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Nördlich von Kaltbrunn, wo Andreas I. einst Bauernfürst war, und nur durch wenige, aber hohe Waldberge davon getrennt, liegt im Gebiete der Wolf ein kleines, waldiges Tälchen. Es heißt der Holdersbach, nach dem Bergwasser, das vom »roten Grund« herab der Wolf zueilt.
In einer tiefen Mulde eingeschlossen, liegen in diesem Tälchen zwei große Bauernhöfe, einer ehedem fast noch so groß als der andere. Drum hieß von altersher der Besitzer des großen »der Bur« und der des kleinern »der Bürle«.
Eigentlich hätte er »das Bürle« heißen sollen; aber wir wissen, die Kinzigtäler Buren geben etwas Rechtem stets den männlichen Artikel.
Und der Bürle, der auf dem unteren, kleineren Hof saß, war allzeit was Rechts; denn sein Hof umfaßt gut 280 Morgen und hätte im unteren und mittleren Kinzigtal zu den größten gezählt.
Der Bur aber besaß zur Zeit, als die Namen entstanden, und bis in unsere Tage herauf 500 Morgen, war also weit erhaben über dem Bürle.
Von zweien dieser Hofbesitzer, die in unserer Zeit im Holdersbach hausten, will ich jetzt erzählen. Beide gehören zu den Erzbauern, der Bur durch die Größe seines Hofes und durch den selbstbetriebenen Erzbau, der Bürle aber durch seine Idealgestalt von einem Buren, wie er sein soll. Denn wenn ein Bur im Kinzigtal den Namen Erzbauer im idealen Sinne verdient, so ist es der Bürle aus dem Holdersbach.
Beginnen wir mit dem Bur.
Dem alten Bur, der mit seinem Vornamen Simon hieß und zu Anfang des 19. Jahrhunderts im Holdersbach residierte, waren in zwei Ehen 23 Kinder geboren worden, aber nur sieben am Leben geblieben, ein Meidle und sechs Buben.
Der jüngste derselben, auch Simon genannt, war, während seine Brüder groß und stark geraten, von Natur aus schwächlich, klein und verwachsen.
Das war jedoch sein Glück; denn seinen körperlichen Defekten verdankte er die Herrschaft im Holdersbach. Das kam aber also:
Die Anwartschaft auf den Hof gehörte alten, ungeschriebenen Rechts wegen dem jüngsten Sohn aus des regierenden Buren erster Ehe, dem Gottfried.
Der souveräne Bauernfürst Simon im Holdersbach stieß aber dies Erbrecht des Gottfried um zugunsten des Jüngsten aus der zweiten Ehe. Und warum?
Da nur einer Fürst werden konnte auf dem Stammhof, so mußten die übrigen Prinzen des Hauses, wenn sie nicht die Erbtochter eines andern Hofes zum Weib bekamen, Knechte oder Taglöhner werden. Dazu war aber Simon, der jüngere, zu unkräftig.
Als regierender Fürst kommt auch ein körperlich schwacher Mensch fort; drum erhob in weiser Vorsicht der alte Bur seinen von der Natur verkümmerten Jüngsten auf den Thron im Holdersbach.
Es ist uralte Sitte bei den Buren im Kinzigtal, dem Thronerben den Hof möglichst billig zu geben, auf daß »der Stammen sein Fortkommen habe und erhalten bleibe«. Und es liegt ein Stück Weisheit in dieser Sitte, nach der auch der alte Bur im Holdersbach handelte, trotzdem er das Erbfolgegesetz gewalttätig umgestoßen hatte.
So bekam Simon, der jüngere, den Hof um ein Spottgeld. Er mußte jedem seiner Geschwister 1000 Gulden geben, ebensoviel dem Vater bei seinem Abzug auf das Leibgeding und dem Gottfried noch außer seinem Anteil 200 Gulden für die Enterbung.
Alle waren zur größten Ehre »des Stammens« und in demütiger Unterwerfung unter den Willen des Vaters damit zufrieden, und der schwächliche Simon erhielt einen Hof, der unter Brüdern 40 000 Gulden wert war, für 7200 Gulden.
Jetzt war er Bur und ein gemachter Mann. Seine Brüder verließen den Holdersbach und wurden Bergleute und Taglöhner, und die Schwester heiratete den »Krämerjörgle« droben im Schappe.
In der Regel verleiht die Natur dem, welchen sie leiblich vernachlässigt hat, dafür geistig eine Zugabe.
Dies traf auch beim jungen Bur im Holdersbach zu. Er hatte Ueberfluß an gesundem Menschenverstand, faßte alles leicht und rasch auf und war über jede Sache gleich unterrichtet.
Drum wurde er trotz seiner leiblichen Fehler und Mängel ein tüchtiger Bauer und, wie sein Nachbar gegen Süden, der Vogtsbur von Kaltbrunn, ein kluger Berater seiner Standesgenossen.
Auf einen großen, spottbilligen Hof eine reiche Frau zu bringen, ist kein Kunststück, auch wenn der Bur kein Adonis ist.
Die Meidle im Kinzigtal heiraten, wie wir wissen, nicht mit dem Herzen, sondern mit dem Kopf. Und die Verstandes-Ehen sind bekanntlich allermeist glücklicher, als jene, bei denen sich das Herz zum Herzen gefunden, aber in der Regel bald wieder verloren hat.
Da Simon, der jüngere, die Herrschaft im Holdersbach antrat, stand noch im obern Wolftal auf waldiger Höhe unter dem Grafenloch der große Bauernhof auf dem Schmidsberg.
Hier hauste ein Bauern-Dynasten-Geschlecht, fast so mächtig und so reich wie das vom Stamme Harter über der Bergwand drüben im Kaltbrunn. Es gab von jeher seine vielgesuchten Töchter auf die stolzesten Höfe an der Wolf ab, und wenn ein Meidle vom Schmidsberg Hochzeit hielt, so waren alle Buren und alle Bürinnen und alle Völker zwischen Rippoldsau und Wolfe auf den Beinen.
»Wenn die Könige bauen,« sagt Schiller, »haben die Kärrner zu tun,« und wenn ein Bauernprinz und eine Bauernprinzessin »Hofig« halten, haben die Völker zu essen und zu trinken im Ueberfluß.
Von allen Seiten, aus Berg und Tal strömen sie, ob reich oder arm, der Morgensuppe und am Vorabend dem »Schäpel-Hirschen« zu, um auf Kosten der beiden Hoheiten zu essen und zu trinken, »was Platz het«. –
Auf den Schmidsberg war auch der alte Bur vom Holdersbach mit seinem Erbprinzen gezogen und hatte um die Tochter Magdalene »angehalten« und selbstverständlich keinen Korb bekommen.
Die Magdalene war die letzte Prinzessin, die vom Schmidsberg herabstieg, um Bäuerin im Tal zu werden. Ihre Geschwister starben ledig, und der Riesenhof kam, wie wir später erfahren werden, in fremde Hände.
In den sechziger Jahren erwarb ihn ein Senator von Frankfurt, baute auf dem Schmidsberg eine Villa, wohnte den größten Teil des Jahres daselbst und beweinte den Untergang der Republik seiner Vaterstadt.
Söhne Israels bekamen nach seinem Tod die alte Bauernherrschaft und verkauften die Güter im Detail. Die Villa aber ging in den Besitz eines Karlsruher Professors über, der Geld genug hat, um leben zu können ohne Vorlesungen, und in der schönen Jahreszeit die Welt vom Schmidsberg aus betrachtet.
Oft hab' ich im Frühjahr 1897 die Residenz dieses Professors auf einsamer, waldiger Höhe mit den Augen des Enterbten angeschaut und den reichen Mann beneidet um seine Villa im grünen Waldfrieden des Wolftales. –
Die Magdalene vom Schmidsberg brachte nicht bloß »einen schönen Klumpen« Geld mit in die Ehe, sie sollte auch nach dem Tode ihrer Stiefmutter die Haupterbin des väterlichen Riesenhofes werden, und der junge Bur im Holdersbach saß nach der Hochzeit schon schuldenfrei auf seinem Rittergut und hatte noch Kapital dazu.
Simon, der jüngere, hieß nicht bloß der Bur, er war auch, wie schon angedeutet, ein Bur, ein echter und rechter, der die Land- und Forstwirtschaft so rationell betrieb, wie keiner seiner Mitburen im Wolftal.
Er war der erste, der Oedungen mit Wald anpflanzte, und die herrlichen Fichtenwälder auf den Höhen im Holdersbach verkünden heute noch seinen Ruhm und seine Weisheit.
Er war auch der erste Bur, der seinen Hof geometrisch aufnehmen und planieren ließ und zwar durch einen Feldmesser von Hasle.
In Alt-Hasle, wie es vor und zu meiner Knabenzeit bestand, gab es Intelligenzen und Talente jeder Art, Menschen, die ohne Schule Künste kannten, die man sonst nur in Schulen lernt. Zu diesen gehörte auch der Geometer Buelander, den ich nicht mehr kannte, von dem ich aber noch viel hörte.
Seine Kunst war damals eine ziemlich brotlose. Haslacher Bürger ließen sich bei Käufen oder Verkäufen von Aeckern und Wiesen wohl bisweilen vom Buelander das Maß bestimmen, oder er half der Gemeinde bei Anlegung von Wegen und Fertigung von Plänen. Die vielen Bauern im Tal aber dachten nicht daran, einen »Landvermesser« auf ihre Scholle kommen zu lassen. Drum saß der Buelander im Städtle Hasle meist ziemlich trocken neben seinem vielen Durst. Er war aber, ob er Geld hatte oder keines, allzeit kreuzfidel wie die alten Haslacher alle und einer der Bannerträger der Fidelität von Alt-Hasle.
Sein Vater, ein armer Maurer, war aus Württemberg nach Hasle eingewandert und hatte sich da niedergelassen. Der Sohn wurde aus sich selbst ein äußerst geschickter Geometer, der namentlich seiner Vaterstadt die schönsten Situationspläne zeichnete, die ihm heute noch alle Ehre machen.
Sein Ruf kam bis hinauf in den Holdersbach, wohin Simon, der Bur, ihn berief, um den Plan zu einem neuen Haus zu entwerfen und eine geometrische Aufnahme der ganzen Herrschaft zu machen.
Das geschah in den Jahren 1833 bis 1836, in der Blütezeit unseres Waldfürsten Simon, der in jenen Jahren sein Erbteil am Schmidsberger Hof um 120 000 Gulden bares Geld verkauft hatte.
Das war nach heutigem Geldwert gut eine halbe Million Mark, also viel Geld für einen Buren.
Drum ließ der Bauernfürst sich nicht nur seinen Hof, sondern auch ein wahrhaftiges Bauernschloß planieren vom Buelander und von dessen Vater es ausführen. Die steinerne Freitreppe und die Terrassen sind wahre Meisterstücke des Geometers von Hasle und seines Maurer-Vaters.
Beim Bur im Holdersbach verlebte der Buelander seine besten und schönsten Tage voll Wohlleben und Freude; denn der reiche und freigebige Fürst Simon war ein großer Freund von lustigen und durstigen Leuten.
Er selber ging selten in ein Wirtshaus, war ein mäßiger und genügsamer Mann und ein Freund vom Daheimbleiben; aber auf seinem Hofe sah er, wie ein echter Fürst, gern heitere Leute um sich.
Der Erzbauer im Holdersbach war anders geartet als sein gleichzeitiger Rivale, Andreas I. im Kaltbrunn. Der ging, wir wissen es, viel auswärts, machte gerne Fahrten ins Land hinab und suchte die große Welt und große Herren auf. Simon, der Bur, blieb daheim und amüsierte sich mit kleinen Leuten, wie der Buelander und sein Meßgehilfe im Holdersbach, der Pfiferjörgle, es waren.
Was an großen Fürstenhöfen einst der Hofnarr war, als das fungierte beim Dynasten im Holdersbach der Pfiferjörgle, ein Original von Gottes Gnaden.
Der Pfiferjörgle stammte aus dem Holzwald am westlichen Abhang des Kniebis, verbrachte aber seine meiste Lebenszeit im Wolftal bei den Schapbachern.
Als Knabe war er zu ihnen herabgekommen und Hirtenbub geworden beim »Heinrichsbur«, dessen Enkel heute noch den malerischsten Bauernhof im Schappe bewohnt, weil er bis jetzt nicht die schreckliche Falzziegel-Sucht der andern Schapbacher Buren nachgeahmt hat.
Beim Viehhüten und wenn er schlaflos, wie alle begabteren Leute, auf seinem Strohlager in der nächtlichen Kammer saß, übte Jörgle, der Hirtenbub, sich auf einer »Schwefelpfeife« und erlangte darauf eine solche Virtuosität, daß er den Namen bekam und all seiner Lebtage behielt – der Pfiferjörgle.
Jede Melodie und alle Töne, die er einmal gehört, konnte er im Kopf behalten und auf seiner Pfeife nachmachen. Wenn eine Hochzeit droben an der Landstraße im Ochsen war, verließ der Jörgle, der unterhalb des Wirtshauses seines Buren Vieh hütete, seine Herde und lauschte, unter der Türe des Tanzbodens stehend, dem Spiel der Dorfmusikanten. Dann setzte er sich wieder in die Nähe seiner Tiere oder nachts auf seinen Strohsack und studierte, was er gehört, auf seiner Schwefelpfeife ein.
Er spielte bald die Pfeife so schön, daß die Knechte, so mit ihm die Kammer teilten, es gerne hörten, wenn er ihnen Schlafmusik machte und beliebte Volkslieder und Tanzweisen spielte, bis sie einschliefen.
Das Ideal, welches der Jörgle erstrebte, war, ein Dorf- und Hochzeitsmusikant zu werden. Aber die Mannen, welche damals diese poetische Kunst im Schappe trieben, hatten strenges Monopol und lachten den Hirtenbuben aus, als er um Aufnahme in ihren Bund nachsuchte.
Da half ihm nach Jahr und Tag ein ehemaliger Knecht beim Heinrichsbur zu seinem Ziele. Dem Knecht hatte der Jörgle oft Schlafmusik gemacht und jener ihm manchmal gesagt: »Wenn i amol Hosig ha, muaß der Jörgle ufspiele.«
Als nun der Knecht Bur wurde im Tiefenbach, da eine Witwe ihm Hand und Hof gab, so erinnerte ihn der Jörgle an sein Versprechen. Der Mann hielt Wort. Und da die Monopolisten sich abermals weigerten, den Jörgle mitspielen zu lassen, ging der Hochzeiter hinauf ins Dorf zum Schulmeister und bat ihn, bei seiner Hochzeit des Jörgles Pfeife mit der Geige zu begleiten. Der brave Lehrer sagte zu, der Hochzeiter aber den Monopolmusikanten ab.
Jetzt, da sie ihren Ring gefährdet sahen, gaben sie nach und nahmen den Pfiferjörgle in ihre Kompagnie auf. Der Schulmeister lehrte ihn das Geigen, und bald war der Jörgle als Geiger und Pfeifer weit und breit unerreicht und die Seele der Schapbacher Hochzeits-Musikanten.
Eine Flöte, eine schöne Geige und ein Piccolo von Ebenholz waren bald sein Eigentum und sein Stolz.
Indes war er herangewachsen und vom Hirtenbub zum Knecht avanciert. Der Bauernfürst im Holdersbach hatte kaum Kunde von den Tönen und Taten des Pfiferjörgle, als er denselben in seinen Dienst nahm. Denn der Jörgle hatte sich vom Pfeifer und Hirtenbuben nicht bloß zum Knecht, sondern auch zum Künstler, Komiker, Sänger und Deklamator ausgebildet.
Beim Bur im Holdersbach ging fortan – und das wollte Simon, der Fürst, – an den Sonntagen keiner der Knechte ins Wirtshaus; jeder hatte Unterhaltung genug, wenn der Jörgle beim Bur in der großen Stube saß und spielte oder seine Schnurren losließ.
Und wenn der Pfiferjörgle zum Schluß noch irgend einen lustigen Streich vorschlug, so war der Bur mit seinen Knechten auch dabei.
Da lebte in den dreißiger Jahren noch unweit der Residenz des Buren, im »Strowersloch«, ein altes Wibervolk in einem einsamen Leibgedinghaus.
Sie war Bürin gewesen auf dem Hermenazishof am Eingang in den Holdersbach und die Base des Bauernfürsten Simon, eine Schwester seines Vaters.
Sie hielt was auf ein gut Glas Wein, und so barg ihr Keller stets ein Fäßchen vom besten unteren Kinzigtäler. Sie geizte aber damit andern, selbst ihrem Neffen, dem Bur im Holdersbach, gegenüber, der ihr deshalb oft drohte, einmal heimlich von ihrem Wein zu holen. Das sei unmöglich, meinte jeweils die Base; denn ihren Kellerschlüssel habe sie tagsüber stets in der Tasche und nachts unter dem Kopfkissen ihres Bettes.
In einer stillen, dunklen Nacht kamen nun der Pfiferjörgle, der Bur und seine zwei Knechte, der Gumwendel und der Gebelejok, ins Strowersloch, während die Alte den Schlaf der Gerechten schlief.
Sie unterminierten die Kellertüre, der Bur, als der kleinste und schmälste, schlüpfte durch die Bresche und öffnete seinen Spießgesellen die Pforte.
Nun tranken sie von dem guten Wein, so viel ihnen schmeckte, holten dann im Stall die Ziege der Leibgedingerin und banden sie an den Hahnen des Fasses; auf dieses selbst aber schrieben sie:
Hätt' die Alt' nit geföppelt,
So hätt' d'Geiß nit geschöppelt.
Die Dame ahnte am andern Morgen alsbald die Täter und drohte ihnen mit Klage, wenn sie ihr den Schaden nicht auf Heller und Pfennig ersetzten.
Wegen Diebstahls wollte der Fürst im Holdersbach nicht verklagt werden, und eines Tages erschien bei der Alten im Strowersloch sein Hofnarr, der Jörgle, und brachte ihr den verlangten Schadenersatz in lauter Hellern und Pfennigen.
Die Bürin wurde ob dieses Spottes teufelswild, verweigerte die Annahme der zahllosen Heller und reichte Klage ein. Sie fiel aber mit ihrer Klage durch und wurde in die Kosten verfällt.
Das Amtsgericht zu Wolfe hatte damals noch seinen Sitz im fürstenbergischen Schloß, in welchem eine Kapelle sich befindet. Empört über ihre Niederlage, eilt das Wibervolk in die Kapelle und fängt an mit Macht das Glöcklein zu ziehen.
Befragt, was sie zu läuten habe, gab sie zur Antwort: »Ich läute der Gerechtigkeit das Scheidzeichen!«In katholischen Gegenden wird, wenn jemand verschieden ist, alsbald die Totenglocke geläutet, was man das Scheidzeichen nennt. –
Als Mitte der dreißiger Jahre der Buelander von Hasle in den Holdersbach kam, wurde ihm vom Bur der Pfiferjörgle als Meßgehilfe beigegeben.
Vom Buelander lernte er nun nicht bloß das höhere Genre des Haslacher Humors, sondern auch ein gutes Stück Geometrie, das den Jörgle befähigte, später lange Jahre hindurch den Bauern ringsum ihre Wiesen und Wege in Plan zu legen ohne jedes technische Instrument.
Viele, viele Jahre war der Jörgle fast beständig im Dienst des Bauernfürsten im Holdersbach: nur vorübergehend diente er dessen Nachbarn als Geometer. Aber wenn irgendwo im Schappe und bis hinauf auf den Kniebis Tanzmusik gespielt werden sollte, ließ der Jörgle seinen Bur und dessen Nachbarn, kurz, alle im Stich, um seiner Lieblingsbeschäftigung nachzugehen.
Seine Gefährten, deren Dirigent er alsbald wurde, waren in den ersten Jahrzehnten seines Ruhmes: der Beckefranz und der Beckeengel, zwei Bäckersbuben aus dem Schappe, und der »Gigerle von Halbmeil«, drüben im Kinzigtal.
Am meiste Furore machte der Jörgle mit seiner Bande, wenn sie auf den Kniebis kamen, wo damals noch die Harzdiebe und die Harzhändler, die wir aus den »Waldleuten« kennen, florierten und viel Geld »aus dem Land« brachten, das sie dann unter den Tönen und Schnurren Jörgles, des Pfifers, Komikers, Sängers und Deklamators, verjubelten.
Die Kirchweih- und die Fastnachtstage verbrachte der Jörgle stets auf dem Kniebis, wo am meisten Spiellohn fiel von den »Kniebutzern«, die, wenn alles verjubelt war, in nächtlichen Wald-Prozessionen wieder Harz holten und damit ins Land zogen. –