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Jetzt saßen der Hansjörg und die Apollonia als mediatisiertes und pensioniertes Fürstenpaar im Leibgedinghaus unter dem Wildsee.
An Geld fehlte es nicht. Die Alpirsbacher hatten nach Wunsch abgeliefert und bezahlt. Es war den Zweien nach Tilgung der Passiva noch eine schöne Summe für sich und ihre Kinder übrig geblieben. Auch an die Tafel ins Bad konnten sie noch fahren mit eigener Equipage und auch noch Gäste empfangen auf ihrem Altenteil.
Aber das merkten beide doch bald, daß sie keine regierenden Fürsten mehr seien, daß das Fürstentum fehlte und sie Herrschaften ohne Land geworden waren.
Auf dem Hof saß ein Verwalter der Alpirsbacher und der kommandierte die Knechte, die Mägde, die Holzhauer und die Flößer und gab den fünf Vasallen seine Befehle. Leute aber, die nichts mehr zu kommandieren haben, gelten auch in der Welt nichts mehr.
Was für »ein großes Tier« ist ein kommandierender General, so lange er aktiv, und wie klein und unbeachtet ist der Mann, sobald er als einfacher Zivilmensch herumläuft!
Was für einen Respekt genießt ein Oberamtmann, so lange er im Dienst ist und die Bauern angstvoll an seine Türe klopfen, und wie wenig gilt er noch, sobald er pensioniert ist!
So ging es auch dem Hansjörg und der Apollonia. Bis vor kurzem das angesehenste bäuerliche Paar, weil es den größten Hof besaß, galten beide jetzt im Volke als gefallene Größen, und die Warnung des alten Schmidsberger, daß der Hansjörg sein Ansehen verliere, ging nur zu bald in Erfüllung.
Dazu schimpften und räsonierten die Schapbacher über den Seebenbur, weil er seine Wälder an Fremde verschachert habe. Und wo er sich bei seinesgleichen sehen ließ, hörte er unliebsame Reden.
Die Alpirsbacher, denen sich auch noch ein Polizeikommissär aus Mülhausen, ein Verwandter des Christian, als Teilhaber angeschlossen hatte, trieben aber auf dem stolzen Seebenhof den habgierigsten Raubbau.
Rastlos schlugen ihre Holzmacher die stolzen Tannen nieder, rieften sie zu Tal und flösten sie die Wolf hinab. Fünf Jahre lang gingen alljährlich zehn mächtige Flöße aus den Wäldern des Seebenhofs der Kinzig und dem Rheine zu.
Und während da oben in den Wäldern die Axthiebe ertönten und die Tannen stürzten, hörte unten im Tal die Büre, in einsamer Stube sitzend, das Rauschen der stürzenden Tannen, und es tat ihr in der Seele weh.
Sie sah und hörte die Verwüstung ihres einstigen Fürstentums, und es reute sie, dasselbe verkauft zu haben. Das »drückt ihr das Herz ab«, sagten die Leute im Volk, und als die fünf Jahre um, die Wälder verwüstet waren und die Alpirsbacher daran dachten, den »ausgeschundenen« Hof wieder zu verkaufen, da legte sich die Erzbäuerin Apollonia zum Sterben nieder.
An einem schönen Maientag des Jahres 1838 haben sie die Seebenbüre begraben. Ihre Kinder setzten ihr einen Grabstein auf dem luftigen Kirchhof zu Schapbach. und heute noch ist auf demselben zu lesen:
Mutter, deine Laufbahn ist vollendet.
Manche Trübsal mußtest du ersteh'n:
Doch der Tod hat jede Pein beendet,
Ruhe sanft zum Wiederseh'n.
Dein Gedächtnis bleibet stets im Segen,
Deine Lust war immer wohlzutun;
Du eiltest jener bessern Welt entgegen
Und zugleich der edlen Taten Lohn.
Einige Jahre später legten sie den Hansjörg neben sie, und seine drei dankbaren Söhne ließen auf einen Stein schreiben, daß er neben »seiner Gattin« ruhe, und wünschten »Ruhe seiner Asche«.
Dankbare Kinder sind stets die Zeugen guter Eltern, und gut war das letzte Herrscherpaar auf dem Seebenhof, gut mit seinen Kindern, gut gegen Arme, gut gegen des Hauses Gäste.
Daß sie sich ihres Fürstentums freuten und an der Tafel saßen im Bad und Reisen machten, wer mag ihnen das verübeln!
Ihren ältesten Sohn, den Toni, hab' ich noch wohl gekannt. Er war in meiner Knaben- und in meiner ersten Studienzeit Posthalter im Städtle Husen ob Hasle, und ich habe, wie wir sehen werden, Grund, ihm ein dankbares Andenken zu bewahren.
Als seine Eltern den Fürstenhof verkauften, war der Toni 22 Jahre alt. Zwei Jahre später trat er zum alten Posthalter Nietinger in Husen, dem sein Geschäft feil war, stellte sich ihm vor und fragte ihn, was er dafür wolle. Daß der Fragende der Sohn des Seebenburen war, imponierte dem alten Posthalter; denn auch er wußte, daß der Seebenhof ein Riesengeld gegolten habe und daß somit der Liebhaber seines Anwesens zahlungsfähig sei. Drum wurden sie einig, und der junge Bauersmann aus dem Seebach, der aber einen eigenen Haushofmeister gehabt hatte und sich in jeder Hinsicht zu benehmen wußte, ward Posthalter von Husen.
Die Post in Husen war ein altes, aber großes Anwesen mit schönen Aeckern, Wiesen und Wald und damals und noch lange nachher eine Hauptstation für alle Eilwagen und für alle Extraposten, die von Frankfurt, Karlsruhe und Straßburg durch das Kinzigtal gingen, Konstanz und der Schweiz zu.
Das war, wie die alten Kinzigtäler zu sagen pflegten, ein »Lebis«, und der Posthalter nahm Geld ein wie Heu.
Der junge Besitzer der Post holte eine Frau in seiner Heimat, eine Tochter vom reichen Ferdishannes im Schappe, ein bildschönes Meidle, und beide wurden ein Wirtspaar, wie es stattlicher keines gab, soweit der Eilwagen fuhr von Offenburg bis Konstanz.
Aber zu einem so jugendlich schönen Paare paßte das alte, unschöne Posthaus nimmer; drum ward es abgerissen und ein neues, monumentales erstellt.
Fast zu gleicher Zeit bauten zwei Wirte, der eine in Hasle, der andere in Husen, die ersten Hotels im Kinzigtal; in Hasle mein Taufpate, der Adlerwirt, und in Husen des Seebenburen Toni. Beide gingen zugrund.
Mit dem neuen Prachtbau und dem daran anstoßenden geräumigen Tanzsaal kam neues Leben ins Geschäft, Nicht bloß alle Postwagen und alle Extrachaisen hielten bei »der Krone« an, auch alle Fuhrleut' kehrten jetzt ein beim jungen Posthalter und nahmen Vorspann bei ihm, und alle großen Bauernhochzeiten wurden in der Post gehalten schon wegen des vornehmen, riesiggroßen Tanzbodens. Kellner, Köche, Mägde, Postillone fungierten in Menge in dem neuen Posthause, in welchem manche Nacht 40–50 fremde Pferde mit ihren Lenkern rasteten und vornehme Herrschaften, selbst der Großherzog und der Fürst von Fürstenberg, Quartier nahmen.
Mit jedermann aber konnten der Toni und sein Weib verkehren, und bei hoch und nieder fanden sie das rechte Wort.
Die damaligen Posthalter hatten auch zugleich die Postexpedition. Sie hielten, um letztere zu besorgen, irgend einen verbummelten Studenten oder eine arme Schreiberseele und gaben diesem ihrem Postexpeditor Kost und Wohnung und einige Batzen Geld in der Woche.
So hatte auch der alte Posthalter Nietinger seinem Nachfolger den Expeditor übergeben. Der Mann – ich kannte ihn auch noch – hieß Gabriel Dummel und war ein Original, aus Beuren an der Aach im Hegau gebürtig.
Zu tun hatte der Gabriel nicht viel; Briefe wurden in jener guten, alten Zeit blutwenig geschrieben, und Husen war allzeit ein Totenstädtle, still und friedlich und einsam. Drum' kam wenig »Post« dahin, und nur der Umstand, daß Wolfe damals noch eine Filiale von Husen war, gab dem Gabriel in den ersten Jahren seines Expedierens einige Arbeit.
Die gelesenste Zeitung jener Tage im Kinzigtal, die in Husen vielleicht fünf und in Hasle sechs Abonnenten hatte, brachte ein Haferfuhrmann, der jede Woche einmal nach Hasle auf den Markt kam, in einem Fruchtsack von Oberndorf her. Diese Zeitung war der »Schwarzwälder Bote«.
So hatte der Expeditor mehr Durst als Arbeit und stillte den ersten in der Wirtsstube seines Posthalters, wo immer Bürger, Bauern und Fremde saßen, die er unterhielt und dafür manchen Gratistrunk eroberte. Der Gabriel war berühmt im Dichten, oder wie das Volk sagt – im Lügen. Aufschneiden wie er konnte weit und breit kein zweiter.
Selbst der Fürst von Fürstenberg und der Großherzog Leopold, die oft auf ihren Fahrten talauf und talab in der Post anhielten, ließen sich vom Gabriel zur Unterhaltung was vorlügen.
Fürsten werden ja bekanntlich am meisten angelogen in wichtigen und ernsten Dingen; drum war es schön von den genannten, hohen Herren, daß sie sich auch, weit weniger gefährlich, im Spaß vom Gabriel einen Bären aufbinden ließen.
Der Großherzog Leopold, ein sehr leutseliger und herablassender Fürst, fragte, so oft er in Husen abstieg, alsbald nach dem Gabriel und seinen neuesten – Dichtungen. –
Wie einst auf dem Seebenhof, so hatten auch in der Post zu Husen die Dienstboten aller Art ihre guten Tage. Herr und Frau ließen bei dem Flor ihres Geschäftes auch ihre Mithelfer leben.
Diese mißbrauchten aber die Güte und suchten bald nur ihr Interesse. Kellner, die als Habe nichts mitgebracht als einen Frack und einen Stock, zogen als vermögliche Leute ab, und die Pferdeknechte stahlen den Hafer ihres Herrn sackweise und machten Geld daraus.
Dazu kam noch als weitere Schädigung die Eisenbahn, welche Mitte der vierziger Jahre bis Basel ging und viele Fremde, die bis dahin durch das Kinzigtal hinauf in die Schweiz gereist waren, nach jener Richtung ablenkte.
Bald darauf wurde in Baden in Revolution gemacht: gleich nachher kamen politisch und ökonomisch ungünstige Jahre, und der flotte Posthalter wankte und schwankte.
Trotzdem hat er in dieser bedrohlichen Zeit ein gutes Werk verrichtet und zwar an mir, dem Schreiber der Erzbauern.
Eines Augustabends des Jahres 1853 rückte der Posthalter, ein behäbiger Mann mit vollem, glattem, rotem Gesicht, wie gewöhnlich beim »Spesenhans«, der unten im Städtle ein gutes Bier schenkte, zum Trinken an.
Als er in die Stube getreten war, sah er einen blutjungen, blassen, mageren Menschen, der zu viel getrunken hatte und nimmer auf den Füßen sich halten konnte.
Er erkundigt sich, wem er gehöre, und vernimmt es von dem Begleiter des Trunkenen. Alsbald verläßt der Posthalter das Haus wieder, kommt gleich darauf mit einem seiner Knechte und einem Einspänner zurück und schickt das verunglückte Bürschchen seinen Eltern zu.
Das lumpige Bürschchen war ich, den, wie ich in meiner »Jugendzeit« erzählt habe, die Großmutter am andern Tag seinen Geschwistern als den »Schandpfahl« und »Abschaum« der Familie hinstellte.
Ich schämte mich daraufhin so, daß ich jahrelang Husen und den Speckenhans mied und dem braven Posthalter nie mehr unter die Augen trat, noch weniger mich bei ihm bedankte.
Zwei Jahre später kam der Mann um Hab und Gut. Er fiel jener kreditlosen Zeit zum Opfer, wie der Vogtsbur im Kaltbrunn. Die Generalwitwen-Kasse in Karlsruhe, der er den Zins nicht mehr zahlen konnte, stürzte ihn, konnte aber das Anwesen nur um einen Spottpreis anbringen.
Doch der Gestürzte ging nicht ganz unter. Zu gleicher Zeit mit seinem großen Posthaus wurde das kleine Wirtschäftle »zur Eiche« in Husen um billiges Geld versteigert, und ein Bruder der Posthalterin, der junge Ferdishannesbur im Schappe, kaufte und übergab es dem Schwager und der Schwester.
Die Poststation kam nach Hasle; den Gabriel jedoch, der unterdes alt geworden, wollte niemand mehr als Expeditor. Da übten die, welche soeben Edelmut von einem Dritten erfahren hatten, an dem alten Lügenfürsten die gleiche Tugend; sie nahmen ihn, der von ihnen sich nicht trennen wollte, mit in die Eiche.
Der Posthalter aber krankte sich über seines Geschäftes Untergang und starb schon im zweiten Jahr darnach, noch nicht fünfzig Jahre alt. Wenige Monate später folgte ihm der Gabriel ins Grab, fast ein Achtziger, und was er noch sein eigen nannte, ein kleines Kapital, vermachte er den Kindern seines einstigen Herrn.
Kaum war der gute Posthalter tot, als ich fortan bis zum Ende meiner Studienzeit oft in das kleine, sonnige Häusle zur Eiche kam. Es lag oberhalb des Städtchens, wenige Schritte von der Landstraße im lichten Schatten einer großen Linde.
Da kredenzte die Posthalterin, immer noch eine schöne Frau, mit ihren noch schöneren Töchtern ein gutes Hornberger Bier, und oft fuhr ich am Nachmittag oder am Abend mit meinen jetzt seit Jahren auch toten Freunden, dem Arzt Feederle und dem Notar Serger, nach Husen; und wenn der Doktor seine Patienten besucht hatte, setzten wir uns zu den Damen in der Eiche und tranken eins.
Die älteste der vier Töchter hieß wie ihre Großmutter, die Fürstin unter dem Wildsee, Apollonia und eine andere nach dem Vater Antonie.
Husen war von jeher noch unberühmter durch weibliche Schönheiten als Hasle; aber damals wohnten die Grazien des Kinzigtals in der Eiche, echtem Bauernfürstenblut im Wolftal entsprossen.
Zwei dieser Grazien waren stets daheim, die zwei anderen suchten ihr Brot in der Fremde. Die Mutter aber, eine stattliche Vierzigerin, eine Juno, fand einen zweiten Mann, einen braven, stillen Schweizer.
Unfern der Eiche bestand damals noch das fürstenbergische Hammerwerk; die Männer am Feuer und auf dem Bureau hatten Durst und löschten ihn bei den Elfen im Schatten der Linde.
So war immer Leben in dem kleinen Häuschen, bis die Hämmer still stunden und die besten Trinker, die Hammerschmiede, in die weite Welt zogen.
Zwei der schönen Meidle waren aber schon verheiratet, die eine unglücklich an einen Musiker und Lumpen in Zürich, wo sie bald starb: die andere hatte einen Sattler genommen aus St. Georgen im Schwarzwald und war mit ihm nach Amerika gezogen.
Als wenige Jahre später die zwei andern Grazien, darunter auch die schönste, die Mina, sich in der Nähe von Frankfurt gut verheirateten, und als auch der stille Schweizermann das Zeitliche gesegnet hatte, verkaufte die alte Posthalterin ihre Eiche und zog zu ihren Töchtern. Dort starb sie vor wenig Jahren hochbetagt und erblindet.
So oft ich in meinen alten Tagen an dem kleinen Häuschen in Husen vorüberfahre, gedenke ich der sonnigen Tage und der dämmerigen Abende, an denen ich in der Eiche mit nun längst toten Freunden Bier trank, und erwäge in der Bitterkeit meiner Seele, wie viele seitdem den Tod geschaut, die sich damals gefreut im Tale und in der Eiche.
Selbst die große Linde vor dem Häuschen ist seitdem gestorben, und die schönen Meidle in der Eiche sind, wenn sie noch leben, sicher jetzt auch alte, greise Damen geworden.
Das ist der Welt Lauf. –
Aus jenen Glanztagen in der Post zu Husen lebte an der Jahrhundertwende von den Hausgenossen nur noch ein Mensch, der Fidele, einst Stafettenreiter und Hausknecht bei den zwei letzten Posthaltern.
Er ritt jeweils den fürstlichen und anderen Extraposten voraus und bestellte die Pferde, damit diese bereit wären, wenn die Herrschaften ankämen. Und wenn der Fidele im gelben Frack durch Hasle galoppierte, so paßte man auf, denn er war das Zeichen, daß demnächst was Vornehmes durchfahre.
Der Fidele kam oft wochenlang in kein Bett und wurde trotzdem so alt. Als ich im Frühjahr 1898 Kunde erhielt von seinem Dasein und zwar einem höchst armseligen, sandte ich ihm sofort ein gutes Trinkgeld. Es war nämlich alsbald in mir die Ahnung aufgestiegen, der Fidele möchte mich damals mit dem Einspänner des Posthalters nach Hasle spediert haben. Denn er war nicht Postillon und besorgte darum in rittfreien Stunden die Einspännerfuhren.
Bei dem Schrecken und bei der Empörung, welche meine Großmutter, bei der er mich ablud, erfaßt haben mögen, hat sie jedenfalls vergessen, dem Fidele ein Trinkgeld zu geben, darum hab' ich's fünfundvierzig Jahre später selbst besorgt.
Wenn ich aber wieder einmal nach Husen komme und der Fidele lebt noch, will ich die Sache, die ich jetzt nur vermute, festzustellen suchen bei ihm selber. Bestätigt sich meine Ahnung, so soll's der Brave nicht bereuen, mich Lumpen einst nach Hasle geführt zu haben. –
Es ist merkwürdig, wie man in der Jugend falsche Ehrbegriffe hat. So lang ich ein junger Mensch war, hätt' ich mich geschämt, dem Posthalter von Husen oder dem Fidele unter die Augen zu treten und von jener Begebenheit zu reden.
Heute würde ich es mit Freuden tun und mich erkenntlich zeigen in Wort und Tat. Warum? Weil einem, der das Menschenleben in seiner ganzen Armseligkeit durchgekostet hat, die Jugendzeit in solch einem Glorienschein vorschwebt, daß dieser goldene Zauber selbst die Lumperei jener Tage verklärt. –
Das war das Schicksal des ältesten Sohnes vom Waldfürsten Hansjörg. Einzelne seiner Geschwister erfuhren ein ähnlich herbes Los, verarmten und zogen mit ihren Kindern nach Amerika.
Die Schwestern waren meist Bürinnen, die Brüder, wie er, Wirte im nördlichen Schwarzwald.
Am besten ging es noch dem Augustin. Er heiratete, nachdem er erst eine Papiermühle am Wolfbach betrieben, die verschuldete »römische Kaiserwirtin« in Nußbach bei Triberg, an der Straße nach der Sommerau.
»Durch seine scharfe Umsicht,« so schrieb mir ein heutiger Nußbacher, »und durch seinen Herrschaftsgeist brachte er die Schuld zum Sinken. Als der Bahnbau durch den Schwarzwald und damit Verdienst kam, verfuhr er so strenge mit der Abzahlung der Schuld, daß er ein vermöglicher Mann wurde.«
Von 1848–1860 war der Augustin ununterbrochen Bürgermeister, ein Beweis, daß er nicht umsonst den Advokat zum Hofmeister gehabt.
Fast ein Siebziger, übernahm er dies Amt noch einmal von 1883–1886 und starb kinderlos erst 1896 als allgemein geachteter Mann. –
In Wolfe lebt heute noch eine arme, greise Waschfrau, die eine Enkelin des Fürstenpaares auf dem Seebenhof ist.
Und dieser Hof selbst? Von ihm ist kein Stein mehr auf dem andern. Die Residenz des größten bäuerlichen Waldfürsten im Kinziggebiet und wohl im ganzen Schwarzwald ist vom Erdboden verschwunden wie die des Bauernfürsten von Kaltbrunn.
Nachdem der Christian und seine Teilhaber die Waldungen ausgeraubt und für 200 000 Gulden Holz daraus verkauft hatten, traten sie den Seebenhof für 155 000 Gulden an den Fürsten von Fürstenberg ab. Sie bekamen also für den ausgeplünderten Hof fast so viel, als sie selber bezahlt hatten. Das Geschäft war nicht schlecht gewesen.
Die Herrschaft Fürstenberg ließ nach dem Tode des Hansjörg, der lebenslänglich Wohnung hatte, alle Gebäulichkeiten niederreißen; nur der einstige Garten, jetzt eine Waldbaumschule, ist noch zu erkennen.
Im Volke aber geht heute noch im Wolftal die folgende Sage: Auf den Seebenhof sei vor alter Zeit aus dem Wildsee herab jeden Morgen ein Männlein gekommen mit großem Bart und alten, abgetragenen Kleidern. Dieses habe das Vieh gefüttert und sich im Futterstock und in den Ställen tagsüber aufgehalten. Am Abend sei das Seemännle, wie die Leute es nannten, jeweils wieder heim in die Flut.
Es gab auch auf die Kinder acht, wenn keine erwachsene Person im Hause war, und wenn geflößt wurde, – eine gefährliche Arbeit – stand das Seemännle auf die abgehenden Flöße, bis die gefährlichsten Stellen passiert waren.
Sein Essen habe man ihm – aber nur Milch und Brot wollte es – unter die Stiege gestellt. Dort habe der Kobold es geholt und unbeschrieen verzehrt und dann die leere Schüssel wieder an den Platz, auf dem sie gestanden, gebracht.
So war das Männlein der gute Geist des Hofes und die Leute ihm dankbar. Eines Tages aber legte ihm die Bäuerin einen neuen Anzug unter die Stiege und gab ihm auch ein besseres Essen.
Als es kam, um seine Nahrung zu holen, und das neue Gewand und das gute Essen sah, ward es traurig, jammerte und sprach: »O je, jetzt muß ich fort, wieder für immer in den See zurück.« Von Stund an verschwand es, und mit ihm wichen das Glück und der Segen vom Hofe, bis er unterging.
Wenn man nicht wüßte, wie vielen Sinn das Volk in seine Sagen zu legen pflegt, aus dieser einen Sage vom Seemännle könnte man es lernen.
Welches ist kurz die Lehre, welche die erwähnte Sage allen Bauern gibt, groß und klein?
Der Volksmund will durch die Erzählung vom Seemännle sagen: »So lange der Bauer an der alten Einfachheit festhält im Essen, Trinken und in Kleidern, wird er bestehen; geht er vom Alt-Erprobten und Bewährten ab, so weicht der Geist des Segens, und der Bauer geht zugrunde.«
So ist die Sage Wasser auf meine Mühle und predigt, was ich in meinen Volkserzählungen schon oft gepredigt habe.
Es schleicht sich mehr und mehr ein anderer Geist in die Bauernhäuser ein; es ist der Kobold der modernen Kultur; der will aber nicht, wie das Seemännle, einfache Kleidung und einfache Kost. Dieser neuzeitige Hausgeist will modische Kleider, gut' Essen und Trinken und allerlei unnötige Dinge, die Geld kosten. Er verführt auch Knechte und Mägde, in die Städte und in die Fabriken zu ziehen, um besser leben zu können.
So ruiniert er den Bauer, und seinem Unsegen verfällt in unseren Tagen mancher Hof und manche Familie, weil der gute Geist der alten Zeit mit seiner Einfachheit und Zufriedenheit weichen muß vor der dreifachen Teufelin, die da heißt: Kultur, Halbbildung und Genußsucht.