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In den Jahren, da der Pfiferjörgle in der Fremde war und die Menschen des westlichen Schwarzwalds erheiterte, war der Bur im Holdersbach auch nicht müßig gewesen.
Sein Reichtum hatte unter dem Bergbau nicht gelitten und der Fürst im Holdersbach schon vor Gründung der Gewerkschaft seinen Besitz vergrößert. Aehnlich wie sein Rivale im Kaltbrunn hatte er zwei angrenzende Höfe gekauft im Tälchen des Tiefenbachs und alle ihre Oedungen in rühmlichster Art aufgeforstet.
Er besaß jetzt so viele Waldungen, daß er einen eigenen Waldhüter hielt, der sie bewachen sollte und bei ihm wohnte. Es war dies der »Schwob«, ein Bruder seiner Mutter, die einst Pfarrersköchin und aus dem Schwabenland gewesen war.
Als Vetter des Bauernfürsten spielte der Schwob eine Art Beiförster und war nicht wenig stolz auf seine poesievolle Hofcharge, obwohl er vor seiner Ernennung zum Forstmeister das ehrsame Handwerk eines Schusters betrieben hatte.
Jedes Jahr sandte der Waldherr zahlreiche Flöße die Wolf hinab bis an deren Mündung in die Kinzig, und wenn der Bur aus dem Holdersbach in Wolfe anfuhr, um den Schifferherrn seine Holländer-Tannen zu verkaufen, ward er mit dem gleichen Respekt empfangen, wie der Fürst aus dem Kaltbrunn, ja fast noch mit größerem, weil der Fürst Simon auch sonst ein Mann von reichem Wissen war.
Da sein Körperbau ihn nicht zu strenger Arbeit befähigte, so studierte er in Stunden, in denen das Kommando in der Land- und Forstwirtschaft ihn nicht beschäftigte, alle Gesetzbücher, deren er habhaft werden konnte.
Drum war er in allen Gerichts- und Verwaltungssachen bewandert wie ein Advokat und übertraf darin weit den Fürsten im Kaltbrunn. Der spannte seine Gäule ein, wenn er keinen Rat wußte, und fuhr ins Land hinab, um einen solchen zu holen; der Bur im Holdersbach aber langte nur nach seinen Büchern und gab seinen Bescheid an Ort und Stelle.
Die Buren im Schappe konnten darum keinen besseren zu ihrem Vogt und Meister wählen als den Gelehrten im Holdersbach. Sie taten dies zweimal und hätten es wohl noch öfters getan, wenn jener es gewollt. Aber Dorf und Rathaus waren zu entfernt von seinem Hof, und das Amt eines Vogts führte zu viel von Hause weg, was, wie wir wissen, der Bur nicht liebte.
Am liebsten, und das ehrt ihn, blieb er daheim. An Sonntagen mit seinen Knechten ein Spiel zu machen oder dem Pfiferjörgle, so lange er im Tale war, zuzuhören, war seine Lust, und an Werktagen seine Kinder und die aus den nachbarlichen Gehöften um sich spielen zu sehen, seine Freude.
Er lud die Kinder seiner Nachbarn besonders dazu ein, bewirtete sie und freute sich, wenn sie, während er an seinem Schreibtisch saß, jeden möglichen Kinderunfug verübten.
Er hat zweifellos bessere Nerven gehabt, der Bauernfürst im Holdersbach, als unsereiner, dem Kinderspektakel und Hundegebell das Giftigste für seine Nerven sind.
Ging Simon, der Bur, auch selten in die Welt, so kamen doch Weltmenschen zu ihm in die stille, einsame Mulde in Holdersbach, angelockt von seinem Reichtum und seiner Gastfreundschaft, und das war sein Unglück.
Um das Jahr 1840 kam der Fabrik-Teufel, der heute Fürst und Herr in fast ganz Deutschland ist und dem alles zu Füßen liegt, zum erstenmal ins Kinzigtal, um zu schauen, wo er sich niederlassen und seinen Unsegen verbreiten könnte.
Sein Apostel bei dem ersten Einzug ins Kinzigtal war ein Klettgauer aus Thiengen. Er sah an der Kinzig und Wolf hin die schönsten Wasserkräfte nutzlos von dannen ziehen und meinte, es sei schade, daß sie nicht dem Fabrik-Teufel dienten.
Da er wenig eigenes Geld hatte, suchte er einen kapitalkräftigen Kompagnon. Als solcher ward ihm der Bur im Holdersbach empfohlen, der zweifellos, den Vogtsbur im Kaltbrunn nicht ausgenommen, am meisten bares Geld besaß im obern Kinziggebiet.
Drum zog der Agent des Fabrik-Teufels zum Bur, malte ihm alle Herrlichkeiten eines Fabrikherrn vor und bestimmte ihn, sein vieles Geld in einer mechanischen Spinnerei anzulegen. Diese bringe ihm nicht bloß schwere Zinsen für sein Kapital, sondern gebe ihm auch Gelegenheit, viele arme Leute zu beschäftigen und dieselben sich zum Dank zu verpflichten.
Der Gedanke, Verdienst in die Gegend zu bringen, lockte den braven Mann im Holdersbach mehr an als die Aussicht auf große Dividenden, und er ging dem Klettgauer in die Falle.
Draußen, wo der Holdersbach in die Wolf mündet, sollte die Fabrik angelegt werden; aber der gesunde Menschenverstand der Schapbacher Bauern, auf deren Gemarkung die Teufelsfalle errichtet werden sollte, verhinderte es.
Als die erste Spinnmaschine in England aufgestellt wurde, rotteten sich die Handweber zusammen und schlugen sie kurz und klein. Die Leute ahnten, daß diese Erfindung sie zu Fabriksklaven erniedrigen werde, und handelten in weiser Voraussicht.
Aehnlich merkten gegen die Mitte des 19. Jahrhunderts schon die Buren im Wolftal, daß eine Fabrik ein Unsegen sei für die Landwirtschaft und für das Volkstum.
Drum protestierten sie mit Macht gegen Errichtung einer solchen in ihrem Tal, und sie fanden auch die richtigen Gründe für ihre Ablehnung. Sie sagten sich: Durch eine Fabrik verlieren wir unsere Knechte, Mägde und Taglöhner, wir müssen höhere Löhne bezahlen, weil die Arbeiter rarer werden, und bekommen eine Fabrikbevölkerung, die früher oder später uns zur Last fällt.
Alle Hochachtung vor diesen Schapbacher Buren des Jahres 1840! Die waren weit gescheiter als die heutigen Bauern und Bürger in vielen Dörfern und Städtchen, die es nicht genug begrüßen können, wenn eine oder die andere Fabrik bei ihnen errichtet, und wahre Feste feiern, wenn eine solche Anstalt in ihren Mauern eröffnet wird.
»Das gibt Verdienst in den Ort!« – rufen diese Blechhauben. Ja, es gibt Verdienst – für die Fabrikherren; die Arbeiter aber werden, wie ich anderwärts nachgewiesen, leiblich, seelisch und ökonomisch ruiniert, und wenn sie ihre Kräfte im Fabrikleben erschöpft haben, fallen sie den Gemeinden zur Last, weil sie von der Invaliden- und Altersrente allein nicht leben können. –
Im Wolftal abgewiesen, führte der Fabrik-Teufel den Bur hinüber ins Kinzigtal, zeigte ihm unterhalb Schilte, »am Hohenstein«, eine alte Sägmühle und sprach: »Da will ich dir zum Ruhme eine Fabrik herstellen, wenn du dein Geld mir anvertraust.«
Zwei Schiltacher redeten dem Bauernfürsten auch noch zu und traten in die Kompagnie, deren einziger, bedeutender Kapitalist der kleine Mann und der große Bur aus dem Holdersbach war.
Ein Jahr später stand die »mechanische Spinnerei und Zwirnerei am Hohenstein«; der Bur war Fabrikherr und hatte seine 100 000 Gulden in dem Geschäfte stecken, in einem Geschäft, von dem er gar nichts, seine Mitgründer blutwenig verstanden.
Teure Maschinen wurden gekauft, nach kurzem Betrieb für untauglich befunden und durch neue, noch teurere ersetzt. Ehe noch die Spindeln recht im Gange waren, hatte der Bur sein ganzes Barvermögen eingebrockt.
Jetzt traten die Geschäftsteilhaber, die den Lunten rochen, aus der Kompagnie aus, und der gute Simon aus dem Holdersbach ward alleiniger Herr der Fabrik am Hohenstein.
Seinen Hof trieb er aufs beste um, und seine Knechte halfen ihm getreulich mit; denn der Bur war ein braver, leutseliger Mann, der mit seinen »Völkern« wie ein Vater und Freund verkehrte und sie wie Glieder seiner Familie behandelte.
Im Fabrikwesen aber war er gänzlich auf seine Buchhalter und Reisenden angewiesen, die um so leichter mehr auf ihr Interesse schauen konnten als auf das ihres Herrn, weil dieser vom Betrieb so wenig verstand als die Knechte auf seinem Hof. Dazu kam noch, daß der Bur selten nach seiner Fabrik schaute, weil er die stille Residenz im Holdersbach nicht gerne verließ. Es konnte ein Vierteljahr vergehen, bis er beim Hohenstein vorfuhr, um nach seiner Spinnerei und Zwirnerei zu schauen. Aber der sonst so klare Kopf schaute dann nur durch die Brille, welche andere ihm aufsetzten, und sah darum nicht ein, daß die Fabrik sein Verderben werde.
Das Sprichwort, daß »der Schuster beim Leisten und der Bauer beim Pflug bleiben solle,« kannte er wohl; aber er war hypnotisiert von dem Wahn, ein Fabrikherr und ein großer Arbeitgeber zu sein, was man noch keinem Bur im Kinzigtal nachsagen konnte.
Es ließen ihn wohl auch die Lorbeeren des Kaltbrunner Bauernfürsten nicht ruhen. Tatsache ist, daß beide nicht gut miteinander standen und einer auf den andern eifersüchtig war.
Wer will ihnen aber das verübeln? Machen es denn die wirklichen und echten Fürsten anders? Ein französischer Schriftsteller sagt: »In jedem Bauer steckt etwas von einem großen Herrn.« Sollte drum in den Bauernfürsten im Holdersbach und im Kaltbrunn nicht auch die Eifersucht der großen Herren stecken?
Diese Sucht, größer oder wenigstens so groß zu sein als die anderen, ist bei Bauernfürsten lange nicht so gefährlich wie bei ihren Kollegen auf den Thronen der Welt.
Diese beginnen oft, um ihrer Eifersucht und ihrem Größenwahn zu genügen, freventlich Kriege, in denen sie Blut und Leben, Hab und Gut ihrer Untertanen vergeuden. Und wenn sie unterliegen, geht es ihnen trotzdem meist immer noch besser als ihren dummen und unglücklichen »Untertanen«.
Die Bauernkönige dagegen, wie schon einmal gesagt, stürzen, wenn sie im Größenwahn sündigen, nur sich und ihre Familien ins Unglück.
Drum sind mir nicht bloß die Bauern lieber als die Herren, sondern auch die Bauernfürsten lieber als die echten Kronenträger, weil sie in alleweg viel weniger Unglück anrichten, als ihre Vettern, die Hirten der Völker, auf den Thronen.
Was für Unglück haben die zwei Napoleone im 19. Jahrhundert über Länder und Völker gebracht, und doch hat keiner von ihnen, als sie besiegt waren, auch nur eine Stunde Hunger und Durst gelitten, noch war einer von der Armut geplagt!
Im alten Heidentum verloren die besiegten Könige in der Regel mit dem Thron auch das Leben, sei es, daß man sie um den Kopf kürzer machte oder auf dem Scheiterhaufen verbrannte. Das war nicht mehr als recht und billig. Wer das Schwert zieht, soll durch das Schwert umkommen!
Heute ist das anders. Aber es ist eben die alte Geschichte vom Unrecht in der Menschheit. Wer in seinem Interesse einen Menschen tötet, ist ein Mörder. Wer aber dem eigensten Größenwahn Millionen auf dem Schlachtfeld opfert und über Millionen Blut und Elend bringt, der kommt in die Geschichtsbücher, erhält Bildsäulen, und über seine Siege singt man das »Großer Gott, wir loben dich!«
In den Tagen, da ich dies schreibe, ist ein spanischer General aus Kuba zurückgekehrt, der den Hungertod von 200 000 unschuldigen Landleuten verschuldet hat. Er wurde in Spanien, anstatt gehenkt zu werden, mit Jubel empfangen.
O Menschheit, dein Name ist Narrenhaus! –
Nachdem das Bargeld des bäuerlichen Fabrikherrn alle war, ging es an seinen Kredit. Gegen schwere Prozente wurde Geld in Basel aufgenommen und damit wieder weiter gezwirnt und gesponnen am Hohenstein.
Aber große Zinsen und ungetreue Mitarbeiter fraßen dem Buren im Holdersbach den Gewinn weg, so daß er immer wieder neue Schulden machen mußte, um die Fabrik über Wasser zu halten.
Dem Sinkenden ist bekanntlich ein Strohhalm willkommen, wenn er meint, sich daran halten zu können. Und darum war es dem Bur nicht zu verübeln, wenn er alles tat, um dem Untergang seiner Fabrik zu wehren, wenn er jeder ihm vorgeschwindelten Hoffnung Glauben schenkte und seine Bauernherrschaft immer schwerer belastete, um die Würde eines Fabrikherrn aufrecht halten zu können.
Und es hätte ihm trotz alledem nichts getan, so wenig als dem Fürsten im Kaltbrunn, wenn nicht die Revolutionsjahre und deren Rückschlag im Kreditwesen ihn niedergeworfen hätten, wie Andreas I., seinen Rivalen in der Volksgunst und in der Erzbauernschaft.
Fast zu gleicher Zeit sanken diese zwei Bauernfürsten, und ihre Habe ward versteigert.
Beide wollten für ihre Mitmenschen das beste; beide waren voll Wohlwollen und Menschenfreundlichkeit gegen alle, die ihres Rates und ihrer Hilfe bedurften; keiner von ihnen war ein Trinker oder Schlemmer, und beide sanken. Warum? Abgesehen von der Ungunst der Zeit, welcher sie in erster Linie zum Opfer fielen, war ihr Untergang ihre Bauerngröße.
»Niemand wandelt ungestraft unter Palmen,« d. h. selten sind außergewöhnliche Vorzüge und Gaben den Menschen nicht zum Schaden. Diese Wahrheit kann man tausendmal im Leben erprobt finden.
Welchen Gefahren sind geistig hochbegabte Menschen ausgesetzt, und was leiden sie nicht um ihrer geistigen Ueber- und Unnatur willen – leiblich und seelisch! Und wie viele von ihnen gehen elend zugrunde!
Welches Los hatten Weltmonarchen – von den babylonischen Großkönigen an bis zu dem Korsen Napoleon!
So oft der sterbliche Mensch über das gewöhnliche Maß, das seinem Geschlechte und Stande bestimmt ist, hinausreicht, wandelt er unter Palmen und wird in der Regel in irgend einer Art gestraft.
Von diesem Gesetze sind auch die Bauernfürsten nicht ausgenommen, und darum gehen sie meist unter, weil sie für ihren Stand zu groß sind. Bauernfürsten haben eben so wenig langen Bestand wie Weltmonarchen. Ihre Größe ist vielfach ihr Unglück.
Ich meine deshalb immer und immer wieder, daß Glück und Bestand in alleweg bei der Mittelmäßigkeit wohnen und auf dem goldenen Mittelweg zu treffen sind.
Drum sind billige Denker und solche, die gar nicht denken, glücklicher als die Geniemenschen, und ein Hirtenbüblein aus dem Schwarzwald ist in sich selber ein weit zufriedenerer Mensch als ein Goethe und Schiller.
Kleine Monarchen sind glücklicher als Weltmonarchen oder Großkönige.
Bettler sind viel sorgenlosere Leute als Millionäre – und kleine Bauern besser daran als große.
Gerade wie Andreas I. wurde auch Simon, dem Bur, seine Habe verkauft um einen Spottpreis. Die Fabrik am Hohenstein, für die er weit über 100 000 Gulden aufgewendet hatte, fiel einem Basler Gläubiger zu für 36 000 Gulden, und der stolze Hof im Holdersbach, den der Bauernfürst in fürstlichen Stand gesetzt und großartig verbessert hatte, ging, wie die Höfe und Wälder Andreas I., in fürstenbergische Hände über um das Schnupftabaksgeld von 42 000 Gulden. So wertlos waren in jenen Tagen die Güter geworden.
Schapbacher Bauern, die bei der Steigerung erschienen waren, sahen wohl ein, daß sie das Fürstengut im Holdersbach nicht so billig fahren lassen sollten.
Aber ähnlich, wie bei dem Verkauf des Fürstenguts im Kaltbrunn, entging ihnen »der Schick« durch Intriganten, diesmal aus dem eigenen Lager.
Das gemeine Volk hat ja immer und überall, besonders auch in politischen Dingen, das Unglück, daß seinesgleichen ihm zum Verräter werden.
Es muß aber wahrscheinlich so sein in der Menschengeschichte, sonst würde es dem gemeinen Volk zu wohl, und wenn es der Mehrheit der Sterblichen so wohl würde wie den obern Zehntausend, dann wären der Teufel in der Hölle und unser Herrgott im Himmel nicht mehr sicher.
Drum hat das Volk auch allzeit seine Verräter, seine Blutsauger und Schinder gehabt und wird sie haben, so lange die derzeitige Menschenrasse diese Erde bewohnt. –
Als der Pfiferjörgle heim kam aus dem südlichen Schwarzwald, hatte sein Bur keinen Hof und sein Hofnarr keine Musikkapelle mehr. Beide aber wehrten sich tapfer und mannhaft gegen ihr Geschick, und der eine dachte an die Wiedergewinnung seines Hofes, der andere aber an die Neuerrichtung einer Musikbande.