Friedrich Hackländer
Ein Winter in Spanien
Friedrich Hackländer

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Zweiundzwanzigstes Kapitel.
Ein Stückchen Afrika.

Trennungs-Gedanken. Die Province d'Oran. Sturm im Hafen. Ein Stern in dunkler Nacht. Schraubendampfer und Schaufelboot. Schlechte Fahrt. Mers el Kebir. Unverschämte Mauthvisitation. Oran. Die Stadt und ihr Straßenleben. Beduinen und französisches Militär. Erinnerungen. General Pelissier. Abschied von den Freunden. Ankunft in Florenz.

Unsere kleine Reisegesellschaft, die vereint in dem schönen Spanien manch Herrliches gesehen, und bald mit gutem, bald mit schlechtem Humor so viele große Freuden und kleine Leiden zusammen ertragen, hätte sich hier auf der äußersten Spitze Europa's beinahe getrennt. Nicht als ob wir des wahrhaft freundschaftlichen Zusammenlebens überdrüssig geworden wären, sondern weil uns nach vollbrachter Reise das Endziel derselben nach drei verschiedenen Himmelsrichtungen wies. Baumeister Leins wollte zurück nach Spanien, um die nördlichen Provinzen noch einmal zu sehen, Maler Horschelt aber südlich nach Afrika, mich zog es dagegen in östlicher Richtung gen Italien, wo ich ja meine Familie abholen mußte, um wieder vereint mit derselben in die deutsche Heimath zurückzukehren. Dießmal aber war es die mangelhafte Communication, welche unser Kleeblatt noch für kurze Zeit zusammenhielt. Leins hatte keine Aussicht, vor vierzehn Tagen mit einem der spanischen Küstenfahrer nach Barcelona gelangen zu können; Schiffe, die direkt nach Italien gingen, waren ohnedieß sehr selten, dafür aber dampfte am vierten Tage unseres Aufenthalts in Gibraltar ein französisches Schiff in den Hafen, welches den nächsten Tag direkt nach Oran abfahren wollte. So entschlossen wir uns denn kurz und gut, unsern lieben Maler nach Afrika hinüber zu begleiten, um in Oran oder Algier eine weitere Reisegelegenheit zu finden.

Leider hatte sich das seit mehreren Tagen so klare und freundliche Wetter geändert, und als wir bei Sonnenuntergang mit unsern Koffern dem Molo zuschritten, wallten dichte Nebel um den Felsen von Gibraltar und die Berge auf der afrikanischen Küste, auch grollte die See unmuthig an dem Hafendamme, und die ankernden Fahrzeuge, bedenklich kopfschüttelnd, neigten sich hin und her. Consul Schott war so freundlich, uns bis zum Hafen zu begleiten, und ehe wir in's Boot stiegen, drückte er uns noch herzlich die Hand, wünschte uns eine gute Fahrt und wir unterließen nicht, ihm für seine große Freundschaft und wahre Liebenswürdigkeit unsern besten Dank zu wiederholen.

Unser Dampfer: la Province d'Oran, lag ziemlich weit draußen in der Bai, und als wir ihn in unserem kleinen Nachen erreichten, waren die Wellen hier schon so bewegt, daß sie unser Boot wie eine Nußschale auf- und abwarfen und wir kaum an der Treppe anlegen konnten. Spanien entließ uns recht unfreundlich, in dichte Wolken und Regenschleier gehüllt. Kaum sahen wir um sechs Uhr den Blitz des Kanonenschusses droben vom englischen Wachthause, und die Lichter in der Stadt flackerten röthlich trübe. Lange brauchte unser Dampfer, um seine nothwendigen Kohlen einzunehmen, und als alles bereit war, ja, als aus dem Schornstein schon längst überflüssiger Dampf zischend aufstieg, zauderte der Kapitän noch mit der Abfahrt und berathschlagte sich mit seinem ersten Offizier, ob es überhaupt möglich sei, den Hafen bei drohendem Sturmwetter zu verlassen. Das Meer hatte sich aber auch bedenklich verändert, und wenn wir gleich bei der dunklen Nacht seine aufspritzenden Schaumwogen draußen nicht sehen konnten, so hörten wir doch, wie sie donnernd anprallten an Hafendamm und Felsen. Endlich aber gegen zehn Uhr wurde der Anker gehoben, die Maschine fing langsam an zu arbeiten, und schon im Hafen hin und her schwankend, fuhren wir in die wildbewegte See hinaus. Leider wehte uns draußen im Meere ein steifer Ostwind entgegen, und seufzend und stöhnend arbeitete der Dampfer langsam gegen die anprallenden Wogen. Ich war schon da überzeugt, daß wir kaum eine Seemeile in der Stunde zurücklegen würden. Bis nach Mitternacht blieb ich trotz Sturm und Regen auf dem Verdeck, und da befanden wir uns immer noch von Wind und Wellen hin und her geworfen gegenüber der in unsichern Umrissen schwarz aufsteigenden Felswand von Gibraltar. Allein tröstlich bei diesem Unwetter und dem trüben Abschiede von Spanien war das Licht des Leuchtthurms am Fuß der Steinwand, das ich lange, lange durch Nebel und Dunst strahlen sah, uns freundlich nachblickend, wie ein schöner glänzender Stern.

Obgleich ich schon mehrere kleine Überfahrten auf Schraubendampfern gemacht, so war doch meine jetzige die erste größere Reise in einem solchen Fahrzeuge. Von außen hatte die Province d'Oran nicht viel versprochen. Es war ein düsteres, schwarzes, ja ich könnte mit Recht sagen, schmieriges Fahrzeug, schlank und schmal wie ein Klipper gebaut, mit sehr enger und nichts weniger als comfortabler Kajüte; auch die Einrichtung der Schlafkabinete ließ Manches zu wünschen übrig, sehr viel aber in Betreff von frischer Wäsche. Im Allgemeinen haben die Schraubendampfer eine weit unangenehmere Bewegung als die Ruderdampfer. Die Schaufelräder, zu beiden Seiten des Schiffes angebracht, stellen hierdurch gewissermaßen in der Bewegung eine Art Gleichgewicht her und wenn auch bei scharfem Wind und Wellen sich ein Schaufelboot bäumt und schraubenförmige Bewegungen macht, so schaukelt es doch nicht so über alle Maßen auf seinem eigenen Kiel wie ein Schraubendampfer. War es doch hier zuweilen in der ersten Nacht, als sei die Schraube unter dem Schiff ein Mittelpunkt, um den wir zuweilen ganz herumfliegen sollten; dazu machte dieselbe mit ihren Drehungen unter dem Fußboden der Hauptkajüte ein ächzendes, polterndes, unausstehliches Geräusch, wogegen bei anderen Schiffen das Klatschen der Schaufelräder eine wahre Musik genannt werden könnte. Im Hauptsalon befand sich außer uns nur ein einziger Passagier, ein französischer Schiffskapitän, der sein Schiff vor nicht langer Zeit bei dem Sturme im Hafen von Gibraltar verloren hatte, und nun über Oran nach Marseille zurückging. Unser eigener Commandeur war ein langer, melancholischer Franzose, der während der heutigen Sturmnacht beständig in der Cajüte auf und ab eilte und dann wieder mit Zirkel und Quadrant über seine Seekarten gebeugt saß. Er mochte auch seine Ursachen dazu haben, vorsichtig, ja ängstlich zu sein; denn in der Nähe der himmelhohen Felswände wurden wir von den vom Sturme gepeitschten Wogen so hin und hergeworfen, daß Maschine und Steuerruder zuweilen völlig machtlos erschienen; ja, ich bin überzeugt, wenn wir auch zuweilen ein paar Seemeilen vorwärts machten, so drückte uns gleich darauf wieder der wüthende Ostwind ebensoviel rückwärts; und zweifle nicht, daß unser Kapitän gern nach Gibraltar zurückgekehrt wäre, doch fürchtete er sich bei der finstern Nacht, das Schiff zu wenden und den Eingang zur Bai wieder aufzusuchen. Die Province d'Oran hatte einen großen Fehler, sie war als Bateau mixte gebaut, also ein Schiff, welches ebensogut mit der Maschine laufen, als unter dem Winde segeln kann, und sollte mit Vereinigung dieser beiden Kräfte ein ausgezeichneter Läufer sein; heute aber, wo wir Wind und Wellen gegen uns hatten, erwies sich die Maschine als viel zu schwach, so daß wir kaum von der Stelle kamen, und als ich am andern Morgen bei Tagesanbruch auf das Verdeck hinauf stieg, sah ich zu meiner sehr unangenehmen Überraschung den Felsen von Gibraltar wohl rückwärts von uns liegen, aber trotz Regen und Nebeldunst so deutlich, daß ich wohl abschätzen konnte, wir seien noch nicht viele Seemeilen von ihm entfernt.

Es war ein trostloser, garstiger, grauer Morgen; Wind und Regen pfiff und sauste durch's Takelwerk, die See war schmutzig gelb und kam uns rollend und schaumspritzend in gewaltigen Wogenketten entgegen. Obgleich wir jetzt mit voller Kraft fuhren, so kamen wir doch nur langsam vorwärts; ja zuweilen schien das Schiff ganz still zu stehen unter dem wüthenden Anprallen der Wellen und in solchen Augenblicken erzitterte das ganze Gebäude, wie vor Angst und plötzlichem Schreck. Sowohl unser eigener, als auch der fremde Kapitän und nicht minder wir Passagiere waren froh, wenigstens die Nacht hinter uns zu haben. Man kann Schiffbruch leiden und doch mit heiler Haut davon kommen, wie es mir vor Jahren im Meer von Marmora geschehen; aber an diese Felsenküsten geworfen zu werden, ist für Mannschaft und Schiff der sichere, unvermeidliche Untergang.

Unser Dampfer war schwer mit Kaufmannsgütern beladen, hatte aber auch in der Vorkajüte wenig Passagiere. Hier befand sich u. A. eine maurische Familie aus Oran, Vater, Mutter mit vier Kindern, armen, geduldigen Wesen, die bei verschlossener Lucke die Nacht ohne Betten zugebracht hatten und sich nun freuten, als das Tageslicht zu ihnen hereindrang. Namentlich die armen Kinder mit dem gelben, wachsbleichen Teint und großen, wunderschönen Augen blickten verwundert um sich und krochen zuweilen die Treppe hinauf, um sich das Meer anzuschauen. Anfänglich waren sie scheu, wie Rehe, und wenn sich Einer von uns blicken ließ, so flohen sie behende in ihren Verschlag zurück; nach und nach aber wurden sie zutraulicher und nahmen Zwieback, Orangen und Zucker aus unsern Händen. So schmierig das Bettzeug auf diesem unangenehmen Schiffe war, ebenso unsauber waren auch Tischgeräth und Servietten; und um dieß mit der Küche in Einklang zu bringen, war diese so ärmlich und schlecht, wie ich sie weder bei einer Fluß- noch Seefahrt nie erlebt. Unser finsterer Kapitän, der überhaupt ein merkwürdiger Herr war, schien gar keine frischen Vorräthe an Bord zu haben, und so lebten wir von Kartoffeln, Erbsen, Bohnen und Rauchfleisch, allerdings auf gut seemännisch, aber nicht gemäß dem vielen Gelde, welches uns der Agent in Gibraltar für eine gute Verköstigung abgenommen. Das einzige vergnügte Gesicht an Bord war aber unser schmutziger Kellner und dieser arme Teufel hatte gewiß die wenigste Ursache dazu, denn er mußte beim heftigsten Schaukeln des Schiffes den Tisch unten decken und durch Wind und Regen das Essen aus der Küche über's Verdeck tragen. Doch behielt er immer dabei sein grinsend lächelndes Gesicht und dieß verließ ihn sogar nicht, als er einmal mit der ganzen Suppenschüssel droben ausrutschte und auf das nasse Verdeck hinfiel.

Ein guter Dampfer braucht von Gibraltar nach Oran sechsunddreißig Stunden, wir aber drei Nächte und zwei und einen halben Tag und das unter beständigem Sturmwind und Regen bei immer magerer werdender Ration. Endlich am dritten Tag in der Frühe sahen wir die feingezackte, hier grün bewachsene Küste Afrika's vor uns und erreichten um Mittag Mers el Kebir, den Hafen von Oran. In jeder Beziehung waren wir sehr erfreut, unser ungastliches Schiff verlassen zu dürfen, mußten aber, ehe wir zur Stadt Oran hinauffahren durften, noch eine sehr unangenehme, ja höchst unverschämte Mauthvisitation durchmachen. So empörend roh, wie hier in einer französischen Kolonie bin ich in meinem ganzen Leben nicht behandelt worden. Nicht genug, daß man unsere Koffer und Nachtsäcke bis auf den Grund durchwühlte, wollte sich auch ein Kerl in blauer Blouse das Vergnügen machen, die Taschen unserer Kleider zu untersuchen. Da ich aber ohnedieß ziemlich schlecht gelaunt war, so stieß ich ihn unter einem kräftigen Worte von mir, wobei ich ausrief: wenn einmal hier die Bestimmung gelte, Reisende auf so unverschämte Art zu durchsuchen, so müsse ich mir das gefallen lassen, aber nur von einem Angestellten in seiner Dienstuniform; von jedem hergelaufenen Kerl aber in schmieriger Blouse lasse ich mich nicht anrühren. Das wirkte und man ließ uns unseres Weges ziehen.

Von Mers el Kebir nach Oran braucht man vielleicht drei Viertelstunden und fährt auf einer breiten, vortrefflich unterhaltenen Chaussee in guten Droschken, die sich bei Ankunft eines Schiffes zahlreich am Meere einfinden. Die Straße windet sich malerisch längere Zeit in großen Bogen um die weite Seebucht herum und ist beim Eintritt in die Stadt durch ein von den Franzosen erbautes starkes Werk geschlossen. Die umliegenden Höhen zeigen ein Paar alte verfallene, maurische Forts, die jetzigen Vertheidigungslinien sind alle neu, trefflich gebaut und mit starken Erdwerken umgeben. Als die Franzosen im Jahr 1830 Oran besetzten, lag die ganze untere Stadt in Trümmern und wurde von den Eroberern neu aufgebaut, woher es kommt, daß der größte Theil von Oran vollständig das Ansehen einer kleinen französischen Hafenstadt hat. Man hat beim Eintritt in dieselbe keine Idee, daß man sich an der afrikanischen Küste befindet; die Straßen sind gut gepflastert oder makadamisirt und auf ihnen sieht man neben zahlreichem französischem Militär nur den europäischen Paletot und runden Hut. Selten läßt sich in diesem Stadtviertel ein Maure sehen, oder schleicht ein Beduine durch eine Seitengasse. Die hübschen Häuser sind neu und gleichförmig gebaut und enthalten französische Moden- und andere Magazine, Buchläden, Kaffeehäuser, Restaurationen und elegante kleine Boutiquen aller Art – Girault et Compagnie, Magasin de Nouveautés. – Henri Favard, Salon pour la coupe des cheveux.

Auf der Höhe des Berges, an dem Oran liegt, ist das Mauren- und Judenviertel, wo alte orientalische Erinnerungen in mir rege wurden. Oft war es mir, als wandelte ich in einer Straße von Beirut; hier wie dort die ärmlichen hellgelben Lehmhäuser mit flachem Dach, zuweilen mit einer Backsteinkuppel; niedrige, schlecht verwahrte Thüren und die Gebäude vielleicht verziert mit den Überresten eines reizenden arabischen Fensterbogens von schlanken, oftmals gesprungenen Säulchen getragen, oder auch beschattet von einer schlanken Palme, welche hoch in die blaue Luft hinaus ragte. Dazu das gleiche Straßenleben, die kunstlosen Läden und offenen Werkstätten, wo sichtbar vor Aller Augen Schuhe gestickt und Kleider genäht wurden, ja in den gewölbten Gängen eines weitgeöffneten Hofes eine zahlreich besuchte Judenschule, der Lehrer in Turban, langem Talar und gelben Pantoffeln, die kleinen Kinder in verblichenen rothen und gelben Röckchen, öfters ein gesticktes Käppchen auf dem schwarzen Haare, lustig durcheinander schreiend und sich dabei auf ihren Sitzen hin und her bewegend. Die neue Hauptstraße Orans ist mit diesem Mauren- und Judenviertel durch den großen Hauptplatz verbunden, der die Höhe des Berges einnimmt, und wo sich Morgenland und Abendland in malerischen Gruppen vereinigt. Hier traben ein paar Chasseurs d'Afrique, die Flinte auf dem Rücken und halten plötzlich an, um mit einem malerisch costümirten Spahi zu plaudern, oder die Bekanntschaft einiger Beduinen zu machen, die soeben von der Wüste herein geritten kamen. Das sind fast die gleichen Gestalten, mit denen ich vor langen Jahren durch den Libanon und nach Damaskus gezogen, im weißen Gewand, den Yatagan im Gürtel, die lange Lanze quer über den Sattel gelegt; nur der Burnus ist hier von dem syrischen verschieden, er hat eine Kapuze, welche der Araber der Berberei über das bunte Kopftuch zieht, und so weiß eingerahmt, sieht der bronzefarbene Kopf mit den blitzenden Augen noch ernster und düsterer aus. – Die Hauptstraße herauf, die auf den Platz mündet, kommen Soldaten und Offiziere verschiedener Waffengattungen, zu Pferde und zu Fuß, diese behaglich flankend, jene eilig im raschen Trabe des schlanken, maurischen Rosses. Dort erscheint auch mit einemmale eine dichte Menschenmasse, laut schreiend und lachend, ein Knäuel von französischen Soldaten, Mauren und Bürgern der Stadt. Sie umgeben eine Tragbahre, welche zwei Araber tragen und auf welcher ein großer, buntgefleckter Panther liegt, der am frühen Morgen draußen auf der Ebene geschossen wurde.

Sei mir gegrüßt, orientalisches Kaffeehaus, mit deinen niedrigen Rohrstühlchen und kleinen Tässchen! Liegen denn wirklich fünfzehn Jahre zwischen jener Zeit und heute, wo ich ebenfalls den duftenden Mocca aus dem zierlichen Zarfe trank, und wo mir ebenso wie heute ein kleiner Negerbube die lange, dampfende Pfeife in den Mund steckte? – Es sind ja die gleichen Bilder, die ich damals gesehen, die mir so sehr die jugendliche Phantasie erregt. – Und doch, so ähnlich die Umgebung ist, so ist sie doch wieder ganz verschieden. Über den Platz herüber dringen die rauschenden Klänge einer französischen Militärmusik, Offiziere in reichgestickter französischer Uniform sprengen zwischen den erstaunten Beduinen dahin, voran ein Oberoffizier in mittleren Jahren, eine stark untersetzte Figur mit breitem, ernstem nachdenklichem Gesichte – Pelissier. Jetzt herrscht freilich an den Ufern des Bosporus dasselbe Leben, wie hier an der afrikanischen Küste und wo damals eine fremde Uniform zur Seltenheit gehörte, bewegen sich heute zwischen den Türken und Beduinen zahlreiche französische Soldaten, Chasseurs d'Afrique und Zuaven. Die letzteren hier in Oran zu sehen interessirte mich besonders; fast alle sind kräftige, untersetzte Leute, auffallend viele unter ihnen haben hellblonde Bärte. Ihre orientalische Phantasietracht, der grüne Turban, die anschließende Jacke und weiße kurze Hosen mit zierlich geschnittenen Gamaschen ist schöner und zweckmäßiger, wie die Uniformirung der Armee des Großherrn. Jetzt könnte es mich traurig machen, wenn ich bedenke, wie lustig und wohlgemuth die armen Zuaven damals durch die Gassen von Oran schwärmten, ihre kleinen Einkäufe besorgten und sich zur Abreise rüsteten; drunten bei Mers el Kebir lagen ein paar große französische Kriegsdampfer, um von den hiesigen Regimentern nach Konstantinopel zu führen. Wer mag von diesen kräftigen Gesellen jetzt noch übrig sein? Las ich doch neulich von einem einarmigen Zuaven, der nach Marseille zurückgekommen und dort erzählte, daß von den zwei Kriegsbataillons seines Regiments, die vor einem Jahre achtzehnhundert Mann stark von Oran nach der Türkei gegangen seien, jetzt nur noch ungefähr zweihundertundfünfzig übrig wären, von den zwölf Kapitäns aber elf todt und der zwölfte in der Gefangenschaft. – –

Oran hat unter der hochgelegenen befestigten Citadelle einen schönen, neuangelegten Spaziergang, mit doppelten Baumreihen, wo man eine prachtvolle Aussicht auf die umliegenden Höhen, von denen einige mit verfallenem Mauerwerk gekrönt sind, auf die am Abhang liegende Stadt, sowie auf das weite, tiefblaue Meer genießt. Neben dieser Promenade liegt das kleine Theater. Eine französische Operngesellschaft gab den Brauer von Preston und zu gleicher Zeit sahen wir abermals den General Pelissier, der mit ein paar Damen in der Prosceniumsloge des ersten Ranges saß, jetzt nicht so finster wie heute Morgen, vielmehr heiter und lachend.

Obgleich der Dampfer, der uns hieher gebracht, von hier nach Marseille ging, hatten wir doch keine Lust, uns ihm wieder anzuvertrauen, sondern nahmen uns Plätze auf einem andern französischen Schiffe, welches, sowie auch sein Kapitän, uns mit vollem Rechte sehr gerühmt wurde. Ehe wir uns aber an Bord begaben, nahmen Baumeister Leins und ich einen recht schmerzlichen Abschied von unserem bisherigen lieben und getreuen Reisegefährten, dem Maler Horschelt, der in Oran zurückblieb, da seine Absicht war, längere Zeit hier, sowie in Algier und Constantine zu verweilen; als unser Dampfer sich langsam aus dem Hafen fortbewegte, sahen wir die gute, lange Gestalt unseres Freundes noch, auf dem Wege nach Oran zurück, häufig stehen bleibend, es schmerzte uns, die wir nach der Heimath zurückkehrten, ihn hier allein zurücklassen zu müssen. Sind doch die Reisen an der afrikanischen Küste nicht ohne Gefahr und das Ungemach und die kleinen Leiden, welche man in Gesellschaft leichter trägt, wohl im Stande, den Einzelnen niederzudrücken. Glücklicherweise aber ging von unseren Befürchtungen nichts in Erfüllung und während ich diese Zeilen niederschreibe, befindet sich unser ehemaliger Reisegefährte wohlbehalten in seiner Vaterstadt an der Isar und sendet unsterbliche Werke in die Welt hinaus: Kriegs- und Lagerscenen, Kameel-, Pferd- und Maulthier-Bilder – lauter vortreffliche Horschelts.

Am dritten Morgen nach einer sehr angenehmen Fahrt auf dem vorzüglichen Schiffe Leonidas sah ich mit wahrem Entzücken den weißen Felsen mit dem Château d'If wieder vor uns auftauchen; dann die nebelbedeckte französische Küste, wo Marseille liegt und eine Stunde darauf die Häuser der Stadt mit dem Mastenwalde zu ihren Füssen. Als der Anker in die Tiefe rasselte und ich wie vor mehreren Monaten abermals auf kleinem Boot dem Ufer zuschwamm, schlug mein Herz heftiger unter einem unbeschreiblich glücklichen Gefühl.

Hier in Marseille verließ mich unser wackrer Leins, um direkt über Paris nach Stuttgart zurückzukehren. Ich aber vertraute mich am andern Tage abermals dem Meere an und fuhr mit dem Dampfer Castor nach Livorno. Es war, als wollte mich der Himmel für manche schlimme Seefahrt und vieles Ungemach des Wetters noch zu guter Letzt entschädigen; denn eine schönere, ruhigere und sonnigere Überfahrt wie diese habe ich nie erlebt. Da ich so glücklich in dem Gedanken war, die Meinen nun bald wieder zu sehen, so konnte es mich in Livorno nicht verstimmen, daß wir des Sonntags halber fast bis Mittag auf die gestrengen Herrn von der Douane warten mußten, worüber die andern Reisenden, und das mit vollem Rechte, empört waren. Angenehm träumend flog ich auf dem Dampfwagen abermals durch Toskana bis nach Florenz, welches ich bei sinkender Nacht erreichte. Dießmal empfing mich auch kein Regenguß, vielmehr geleitete mich ein klarer sternbesäeter Abendhimmel an das Haus, wo meine Lieben wohnten, und als ich unerwartet in die hellerleuchtete Stube trat, hatte ich das unbeschreibliche Vergnügen, Alle, Alle wohl, heiter und gesund wiederzusehen, sich freuend auf die baldige Rückkehr nach der Heimath.


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