Heinrich Hansjakob
Erzbauern
Heinrich Hansjakob

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Die Buren am Wildsee

1.

Ganz oben im Schapbacher Tal, im Zinken Seebach, liegt, nahezu tausend Meter über dem Meere, der Wildsee. Er ist wohl der kleinste, aber nach meinem Geschmack der feinste Bergsee des ganzen Schwarzwalds und zwar deshalb, weil er der düsterste ist und voll von einer Melancholie, die es einem förmlich antut, in seinen Wassern sterben zu wollen.

Wie der Dichter einmal sagt von der Gewalt einer Wasserfee:

Halb zog sie ihn,
Halb sank er hin
Und ward nicht mehr geseh'n –

so zieht der Wassergeist, der über dem Wildsee schwebt, einen an, in seinen kühlen Fluten alles heil zu sehen und zu suchen.

So wirkte auf mich der Wildsee, als ich vor Jahr und Tag einmal mutterseelenallein an seinem Ufer saß. Daß auch die Volksseele die gleiche Empfindung hat, das bezeugt die Sage von der Nixe im Wildsee, die mir erst nachher bekannt wurde.

Aus den stillen Wassern des düstern Sees, so erzählt der Volksmund, taucht bisweilen ein Wasserfräulein mit einer goldenen Leier auf und lustwandelt, auf der Harfe spielend, an den Ufern hin.

Sobald es seine Saiten und seine Stimme ertönen läßt, eilt alles, was hören kann, dem Wildsee zu; selbst das scheue Reh kommt und schmiegt sich an das schöne Fräulein an.

Die Hirtenbuben, welche vor dem Wald draußen ihre Herden weiden, springen heran und werden bezaubert vom Sang und von der Schönheit der Nixe.

Eine innere Stimme sagt ihnen: Fliehet, es naht euch Verderben! Umsonst, die Macht des Gesangs und die Schönheit der Gestalt reißt sie hin zur Zauberin.

Liebkosend umfängt diese die frischen Knaben, zieht sie dem See zu und verschwindet mit ihnen in den Fluten.

Ueber das Wasser hin aber klingt noch einmal Saitenspiel wie Totenklage.

Wie schön malt die Volksseele in dieser Sage den verlockenden, melancholischen Geist, der über den stillen Wassern schwebt. –

Die Wasser des Wildsees sind schwarzbraun, und gen Westen schließt ihn eine dunkle, breite Felswand ab wie eine Mauer ewigen Schweigens.

Zwergföhren keimen aus den Ritzen der düstern Steinwand, während sonst ringsum greise Tannen Wache halten und vergeblich in den dunkeln Wassern sich zu spiegeln suchen.

Nichts regt sich über diesen Wassern, und kein Sonnenstrahl badet in des Seeleins Spiegel. Schrecklich unheimlich und gerade deshalb so zauberhaft anziehend liegt der kleine See da – unbeweglich wie ein Stück Ewigkeit.

Unter diesem schauerlich schönen See lagen tief drunten im Tale einst zwei stolze Bauernhöfe, und auf ihnen residierten im 19. Jahrhundert noch zwei Bauernfürsten, die zweifellos zu den Erzbauern gezählt werden müssen. Drum darf ich sie in diesem Buche nicht übergehen.

Auf dem einen, der Seebenhof oder wegen seiner Größe auch der Elefantenhof genannt, waltete in den zwanziger Jahren des genannten Jahrhunderts ein Erzbauer, namens Hansjörg, und eine Erzbüre, die den Namen Apollonia hatte, jenen schönen Namen, der früher im Landvolk so häufig war und jetzt so selten geworden ist, weil er nicht neumodisch klingt.

Die Apollonia, eine Königin an Gestalt und Angesicht, hatte schon einen Mann verloren. Er war an einem Kuchenmarkt nach Wolfe gefahren und nimmer heimgekommen. Auf dem Weg von einem Wirtshaus zum andern hatte er die Kinzigbrücke mitten im Städtle passiert, war über das Geländer hinunter gestürzt und ertrunken.

Jetzt heiratete die noch sehr stattliche junge Witwe einen galanten, flotten Müllerssohn aus dem Schappe und machte ihn zum Fürsten auf dem Seebenhof, der über tausend Morgen Wald, Feld und Weide umfaßte.

Der junge Müller durfte stolz sein: denn mit dem Tag, da die Apollonia ihm die Hand reichte, war er, wenn auch nicht der erste, so doch der größte Bur im Gebiet der Kinzig.

Der erste war damals, im zweiten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts, schon Andreas I. von Kaltbrunn, der wenige Jahre später ein nicht viel kleineres Fürstentum sein eigen nannte.

Aber der Elefantenbur war der größte Bur, soweit die Kinzig ihre Wasser führt von Freudenstadt bis hinab unter Millstätt, und das war Ehre und Ansehen genug für einen Müllerssohn.

Und hatte er auch nicht die wahrhaft fürstlichen Eigenschaften des Vogtsburen im Kaltbrunn, so war der Hansjörg doch nicht ganz ohne Bildung. Er konnte geigen und auch etwas Klavier spielen, was er in seinen jungen Jahren beim Schullehrer im Schappe gelernt hatte.

Geigen und Klavierspielen sind zwar zwei Künste, die einem Bauern am wenigsten von Nutzen sind; aber der Hansjörg wurde ja Elefantenbur, und der konnte sich's leisten, daß er Geige spielte und ein Klavier sich anschaffte und darauf hämmerte.

Zu seiner Herrschaft gehörten nicht weniger als fünf Taglöhnergüter, deren Besitzer alle Vasallen des Großburen auf dem Seebenhof waren und diesem alljährlich gewisse Dienste zu leisten hatten.

Knechte und Holzhauer dienten in schwerer Menge dem Fürsten Hansjörg unter dem Wildsee. Sie schlugen alljährlich in den herrlichen Waldungen ringsum und weithin Tausende von Großtannen, riesten sie zu Tal, banden sie auf dem Wasser ein und führten sie in stattlichen Flößen der Kinzig zu.

Eine eigene Sägmühle gehörte zum Hof. Auf ihr wurden Tag und Nacht Stämme zu Brettern geschnitten und diese auf den Flößen weiter expediert.

Das gab ein Heidengeld, und die Schifferschaft in Wolfe mußte tief in ihre Kronentaler langen, wenn der Elefantenbur im Städtle angefahren kam, um sich seine Flöße bezahlen zu lassen.

Hatte er dann seinen Schatz gehoben und heimgebracht, so tat die Apollonia die silbernen Taler auch in eine Schiede, wie einst die Mutter des Fürsten Andreas im Kaltbrunn. Aber die Fürstin auf dem Hof unter dem Wildsee stellte die Schiede nicht wie jene unter die Himmelbettlade, sondern schüttete sie im Angesicht ihrer Völker auf den Boden der Stube und sprach: »So, jetzt hemmer wieder Geld!«

Die Mägde halfen ihr die glänzenden Dinger aufheben, und dann ward ein Herrenleben geführt, wie es sich geziemt für Leute, die Geld genug haben.

Aber die Seebenbüre machte es nicht, wie viele andere reiche Leute, die bloß sich was gönnen; sie ließ auch ihre Mitmenschen und vorab die Armen teilnehmen an ihren Kronentalern und an dem Ueberfluß, der auf dem Hofe herrschte.

Ganze Scharen von Bettlern und Landstreichern kamen auf den Elefantenhof und holten bei der Büre Essen und Trinken und Geld und gingen davon, die Wohltäterin preisend, der sie oft unter allerlei Lügen reichliche Gaben abgeschwindelt hatten.

Die besten Geschäfte machten bei ihr die Hausierer: denn die größte Büre im Tal wollte auch den größten »Staat«. Tücher, Bänder, Spitzen, Seidenwaren kaufte sie nur, wenn sie ihr nicht zu billig angeboten wurden. Das merkten sich die wandernden Krämer bald und machten sich gut bezahlt für den weiten Weg nach dem weltfernen Seebenhof.

Ueberallhin, wo es Vergnügen und »Welt« gab, hatten der Hansjörg und seine Apollonia weit, sehr weit, selbst ins Städtle Wolfe vier Stunden. Nur zur Sommerszeit war ganz in der Nähe ein Vergnügungsort ersten Ranges – das Bad Rippoldsau.

Den ganzen Winter freuten sich der Seebenbur und sein Weib auf die Maienzeit. Im Winter waren sie eingeschneit, und es tönten tagsüber nur die Dreschflegel aus der Tenne oder die Streiche der Aexte aus den Wäldern an ihr Ohr.

Wenn aber die Bächlein wieder sprangen vom Wildsee her, wenn die Mattengele blühten und die Kirschbäume, wenn der Schnee Abschied nahm vom Kniebis und vom Glaswald und wenn draußen im Wolftal die Extra-Chaisen durchfuhren mit Fremden, dem Sauerbrunnen zu – dann kam für den Bauernfürsten und seine Gattin eine fröhliche Zeit.

Jeden Sonntag fuhren sie fortan hinauf »ins Bad« und aßen »an der Tafel«. Und es ging lustig her im Bade in den Jahren nach den Befreiungskriegen. Es kamen lauter Fremde, die den Kriegstrubel der vergangenen Jahrzehnte mitgemacht oder miterlebt hatten und drum doppelt fröhlich waren in der wonnigen Waldeinsamkeit am Fuße des Kniebis.

Da knüpften die zwei Bauernhoheiten allerlei Bekanntschaften an mit großen und kleinen Herren und Damen. Noch kam in jenen Jahren der Fürst von Kaltbrunn nicht über die östlichen Berge, und nie stiegen der Hansjörg und die Apollonia so hoch in der Gunst der im Sauerbrunnen anwesenden Fürsten, wie später der Vogtsbur, Andreas I.

Doch erschien in den zwanziger Jahren der Markgraf und spätere Großherzog Leopold mit seiner Frau und seinem Gefolge auch zu Besuch auf den Seebenhof.

Das Volk erzählt sich heute noch, bei der Seebenbüre habe der Markgraf die ersten »gebrägelten« (gebratenen) Erdäpfel gegessen und sie vortrefflich gefunden.

Sehr gut stand der Hansjörg mit den Damen der Badewelt, selbst mit den Hofdamen, denn er war ein flotter Tänzer. Während der Saison in Rippoldsau waren er und seine Apollonia mit den Damen und Hofdamen bei allen Bauernhochzeiten. Selbst ins Renchtal hinüber zogen die Badgäste mit dem Elefantenbur zu »Hosigen«.

Die Hofdamen müssen damals noch nicht so zimpferlich und so nervös gewesen sein, wie heutzutag. Sie hatten ihre helle Freude, wenn der Hansjörg während des Tanzes sie in die Höhe warf und wieder auffing.

Heute würde keine Hofkammerjungfer, noch viel weniger eine Hofdame mit einem Bur tanzen; aber wenn der seltene Fall einträte und der Bur die Tänzerin in die Höhe werfen würde, bekäme sie Krämpfe und Ohnmachten.

Unsere Zeit ist eben viel kultivierter als vor achtzig und mehr Jahren; drum sind die Menschen auch stolzer, blasierter und nervöser. –

Aber es fuhren nicht bloß der Hansjörg und die Apollonia an Sonntagen ins Bad an die Tafel, die Badegäste kamen auch, wie schon angedeutet, an Werktagen zu Wagen und zu Fuß hinab in die lauschige Mulde, in welcher der Seebenhof lag.

Und da ging's hoch her. Die Apollonia ließ kochen und braten; denn auf dem fürstlichen Bauernhof gab es nicht nur allerlei Geflügel, der Hansjörg hatte neben dem Hof auch einen Fischweiher und unter dem Hause einen famosen Weinkeller. Er fuhr jedes Jahr selbst in den Herbst, hinab ins Kinzigtal, und holte ganze Wagenladungen vom Besten.

Auch ein Tänzchen wurde jeweils arrangiert, wenn die Badegäste da waren, und der Hansjörg machte dann den Spielmann. Draußen auf dem Hausmättle drehten sich die Reigen zu den rauschenden Weisen seiner Geige.

Die Gesellschaft wurde so lustig, daß manchmal auf dem Heimweg die Kutscher, welche auch nicht müßig gewesen waren im Trinken, draußen im Wolftal ihre Wagen umwarfen und die Insassen in dem unschuldigen Wolfbach ein abkühlendes Bad nehmen ließen.

Noch heute erzählen die Leute, wie am Morgen nach einer solchen Fahrt im Bach und auf der Straße Geld und sonstige Wertsachen lagen, die von den Anwohnern strandrechtlich behandelt und behalten wurden.

So vergingen dem Elefantenbur und seiner Frau wie den Badgästen die Sommertage in süßem Vergnügen. Indes hatten des Buren Holzhauer wieder Flöße zusammengebunden und waren mit ihnen hinabgefahren gen Wolfe, und da jedes Floß wenigstens 5000 Gulden wert war, so konnten der Seebenbur und sein Weib schon lustig sein.

Die Badgäste waren dankbare Leute und vergaßen ihre Freunde am Wildsee auch nicht, wenn sie vom Sauerbrunnen fort waren. Wenn die Herbstnebel über dem Glaswald lagen oder die Tannen unter der Schneelast seufzten, kamen in späteren Jahren nicht selten Einladungen von den lieben Sommergästen nach Straßburg, Stuttgart und Karlsruhe.

Der Hansjörg und die Apollonia waren galant genug, den Einladungen zu folgen, und bald ging's in die eine, bald in die andere der genannten Städte, wo ihre Badfreunde bei allen ihren Bekannten »Staat machten« mit ihren bäuerlichen Gästen.

All' diese Dingen kosteten Geld, viel Geld, und nicht selten waren deshalb der Fürst und die Fürstin auf dem Seebenhof in Geldverlegenheit. Allein das genierte sie nicht. Sie machten es wie die andern Fürsten auch; sie pumpten bei ihren Untertanen, der Hansjörg bei seinen Vasallen und Taglöhnern und die Apollonia bei ihren Mägden.

Wenn dann wieder Geld für die Flöße ins Haus kam, schüttete es die Büre vor ihren und ihres Mannes Gläubigern in die Stube und sprach: »So, jetzt hemmer wieder Geld, leset ouf, was ihr z' guat henn!« –

Die Dienstboten hatten Herrentage auf dem Seebenhof, besonders wenn die Herrschaft sich auf Reisen befand und die erwachsenen Kinder mitgenommen hatte. Da war dann die Köchin Meister, wie denn der Seebenhof der einzige Hof war, auf dem die Büre nicht selber kochte, sondern eine Köchin hielt. Diese bekam in Abwesenheit der Büre sämtliche Schlüssel, auch die für den Keller. Und Knechte und Mägde jauchzten bis in die tiefe Nacht hinein, so oft die Köchin das Regiment im Hause führte.

Der Stellvertreter des Buren nach außen war der Hauslehrer: denn einen solchen hielten die Fürstlichkeiten am Wildsee und zwar keinen Burenschulmeister, sondern einen »g'studierten«.

Droben auf dem Roßbergerhof, wo Andreas' I. Bruder Bur war, hielten sie damals auch einen eigenen Lehrer; aber das war nur der »Stelzenmichel«, ein armer Teufel aus der Gegend, der, weil er nur einen ganzen Fuß hatte und nichts Wichtiges arbeiten konnte, Besenbinder und Schulmeister geworden war.

Und draußen im Seebach, wohin der Seebenhof gehörte, amtierte der »Schulmeister-Simme« als Volksbildner, ein Bauernsohn vom Kupferberg bei Schapbach. Er hatte nur eine ganze Hand, die andere war »verdolpt«. Drum lernte er lesen und schreiben und wurde Schulmeister bei den Buren im »Säbe«.

Er war, wie die alten Buren, seine Schüler, jetzt noch sagen, ein Hauptkerl im »Spezies- und Kopfrechnen«.

Der Simme bekam 100 Gulden Lohn und, wenn die Buren metzgten, die Metzelsuppe. Er hielt ein Kühlein und hatte einige Felder gepachtet und war ein stiller, bedürfnisloser Mann mit einem Weib und zwei Kindern.

Seine Dolphand benützte er merkwürdiger Weise nur, wenn er einem Schüler Ohrfeigen geben wollte, und die waren dann saftig und drum gefürchtet.

Der Schulmeister-Simme im Säbe und der Stelzenmichel auf dem Roßberg hatten eine Art Kartell geschlossen. Wenn der eine krank war, trat der andere für ihn ein.

Beide aber waren dem Hansjörg und der Apollonia auf dem Seebenhof zu wenig. Sie engagierten einen »g'studierten«, einen »verbrannten Studenten«, wie die Kinzigtäler »vergratene« Musensöhne zu nennen pflegen.

Seine Herkunft, seinen Namen und sein Schicksal werden wir bald erfahren. Während der Simme und der Stelzenmichel im Wolftale fortleben im Munde ihrer Schüler und deren Nachkommen, fehlt heute dort fast jede nähere Kunde über den Professor auf dem Seebenhof. Nur das wissen die Leute noch, daß derselbe bald Hahn im Korb war bei der Apollonia und damit auch beim Hansjörg; denn »sie« hatte den Bur zum Fürsten erhoben von seines Vaters Mühle weg.

Kamen Holzhändler aus dem Renchtal herüber oder von Wolfe herauf, und der Bur war nicht da oder hatte keine Lust, die Leute in den Wald zu führen, so besorgte das der Professor. Er zeichnete die zu fällenden Stämme an, vereinbarte die Preise und nahm später auch das Geld ein.

Er soll drum, als seine Zöglinge wußten, was zu wissen nötig war, nicht als ein armer Mann den Seebenhof verlassen haben.

Der Hauslehrer und Hofmeister war auch ein großer Freund von Jagd und Schießerei. Er übte vorzugsweise das Weidrecht auf dem großen Waldhofe aus und hatte sich dazu einen eigenen Büchsenspanner erkoren, den Waidele-Jörg. Der war der Sohn eines der Vasallen des Hofes und später selbst Vasall, und heute noch sitzen seine Kinder auf seinem Taglöhnergut.

Der Jörg bekam den Titel Oberjäger und begleitete den Schulmeister nicht bloß in den Wald, sondern auch weithin auswärts auf Schützenfeste und Scheibenschießen.

Anfangs der dreißiger Jahre, da seine Zöglinge ausgebildet waren, kam der Haushofmeister als Schullehrer nach Gremmelsbach bei Triberg, wo ich durch einen seiner alten Schüler noch mehr von ihm erfuhr.

Er war der Sohn eines Zuckerbäckers in Oppenau und hieß mit seinem Geschlechtsnamen Advokat. Er kam als der erste »studierte« Lehrer nach Gremmelsbach, wo er aber noch kein Schulhaus antraf, sondern in einem kleinen Häusle neben dem »Rößle« seine Schule aufschlagen und bei einem Bauern logieren mußte.

Er imponierte nicht bloß durch sein »Studium«, sondern auch durch seine stattliche, wohlbeleibte Figur, die er in seinen Hofmeisterstagen auf dem Seebenhof sich angelegt hatte.

Daß er Hofmeister in einer waldfürstlichen Residenz gewesen war, geht auch daraus hervor, daß sein eben erwähnter Schüler, ein alter Bauersmann, heute noch erzählt, wie der Advokat vor allem seinen Schülern »die Anstandslehre« vorgetragen und eingeübt habe.

Er gab auch Fleiß- und Betragenszettel aus als Quittungen seiner Zufriedenheit und zugleich als Wertzeichen, mit denen die Schüler später die Befreiung von Tatzen sich erkaufen konnten.

Ein solcher Zettel galt für vier Tatzen, und wer zu solchen verurteilt war, zog seine Zettel aus der Schultasche und rechnete dann mit dem Advokat ab.

Unter ihm ward ein Schulhaus gebaut, in das er gleich mit einem jungen Weib einzog. Er hatte nämlich das Herz des schönsten Meidles im Kirchspiel erobert, das der Rußbärbel, die noch bei ihm in die Schule gegangen war.

Er war hoch angesehen bei den Buren, denen er den Winkeladvokaten machte und ihre Tannen abkaufte, weil er den Holzhandel vom Seebenhof her gewohnt war. Auch unterhielt er sie im Wirtshaus aufs beste.

Ja, er kaufte selbst eine Wirtschaft drunten im Tal vom Stumpenwirtle, verkaufte sie aber wieder an einen Bruder des Bürle im Holdersbach.

Beliebt war er bei den Bauern auch, weil er meisterhaft die Orgel schlug. Bei Kindstaufen war es damals im Schwarzwald üblich, daß der Lehrer beim Anmarsch des Taufzugs ein »Märschle« und beim Abmarsch ein »Tänzle« spielte. Dies Spielen verstand der Advokat virtuosenmäßig. Von den Bauern bekam er dann Würste, Speck und Chriesewasser. Und wenn ihm der Speck ausgegangen war, so pflegte er in der Schule zu sagen: »Kinder, i sollt' Holz mache und ha kei Speckschwarte meh' zum Sägeschmiere.« Die Kinder und ihre Eltern verstanden den Wink, und es regnete Speck ins Schulhaus.

In seinen besseren Tagen hatte er auch seinen Oberjäger nach Gremmelsbach kommen lassen, ihm bei den Bauern als Holzhauer Arbeit verschafft und ihn nebenbei wieder benutzt als Büchsenspanner und Jagdaufseher.

Was nicht in das Fach eines fürstlichen Hofmeisters schlägt, trieb er auch, nämlich die Demokratie, und das gereicht ihm zur Ehre.

Anno 1849 machte der Advokat in Gremmelsbach, wie fast alle Demokraten in Baden, auch in Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Bei einer Volksversammlung in Triberg, wo vor der Apotheke im Freien eine Kanzel errichtet war, stellte sich als zweiter RednerDer erste war der damalige Rechtspraktikant und spätere Pfarrer Fackler, den ich noch wohl kannte. auf dieselbe unser Advokat. Er predigte obige Tugenden und meinte namentlich, »die Pfaffen hätten zu viel und die Schullehrer zu wenig.«

Für seine Freiheits- und Gleichheitsschwärmerei wurde er nach der Revolution abgesetzt. Jetzt kaufte er einen Hof auf dem Rendsberg, Gemeinde Schonach, Gremmelsbach gegenüber, und wurde ein Bur und Holzhändler.

Es behagte ihm aber nicht lange; er war zu weit ab von der Gesellschaft. Drum verkaufte er mit Profit den Hof wieder und wurde Sonnenwirt tief unten im Tal, in Niederwasser oberhalb Hornberg, wo er durch sein Unterhaltungstalent und durch sein gelegentliches Orgelspiel alle Buren für sich begeisterte.

Doch der Sensenmann kam frühe zu ihm, und in den ersten Apriltagen des Jahres 1853 haben sie den Hofmeister vom Seebenhof begraben.

Schön war es noch von ihm, daß er trotz seines Schwärmens für Revolution der alten Tracht treu blieb und stets in Dreispitz, Kniehosen, Schnallenschuhen und langem Rock durch die neue Zeit wanderte.

Seine junge Witwe, die Rußbärbel, hinterließ er in Armut. Sie mußte als Taglöhnerin ihr Brot verdienen, und sie tat es in Geduld und ohne Klage. Ihre Schönheit gewann ihr aber noch zwei Männer und bessere Tage, und sie starb erst vor wenigen Jahren gottselig »im Schönwald« bei Triberg. –

Und nun zurück zum Wildsee.

Der Fürst auf dem Seebenhof, der kein Freund der Jagd war und sie dem Hofmeister überließ, beschäftigte sich dagegen gerne mit der Heilkunst. Er war, wie die Leute heute noch erzählen, ein halber Doktor. Wenn einem was fehlte, ging er zum Seebenbur, und der kurierte ihn. Namentlich verschrieb er gerne guten, alten Wein, und da er den besten selbst im Keller hatte, kredenzte er als Apotheker auch gleich die Medizin.

Er bekam deshalb vielen Zulauf von Patienten, auch von solchen, die nur ein fieberhaftes Verlangen nach dem Wein des Bauernfürsten hatten.

Auch Zähne zog dieser gerne. Jedem, dem er einen Zahn gezogen, ließ er als Schmerzensgeld einen Schoppen Wein aufstellen.

Während der Fürst so für die Kranken sorgte, war die Fürstin Apollonia, wie schon erwähnt, die Mutter der Armen. Sie hörte es gerne, wenn Bettler kamen und sie mit »Mutter« anredeten. Die Gabe fiel unter diesem Titel viel reichlicher aus. War sie aber übel gelaunt, und es redete sie jemand so an, dann konnte sie auch aufbrausen und sagen: »Wenn ich nur müßt' jedem Esel und jedem Bettler Mutter sein!«

Sonst arbeiteten die zwei Hoheiten auf dem Seebenhof, wie es Fürstlichkeiten geziemt, nicht allzuviel. Ihre Arbeit beschränkte sich, soweit der Schulmeister das dem Fürsten nicht abnahm, auf die Inspektion in Feld und Wald beim Hansjörg und auf die Nachschau in Haus und Stall bei der Apollonia.

»Den Völkern nachzusehen, genüge auf dem Seebenhof, wenn man auch selbst nicht mitarbeite,« meinte mit Recht die Fürstin. Und sie forderte von ihren Völkern emsige Arbeit.

»Im Seebenhof,« so pflegte sie zu sagen, »gibt es nur ein ruhiges Plätzle, und das ist der Stuhl, auf dem ich sitze.« Und wenn sie auf ihrem Ruheplätzle saß, durfte man nur in Strümpfen in die Stube treten.

Während aber der Hansjörg, der Fürst, mit seinen Knechten gut auskam, war die Büre stets auf dem Kriegsfuß mit ihren Mägden, denen sie nur mit Mißtrauen entgegentrat. Drum wechselten die Meidle oft auf dem Hof, während die Knechte jahrelang blieben.

Es ist das eine Erscheinung, die man heutzutag auch in den Städten beobachten kann. Während der Herr des Hauses mit seinen Untergebenen aufs beste auskommt, hat seine Frau jedes Ziel andere Mädchen. Es spricht dies für die bekannten Eigenschaften des weiblichen Geschlechtes, welches da, wo es zu kommandieren hat, unausstehlich wird.

Ich will die heutigen Dienstmädchen gewiß nicht verteidigen. Sie verlassen meistens ihre Heimat auf dem Lande, weil sie da die tüchtige Arbeit scheuen und, dem Zug der Zeit folgend, ein besseres Dasein suchen, d. h. wenig Arbeit und hohen Lohn.

Aber an der Klage über schlechte Dienstboten sind die heutigen Damen vielfach selbst schuld; sie selber wollen gar nichts mehr tun in der Haushaltung und verstehen davon meist auch nichts. Sie laden darum ihren Mädchen alles auf: Putzen, Waschen, Kochen, Kinder hüten, während sie Klavier spielen, Romane lesen, durch die Straßen fegen und Rad fahren.

Klagt dann »der Herr« über schlechtes Essen und Verwahrlosung der Kinder, dann ist das Dienstmädchen an allem schuld, das oft noch Hunger leiden soll, damit das gespart wird, was die Dame sonst zu viel und unnötig braucht.

Wenn drum in einem Hause Herrin und Dienerin sich stets in den Haaren liegen, so dürften sich statt des Haderns beide friedlich die Hände reichen und sagen: »Wir sind beide nichts nutz!«

So ist es; die Hausfrauen sind nimmer, was sie waren und sein sollten, und die Dienstmädchen auch nicht. Beide haben ihren guten Anteil an der allgemeinen Lumperei unserer Tage. –

Die Fürstin Apollonia unter dem Wildsee ließ ihre Mägde oft allein, wenn sie »an die Tafel« fuhr hinauf ins Bad oder eine größere Reise tat. Wenn sie dann heimkam und den Schaden besah, so fiel sie über ihre Wibervölker her, die doch nur getan hatten, was die Mäuse tun, wenn die Katze nicht im Hause ist.

So ging's auf dem Seebenhof zu jahraus jahrein. In den Wäldern tönten die Axthiebe, über den Tannen zogen die Rauchsäulen der Holzmacherfeuer in den Aether, am Seebächle und an der Wolf hantierten die Flößer, in der großen Sägmühle am Bach knarrte die Säge, der Kinzig zu fuhren die Flöße, in der oberen Stube dozierte der Professor und in der untern ruhte die Büre auf ihrem Sorgenstuhl, während der Hansjörg daneben Kranke heilte. Droben am Wildsee jauchzten die Hirtenbuben und drunten beim Hof zur Sommerszeit die Kurgäste vom Sauerbrunnen. Und Gottes Sonne ging auf und unter über fröhlichen, glücklichen Menschenkindern.

Da kam im Frühjahr 1833 aus dem obern Kinzigtal herüber ein Fremdling und führte den Hansjörg und die Apollonia in Versuchung. Sie unterlagen derselben und legten damit den Grund zum Untergang des Seebenhofs.

 


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