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Die bravste und die schönste Frau wird nach Jahr und Tag vergessen, selbst von ihrem eigenen Mann. Die meisten Männer warten nicht drei Jahre, wie der brave Bühler; sie sehen sich weit früher nach einer andern um.
Ich glaub's dem Benedikt aufs Wort, daß er wieder heiraten mußte; denn wie sollte er, ein kinderloser, junger Mann, allein leben auf dem Bühl und sein Gut umtreiben?
Daß nur das Muß ihn trieb, als drei volle Trauerjahre um waren, geht daraus hervor, daß er weder auf Geld, noch auf Schönheit sah bei seinem Werdegang. Er suchte nichts als ein braves, schaffiges Weib, und das fand er draußen im Wolftal, zwanzig Minuten unterhalb des Häuschens, in dem wir am 13. Mai beisammen saßen.
Dort liegen einige Hütten, und sie heißen »im Zierle«. Hier fand der Bühler, was er suchte, ein kreuzbraves Meidle, namens Genofev.
Der Benedikt lud am Tage vor der Hochzeit seine Nachbarn und Nachbarinnen drunten im Hirschbach höflich zur Morgensuppe ein. Diese Höflichkeit ward ihm aber schlecht gelohnt. In der Nacht stellten ihm die Meidle aus dem Hirschbach, erbost darüber, daß er »eine Fremde« ins waldige Tälchen und auf den Bühl bringe, eine als Weib ausstaffierte Vogelscheuche vor die Hütte, um die brave Genofev zu parodieren und den guten Bühler zu ärgern.
Und zur Morgensuppe kam gar niemand aus der Nachbarschaft, was dem gekränkten Hochzeiter Tränen verursachte.
Weinend schritt er von seinem Bühl herab und das Tälchen hinauf zu der Mutter Dieterles, des geistreichen Waldhüters, der damals noch ein Knabe, während seine Mutter Witwe war. Unter Tränen bat der Hochzeiter die Witwe, doch mit ihren Kindern zur Morgensupp' zu kommen, da er sonst allein wäre in seiner Hochzeitshütte. Und die Frau tat dem Armen den Gefallen. –
War mit dem Tode seiner Lis der Untergang der Knappschaft verbunden gewesen, so erstand bald, nachdem die Genofev in des Bühlers Hütte eingezogen, die Grube Friedrich Christian zu neuem Leben.
Franzosen hatten die Hinterlassenschaft der Engländer im oberen Kinzigtal übernommen und auch wieder im Wildschapbach zu muten begonnen.
Kaum hatte der Bühler gehört, daß Bergleute geworben würden, so erwachte seine alte Liebe zur Unterwelt; er meldete sich als Bollhäuer.
Jetzt hatte er wieder das »schöne«, alte Bergmannsleben und war tagsüber Bauer und in der Nacht Erzgräber. War er aber am Tag unter der Erde, so arbeitete der brave Mann nachts bei Mondschein auf seinem Gütchen, mähte Gras und säte Korn.
Da der Betrieb nicht so flott ging wie unter den Engländern, so arbeitete unser Bühler oft ganz allein in einem Stollen.
Bei diesem Alleinsein kam ihm das erstemal und fortan jede Nacht der Gedanke, einmal alleiniger Besitzer und Muter eines Bergwerks zu werden.
Als deshalb die Franzosen nach acht Monaten schon die Grube wieder ins Freie fallen ließen, weil sie auf zu wenig edles Gestein trafen, da wollte der Benedikt allein im Friedrich Christian »das alte Bergglück« versuchen. Er wanderte talab nach Wolfe, um einen Schürfschein zu holen beim Oberamtmann Seidenspinner.
Dieser, sonst ein wohlwollender Mann, mußte dem Bühler seine Bitte abschlagen, da ein armes Bäuerlein in einer Grube, die so groß angelegt war und deren »Wassernötigung« Maschinen erforderte, ohne Lebensgefahr nicht aufkommen konnte.
Betrübt ging der Bergmann wieder heim; aber sein Berggeist ließ ihm keine Ruhe. Der Benedikt wollte wieder unter die Erde und dies um jeden Preis.
Wer sucht, der findet; so fand auch er den Weg, um zu einem eigenen Bergwerk zu kommen.
Ueber seinem Bühl erhebt sich gegen Westen ein waldiger Rücken, der Benauer Berg, der die Hochmulde des »Schwarzenbruch« nach Osten abschließt. Dort, so erzählt das Volk heute noch, stand einst eine reiche Bergstadt, Benau genannt. Während die Täler unten alle noch ein See waren und die Schiffer an den hohen Bergspitzen ihre Schiffe festbanden, blühte die Stadt Benau mit einem lustigen Volke von Bergleuten.
Ich bin am Tag darauf, nachdem der Bühler mir sein Leben erzählt, auf der Höhe gewesen, die einst diese Bergstadt getragen haben soll. Mein Freund, der Moosbur, der auf jener Höhe seinen Hof hat, holte mich ab und zeigte mir Gottes Herrlichkeit auf dem Schwarzenbruch, wovon ich ein andermal berichte. Er zeigte mir aber auch das Gebiet der einstigen Bergstadt Benau. Noch jetzt heißt ein kahles »Moos« der Kirchhof und eine Bergwiese die »Kapellenmatte«.
»Die Stadt ging unter,« so berichtete mir der Moosbur, »weil die Bewohner das goldene Kalb anbeteten, d. h. weil sie zu viel edles Erz fanden, wurde es ihnen zu wohl, und ihre Ueppigkeit forderte die Strafe des Himmels heraus.«
»Der Pfarrer und der Mesner,« sprach mein Schwarzenbrucher Freund weiter, »kamen allein davon. Sie waren auf einem Versehgang, und als sie heimkehrten, war die Stadt versunken.«
»Das alles aber geschah noch zu Römerzeiten.« War die Bergstadt eine römische Kolonie, wie auch ein und der andere Ort im untern Kinzigtal? Waren unter ihnen römische Christen, die in dieser Einsamkeit Ruhe fanden für ihren neuen Gottesdienst?
Es scheint so, denn der Volksmund erzählt weiter: »Von der Stadt Benau sei nur eine Kapelle übrig geblieben, und in dieser seien die wenigen Christen der Gegend zusammengekommen, während alle anderen Leute noch Heiden waren. Sie hätten Prozessionen gehalten am Sonntag um dies Kirchlein und reichbekränzte Jungfrauen das Bild der Muttergottes getragen.«
»Ein heidnisches Weib habe einst das Heiligtum betreten und schänden wollen. Sie mußte dafür umgehen als die Hexe von Benau oder die alt' Lempi, die nachts die Leute quäle, welche in den Bannkreis des längst verschwundenen Kirchleins kämen.«
Wie sehr die Volkssagen mit einstiger Wirklichkeit verwandt sind, zeigt heute noch eine schöne Sitte, die sich auf dem Schwarzenbruch erhalten hat. Alljährlich von Kreuzerfindung bis Kreuzerhöhung, d. i. vom Mai bis September, versammeln sich an Sonntagen die Schulkinder und die Hirtenbuben und Hirtenmeidle beim größten Berghof, dem Hanseleshof.
Sein Fürst, der Hanselesbur, den ich gar wohl kenne, ist ebenso stattlich wie sein Riesenhof.
Sind die »kleinen Völker« beisammen, so kommen vier bekränzte Meidle aus dem Hause mit der Statue der Himmelskönigin und Hirtenbuben mit Kreuz und Fahnen, und es beginnt die Prozession der Kinder um den Bann des Hofes.
Eine wunderbare Prozession von wenig Menschenkindern auf einsamer Bergeshöhe! Und während die kleinen Menschen wallen und beten, schauen die waldigen Bergkuppen feierlich zu. Die Sonne leuchtet über die Höhe und hinein in die Herzen der Beter. Ringsum ist feierliche Sonntagsstille, als wollte die ganze Natur lauschen, wenn Kinder ihren Gott verherrlichen und den Schöpfer bitten um seinen Segen.
Da wo die Schau über Berge und Täler hin am schönsten ist, hält der Zug, und die Hanselesbüre betet die Litanei zu allen Heiligen. Sie ruft die Namen der Apostel, der Märtyrer, der Bekenner Jesu Christi laut hinein in die Berge, und die kleinen Völker antworten mit ihren Silberstimmen, daß es hinunter in die Täler dringt und klingt: »Bittet für uns!«
Was ist die schönste Predigt und das schönste Gebet innerhalb der Kirchenmauern gegen solche Andacht, wie die Kinder und Hirtenvölker des Hanselesburen, des Moosburen, des Hermesburen, des Schorneburen sie halten zur Sommerszeit auf der Berghöhe des Schwarzenbruchs!
Da versteht man erst den Psalmisten, wenn er sagt: »Aus dem Munde der Kinder hast du dir Lob bereitet« – und wenn er ausruft: »Ihr Berge und ihr Hügel, ihr Täler und ihr Gewässer und alles, was in den Lüften lebet, – preiset den Herrn!«
Der Hanselesbur hat auf der Stelle, wo die Prozession beginnt, jetzt eine Kapelle bauen lassen. Und ich hab' ihm, dem stattlichen Mann in der Volkstracht, als er im Herbst 1897 in Freiburg mich besuchte, versprochen, die Kapelle zu sehen und einmal den uralten Bittgang mitzumachen.
Nach altem Brauch erhält jedes Kind, das dem »Umgang« um den Hanseleshof beiwohnt, vom Buren zum Abschied einen Kreuzer (drei Pfennig).
Die Menschen vergangener Zeiten schon haben wohl gewußt und empfunden, daß Kinder, die des Lebens Not nicht kennen, auch nicht recht wissen, wozu sie beten sollen. Drum haben seit Jahrhunderten die Bauernfürsten auf dem Hanseleshof die Kinder der umliegenden Berghütten belohnt für ihr Erscheinen und für ihr Beten.
Es war am 17. Juli des Jahres 1898, da ich die Fahrt antrat, um die Prozession der kleinen Völker auf dem Schwarzenbruch zu sehen.
Ich hatte erst nach neun Uhr Freiburg verlassen und war lange vor zwölf Uhr schon in der Hauptstadt des obern Kinzigtals, in Wolfe.
Hier war großer Spektakel; ein Kriegerfest wurde gefeiert, und ich war ordentlich froh, als ich nach kurzer Mittagsrast das Städtle und den Festpatriotismus des Tages hinter mir hatte.
Der Moosbur vom Schwarzenbruch hatte mich in Wolfe abgeholt, und in seinem »Burewägele« fuhren wir stolz das Wolftal hinauf. Hinter uns im Wagen stand eine Tochter des Hanselesburen, die ich im Verdacht hatte, daß sie in Wolfe gewesen war, um noch Einkäufe für meinen Besuch zu machen.
Die Sonne, welche die ganze Woche diesem irdischen Jammertal ihren Schein versagt hatte, leuchtete hellauf über Berg und Tal, und des Moosburen Gaul sprang lustig des Weges dahin, denn auch die Tiere fühlen es, wenn die Sonne scheint.
Ueber der »alte Wolfe« droben trafen wir die »alte Schorne«, meine Freundin; sie zog im Sonntagsstaat der Dorfkirche zu. Die Oberwolfacher haben heute »Skapulierfest« und feierliche Vesper, und in diese wollte die Viktoria; so heißt meine Freundin.
Wir konnten uns nur grüßen und gegenseitig das Wohin austauschen; denn der Moosbur und ich und die alte Schorne hatten Eile. Um zwei Uhr sollte die Prozession auf dem Schwarzenbruch beginnen, und auf dem Kirchturm in der alte Wolfe läutete es eben »das ander« in die Vesper der Viktoria.
Des Hanselesburen Meidle hatte mir zwar versichert, die Kinder warteten, bis ich käme; aber ich wollte diese kleinen Völker nicht allzu lange aufhalten.
Auf dem halben Weg, vor dem Hirschen bei der Walk, hielten wir kurz an, ohne abzusteigen, und ich ließ dem Moosbur einen Schoppen kredenzen von der lustigen Hirschwirtin, der schönen Tochter der Viktoria.
Hier stieg noch ein junger Taglöhner und Holzhauer vom Schwarzenbruch hinten auf das Wägele, und fort ging's ins sonnige, enge Waldtal hinauf.
Wo das Dohlenbächle in die Wolf springt, fuhren wir gen Nordost, und bald mußten alle absteigen, bis auf den alten Pastor; denn es ging »dachgäh« bergauf.
Der Schwarzenbrucher Holzhauer schlug sich links und des Hanselesburen Tochter rechts in die Büsche, beide, um auf kürzeren Saumpfaden ihr Heim zu finden.
Es war ein Viertel nach zwei Uhr, als der Moosbur und ich durch die Schlucht hinauf beim Hanseles-Buren anfuhren.
Eine mit Rinden gedeckte, kleine Kapelle steht unmittelbar beim Haus und vor ihr die kleinen Völker, die zur Prozession erschienen sind, lauter barhäuptige und barfüßige Büblein und Mägdlein, die ersteren nur in Hose und Hemd, die letztern in farbigen Röcklein und weißem Linnen.
Sie schauen mich scheu und schüchtern an wie Waldvögelein. Ich ziehe ein Päckchen Helgen aus der Tasche, zeige ihnen die Bildchen und verspreche jedem eines derselben nach der Prozession; es müßte mir aber jedes seinen Namen sagen, damit es seinen Patron bekomme.
Jetzt lösen sich die Zungen, und bald ist die kleine Schar gesprächig. Mit Stolz stellen die Büblein sich vor, welche Kreuz und Fahnen und die Statue Johannes, des Täufers, und die Mägdlein, so die Muttergottes tragen dürfen.
Der Hanselesbur sagt mir, es seien diesmal weniger Kinder, da die Leute auf dem Schwarzenbruch alle am Heuen seien, weil heute der erste Sonnenstrahl scheine nach langem Regenwetter. Die kleinen Hirten und die Hirtinnen müßten dabei helfen.
Seine eigenen zahlreichen Völker sah ich weit drüben in einer Mulde mit Heuen beschäftigt.
Jetzt trat die Tochter des Buren, die mit mir hergefahren war, unter die Kleinen und befahl, daß die Prozession sich ordne.
Die Träger und Trägerinnen eilten in die Kapelle, holten Fahnen, Kreuz und Statuen, und die heilige Fahrt setzte sich in Bewegung.
Den Betern voran ging, als der Mutter Stellvertreterin, die Tochter des Hauses, an ihrer Hand das kleinste der Kinder führend. Die reizenden Barfüßler schritten, die Händlein gefaltet, hintendrein und begannen: »Vater unser, der du bist in dem Himmel,« und da sie an das »Gegrüßest seist du Maria« kamen und die Worte: »Gebenedeit ist die Frucht deines Leibes, Jesu« – gesprochen hatten, fügten sie, der kirchlichen Zeit entsprechend, jeweils bei: »Der von den Toten auferstanden,« »der in den Himmel aufgefahren ist,« »der den heiligen Geist gesandt hat.«
Ich schritt wie ein alter Riese hinter den Kindern drein, mit hellen Tränen kämpfend.
Die Sonne stand mit Verklärungslicht still über der betenden und wallenden Schar, die ganze Natur schwieg, kein Windhauch ging durch die Blätter, und kein Vöglein gab laut. Alles war still und lauschte; nur die kleinen Menschenkinder beteten zum Vater, der im Himmel ist, und zu dem, der Mensch geworden ist, damit alle, die an ihn glauben, ewiges Leben haben.
Fürwahr! Solch ein Gebet aus Kindermund muß durch die Wolken dringen und die Gottheit, der es gilt, erfreuen.
Und wenn der auf Golgatha Gekreuzigte heute, nach 19 Jahrhunderten, keine andere Ehre genösse auf Erden, als die, welche die Kinder auf dem Schwarzenbruch ihm darbringen, so wäre diese einzige Gedächtnisfeier seines Todes und seiner Auferstehung ein Beweis seiner Gottheit. –
Ich folgte den Kleinen nach, soweit ich es meinen schwachen Bewegungsnerven zumuten konnte; dann ging ich zum Hofe zurück und wartete die Rückkehr der kleinen Beter ab.
Bald hörte ich ihre Stimmen wieder vom Fenster aus. Da die Litanei jetzt in der Kapelle gebetet wird, kehren sie eher zurück als früher, wo das kleine Heiligtum noch nicht bestand.
Als die Prozession in dieses eingezogen war, trat ich unter die Türe und lauschte der Anrufung aller Heiligen durch den Kindermund, und ich sprach zu mir:
O du Kindermund, o du Kindermund,
Unbewußter Weisheit froh,
Himmelssprache kund, Himmelssprache kund,
Wie Salomo.
Selbst die Sonne war den kleinen Betern nachgegangen; sie schien so andächtig und so himmlisch glänzend durch die Fensterscheiben der Kapelle, daß man glauben konnte, sie verstünde, was hier vorging.
Als die Litanei geendet, kamen die Kleinen wieder ins Freie und erhielten aus der Vorbeterin Hand die drei Pfennige. Ich aber gab ihnen die schönen Helgen. Die Kinder strahlten vor Freude, sagten herzlich ihr »Vergelts Gott« und eilten dann nach allen Richtungen bergauf und heim, um der Mutter die Helgen zu zeigen. –
Mich aber hielt die Büre auf dem Hanseleshof noch länger fest. Sie hatte dem Moosbur und mir ein Mahl bereitet, als wären zwei verlorene Söhne heimgekehrt ins Vaterhaus.
Wir aßen und tranken und wurden fröhlich wie Josephs Brüder, indes der Hanselesbur einige Wagen voll Heu heimführte.
Als er damit fertig war, schied der Moosbur hinüber auf seinen Hof, und mich führte der Hanselesbur wieder bergab auf dem für eine Talfahrt lebensgefährlichen Weg.
Er brachte mich glücklich bis zum Ochsen im Schappe. Hier empfing mich ein Wagen von Rippoldsau, und ich fuhr in einen wunderbaren Abend hinein und das Wolftal hinauf bis an den Fuß des Kniebis.
Am andern Mittag ging's über diesen hinüber an die Kinzigtalbahn. Am Abend war ich wieder in Freiburg. –
Merkwürdig ist, daß von der Kinderprozession selbst drunten im Wolftal die allerwenigsten Menschen etwas wissen, und doch ist dieselbe uralt. Das wahrhaft Schöne bleibt gerne im Verborgenen.
Ich denke mir die Entstehung der Prozession also: Christen hielten ihre Bittgänge auf dem Schwarzenbruch, während noch Heiden neben ihnen wohnten. Die Kinder der letztern trieb die Neugierde zu diesen Prozessionen, und durch die Kinder kamen schließlich auch die Eltern und wurden Christen. Zum Andenken wurde die Kinderprozession eingeführt.
Eine alte Sage dagegen berichtet: Einst sei auf dem Hanseleshof der ewige Jude übernachtet, und damit er nicht wieder komme, habe der damalige Bur das Gelübde der Prozession gemacht.
Mag dem sein, wie ihm wolle, ich sage: Möge nie auf den Hanseleshof ein Bur kommen, der diesen ebenso lieblichen als ergreifenden Bittgang der kleinen Völker abschafft.
Ich bin der letzte, der Feuer vom Himmel ruft über Verbrechen: aber das glaube ich fest, daß Gottes Segen weichen müßte von dem Hof, wenn das Gebet und das Lob Gottes aus Kindermund verstummen würde auf der einsamen Höhe des Schwarzenbruchs. Und so wie einst die üppige Bergstadt Benau unterging, würde der reiche Hanseleshof vom Erdboden verschwinden. –
Die alte Sage vom Silberreichtum im Benauer Berg veranlaßte im 18. Jahrhundert die Bergleute, die damals noch viele Gruben im Kinzig- und Wolftal betrieben, auch die alten Stollen auf dem Schwarzenbruch wieder aufzunehmen.
Die alten Schachte wurden um 1726 wieder »aufgewältigt« und nach »Rot- und Weißgiltigerz«, d. i. nach Kupfer und Silber durchsucht. Es wurde aber davon nur wenig »aufgeschlagen«, und man ließ bald die Grube, der man den Namen Clara gegeben, wieder auf.
Mehr denn vierzig Jahre später hieß es unter den Erzbauern im oberen Kinzigtal, im Kloster Schwarzach am Rhein drunten sei eine Urkunde gefunden worden, die besage, daß im Benauer Berg ein ganzer Stock gediegenen Silbers verborgen sei.
Ueber zehn Jahre lang muteten sie daraufhin wieder »im alten Mann«, fanden aber meist nur Eisenerze. 1782 stellten sie die Arbeit ein und nannten treffend den letzten Stollen, den sie aufgewältigt hatten, »das goldene Kalb hinter der eisernen Türe«.
Von diesem goldenen Kalb nun träumte es unserem Benedikt, der die Benauer Sagen alle kennt. Weil der Bühl, auf dem sein Gütchen liegt, nun ein Ausläufer des Benauer Berges ist, so schloß er, es müßten auch Adern von Rot- und Weißgiltigerz unter seinem Bühl durchgehen und Besuch machen im Hirschbach bei den Erzgängen im Friedrich Christian und im Herrensegen.
Drum nahm er nochmals den Weg unter die Füße, ging zum Oberamtmann Seidenspinner und bat um einen Schürfschein auf seinem eigenen Gut. Den erhielt der Benedikt, und nun schlug er einen Stollen in »das harte Wesen« unter seinem Bühl.
In jeder von Feldarbeit freien Tagesstunde und auch zur Nachtzeit mutete er nun in seiner Grube, fand jedoch nichts als Schwefelkies; trotzdem ließ er die Arbeit nie gänzlich ruhen. Der unermüdliche Mann sah sich aber nebenbei noch nach einer anderen Steinarbeit um, die sicher Geld einbrachte. Er wurde Steinsprenger und Steinklopfer. Draußen an der Landstraße im Wolftal, unweit des Häuschens, in welchem er mir erzählte, saß er in den sechziger Jahren unzählige Tage und klopfte Steine zu Straßenschotter.
Den weiten Weg vom Hirschbach machte er jeweils springend, um ja keine Zeit zu versäumen. Bis zu ein und einem halben Gulden verdiente er so täglich mit Steinklopfen und war darob baß erfreut. Denn so oft ein Vorübergehender ihm den üblichen Gruß zurief: »Fleißig, fleißig!« – antwortete der Bühler, ohne von seiner Arbeit aufzusehen, freudig: »Ja, für ein' Gulden und dreißig!«
Während er aber emsig die Steine zerschlug neben der rauschenden Wolf, dachte er an die Schätze edlen Erzes, die im Hirschbach verborgen wären, und der Berggeist ließ ihm keine Ruhe, so lange er über dem Steinhaufen an der Landstraße saß und klopfte.
Die Franzosen hatten den Abbau des Friedrich Christian aufgegeben; aber die Maschinen zum Heben des Wassers hielten sie in Betrieb, um die Schächte nicht versaufen zu lassen und um noch ein wenig Flußspat gewinnen zu können.
Mit dem Krieg von 1870 ließen sie nichts mehr von sich hören, und noch weniger schickten sie Geld. Jetzt stellten die Maschinenwärter, der Seraphin und der Valeri, zwei Bergleute aus dem Wildschapbach, ihre Arbeit ein, und in einer Nacht waren die Schächte »versoffen« und die Fahrungen, Pumpen und Förderungseinrichtungen in Nacht und Wasser begraben.
Es war und blieb dieser Untergang der erzreichen Grube ein stehender Schmerz für den Bühler, der es bis zur Stunde nicht verwinden kann, daß so viele Schätze und so viele Werkzeuge ungehoben ruhen sollten.
Mit seinen heranwachsenden Buben wuchs des braven, denkenden Mannes Hoffnung, den Bergbau aufs neue und schwunghafter betreiben zu können.
Die Knaben Markus, Karl, Ferdinand, Sepp und Kilian hatte der Vater von frühester Jugend an eingeweiht in die Schönheiten und Segnungen des Bergbaus und sie so für denselben begeistert.
Er hatte ihnen auch, wie einst ihm sein Vater, an den Abenden erzählt vom Berggeist, vom funkelnden Gestein in den Tiefen der Erde, von der Arbeit des Bergmanns in dunklen Schachten, vom Ein- und Ausfahren, von den Festen und Prozessionen und von der Uniform der Bergleute. Er zeigte ihnen »Schaustufen«, an denen Kristalle und eingesprengte Silber- und Bleierze glänzten.
Und die Augen der Knaben leuchteten, und alle verlangten Bergleute zu werden und dem Vater zu helfen, edle Erze zu heben aus den Bergestiefen im Hirschbach und im Wildschapbach.
Das war des Alten Trost und Hoffnung, wenn er auf der Landstraße Steine klopfte und an den Bergbau und an seine Buben dachte. Seine Hoffnung sollte nicht zuschanden werden.