Heinrich Hansjakob
Erzbauern
Heinrich Hansjakob

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2.

Simon, der Bur und Fürst im Holdersbach, wurde auch ein Erzbauer im buchstäblichen Sinne des Wortes.

Die schon öfters genannten Erzgruben im Wildschapbach, der Friedrich Christian und der Herrensegen, standen seit Jahrhunderten nie allzulange still, weil die Sage von ihrem Erzreichtum niemals ruhte, auch wenn die Gruben zeitweilig ins Freie gefallen waren.

Vom Jahre 1790–1834 hatte die fürstenbergische Standesherrschaft den Herrensegen im Betrieb. Im letzteren Jahre wurde die Grube aber wieder aufgelassen und in den folgenden Jahren nur zeitweilig durch das württembergische Haus Dörtenbach in Calw auf Raub gemutet.

Simon, der Bur, gründete nun im Jahre 1838 eine Gewerkschaft von Bauern auf Aktien, um die Erze im Herrensegen zu heben.

Direktor war der Fürst Simon selber, Verwaltungsräte der Beckemichel im Dorf und der Bühlisidor in der Sulz, Kassier der Steigmarx und Mitaktionäre die reichsten Buren im Wolftal.

Technischer Berater und Bergingenieur war der Buelander von Hasle, Obersteiger der Steigermichel im Wildschapbach, ein gewandter Bergmann, und als Kassenbote und Vereinsdiener fungierte der Pfiferjörgle.

Bei den meisten Aktiengesellschaften nimmt man es bekanntlich nicht so genau beim Anpreisen des Unternehmens, und diesen Brauch verstanden schon die Erbauern im Wolftale.

Hauptagenten für den Vertrieb der Aktien waren der äußerst gewandte Pfiferjörgle und der Bolderbur, ein ehemaliger Lehrer.

Er war als Unterlehrer in den Schappe gekommen, wo ihm die Bauern wegen seiner karierten Hosen alsbald den Namen »der Schäck« gaben, eine reiche Bürin und Witwe ihm aber ihre Hand reichte und ihn zum Bur machte.

Der Bolderbur war einer derjenigen, die dem Fürsten im Holdersbach am meisten huldigten und seiner geistigen Ueberlegenheit sich unterwarfen.

Der Pfiferjörgle und der Schäck trugen nun den Ruhm der Gewerkschaft und den Reichtum der Grube Herrensegen weithin, auch über den Kniebis hinüber und hinab ins schwäbische Murgtal, wo sie einen reichen Müller in Baiersbronn angelten.

Der war aber als kluger Württemberger nicht so dumm, eine Katze im Sack zu kaufen, sondern wollte sich vom Silberreichtum im Wildschapbach zuerst überzeugen, ehe er Aktien nahm.

Solche Fälle waren aber schon vorhergesehen vom Ingenieur Buelander von Hasle und für den Besucher in irgend einem Gang glänzendes Bleierz freigelegt; so auch, als der reiche Müller über den Kniebis herübergestiegen kam.

Als Häuer, der dem Schwaben die Grube zeigen sollte, ward der Cyprian Breitsch, den wir aus dem »Fürsten vom Teufelstein« kennen, auserkoren. Er führte den biederen Müller in einen Gang und hielt seine Lampe an den Bleiglanz »vor Ort«, wo alles glitzerte und funkelte. Der Murgtäler riß die Augen auf und war sprachlos.

Da stellte ihn der Häuer in einen andern Gang, um von dem Silbergestein lossprengen zu können. Als der Schuß gekracht hatte und der dickste Rauch verzogen war, holte er den Mann aus Schwaben wieder herbei und zeigte ihm, was des Bergmanns Schuß angerichtet. Da lagen auf dem Boden glitzernde Silbererze in schwerer Menge, und ebenso reichhaltig standen sie wieder vor Ort an und blendeten den reichen Müller.

Jetzt brach sein Staunen in Worten los, und er sprach begeistert zum Cyprian: »Do isch bei Gott Glück ouf! Do sieht's guat ous! Do geit's Silber, und so word's furtgau, nit wohr, Bergma?« Und der Bergmann, der's mir selbst noch erzählt, meinte: »'s word so sei!« Und von Stund an war der Müller von Baiersbronn Mitaktionär höchster Zeichnung.

Solche Kapitalisten gaben der Bauern-Gewerkschaft Mut, und sie nahm alsbald zwei neue Gruben in Angriff, die eine beim »steinernen Kreuz bei der Walk« im untern Wolftal und die andere im silberreichen Witticher Tal. Die erste taufte der Direktor Simon, der Bur, »Ausdauer und Glück« und die zweite »Leo«. Trotzdem machte der Erzbauern-Verein bei beiden Fiasko, weil sie nichts ergaben als taubes Gestein.

Bei der Leo-Grube war Obersteiger der »Hauptmann« der Leibgarde des Fürsten Andreas I. von Kaltbrunn. Er schickte seine und seiner Bergleute Arbeitsliste jeweils ein mit der Überschrift: »Lohnliste, wo ich selber dabei war«.

Und nobel waren die Erzbauern im Schappe in ihrem Lohn. Während damals der badisch-englische Bergbauverein, welcher im benachbarten Heuwich mutete, für die Schicht nur 36 Kreuzer vergütete, zahlten die Buren 42.

Sie arbeiteten nur mit 40–50 Bergleuten und nur vier Jahre lang und alljährlich mit Defizit, im Bergmannsdeutsch mit Zubuße.

Der Pfiferjörgle, der in seinen von Botengängen freien Tagen auch als Bergmann arbeitete, hatte bald schweren Stand, wenn er zu den Aktionären kam und die Zubuße holte. Er tröstete die Leute, so gut er konnte, bis sie ihm schließlich nichts mehr glaubten und die Zubuße verweigerten.

Jetzt mußte die Gewerkschaft »ihr Gezäh austragen lassen«, und ihre Herrlichkeit hatte ein Ende; die Aktien waren wertlos, meist aber, wie's heute noch Mode ist, nicht mehr in den Händen – der Gründer.

Der lustige Bergingenieur Buelander aber hatte sich in den Erzgängen den Tod geholt; er kehrte nach Hasle heim und legte sich jung nieder zum Sterben.

Sein Sohn mußte ein Schneider werden und war, wie ich in dem Buche »Aus meiner Studienzeit« erzählt, in Rastatt mein Leibschneider, da er dort bei den Dragonern stand und ich unter den Gymnasiasten. Er ist einige Jahre älter als ich und lebt heute als Mann einer in Amerika reich gewordenen Haslacherin in New-York.

Die Dame sah bei einem Besuch in Hasle den alternden und armen Schneidersmann, der als Polizeidiener seiner Vaterstadt funktionierte. Seine vom Vater ererbte Frohnatur und seine Eleganz im Auftreten besiegten das Herz der Amerikanerin, und sie machte den allzeit fidelen Buelander über Nacht zu einem Rentier. –

Der Pfiferjörgle, welcher als Aktienempfehler und Zubußeneintreiber am wenigsten beliebt war bei den einstigen Aktionären, schüttelte bald nach dem Untergang der Bauern-Gewerkschaft den Staub des Wolf- und Wildschapbach-Tales auf einige Zeit von seinen Füßen.

Er hatte Freude gewonnen am Bergbau und gehört, daß unweit Freiburg, im Gebiet des Feldbergs, im Zastler und bei Oberried, Arbeit sei für Bergleute und Holzmacher. Aber wissend, daß die Menschen überall Musik und Tanz lieben, suchte er seine Kapelle mitzunehmen in die Täler um den Feldberg.

Der Gigerle von Halbmeil, der leicht sein Brot fand drüben im Kinzigtal, wollt' nit in die Fremde; doch der Beckefranz und der Beckeengel gingen mit, wohl überzeugt, daß Dorfmusikanten unter einem Impresario wie der Pfiferjörgle nicht zugrunde gehen und ihnen die Welt offen stehe.

Nun machte der Pfiferjörgle einige Jahre – es waren die mittleren vierziger des 19. Jahrhunderts – Musik im Zastler, in Oberried und bis hinab nach Kirchzarten, zwei Stunden oberhalb Freiburg. Und die Meidle tanzten, und die Burschen jauchzten, und die Buren und Bürinnen losten (lauschten), wenn der Jörgle musizierte, sang und deklamierte.

In der übrigen Zeit schlug er Holz in den großen Wäldern zwischen Feldberg und Schauinsland oder mutete in den alten Erzgängen unter den Tannen.

Der Beckeengel war ein so tüchtiger Vollhäuer, daß ein »englischer Bergherr« ihn bestimmte, mit ihm nach England zu ziehen. Später ging dieser Schapbacher Musikant nach Amerika, wo er starb. Sein Bruder, der Beckefranz, wurde krank in der Fremde, ging heim und starb ebenfalls.

Jetzt hatte der Pfiferjörgle keine Musikanten mehr. Seine Kapelle hatte sich aufgelöst, und der Maestro zog wieder dahin, von wo er gekommen, ins Wolftal.

 


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