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Vorrede zur vierten Ausgabe.

Wäre diejenige Natur, deren Selbsthülfe in Krankheiten von der bisherigen Arzneischule als unübertreffliche Heilart angenommen ward, deren Nachahmung des Arztes höchster Zweck sey, die große Natur selbst, d. i. die Stimme der Allweisheit des großen Agens im unendlichen Naturganzen, so müßten wir dieser untrüglichen Stimme folgen, wiewohl dann nicht abzusehen wäre, warum wir nun als Aerzte diese angeblich unübertrefflichen Veranstaltungen der (zweideutig sogenannten) Naturhülfe in Krankheiten durch unsre künstlichen Eingriffe mit Arzneien stören oder zweckwidrig erhöhen sollten; aber es ist ganz anders! Jene Natur, deren Selbsthülfe von der bisherigen Arzneischule als unübertreffliche und einzig nachahmungswerthe Heilart angegeben ward, ist bloß die individuelle Natur des organischen Menschen, ist nichts als die instinktartige, verstandlose, keiner Ueberlegung fähige, an die organischen Gesetze unsers Körpers gebundene Lebenskraft, welche vom Schöpfer nur dazu bestimmt, beim Wohlbefinden des Menschen die Thätigkeit und die Gefühle seines Organisms in wunderbar vollkommnem, gesundem Gange zu erhalten, nicht aber geschaffen ward, noch auch geeignet ist zur besten Wiederherstellung der gestörten oder verlornen Gesundheit. Denn wird so unsre Lebenskraft durch widrige Einwirkungen von der Außenwelt in ihrer Integrität abgeändert, so bestrebt sich dieses Kraftwesen, instinktmäßig und automatisch, sich durch revolutionäre Veranstaltungen von der entstandnen Verstimmung (Krankheit) zu retten; ihre Bestrebungen sind aber selbst Krankheit, sind ein zweites anderes Uebel an der Stelle des ursprünglichen; sie macht nach den Gesetzen der Einrichtung des Organums, auf denen sie beruht, eine andersartige Krankheit, um die in ihr erregte von sich zu treiben, was sie durch Schmerz, Metastasen u. s. w., am meisten aber durch Ausleerungen und Aufopferung vieler flüssigen und festen Theile des Körpers zu bewirken strebt, mit schwierigem, oft zweideutigem, widrigem, oft auch betrübtem Ausgange.

Hätten die Menschen nicht von jeher diese Unvollkommenheit und die nicht seltne Zweckwidrigkeit jener blinden Bestrebungen der instinktartigen, verstandlosen Lebenskraft zur Selbsthülfe in Krankheiten eingesehn, so würden sie sich nicht so sehr gesehnt, noch sich beeifert haben, durch Anbringung besserer Hülfsmittel der leidenden Lebenskraft, die sich selbst so wenig zu helfen wußte, beizustehn, den Krankheitsproceß auf einem kürzern und sichrem Wege zu beendigen und so baldigst die gewünschte Gesundheit herzustellen – sie würden, mit einem Worte, sich nicht beeifert haben, eine Heilkunst zu erfinden.

Da aber, was man bisher Heilkunst hieß, in einem bloßen (unvollkommnen) Nachahmen jener, unhülfreichen, zweckwidrigen, nicht selten verderblichen Bestrebungen und Veranstaltungen der sich in Krankheit selbst überlassenen, instinktartigen, verstandlosen Lebenskraft bestand (die man mit dem mißdeutlichen Namen: Natur belegte), so wird man mir zugeben, daß die wahre Heilkunst vor mir noch nicht gefunden war.

Daß aber die Homöopathik diese bisher vergeblich gesuchte Heilkunst sey, lehren ihre Grundsätze, beweisen ihre Leistungen.

Köthen, im Januar 1829.

Samuel Hahnemann.


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