Heinrich Hansjakob
Erzbauern
Heinrich Hansjakob

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6.

Sitzt da eines Nachmittags in den ersten Märztagen des Jahres 1838 der Vogt von Kaltbrunn im Talwirtshaus neben der Schule. Er ist auf dem Heimweg von Wolfe her, wo er Amtsgeschäfte gehabt für andere Leute. Draußen vor dem großen Wirtshaus stehen Pferde und Wagen, die ihn hergebracht. Der Wirt aber ist sein eigener Bruder, der Toni, welcher, wie wir wissen, vom Roßberg herabgezogen war und in seinem großen Bauernhaus eine Wirtschaft errichtet hatte.

Während der Fürst so beim Schoppen sitzt, entläßt im nahen Schulhaus der Lehrer und Nachfolger des Balthasar seine Kinder. Die des Vogts erkennen das Gefährt vor dem Wirtshaus und kommen in die Gaststube, um mit dem Vater heimzufahren.

Hinter ihnen drein schreitet der Lehrer. Er hat von seinem Schulzimmer aus gesehen, daß der Vogt angefahren sei, und das bestimmt ihn, nach Schulschluß alsbald ins Wirtshaus hinüber zu gehen und dem gefeierten und allzeit freundlichen Mann seine Aufwartung zu machen. Er hat zudem Durst, der brave Meister von der Schule, vom vielen Sprechen und weiß, daß in der Nähe des freigebigen Vogts keiner verdurstet.

Er täuschte sich auch nicht in seiner Hoffnung. Kaum sieht der Beherrscher des Tales den durstigen Mann eintreten, als er dem Wirt zuruft: »Ah, da kommt der Lehrer, bring gleich noch ein Glas, Toni; er muß mit mir trinken!«

Zum Lehrer aber sprach er: »Ihr kommt mir grad' recht. Unser Pfarr' ist mit mir von Wolfe heraufgefahren und drunten in Wittichen abgestiegen. Auf dem Weg das Kinzigtal herauf hat er mir zugesprochen, meinen Johann Nepomuk, den Ihr in der Morgenschul' habt, studieren zu lassen. Der Bub' habe Talente und könne den Katechismus am besten auswendig. Er, der Pfarr', wolle ihm Stunden geben im Latein. Was meint Ihr, Lehrer? Ihr habt den Buben mehr in der Schul' als der Pfarr'. Der Schul-Balzer hat immer gesagt, mein Nepomuk sei nit dumm, aber faul, und hat ihn geschlagen, bis ich den Balzer selber entlassen habe.«

»Herr Vogt,« antwortete der Gefragte, »der Herr Pfarrer hat vollständig recht, und ich bin der gleichen Ansicht: Euer Nepomuk ist der g'scheitste Bub in der ganzen Schule, und mein Vorgänger, der Balthasar, hat ihn für faul erklärt, weil es dem lebhaften, aufgeweckten Knaben zu einfältig war, immer wieder Dinge herzusagen, die er schon längst wußte und schon hundertmal gehört hatte.«

»Wenn es so ist,« sprach freudig der Vogt, »dann will ich den Buben dem Studium übergeben. Ich hab' zwar unter meinen zwölf Kindern nur drei Buben, aber den Hof kann doch nur einer bekommen, der jüngste, der Lorenz. Der ist jetzt vier Jahre alt, und bis er vierundzwanzig ist, bin ich alt und kann übergeben.«

»Gib den Hof dem Nepomuk, wenn er einmal einige Schulen studiert hat,« meinte der Wirt. »Wir im Kaltbrunn müssen später einen studierten Vogt haben, sonst sind wir übel dran in der ganzen Gegend, wenn du einmal abgehst. Denn du, Vogt, bist der Advokat im oberen Kinzigtal und der Helfer von reich und arm.«

»Und wenn ich meine Meinung sagen darf,« nahm der Lehrer das Wort, »so laßt Ihr, Herr Vogt, den Nepomuk ganz studieren. Ihr kennt alle großen Herren in Karlsruhe vom Großherzog an, darum kann dann Euer Sohn später leicht auch ein großer Herr werden.«

»Ihr seid beide auf dem Holzweg,« begann lachend der Vogt, dem Lehrer aufs neue sein Glas füllend. »Ein studierter Vogt auf dem Franzenhof wäre noch weniger daheim als ich, und wenn ich so was meinem Weib sagte, würde sie eher ihren Buben im Kaltbrunnerbach ertränken, als zum Vogtsamt studieren lassen. Sie räsoniert mit mir schon genug, daß ich selten daheim sei und alles zu Grunde gehe.«

»Wenn mein Nepomuk studieren will, so muß er ein geistlicher Herr werden, sonst leidet's meine Gertrud nicht. Sie ist gar fromm und hat nur vor den geistlichen Herren Respekt; die anderen Herrenleute, den Großherzog und die Fürsten ausgenommen – es kommen ja viele auf meinen Hof – nennt sie Hungerleider und Schmarotzer.«

»Die geistlichen Herren, meint sie, beteten auch noch für einen im Leben und im Tode. Und wenn's bei uns noch Klöster gäbe, müßte der Nepomuk ein Franziskaner werden. Denn die Franziskaner von Offenburg waren einst daheim in Wittichen und im Kaltbrunn, und auf jedem Hof redet man noch vom Pater Pius, vom Illuminat und vom Felix, die unsere Pfarrer waren, Der Pater Felix hat mich getauft, und beim Pater Thomas bin ich noch in die Schule gegangen.«

»Er hat oft zu mir gesagt: ›Andres, du wirst nie ein rechter Bauer, du solltest ein Herr werden‹«

So und anders redete der Vogt an jenem Tage im Wirtshaus und trank mit dem Lehrer einige Flaschen; dann fuhr er mit seinen Kindern talaufwärts dem Franzenhof zu. –

Wenige Tage später wandelte mit Zustimmung der Mutter der Johann Nepomuk am Nachmittag den weiten Weg vom Franzenhof hinaus zum Kloster Wittichen und begann beim Pfarrer Thoma, dem gleichen, der dem Fürsten vom Teufelstein zum Heiraten verholfen, den lateinischen Unterricht.

Auch beim Nachfolger dieses Pfarrers hatte der Nepomuk noch einige Zeit Unterricht, und dann ging's im Herbst 1840 hinab nach Offenburg ans Gymnasium, das in dem ehemaligen Franziskaner-Kloster eingerichtet war.

Sein Vater, der Fürst, überall im Kinzigtal und weit das Land hinab bekannt, hatte dem Sohn beim Buchbinder Gröber ein gutes Quartier besorgt, und bald spielte der junge Bauernprinz eine Rolle unter den Stadt- und Landbuben, die mit ihm die dritte Klasse des Gymnasiums besuchten.

Der Hannes, wie seine Kameraden ihn nannten, hatte aber auch alle Eigenschaften eines Prinzen. Er war nicht, wie in der Regel die meisten Knaben vom Land, welche zum Studium in die Stadt kommen, scheu und schüchtern wie ein Waldvögelein, das man in einen Käfig sperrt und auf die volksbelebte Straße schauen läßt.

Der Bauernprinz hatte schon Stadt- und Herrenleute genug gesehen auf dem Franzenhof. Es gingen ja Fürsten und Minister und kleinere Herren aller Art dort aus und ein, und wer an einem »Hof«, wie der des Bauernfürsten von Kaltbrunn, gelebt hat, wird sich nicht fremd und eingeschüchtert fühlen in der Totenstadt Offenburg an der unteren Kinzig.

Was den Mitschülern des Hannes von Pomuk besonders imponierte, war einmal seine stets wohlgefüllte Börse und seine große Freude an schönen Büchern, die er nach Lust kaufte und seinen Kameraden zur Verfügung stellte.

»Alle,« so schrieb mir ein MitschülerDer in Baden-Baden verstorbene Hofrat Früh des Vogtssohnes von Kaltbrunn, »hatten den Hannes gern, weil er ein offener, ehrlicher Bursche war, ohne Falsch und Lüge, und ein Freund, auf dessen Wort und Treue man jederzeit rechnen konnte. Dazu kam noch sein munteres, leutseliges Wesen, sein frisches Aussehen, seine körperliche Kraft und Gewandtheit und seine starke Willenskraft. Hitze und Kälte konnte er ertragen wie sonst keiner; überhaupt härtete er sich gerne ab und schien gegen körperlichen Schmerz fast unempfindlich.«

Macht dies Zeugnis dem Bauernprinzen nicht alle Ehre und stempelt's ihn nicht zu einem kleinen Ritter ohne Furcht und Tadel und zu einem Fürstensohn, wie er sein soll?

Es darf uns deshalb nicht wundern, daß am Gymnasium ein junger Baron des alten, ritterlichen Geschlechtes von Schauenburg im Renchtal den Hannes zu seinem Spezialfreund erkor und bisweilen auch mit ihm in die Ferien ging, hinauf in den Kaltbrunn an den Hof Andreas I.

Der Hannes war übrigens nicht sehr begabt, eine Eigenschaft, die auch andern Prinzen vielfach eigen sein soll; aber er übertraf diese an Fleiß, der bei prinzlichen Knaben in der Regel fehlt.

Ich bin aber der letzte, der jungen Prinzen und ähnlichen durch den Zufall der Geburt bevorzugten Knaben die Dummheit und die Faulheit verübelt.

Für die Dummheit können sie nichts, die erbt man bekanntlich. Und wenn die jungen Herren nichts lernen, weil sie wissen, daß sie doch Rang und Stellung in der Welt einnehmen werden, und weil sie sehen, wie vom Hofmeister abwärts alles vor ihnen katzenbuckelt – so muß man sie abermals entschuldigen.

Ich bin überzeugt, daß, wenn mein Vater, statt ein armer Bäcker in Hasle, der Fürst von Fürstenberg in Donaueschingen gewesen, ich ein recht lumpiger, liederlicher Prinz geworden wäre.

Drum danke ich Gott, daß ich als Proletarier auf die Welt kam. –

Latein und Griechisch wollten Hannes, dem Bauernprinzen, nicht recht in den Kopf; dagegen übertraf er alle seine Mitschüler im Rechnen, das er noch von Balthasar, dem Schneeschaufler, gelernt hatte.

Vier Jahre lang studierte der Hannes am Gymnasium in Offenburg, als ihm die klassischen Sprachen das Studieren entleideten. Das Pfarrerwerden wurde definitiv aufgegeben und ein Stand gewählt, der in der Welt mehr gilt als der geistliche und den einer erreichen kann, auch wenn er kein Gymnasium absolviert hat. Der Hannes wollte Soldat und Offizier werden.

Nicht umsonst hatte er von Kindesjahren an die Leibgarde seines Vaters und diesen auf seinem dressierten Renner vor der Front derselben paradieren sehen. Der Nepomuk wollte jetzt Dragoneroffizier werden und in die Kadettenschule zu Karlsruhe eintreten. »Ein Rock mit zweierlei Tuch,« so schrieb er eines Tages heim, »sei ihm lieber als ein einfarbiger, dunkler und wenn er auch noch so lang wäre. Soldat wolle er werden, sonst nichts. Und wenn er das in Baden nicht erreiche, dann gehe er als Legionär zu den Franzosen hinüber nach Straßburg.«

So setzte der Hannes seinen Willen schließlich durch.

Er war zwar mit seinen neunzehn Jahren schon etwas zu alt für die Kadettenschule, aber Andreas I. beseitigte bei seinem Gönner und Freund, dem Großherzog Leopold, leicht alle Hindernisse.

Der Nepomuk wurde Kadett und bevorzugter Kadett und war nach kaum drei Jahren ein flotter Dragoneroffizier und zwar, auf besonderen Befehl des Großherzogs, der ihn nur seinen Schwarzwälder nannte, beim Leibdragoner-Regiment in Karlsruhe.

Als solchen sah ich ihn einmal, als er, es war im Frühjahr 1848, seine Schwester, die Kastenvögtin von Hasle und mein »Bäsle«, besuchte im vollen Glanze der damaligen badischen Dragoneruniform, und ich kam aus der Bewunderung nicht mehr heraus.

Alle Könige und Kaiser der Welt könnten mir heute, wenn ich sie in Uniform vor mir sähe, nicht so imponieren, wie damals des Bauernfürsten Nepomuk als Dragonerleutnant.

Und wenn man mir Zehnjährigem damals gesagt hätte, so wie des Bäsles Bruder seien die himmlischen Heerscharen gekleidet, ich hätte es geglaubt.

Der Nepomuk stand, ich wollte heute die Stelle noch bezeichnen, vor dem Hause des Kastenvogts und sprach mit seiner Schwester, die unter der Haustüre sich aufgestellt hatte. Ich wagte aber nicht, mich dem Leutnant zu nähern, und bewunderte den ersten Dragoneroffizier, den ich im Leben sah, aus respektvoller Entfernung. –

Daß die Preußen und ihr Einfluß vor 1870 die alten badischen Militäruniformen begruben, ist auch eines der vielen negativen Verdienste, welche unsere lieben nordischen Brüder ums badische Ländle haben.

Die Uniform der badischen Reiter und der Artilleristen vor 1850 war unendlich schöner und malerischer als die heutige preußische. Und doch mußte sie weichen, wie in unseren Tagen die viel schönere alemannische und fränkische Mundart des Landes verdrängt wird durch den preußischen Dialekt.

Ich meine überhaupt, Preußen und Poesie stimmen nicht zusammen; drum waren auch unsere größten Dichter keine Preußen. –

Der Nepomuk war aber nicht bloß äußerlich, durch seine Uniform, ein stattlicher, wenn auch etwas kleiner und nicht sehr schlanker Offizier, er war auch ein vortrefflicher Reiter und bei seinen Regimentskameraden wie bei den gemeinen Dragonern in alleweg sehr beliebt wegen seiner schon erwähnten ritterlichen Eigenschaften.

Aber Geld, viel Geld brauchte der Bauernprinz als Reiteroffizier. Er kaufte die schönsten und teuersten Pferde, ritt sie bald zu Schanden und kaufte dann wieder neue. Tausende von Gulden wanderten alljährlich aus dem Kaltbrunn nach Karlsruhe, von wo jetzt auch Offiziere zu Besuch auf den Franzenhof kamen.

Auch der Fürst Andreas kam öfters in die Residenz, seinen Hannes zu besuchen und dessen Kameraden zu fetieren.

Er gab ihnen selbst Bälle, und mehr als einmal opferte der Bauernfürst an einem Abend tausend Gulden für derartige Unterhaltungen. –

Auch anderweitig schien das Glück noch einen Augenblick dem Nepomuk zu lächeln und hielt ihn und seinen Vater ab vom Sparen. In Baden-Baden, wo von jeher die badischen Offiziere zur Sommerszeit auf reiche Töchter Albions fahndeten, lernte der flotte Leutnant eine steinreiche Engländerin kennen und verlobte sich mit ihr.

Sie reiste vor der Heirat nochmals in ihre Heimat, ertrank aber im Kanal und begrub mit sich die goldige Hoffnung des Reiters Nepomuk aus dem Kaltbrunn. –

Bald darauf kam die Revolution des Jahres 1849 und ergriff auch das Leibdragoner-Regiment in Karlsruhe. Die allermeisten Offiziere verließen ihre Schwadronen teils aus Treue gegen den Landesfürsten, teils weil sie den Haß der Soldaten fürchteten.

Der Sohn des Bauernfürsten aus dem Kaltbrunn aber blieb bei den gemeinen Leuten, weil sie ihn darum baten und weil er sie zu lieb hatte, um sie ohne Führer zu lassen. »Um Ordnung zu halten und weil er sich geschämt habe, davonzulaufen, sei er bei seinen Leuten geblieben« – so erzählte er dem obengenannten Studienfreunde, der ihn in Heidelberg traf, als er an der Spitze seiner Reiter gegen die Hessen ausrückte.

Während so der Sohn Andreas I. mit den Freischaren zog, blieb, wie wir bereits wissen, droben in der weltfernen, waldigen Heimat der alte Fürst selbst seinem Freunde, dem Großherzog Leopold, treu und hörte mit Bedauern, daß sein Nepomuk sich der Revolution angeschlossen habe.

Dieser machte als Major und Kommandant seines Regiments alle Gefechte gegen die anrückenden Hessen und Preußen mit, tapfer voran und seine Leute vor Ausschreitungen zurückhaltend.

In dem Treffen bei Rastatt wurde dem jungen Major der Zügel seines Pferdes weggeschossen. In der Meinung, die Preußen würden sich nicht so bald vor die Festung legen, ritt er in die Stadt, um noch mit dem dortigen Kommandanten sich zu beraten und dann mit seinen Reitern landaufwärts zu ziehen, wie es die übrigen Freischaren auch taten.

Kaum war er aber einige Stunden in der Festung, so mußten deren Tore geschlossen werden, weil die Preußen draußen lagen und liegen blieben, bis sie übergeben und auch des Burenfürsten Nepomuk in ihren Händen war.

Er kam vor das Kriegsgericht, welches mit Offizieren, die mitgemacht hatten, nicht spaßte.

Jetzt zeigte sich noch einmal der ganze Einfluß des Fürsten im Kaltbrunn. Er eilt zum Großherzog, zu den Ministern, zum Standgericht, bringt Zeugen von Karlsruhe, die bestätigen, daß der Nepomuk in der Hauptstadt selbst vieles verhütet habe, weil er bei seinem Regiment geblieben – und siehe da, der Revolutions-Major wird nur zu drei Monaten Gefängnis verurteilt. Und diese muß er nicht, wie andere, in den feuchten Kasematten der Festung verbringen, sondern in Kißlau, dem ehemaligen Schloß der Fürstbischöfe von Speier.

Aber eines vermochte der Vogt von Kaltbrunn trotz aller Bitten nicht abzuändern: der Nepomuk wurde für alle Zeiten aus dem badischen Offizierskorps ausgestoßen. –

Nach drei Monaten kehrt der einst so stolze Reiter heim und weiß, um den ob seiner revolutionären Taten ihm zürnenden Vater zu versöhnen, nichts zu tun, als mit den Knechten Tannen zu fällen, Holz zu machen und Flöße einzubinden.

Von all seiner Offiziersherrlichkeit war ihm nur sein Hund geblieben. Den brachte er mit in die Heimat und dressierte ihn in müßigen Stunden so, daß er auf den Ruf: »Die Preußen kommen!« den Schwanz einzog und bellend davonsprang.

Von diesem Hunde, der die Preußen fürchtete, erzählen die Leute heute noch. –

Der Untergang all seiner Hoffnungen, die Einsicht, daß auch der Vater ihm nimmer helfen könne, auch wenn er wollte, weil der Wohlstand auf dem Franzenhof schon bedenklich wankte, nahm dem einst so frischen, fröhlichen und ritterlichen Nepomuk allen Halt. Er lebte mit den Holzmachern wie mit ihresgleichen und suchte seine Lage und den Gegensatz von einst und jetzt zu vergessen, indem er in des Waldes düstern Gründen mit ihnen Schnaps trank und – viel Schnaps.

Noch einmal raffte er sich auf. Er schrieb seinem adeligen Studienfreund, dem Baron von Schauenburg, und bat ihn um Rat und Hilfe, da er nicht als Holzmacher sterben wolle und sein Vater kein Geld mehr für ihn übrig habe. Er erklärt sich zu jeder ehrlichen Arbeit bereit.

Der Baron braucht einen Müller in seine Mühle, die in dem reizenden Nachbartale der Kinzig, in dem der Rench, ihr Rad schlug, und trägt die Stelle des Müllers dem Major Nepomuk Harter an.

Der Bauernprinz gibt sich gerne dazu her, und sein Freund läßt ihn in der großen Mühle zu Willstätt, wo die Kinzigflöße landeten, ehe sie in den Rhein gingen, die Müllerei erlernen.

Er wird ein Müllerlehrling, der ritterliche Nepomuk. Ob's ihm gefallen konnte? Es wird ihm niemand zumuten können, daß er mit Lust und Liebe die Fruchtsäcke auf den Mahlgang trug und Mehl siebte.

Das unter den Rädern der Mühle dahinrauschende Wasser, die rasselnden Mühlsteine und das Klingeln der zum Aufschütten mahnenden Glocken konnten seine Gedanken an die glänzenden Tage, die hinter ihm lagen, nicht verscheuchen.

Schwermütig und freudelos saß er in freien Augenblicken auf einem Frucht- oder Mehlsack und brütete und seufzte, und es klang in seinem Innern jene Strophe des Dichters:

Ich hör' das Mühlrad rauschen.
Ich weiß nicht, was es will;
Am liebsten möcht' ich sterben.
Dann wär's auf einmal still.

Und wenn dann der Lebensüberdruß ihn erfaßte, griff er nach dem Glas und trank Vergessenheit im Alkohol, diesem unheilvollen Tröster so mancher betrübten Menschenseele.

So lernte er das Müllerhandwerk und ward nach einjähriger Lehrzeit, krank am Herzen, ein »Mühlarzt« in der Mühle seines Freundes in dem stillen Tale der Rench.

Lustig sprangen die Bächlein an seiner Mühle vorbei, lebensfroh schossen die Fischlein unter dem Rade hin und her, und in lichtem Schein blühten friedlich die Blumen an den Wassern. Der Müller drinnen, er allein war trübselig und unglücklich.

Er träumte von fliegenden Rossen, von glänzenden Waffen, von schönen Töchtern Albions auf dem Korso zu Baden-Baden: er träumte – und wenn er erwachte, sah er den flotten Reiter, den stolzen Offizier und den galanten Kavalier als armen, staubbedeckten Mühlarzt in einsamer Mühle sitzen. Um die trostlose Gegenwart zu vergessen, langte er wieder nach dem Tröster und trank das Lethewasser.

Er träumte wieder, und in seinem Traume hörte er nicht, wie die Glöcklein über den Mahlgängen riefen, daß die Steine Hunger hätten nach Korn. So versäumte und verträumte der Müller seine Arbeit.

Vergeblich mahnte und warnte der Herr der Mühle, so oft er von seiner Burg herabkam und nach seinem Müller sah. Die fliegenden Rosse, die glänzenden Waffen, die blassen Feen hatten es diesem angetan.

Er raffte sich für Tage und Stunden zwar auf, dann träumte er wieder, und wenn er ausgeträumt hatte, trank er, um wieder zu träumen.

Träumende und trinkende Müller aber machen schlechtes Mehl und verderben die Mühle.

Drum konnte nach Jahr und Tag der stolze Leutnant Nepomuk, den seine Liebe zum gemeinen Volk an die Spitze eines Reiterregiments gestellt hatte, nicht mehr länger Müller sein.

Sein Freund mußte, schwer geschädigt, ihm den Abschied geben.

Wohin, armer Nepomuk? Daheim ist der Vater indes selbst arm geworden, und drunten in Karlsruhe will niemand mehr etwas wissen vom schönen, reichen, vielumworbenen Leutnant. Er war ja in Kißlau als Züchtling und ist für immer ausgestoßen aus der glänzenden Schar seiner Kameraden.

Wohin, armer, ehrlicher Bauernprinz?

Er verläßt die Mühle, ein gebrochener Mann, und geht talabwärts dem Rheine zu. Dort drüben sieht er das Münster von Straßburg herüberwinken, dort werben französische Sergeanten Legionäre für den Krimkrieg.

Dorthin geht der Nepomuk und folgt den Adlern des dritten Napoleon nach Südrußland.

Adieu Heimat, auf Nimmerwiedersehen!

 


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