Sie stand bereits an dem Vorhang, um ihn zurückzuschlagen. Er sah erstaunt, wie sich ihre Züge ordneten. Nichts von allen Erschütterungen war ihr mehr anzumerken. Sogar das Lächeln lag wieder um den schmalen Mund. Sie nickte ihm zu. Das war, als ob sie sich in einer festlichen Gesellschaft trennten. ›Sie hat es doch getan!‹ dachte er schaudernd.

Draußen half ihm das Mädchen in den Mantel. Er eilte die Treppe hinunter und ging mit großen Schritten nach rechts die Straße entlang. Jeden Augenblick konnte Ursula verhaftet werden. Vielleicht hatte Weigelt in seinem Büro schon die Mitteilung vorgefunden, daß Stefan Rambin sich am Dienstag mit Frau von Tweel in dem Walde verabredet hatte.

Die Straße war still. Zu beiden Seiten lagen Villengärten. An einer Ecke blieb er stehen und sah sich um. Kein Mensch war in der Nähe. Er zog die Briefe hervor und riß sie durch. Bruchstücke von Sätzen sprangen ihn an. Er zerstückelte die Bogen zu kleinen Fetzen, immer noch einmal riß er sie durch. Plötzlich packte ihn der Schmerz darüber, daß diese Briefe nun vernichtet waren. Was zwischen Stefan Rambin und Ursula von Tweel gewesen sein mochte, nun war es vernichtet. Die Papierfetzen in seiner Hand beschworen wieder das Bild des Toten herauf, aber seine Finger arbeiteten weiter. Er warf einige von den Schnitzeln in den Straßengully und ging weiter zum nächsten, warf wieder einen Teil hinein, ging durch mehrere Straßen von Gully zu Gully. Jetzt waren die Briefe fort. Niemand auf der Welt würde sie je lesen können.

Die Schlüssel mußten folgen. Er fühlte das Bund in der Tasche. Sechs Schlüssel waren es. Er bog in eine Seitenstraße ein, warf einen Schlüssel in einen Garten und ging weiter, die Schlüssel verstreuend. Einen verscharrte er mit den Füßen neben einem Baum in die Erde. Den letzten warf er in den Busch eines Vorgartens. Nur der Ring lag noch in seiner Hand. Er hatte die Kantstraße erreicht und ließ den Ring aus der Hand gleiten. Es klirrte leise. Er sah sich um, niemand achtete darauf. Es war geschehen. Niemals hatte es diese Briefe gegeben. Niemals hatte Ursula dem Toten die Schlüssel entwendet. Niemals hatte er sich in der Nacht zu dem Schreibtisch hinuntergeschlichen.

Plötzlich fiel ihm Monika ein. Monika hatte ihn gesehen. Monika wußte alles.


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