Heinrich Hansjakob
Erzbauern
Heinrich Hansjakob

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3.

Die Kaltbrunner hatten den rechten Vogt gewählt. Einmal besaß Andreas I. von seinen vielen Vogtsahnen die Herrschertugenden eines Bauern-Hauptes in erblicher Weise, und dann war er von seiner Mutter und deren Kronentaler-Schiede her ausgestattet mit allen Eigenschaften eines freigebigen, stets hilfsbereiten Mannes.

Eines echten Fürsten erste Sorge sollte sein die Freiheit seines Volkes. Leider haben von jeher die meisten Hirten der Völker diese unterdrückt, statt befreit. Drum gibt es auch so wenig wahrhaft große Fürsten, und zu diesen wenigen gehörte im kleinen Andreas I., Bauernfürst und Vogt von Kaltbrunn.

Ein Bur seiner Vogtei hatte seine Tannenbäume an andere Leute verkauft, als an die Schifferschaft zu Wolfe, die, wie wir aus »Theodor, dem Seifensieder,« wissen, von den einstigen Grafen von Fürstenberg das Monopol hatte, in dem fürstenbergischen Kinzigtal allein mit Holz handeln zu dürfen. Drum waren die Bauern seit Jahrhunderten genötigt gewesen, an die Schiffer in Wolfe ihre Waldbäume abzugeben.

Es war dies so Gewohnheit geworden, daß die Zünftler aufmucksten, als ein Bur von Kaltbrunn, das längst badisch geworden war, sein Holz außerhalb der Schifferzunft an den Mann brachte. Sie drohten ihm mit einem Prozeß.

Da trat der junge Vogt auf, kehrte den Stiel um und prozessierte gegen die Schifferschaft und verlangte für alle seine Buren die Freiheit, ihr Holz verkaufen zu dürfen, an wen sie wollten.

Er spannte seine Rappen ein und fuhr in seiner stolzen Bauerntracht hinab nach Rastatt, wohl fünfundzwanzig Stunden weit, und verteidigte seine Buren und ihr Recht bei dem Hofgericht so gewandt und durchschlagend, daß den Schifferherren von Wolfe jeder Eingriff in das Verkaufsrecht der Buren von Kaltbrunn untersagt wurde.

Jetzt war der Vogtsbur der Löwe des Tages im oberen Kinzigtal, weil er der mächtigen Schifferschaft z'Wolfe den Meister gezeigt und die Buren von ihrer Gewaltherrschaft im Holzhandel befreit hatte. »Der setzt alles durch,« so hieß es vom jungen Vogt; »denn wer die reichen Schiffer bezwungen, kann nimmer und nirgends mehr verlieren.«

Wer fortan im Gebiet der oberen Kinzig sich von einem Prozeß bedroht sah, eilte zum Vogt von Kaltbrunn und bat ihn um Rat. Gerne hörte Andreas I. jeden an, und wenn er selbst keinen Rat wußte, so spannte er seine Rappen ein und holte ihn. Und wo?

Seine Rede, die er gegen die Schiffer von Wolfe in Rastatt gehalten, hatte ihm so sehr das Herz eines der Richter gewonnen, daß dieser ihm sagte: »Vogt, wenn Ihr wieder einmal einen Rat braucht für Eure Bauern, so kommt zu mir!«

Drum fuhr Andreas I. flugs nach Rastatt, wenn ein Bauer oder ein Taglöhner oder eine arme Witwe kam und Hilfe suchte und er keine wußte, und trug den Fall seinem Gönner vor.

Mit dessen Bescheid galoppierte er wieder dem Kinzigtal zu und brachte ihn seinem Klienten. Und sein Rat war jedesmal gut, und wenn's zum Prozeß kam, fiel dieser jeweils so aus, wie der Vogt es vorher gesagt hatte.

Fragten seine Schützlinge, was sie schuldig seien für seine Bemühungen und seine weite Reise, so hieß es: »Was fällt euch ein? Der Vogt von Kaltbrunn tut das alles umsonst!«

Dieser Edelmut erhöhte seine Popularität selbstverständlich noch mehr, und es wird selten ein Advokat so gelobt worden sein von den Klienten, wie der noble Vogt von Kaltbrunn.

Als drum mit Beginn des Jahres 1821 sein junges Weib, nachdem es eben dem Kätherle, mit dessen Hochzeit in Hasle wir unsere Erzählung begonnen, das Leben gegeben hatte, dem Tode verfiel, da konnte das Kirchlein von Wittichen all' die Menschen nicht fassen, die vom stillen Kirchhof oben im Tale, wo sie die Herrin vom Vogtshof begraben, herabkamen, um dem Totenopfer anzuwohnen.

Der junge Vogt hatte aller Herzen gewonnen, drum wollten alle auch ihm ihre Teilnahme bezeugen. Hunderte schüttelten ihm nach dem Gottesdienst vor der Kirche die Hand und wünschten ihm »Glück ins Leid«.

Das Landvolk ist in allem sinnvoll, auch im Gebiet des Todes. So sagt es da, wo die sogenannten Gebildeten die kalte Redensart: »Ich kondoliere,« sprechen – »ich wünsche Euch Glück ins Leid.« Was soll das heißen? Es soll heißen: Ich wünsche, daß in Euer Leid Friede, Trost und Seligkeit komme, Trost und Friede für die Lebenden und Seligkeit für die dahingeschiedene Seele.

Das Volk macht von dem Worte Glück überhaupt wenig Gebrauch. Ich kenne im Kinzigtal nur drei Redensarten, die mit Glück beginnen und vom Glück reden. Und diese drei heißen: »Glück in Ehestand!« »Glück ins Leid!« und sit venia verbo oder, wie die alten Bauern noch sagen, mit Salveni – »Glück in Stall!«

Das letztere Wort erwartet der Bur im Kinzigtal von jedem Kundigen, der seinen Stall betritt, in welchem ein kostbarer Teil seiner Habe steht. Unglücksfälle im Stall: Seuchen und sonstige Krankheiten – können einen Bauer arm machen; drum wünscht er sich bei seinem Viehstand ebenso Glück, wie zum Heiraten und zum Sterben.

Der alte, sinnige Spruch: »Glück ins Leid!« – schwindet jetzt schon mehr und mehr im Volke, und die liebe Kultur wird bald die Leichenbitter und die »Leichensagerinnen« auch aus dem Kinzigtal vertreiben, und Todesanzeigen und Kondolenzkarten werden sie und den obigen Glückwunsch ersetzen. Der Anfang ist bereits gemacht; gedruckte Todesanzeigen beginnen bereits bei einzelnen »besseren« Bauern zu grassieren.

's ist doch was Schönes um Kultur und Fortschritt, und es ist interessant, zu beobachten, wie beide ihre Totengräberarbeit anfangs selbst auf die einfachsten Sitten und Gebräuche erstrecken! –

Die Völker im oberen Kinzigtal, welche an jenem kalten Begräbnistag im Jänner 1821 in Wittichen dem jungen, noch nicht dreißigjährigen Vogt den Wunsch aussprachen: »Glück ins Leid!« – dachten wohl nicht daran, daß ihr Wunsch sich in einer andern Art glänzend erfüllen sollte, in dem Glück nämlich, das er bald darauf im Ehestande fand.

Zu den Tugenden, welche die Frauen vor den Männern voraus haben, gehört auch die größere Stärke ihrer Liebe und Treue. Drum sind junge Witwen nie so heiratssüchtig wie junge Witmänner.

Der Mannsvölker Schmerz ist in der Regel bald geheilt, wenn sie eine Frau zu Grabe getragen haben. Kinder vergessen die Mutter, die ihnen frühe genommen wurde, nie; Männer, die in jungen Jahren ein Weib verloren, trösten sich bald mit einem zweiten und beeilen sich unter allerlei Vorwänden, dieses zweite auch bald zu bekommen.

Der beliebteste Vorwand ist dann der, daß die kleinen Kinder – eine Mutter haben müßten. Ja, ja, die Kinder bekommen eine Stiefmutter, aber der Herr Papa kein Stiefweib. Diejenigen, um derentwillen man angeblich so bald heiraten muß, sind in der Regel die Geprellten und die Gestraften.

Ein italienischer Bildhauer, der deutschen Sprache kaum mächtig, bat mich einmal, einen Grabstein anzusehen, den er gefertigt und den ein Mann für seine verstorbene Frau bestellt hatte.

Ich fragte, warum der reiche Witwer nicht ein besseres Material verlangt hätte, und bekam vom Bildhauer die treffliche Antwort: »Der Schmerz nit so groß, daß sie nehmen Granit oder Marmor.«

Der Italiener sprach mit diesen Worten kurz und gut das gleiche aus, was ich eben behauptet habe in bezug auf die Dauerhaftigkeit der Männerliebe. –

Der Vogt von Kaltbrunn machte es gerade so wie die meisten Witwer seines Alters.

Im Januar trug man sein junges Weib zu Grab, und am ersten Mai hielt er schon wieder Hochzeit mit einem andern, nachdem ein drittes Wibervolk ihm einen Korb gegeben.

Was man nicht glauben sollte, der junge, schöne, gescheite und hochangesehene Vogt hatte einen richtigen Korb bekommen, und zwar nicht etwa von einer Amtmannstochter, sondern von einem Buremeidle seiner Vogtei.

Der Gallenbacher, ein reicher Bur draußen an der Mündung des Gallenbächles, ein Freund des Vogts, hatte eine Tochter, Sophie, im Volk die »Gallenbacher Soph« genannt. Auf diese fielen zuerst die Augen des freienden Witwers. Er ging hinaus zum Gallenbacher und redete zuerst, wie üblich, mit ihm als dem Vater. Der sagte ihm sein Meidle gern zu. Aber als die Soph davon hörte, gab sie, was sonst gegen alle Bauernregeln beim Heiraten ist, ihre Zustimmung nicht, obwohl ihr Herz frei war und der Vogt auf fünfzig Stunden Wegs die beste Partie für ein Buremeidle gewesen wäre.

Aber die Sophie war klüger als die meisten Wibervölker, wenn es sich um eine gute Partie handelt. Die meisten springen blindlings in die Grube, und alles Denken hört auf, und alles Mahnen und Warnen hilft nichts. Eine gute Partie und damit Versorgung und Stellung im Leben geht ihnen über alles, selbst über die Religion. Auch diese verkaufen sie, wenn sie vorher noch so fromm und kirchentreu getan haben und gar noch in einem »katholischen Pensionat« gewesen sind. –

Ein weißer Rabe unter den vielen hungrigen Heiratseulen war des Gallenbachers Sophie im Kaltbrunn. In ihrer Seele stieg eine Ahnung auf, und dieser Ahnung folgte sie.

Sie kleidete die Absage ihren Eltern gegenüber in die merkwürdigen Worte ein: »I Heirat' unsern Vogt nit, er houset ab.«abhausen – um Hab und Gut kommen.

Und dabei blieb sie. So ungern er es tat, der Gallenbacher, er mußte dem Freier absagen, weil seine Soph keine Lust habe. Vögtin zu werden. Warum, das verheimlichte er seinem Freunde, der, sicher, eine andere zu bekommen, auch nicht darauf bestand, das kuriose Meidle, welches den angesehensten Mann im Tale verschmähte, heimzuführen.

Die Sophie aber blieb ledig bis zum Jahre 1840, wo sie einen Witwer und Buren heiratete, mit dem sie noch fast dreißig Jahre glücklich und zufrieden hauste, nachdem sie viele Jahre den Fall Andreas I. überlebt hatte. –

Der oberste Hof im Kaltbrunn hieß der Franzenhof. Er lag an der Mündung zweier reizenden Waldtälchen, da wo das Laienbächle und der »kalte Brunnen« sich vereinigen. Dorthin lenkte nun der Vogt seine Freiersfüße. Er hatte nicht weit, denn der Franzenbauer war sein nächster Nachbar.

Aber auch da wollte es nicht gleich klappen. Diesmal wollte der Vater nicht, wohl aber das Meidle, die Gertrud, die jüngste Tochter des Buren. Ihr gefiel der stattliche, frische Mann mit dem glatten Gesicht und dem kurzen Ohrenbart besser als dem Franzenbur, dem der junge Nachbar zu viel auswärts und zu wenig daheim war.

Die Vogtsgeschäfte und die vielen Bescheide, welche der gefällige Mann in Rastatt holte, brachten das mit sich. Der Franzenbur meinte, ein Bur gehöre auf seinen Hof und sonst nirgends hin, außer am Sonntag in die Kirch' und ins Wirtshaus und dreimal im Jahr auf den Jahrmarkt.

Er hatte deshalb in bezug auf seinen Nachbar die gleichen Ahnungen wie die Gallenbacher Soph. Doch sein Weib, die Regine, und seine Jüngste entschieden sich für den Vogtsbur, und der obsiegte, weil kein Familienvater in solchen Dingen seinem Weib und seinen Töchtern auf die Dauer widerstehen kann.

Der Vogt führte die Gertrud nach glänzender Hochzeitsfeier heim und mit ihr eine Steigerung seines irdischen Glücks; denn nach wenig Jahren wurde er durch sie auch Besitzer des Franzenhofes, eines Gutes, das den Vogtshof an Lage und Waldbesitz fast noch übertraf.

Der alte Franzenbur war ein vermöglicher Mann, und wenn seine Regine auch keine Schiede voll Kronentaler unter dem Himmelbett stehen hatte, so konnte er doch seinen Buben und seinen Meidlen ein schön Stück Geld mitgeben, da sie heirateten. Sie waren alle versorgt, als der Vogtsbur die Gertrud holte, und daheim nur noch der Stammhalter, der Egidi. Der aber war ein verzogener Bub und ein Strolch, aller Bosheit voll. Als zukünftiger Erbherr eines Fürstenhofs ließ der Egidi seinem Mutwillen freien Lauf, so daß der alte Franzenbur ihm oft drohte, er bekäme den Hof nicht.

Der Egidi glaubte das um so weniger, als der regierende Herr Vater unter all diesen Drohungen ein neues Leibgedinghaus bauen ließ, ein Umstand, der laut dafür sprach, daß der Alte gesonnen sei, den Hof bald zu übergeben und Leibgedinger zu werden.

Als das Haus fertig war, ging der Franzenbur an einem schönen Sonntag hinaus zum Pfarrer nach Wittichen und bat ihn, dasselbe einzuweihen.

Das war noch in jener guten alten Zeit, wo die Bauern jedes neue Haus vom Dach bis zum Stall herab weihen und segnen ließen, und wo jedes junge Ehepaar, selbst wenn es in ein altes Haus zog, seine »Aussteuer« unter den Segen der Religion stellte.

Diese schöne Sitte ist mehr und mehr abgekommen, und es ist ein Fehler, daß die Geistlichen sie nicht wieder einzuführen suchen. Der Sinn dafür lebt in unserem Landvolk heute noch.

Mich baten, da ich noch Pfarrer am Bodensee war, mehr als einmal Leute, ihr neues Haus einzuweihen, und Brautleute, ihren Hausrat zu segnen. Ich tat es stets mit Freuden.

Da in dem damals gültigen Ritual nichts über derartige Segnungen zu finden war, nahm ich das alte Konstanzer, welches das römische ist, und fand darin die gewünschten Segens- und Gebetsformeln. Ich fand aber auch zu meiner großen Freude, wie enge die Kirche ehedem mit der Volkssitte verwachsen war, und wie sie diese hegte und pflegte durch viele, jetzt leider vergessene und vernachlässigte Segnungen.

Ich habe manche Stunde in jenem alten Ritual geblättert und die herrlichen Gebete bewundert, mit denen die Kirche den Bedürfnissen und Wünschen der Volksseele entgegenkommt.

Nur eines hab' ich bedauert, daß gerade jene dem Volke einst so lieben und werten Weihen und Segnungen von Häusern, Geräten, Tieren und Früchten nicht in der Sprache des Volkes gebetet wurden. –

Pfarrer in Wittichen-Kalbrunn war zur Zeit, als der Franzenbur sein neues Heim einweihen lassen wollte, der Priester Josef Merz von Vöhrenbach, der 1824 auf eine andere Pfarrei kam und ein Jahr später bei einem Besuch in Wittichen einem Schlaganfall erlag und da starb, wo er zwanzig Jahre gewirkt hatte.

Es war ein schöner Herbst-Nachmittag, als dieser Pfarrer mit dem Sakristan das enge Waldtal von Kaltbrunn hinaufschritt, um das Leibgedinghaus des Franzenburen einzuweihen.

In der Tenne waren die Knechte des Hauses und der Stammhalter mit Dreschen beschäftigt. Während dieser Arbeit studierte der boshafte Egidi darüber nach, wie er die Weihe stören könnte.

Er spähte von Zeit zu Zeit von der Tenne aus auf die Talstraße, ob der Pfarrer nicht bald komme. Als er ihn endlich erblickte, stellte er den jüngsten Drescher – er hieß Andres und war ein braver, stiller Bursche – unter das Tennenloch und sagte ihm, er solle aufpassen, bis der Pfarrer die Weihe beginne, da er, der Egidi, auch zuschauen wolle.

Der Andres streckte den Kopf zum Loch hinaus und lauerte, hinter ihm der Egidi, auch spähend. Der Pfarrer hatte indes das neue Haus betreten und begann zu beten. In dem Augenblick will der Andres den Kopf zurückziehen und Meldung machen. Der Egidi aber schiebt ihm den innern Laden des Tennenlochs bis an den Hals und hält so den Andres fest. Zu gleicher Zeit sticht er ihm mit dem Messer von hinten so ins Fleisch, daß er ganz erbärmlich zu schreien anfing und der gute Pfarrer vor lauter Geschrei seine eigenen Worte nimmer hörte. Er unterbrach seine Segnung, und der Bur und die Büre, welche andächtig angewohnt hatten, liefen davon, um zu schauen, was los sei. Sie glaubten an Mord und Todschlag. Es stellte sich aber bloß ein boshafter Streich des Erbprinzen als Ursache des fürchterlichen Schreiens heraus.

Dieser Streich kostete dem Egidi die Herrschaft über den Franzenhof.

»Der gottlose Mensch wird Euch schön behandeln, wenn er Bur ist und Ihr sein Leibgedinger,« sprach ernst der Pfarrer zum Franzenbur, als er nach der Weihe mit dem Sakristan, wie üblich, bei Schinken und Wein in der Stube saß.

»Wer die Religion verachtet,« fuhr er fort, »der mißachtet auch Vater und Mutter.«

Der Franzenbur stimmte dem geistlichen Herrn zu, und dieser sprach noch weiter: »Wenn Ihr in Euern alten Tagen Ruhe und Frieden haben wollt, so macht den Egidi nicht zum Bur. Der ist und bleibt ein Taugenichts und war schon in der Schule und in der Christenlehre ein gottloser Bub.«

»Aber wem soll ich den Hof geben? Die andern Kinder sind alle versorgt,« antwortete der Franzenbur.

»Ich weiß Euch einen Rat, Franzenbur,« gab der Pfarrer, zurück, während er sich noch einen Schinkenschnitt langte: »gebt den Hof dem nächsten Nachbar, Euerem Schwiegersohn, unserem Vogt. Der ist ein braver Mann, und bei dem habt Ihr und Euer Weib gute Tage.«

»Dem Vogt?« fragte etwas spöttisch der Bur. »Der hat keine Zeit, seinen eigenen Hof umzutreiben, kann also nicht zwei Höfe brauchen.«

»Aber die Gertrud,« fiel der Pfarrer ein, »ist eine tüchtige Büre, und Ihr seid auch noch da; denn ohne zu schaffen könnt Ihr doch nit leben. Und wenn der Vogt auch wenig daheim ist, tut er's seinen Mitmenschen zu lieb. Ihr dürft stolz auf einen solchen Schwiegersohn sein, der angesehen ist bei den Herren wie bei den Buren. Wenn er einmal beide Höfe beisammen hat, wird sein Ansehen noch wachsen, und er wird der größte Bur im ganzen Kinzigtal; der g'scheit'st ist er jetzt schon.«

So und anderes redete der Pfarrherr von Wittichen und gewann mehr und mehr den Sinn des Buren für seinen Vorschlag. Selbst Regine, die Büre, konnte und wollte heute ihren Liebling, den Egidi, nicht verteidigen: sie war eine gottesfürchtige Frau, und die neueste Tat des Jüngsten hatte sie auch empört. Mit großem, innerem Vergnügen aber hörte sie ihren Tochtermann loben.

Der Pfarrer wollte, da er gerade in der Nähe war, noch einen Kranken besuchen, droben in dem kleinen Waldtälchen, das vom Volk den schönen Namen »Grüßgott« hat, und brach bald auf. Der Bur aber versprach, indes ein Pferd einzuspannen und bei der Rückkehr aus dem Grüßgott den »Herrn« und seinen Diener hinabzuführen nach Wittichen.

Es war »kuhfinster«, wie die Kinzigtaler sagen, da der Franzenbur wieder heimfuhr und unterwegs nochmals über alles nachdachte, was der Pfarrer heute gesagt hatte.

Als er droben am Vogtshof angekommen war, sah er noch Licht in der Stube. Er hielt an und knallte mit der Peitsche.

Ein Schiebfenster öffnete sich und eine Stimme fragte: »Wer ist draußen?« »Ich bin's,« antwortete der Franzenbur.

»So, Ihr seid's, Vater!« sprach jetzt die Büre, denn sie war es. »Ich habe Euch vorbeifahren sehen mit dem Pfarrer. Es ist schon alles im Bett bei uns, ich allein bin noch auf, ich will noch Anken (Schmalz) machen.«

»Ist der Andres daheim?« fragte der Franzenbur.

»Ja, aber er liegt schon. Er war im Wald heut' und hat Holz vermessen und ist müde geworden.«

»Er soll morgen zu mir kommen. Ich hab' was mit ihm zu reden, was Wichtiges. Guat' Nacht, schlaf wohl!« Mit diesen Worten trieb der Franzenbur sein Rößlein an, während die Tochter ihm nachrief: »Guat' Nacht, Vater, kommet guat heim. A schöne Gruß an d'Muatter, und i loß ihr ou guat Nacht sagen. Den Andres will i morge schicke!«

Der Vogt war kein großer Liebhaber von Besuchen bei seinem »Schwervater«. Er ging diesem gerne aus dem Weg, weil er stets predigte, die Buren müßten bei ihren Höfen bleiben und da den ersten Knecht spielen; Gefälligkeits- und Herrendienste brächten kein Geld ins Haus und hielten keinen Hof im Stand.

Aber sein Weib, die Gertrud, redete ihm zu, ja zeitig zum Vater zu gehen, denn er habe gestern abend in einem so wohlwollenden Tone gesprochen, daß sie glaube, er habe nur Gutes im Sinn gegen ihren Andres.

Wahrscheinlich, so meinte sie weiter, handle es sich um den Egidi; der habe, wie gestern abend noch die Mägde heimgebracht, einen gottlosen Streich ausgeführt, da der Pfarrer das Leibgedinghaus eingeweiht. –

So bekam der Andres Mut und ging andern Tags talauf zum Franzenhof.

Zwei Stunden später kam er zurück; freudestrahlend und seiner Gertrud die Hand entgegenstreckend, rief er ihr zu: »Von heut an, Weible, bist du nicht bloß Vögtin im Kaltbrunn, sondern auch die größte Bäuerin im ganzen Kinzigtal. Ich hab' eben dem Vater den Hof abgekauft um ein Schnupftabaksgeld. Der Egidi wird ausgeschlossen, wie er's verdient, der Pfarrer hat's auch g'sagt und mir gut vorg'schafft!«

Es wird nie, weder in Stadt noch Land, ein Wibervolk weinen, wenn ihr Ansehen und ihre Macht mit der des Mannes steigt und Geld genug im Kasten ist. Drum begann auch die Gertrud zu strahlen bei dieser Nachricht; denn sie war stolz auf ihren Andres, weil sie ihn überall beliebt und angesehen wußte, und jetzt voll Freude, daß der Vater ihm auf einmal so wohl wollte und ihm den Hof gab.

»Aber so will's der Vater,« fuhr der Andres fort, »im Frühjahr müssen wir hinaufziehen auf den Franzenhof. Unser Haus ist alt und baufällig; das reiß ich nieder, und da Wald und Feld von beiden Höfen zusammenstoßen, haben wir dann ein Gut und ein Haus.«

Das war der Gertrud zweimal recht, wieder heim zu kommen und da Herrscherin zu werden, wo sie als Kind gelebt.

Das Frühjahr kam. Als der Schnee geschmolzen war und die ersten Schlüsselblumen auf den Matten blühten, hielten die Vogtsleute fröhlichen Auszug vom Vogtshof und fröhlichen Einzug in den Franzenhof, der ein stattlich Ding war mit gewaltigem Hauptgebäude, neuem Leibgedinghaus und eigener Kapelle.

Die Zimmerleute und Maurer aber rissen den morschen Vogtshof nieder; doch da, wo er stand, heißt's heute noch im Volksmund »beim alte Hous«. –

Andreas I. war als Herr zweier großer Waldhöfe nach dem Geldwert unserer Tage wenigstens ein halber Millionär, was für einen Bauer vor siebzig Jahren viel, recht viel besagen wollte.

Es regierte sein Vogtsstab die Gemeinde, sein Ansehen blühte in den Tälern und auf den Bergen weithin, und seine Flöße beherrschten den Kaltbrunner Bach.

Der Egidi oder, wie er nach dem Hof seines Vaters hieß, der Franzegidi, wurde später ein Taglöhner und hatte ein kleines Gütchen am waldigen Eichberg, unweit dem Fürsten vom Teufelstein, während sein Schwager ein großer Bauernfürst geworden war, nachdem auch Egidis Fürstentum ihm zugefallen.

Der Franzegidi kam aber auch um dieses Gütlein und wurde in seinen alten Tagen ein so armer Mann, daß er von der Gemeinde Kinzigtal, in die der Heuwich und der Eichberg gehören, von Hof zu Hof und von Hütte zu Hütte »umgeäzt« werden mußte.

Heutzutage tut man derartige Arme in Kreisanstalten, wo sie fern der Heimat ein kärgliches, wehmutsvolles Leben führen.

Früher war diese Versorgung ortsarmer Menschen eine weit gefühl- und gemütvollere. Sie wurden »im Reihen« verpflegt oder, wie es noch öfter hieß, »umgehalten«, d. h. jeder Bauer und jeder Taglöhner mußte der armen Person je nach der Größe seines Hofes oder Gütchens von einem Tag bis zu einem Monat Kost und Obdach geben.

Der arme Mensch arbeitete den Kostleuten, was er konnte, und wenn es nur das Hüten kleiner Kinder war. Er aß und trank dafür mit ihnen am Tisch und ward in alleweg gehalten wie ein Glied der Familie.

Dabei war er in seiner lieben Heimat und drum ein zufriedener Mensch. Ich habe viele solche Leute gekannt und unter ihnen keinen Unglücklichen. –

Der Franzegidi starb als Ortsarmer in den sechziger Jahren bei einem Bauer im Kinzigtal, bei dem er gerade umgehalten wurde, als der Tod kam.

Er mußte seinen Mutwillen und seinen Spott über Religion schwer büßen, wie ich denn schon oft beobachtet habe, daß Leute, die auf dem Land unter einer gläubigen Bevölkerung Aergernis geben, weit mehr und sichtbarer die Strafe trifft, als in Städten, wo an solchen Patronen weniger Aergernis genommen wird.

Das Knechtlein aber, welches der Egidi bei jener Hausweihe so fürchterlich schreien machte und von dem wir noch mehr hören werden, lebte, ein hoher Achtziger, bis zum Frühjahr 1898, wo auch er das Zeitliche gesegnet hat.

 


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