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Draußen sah er nach der Uhr. Ihm fiel ein, daß er Ellen Bandler versprochen hatte, am Vormittag zu ihr zu kommen. Er sprang auf eine elektrische Bahn, stieg in der Leipziger Straße um und nahm für das letzte Stück eine Taxe.
Alte Erinnerungen umfingen ihn, als er die Treppe in der Kurfürstenstraße emporstieg. Hier war er oft mit Ellen zusammen hinaufgegangen. Wie weit lag das jetzt alles zurück!
Als er klingelte, öffnete sie ihm selber. »Nun? Gibt es etwas Neues?«
»Ja, Eduard Frisch ist gefunden worden. Der Agent, weißt du. Aber, das ist das Schlimme, er scheint mit der Sache nichts zu tun zu haben.« Klaus hing schon Mantel und Hut auf. Seine Sachen fanden ihren alten Platz.
»Geh, bitte, in mein Zimmer. Ich werde sofort kommen.«
Er wunderte sich über den seltsamen Ausdruck ihres Gesichtes, in dem eine merkwürdige Spannung lag. »Hast du das richtige Kleid noch nicht an?« versuchte er zu scherzen. Aber sie öffnete wortlos die Tür, schob ihn in ihr Jungmädchenzimmer, in dem er alles kannte, und ließ ihn allein. Nach einer Weile hörte er draußen weibliche Stimmen, und im nächsten Augenblick stand die im Zimmer, die er hier am allerwenigsten erwartet hätte: Ursula von Tweel. Er starrte sie an wie eine Erscheinung.
Frau von Tweel schloß sorgfältig die Tür hinter sich, kam auf ihn zu und streckte ihm die Hand entgegen. »Ich habe auf Sie gewartet«, sagte sie. »Aber wir wollen uns an das Fenster setzen und leise sprechen. Sie wissen, wer ich bin, nicht wahr?«
»Ich habe den Namen behalten: Frau von Tweel.« Es war merkwürdig, wie anders sie jetzt aussah. Auf einmal bemerkte er, wie jung sie war, nicht älter als Ellen. Wie ein befangenes junges Mädchen stand sie vor ihm und setzte sich langsam nieder.
»Sie wissen wohl auch, daß ich mit meinem Mann in Scheidung liege?« fuhr sie fort. Sie kämpfte sichtlich um die Worte, die sie ihm sagen wollte. »Es ist für mich notwendig geworden, mich von meinem Mann scheiden zu lassen. Ich konnte dieses Leben einfach nicht mehr fortführen.«
»Ich habe Sie einige Male mit meinem Onkel Stefan Rambin zusammen gesehen.«
»Ja, Stefan Rambin ist mir eine große Hilfe gewesen. Ich weiß nicht, wie ich diese Zeit ohne ihn ertragen hätte. Mein Mann ...«
»Ich traf Ihren Herrn Gemahl gerade bei dem Güteragenten Eduard Frisch in einem furchtbaren Hotel in der Belle-Alliance-Straße. Ich sah ihn dort zum erstenmal.«
»Ich weiß«, entgegnete sie, »er hat Frisch beauftragt, sein altes Familiengut zu verkaufen«. Es ist ganz gut, daß er es abstößt. Wir haben entsetzlich viel Geld hineingesteckt.«
»Ist dieser Eduard Frisch von Ihnen Stefan Rambin empfohlen worden?«
Sie nickte. »Soviel ich weiß, hat Stefan Rambin aber nichts sonst mit ihm zu tun gehabt.«
»Und das Grundstück am Scharmützelsee?«
Er dachte, daß sie bestürzt sein würde, aber sie blieb vollkommen ruhig. »Das wollte ich für mich kaufen, um dort, ungestört von meinem Mann, zu leben. Niemand sollte etwas davon wissen. Deshalb hatte ich Ihren Onkel gebeten, alle Formalitäten für mich zu erledigen. Er ist auch mit Ellen hinausgefahren, um es zu besichtigen. Sie hat wunderhübsche Fotografien davon gemacht, übrigens wußte sie damals nicht, daß die Villa für mich bestimmt war.«
»Woher kennen Sie Ellen Bandler?« fragte er.
»Ellen Bandler? Wir sind alte Pensionsfreundinnen, aber wir haben erst im letzten Winter die Bekanntschaft wieder aufgenommen. Durch Ellen habe ich ja auch Stefan Rambin kennengelernt.«
»Davon habe ich nie etwas erfahren.«
Frau von Tweel lächelte. »Ganz mit Absicht. Wir wußten, daß Sie mit Ihrem Onkel nicht besonders gut stehen. Aber einmal haben Sie uns ja doch getroffen.«
»Sie wissen, was inzwischen geschehen ist, gnädige Frau?«
»Ja, es ist furchtbar. Es ist noch viel furchtbarer für mich, als Sie ahnen können. Ich habe Stefan Rambin doch das Geld gegeben.«
»Welches Geld?«
»Das Geld für diese Besitzung am Scharmützelsee. Ich hatte sechzigtausend Mark auf sein Bankkonto überwiesen, damit er den Kaufpreis für mich bezahlte. Nun höre ich, daß der Scheck geraubt und das Geld abgehoben ist.«
»So haben Sie dieses ganze Geld verloren, gnädige Frau?«
»Ja, das ist sehr schlimm für mich. Aber das meine ich nicht. Das Schlimmste ist, daß es nun herauskommt, daß ich an Stefan Rambin ohne jeden Gegenwert sechzigtausend Mark gezahlt habe. Das ist das Erschwerende bei der ganzen Geschichte.«
Klaus überdachte im Augenblick, daß diese Überweisung unter den augenblicklichen Umständen Ursula von Tweel außerordentlich kompromittieren konnte. »Das ist wirklich schlimm!« sagte er.
Sie nickte. »Besonders in dem ganzen Zusammenhang. Ich hatte geglaubt, niemand habe eine Ahnung von meiner Freundschaft mit Stefan. Sie müssen wissen, daß ich die Scheidungsklage gegen meinen Mann wegen fortgesetzter Untreue eingereicht habe. Nun teilte mir sein Rechtsanwalt, vor acht Tagen mit, mein Mann habe die Gegenklage gegen mich erhoben.« Es wurde ihr sichtlich, schwer, weiterzusprechen. »Mein Mann behauptet, ich hätte mit Stefan Rambin die Ehe gebrochen. Ich fiel aus allen Wolken!«
»Und das ist nicht der Fall, gnädige Frau?« Er wurde bei seinen Worten selber rot.
Ursula von Tweel antwortete nicht sogleich. »Sie sind der einzige, der uns einmal zusammen gesehen hat«, sagte sie mit stockender Stimme. »Niemand sonst weiß etwas von Stefan Rambin und mir.«
»Auch Ellen Bandler nicht?«
Sie schüttelte den Kopf. »Auch Ellen nicht. Ellen weiß nur von einer oberflächlichen Bekanntschaft. Und dann habe ich ihr nachträglich erzählt, daß Stefan jene Besitzung für mich kaufen sollte und daß ich mich deshalb am Dienstag mit ihm bei Bräsikow im Walde verabredet hatte ...«
»In Bräsikow?« brach er entsetzt aus. »Wieso in Bräsikow? Aber da ist doch mein Onkel ...«
»Das ist es ja eben! Ich war doch bei meinem Vater zu Besuch!«
»In Bräsikow!« rief er nochmals verwundert. »Gehört das nicht einem Herrn von Steinhammer?«
»Das ist mein Vater. Ich hatte mich also mit Stefan Rambin in dem großen Wald bei Bräsikow verabredet, um auch einmal alles mit ihm durchzusprechen. Das war die letzte Verabredung, vor der Stefan Rambin dann – verschwunden ist.«
»Und Sie haben Ellen gesagt, daß Sie mich deswegen sprechen wollten?«
Sie nickte. »Ich bin in meiner Verzweiflung schließlich zu Ellen gerannt, und Ellen sagte mir, Sie würden heute vormittag bestimmt hierherkommen. Aber sie ahnt nichts davon, was zwischen Stefan und mir gewesen ist. Und gerade darüber muß ich mit Ihnen sprechen.«
Er kam noch immer nicht von der Mitteilung los, daß Stefan Rambin sich mit ihr auf jenem Waldweg verabredet hätte. »Aber dann ist ja ...« Er konnte den Satz nicht zu Ende sprechen.
»Wir hatten uns schon öfters dort getroffen«, sagte sie. »Niemand konnte uns dort beobachten.«
»Verzeihen Sie die Frage, gnädige Frau: lieben Sie Stefan Rambin?«
Sie lächelte ein wenig, und auch in dieser Situation empfand Klaus den unwiderstehlichen Zauber, der von dem Lächeln dieser Frau ausging. »Wie soll ich Ihnen das erklären? Stefan Rambin ist in mein Leben getreten, als ich ganz unglücklich war. Ich muß es gestehen, noch nie hat ein Mensch auf mich einen derartigen Eindruck gemacht wie er. Sie müssen wissen, daß ich unter ungeistigen Sportmenschen aufgewachsen bin. Er hat mir erst den Blick für alles Große und Schöne im Leben geöffnet. Durch ihn bin ich ein neuer Mensch geworden. Ich bin ihm ewig dankbar dafür. Aber geliebt, geradezu geliebt habe ich ihn wohl doch nicht, obwohl ich es mir einige Wochen hindurch eingebildet hatte. Aber er hat mich geliebt, und ich war glücklich über seine Liebe.«
»Und der Brief des Rechtsanwalts?« fragte er nach einer Pause. »Die Behauptung, Sie hätten die Ehe mit ihm gebrochen?«
»Es ist anders, als Sie denken. Stefan Rambin hat mich bestürmt, ihn zu heiraten.«
»Ihn zu heiraten? Aber er ist doch verheiratet!«
»Er wollte sich scheiden lassen.«
»Davon hat er nie etwas geäußert.«
»Davon konnte er doch auch zu niemandem sprechen. Er ist in seiner Ehe unglücklich gewesen. Sein ganzes Leben war ihm verhaßt. Er wollte sich scheiden lassen und ganz neu beginnen.«
»Merkwürdig! Davon hat niemand etwas geahnt. Und Sie? Wollten Sie das wirklich?«
»Ich habe manchmal daran gedacht«, sagte sie leise. »Stellen Sie sich vor, was mir das Leben schuldig geblieben war. Wenn ich an ein großes Glück dachte, dann konnte ich es mir manchmal schon in einem Zusammenleben mit Stefan vorstellen.«
»Dann haben Sie ihn doch geliebt!« sagte er.
Sie schüttelte den Kopf. »Es war anders. Aber einige Wochen hindurch haben wir in der Tat in dem Gedanken an eine ständige Verbindung gelebt. Seine Familie sollte nicht darunter leiden. Sie wissen, daß mein Vater sehr reich ist. Stefans ganzes Vermögen sollte seiner Familie verbleiben. Wir hätten genug Geld zum Leben gehabt. Die Voraussetzung aber war, daß der Scheidungsprozeß glatt ablief. Mein Vater ist nämlich sehr streng und hängt an alten Anschauungen. Wenn mein Mann mir die geringste Verfehlung während unserer Ehe nachweisen konnte, dann war es klar, daß mein Vater mich enterben und aus dem Hause weisen würde. Ich kenne ihn. Er hängt sehr an mir und hält mich für unfehlbar. Einen Fehltritt würde er mir nie verzeihen.«
»Das ist alles so furchtbar!«
»Sie können sich denken, wie mich der Brief des Rechtsanwalts erschreckte. Wie kam mein Mann darauf, Stefan als Beweis für meine eheliche Untreue anzuführen? Es ist mir ein vollkommenes Rätsel. Niemand außer Ihnen hat uns jemals zusammengesehen.«
Klaus war aufgestanden. »Sie wollen also damit sagen, gnädige Frau, daß ich Ihrem Mann eine Mitteilung habe zukommen lassen?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nicht so, aber ich wollte Sie wenigstens fragen, ob Sie eine Ahnung davon haben, wie der Name Stefan Rambins meinem Mann zur Kenntnis kommen konnte. Vielleicht haben Sie zu irgend jemandem eine unvorsichtige Äußerung gemacht?«
»Nein, gnädige Frau, ich habe zu niemandem darüber gesprochen.«
»Dann verstehe ich es nicht. Ich hatte mich an den Gedanken geklammert, daß ich es durch Sie erfahren würde.«
»Aber nach Ihren Worten scheint mir doch, daß Sie sich keiner Schuld bewußt sind, oder irre ich mich da?«
»Was ist Schuld? Niemals ist zwischen mir und Stefan Rambin etwas geschehen, was nicht alle Menschen hätten mit ansehen können. Niemals, ich schwöre es Ihnen. Aber wir haben uns doch heiraten wollen. Wochenlang haben wir in diesem Gedanken gelebt.«
»Das ist für Ihren Scheidungsprozeß unerheblich. Das Gesetz hängt am Buchstaben und schreibt meines Wissens genau vor, was unter ehelicher Untreue zu verstehen ist.«
»Das ist richtig. Aber gerade über diese Frage einer späteren Ehe zwischen uns habe ich an Stefan einige Briefe geschrieben. Ich habe ihn nachher beschworen, diese Briefe zu vernichten, aber er hat es nicht getan. Er behauptete, sich davon nicht trennen zu können. Besonders, als ich bereits von dem Gedanken einer solchen Ehe abgekommen war. Ich konnte die Verantwortung nicht tragen, eine Familie zu zerstören. Ich mußte an seine Frau denken, deren Leben vernichtet sein würde. Nein, ich konnte es doch nicht!«
»Und diese Briefe liegen nun in seinem Schreibtisch?«
»Ja, er hat sie dort verschlossen, ich weiß es. Aber jetzt werden sie gefunden werden, und dann bin ich verloren.«
»Und diese Briefe liegen nun in seinem Schreibtisch!« wiederholte er. Seine Gedanken gingen in einer bestimmten Richtung, vor der er erschrak.
»Stellen Sie sich vor: diese Briefe müssen ja in dem Mordprozeß, der jetzt kommen wird, eine Rolle spielen. Ich bin es doch gewesen, mit der er sich in dem Wald verabredet hat. Ich habe ihn doch dorthin gelockt. Der Inhalt dieser Briefe wird durch die Zeitungen gehen. Mein Vater wird alles erfahren!«
»Ja«, sagte er stockend. »Das wird wohl so kommen.«
»O mein Gott!« rief sie. »Ich wüßte nicht, was ich täte, um diese Briefe zu vernichten.«
Klaus sah das schmale, zarte Gesicht vor sich, das vor Verzweiflung aufgelöst war. Ursula von Tweel! klang es in ihm. Wenn ich diese Briefe vernichten könnte! Etwas Großes, Wunderbares mußte es sein, dieser Frau zu helfen, ihr Leben zu retten. Er kämpfte mit sich. Seltsame Gedanken stürzten über ihn. Er stand am Fenster und schloß die Augen. »Ursula von Tweel!« flüsterte er vor sich hin.
Plötzlich stand sie neben ihm. »Helfen Sie mir, retten Sie mich!« hauchte sie ihm zu.
»Soll ich die Briefe suchen?« fragte er fast unhörbar, ohne sie anzusehen.
»Würden Sie das für mich tun?« kam es tonlos geflüstert zurück.
»Ich würde für Sie alles tun«, sagte er ebenso leise.
»Ich wußte es!«
Plötzlich gab er sich einen Ruck und drehte sich um. Er ertrug die Spannung nicht länger. Er mußte die Fäden zerreißen, die ihn umschlangen. »Und die Polizei?« fragte er. »Man wird danach forschen, was Stefan Rambin am Dienstag in der Nähe von Bräsikow machte. Er ist doch Ihretwegen dort gewesen. Man wird auf der Bank Ihre Geldüberweisung an ihn finden.«
»Das – das würde sich alles als geschäftliche Verbindung darstellen lassen. Wenn nur die Briefe nicht gefunden werden!«
»Weshalb kam er denn noch am Dienstag zu Ihnen?«
Sie setzte sich wieder auf den Stuhl und sah vor sich hin. »Der Brief des Rechtsanwalts war gekommen. Wir mußten darüber sprechen.«
»Weiß Ellen von dieser Beschuldigung, die gegen Sie erhoben wird?«
»Um Gottes willen, nein! Ellen weiß nichts. Nur von dem Geld und der Besitzung am Scharmützelsee. Aber Stefan und ich mußten über diesen Brief des Rechtsanwalts sprechen, und zugleich wollte ich ihm noch einmal mit voller Deutlichkeit sagen, daß ich ihm niemals angehören würde. Wir hatten uns doch schon einige Male in jenem Wald getroffen.«
»Deshalb hatte er sich auch den Weg auf der Karte mit Bleistift angestrichen.«
»So, hatte er das?« fragte sie gerührt. Wieder traten ihr die Tränen in die Augen. »Ich habe unendlich viel verloren!«
Sie hat ihn doch geliebt, dachte Klaus bitter. Alle Frauen lieben Stefan Rambin. Und diese Besitzung am Scharmützelsee wollte sie doch für ihn kaufen. »Liebesnest« fiel ihm der Ausdruck des Agenten ein. »Wie war das, als Sie sich das letztemal mit ihm verabredet hatten?«
»Ja, ich muß Ihnen das erzählen. Von jenem Waldweg biegt ein Jagen ab. An ihm steht eine große Linde. Dort pflegten wir uns zu treffen. Am Dienstag wartete ich auf ihn. Er kam nicht. Ich habe zwei Stunden gewartet, und dann ritt ich nach Hause, denn mein längeres Ausbleiben wäre aufgefallen. Die nächsten Tage waren furchtbar. Ich ahnte ja gleich, daß etwas geschehen wäre. Schließlich konnte ich es nicht mehr aushalten und bin nach Michaelsbrück gefahren. Ich habe genau gewußt, daß ich ihn nicht antreffen würde. Aber seine Frau und sein Haus wollte ich wenigstens sehen, und vielleicht erfuhr ich doch etwas.«
Deshalb sind Sie also dort hingefahren.«
»Ja, aber das Furchtbare erfuhr ich erst heute früh durch Ellen. Jemand muß gewußt haben, daß er den Scheck bei sich hatte, und hat ihn aufgelauert. Wahrscheinlich ist er wenige hundert Schritt von unserer Linde ermordet worden.«
»Es ist jedenfalls festgestellt, daß er in Lengenfeld am Dienstag vormittag aus dem Zug gestiegen ist. Der Bahnbeamte hat ihn nach der Fotografie erkannt.«
»O Gott!« Sie schlug die Hände über das Gesicht.
»Vielleicht ist er gar nicht des Schecks wegen ermordet worden. Halten Sie es nicht für möglich, daß Herr von Tweel von Ihrer Verabredung Kenntnis hatte?«
Sie sah ihn entsetzt an. »Ich weiß, was Sie sagen wollen: daß er ihn erschossen hat! Ja, ich habe vom ersten Augenblick an daran gedacht. Aber wie kann er es erfahren haben? Niemand wußte davon. Kein Mensch auf der Welt!«
»Vielleicht ist er Ihnen nachgeschlichen. Kann es nicht sein, daß er seit langem von Ihren Zusammenkünften bei der Linde wußte?«
»Glauben Sie, daß er es gewesen ist?«
»Ich weiß es nicht.«
»Wenn er es gewesen ist, wird man es nie herausbekommen. Er kann wie ein Tier im Walde gehen, ohne eine Spur zu hinterlassen. Nein, man wird ihn nie überführen. Aber jetzt wird er der Kriminalpolizei unsere Verabredung mitteilen. Oh, er haßt mich, weil er durch die Scheidung um den Genuß meines Geldes kommt. Er wird sich geschworen haben, mein Leben zu zerstören. Vielleicht ist es so gewesen. Er hat den Mann vernichtet, von dem er glaubt, daß ich ihn liebe. Und er hat nun auch die Möglichkeit, mich gesellschaftlich und pekuniär zu vernichten. Wenn ich doch wenigstens die Briefe hätte!«
Eine quälende Stille füllte den Raum. Sie sahen sich an, sekundenlang. Ursula hatte die Augen groß aufgeschlagen. Endlich schlugen sich langsam die Lider darüber, und auch er schaute fort. Er fühlte, daß alles Blut aus seinem Gesicht gewichen war.
»Wenn ich Ihnen die Briefe bringe, was dann?« Er flüsterte die Worte kaum hörbar.
»Dann werde ich Ihnen ewig dankbar sein.« Ganz leise kam die Stimme zu ihm, dieselbe leise Stimme, mit der sie vorher am Fenster miteinander gesprochen hatten. »Rufen Sie diese Nummer an!« Sie reichte ihm einen Zettel. »Ich bin immer für Sie da.«
In dem Augenblick öffnete sich die Tür. Ellen stand blond und frisch im Zimmer und sah lächelnd zu den beiden hin. »Nun, seid ihr fertig? Papa kommt nämlich gleich nach Hause.«