Friedrich Hackländer
Ein Winter in Spanien
Friedrich Hackländer

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Fünfzehntes Kapitel.
Toledo.

Die Straßen Toledo's. Toledo. Die Waffenfabrik. Alte Toledaner Klingen. Der Zorn des heiligen Petrus. Die Kathedrale. Der Hauptthurm. Blick auf die Stadt mit ihren Umgebungen. Der Tajo. Der Mirador König Roderichs. Ein Spaziergang um die Stadt. Die einsame Kapelle. Die Kämpfe um Toledo. San Juan de los Reyes. Das Judenquartier. Prächtige Überreste maurischer Baukunst. Das Spital von Santa Cruz. Der Alcazar. Der Pferdevermiether von Toledo. Eine Decoration zur Unterwelt.

Die Fonda, in der wir abgestiegen, war ein bescheidenes Haus, sehr klein, obgleich dessen Eingang, ein hoher gothischer Steinbogen, mehr versprach. Glücklicherweise waren wir die einzigen Fremden und erhielten deßhalb die besten Zimmer, zwei große Räume mit weißen Kalkwänden, an denen Schilderungen aus dem Leben des Cid Campeador und des Don Quixote hingen. Das Ameublement bestand aus einem Tische und Rohrstühlen, und die Betten, in eisernen Gestellen, wie fast überall in Spanien, waren ziemlich gut. Da unsere Wohnung in einem finsteren Hofe lag, von allen Seiten überragt von schwarzen Mauern, und deßhalb nie einen Sonnenstrahl zu sehen bekam, so war sie recht unangenehm kalt, und wir kauerten uns dicht um den Brassero zusammen, auf dessen Rand wir die Füße setzten, um uns einigermaßen zu erwärmen. Das war aber nach unseren Ritten immer die angenehmste Stunde; da gingen wir lachend und scherzend noch einmal den ganzen vergangenen Tag durch, da wurde die Karte über unsere Kniee ausgebreitet, die Stadt, wo wir uns gerade befanden, mit einem Bleistiftstriche versehen, und hierauf kam die süße Papier-Cigarre, deren aromatischen Rauch man wie den der türkischen Pfeife in die Lunge einzieht und nachher behaglich wieder ausströmen läßt.

Das sind freilich Kleinigkeiten, welche man zu Hause gar nicht schätzt, und die man nur dann recht empfindet, wenn man durch zehnstündiges Reiten auf einem schlechten Sattel müde und steif geworden ist. Da es Sonntag war und deßhalb eine außerordentliche Theater-Vorstellung in Toledo, so ließen wir uns noch dorthin führen, blieben übrigens nicht lange, da weder Schauspielhaus noch Truppe der Mühe werth war; selbst Tänzer und Tänzerinnen waren unter der Mittelmäßigkeit.

Am andern Morgen machten wir einen Gang durch die Stadt, um auch den Charakter derselben in den Stadtvierteln, welche wir gestern bei unserem Einreiten nicht gesehen, kennen zu lernen, fanden aber überall die gleiche malerische Mannigfaltigkeit, überall schöne Denkmäler maurischer und mittelalterlicher Kunst an den Häusern und öffentlichen Gebäuden. Auch Menschen sahen wir heute, doch schien uns Toledo in allen Theilen wenig belebt; manche der schmalen Gassen konnte man durchwandeln, ehe man Jemand begegnete, und was wir hauptsächlich bemerkten, waren Priester in langen schwarzen Gewändern, von denen sich eine übergroße Anzahl hier befindet. Die schönen Toledanerinnen scheinen den maurischen Gebrauch festzuhalten und gern in ihren Häusern zu bleiben; denn wir bemerkten auf den Gassen nur wenig Mantillen, die ein hübsches Gesicht einrahmten, wogegen sie häufiger hinter den Gittern ihrer kleinen Fenster hervorlauschten, aus denen auch oft ein helltönender Gesang unter Guitarrebegleitung zu uns herausdrang.

Toledo ist sehr finster und schweigend geworden; vielleicht waren wir auch durch das unendliche Getreibe auf der Puerta del Sol in Madrid verwöhnt; aber im Allgemeinen sagt man es der alten Ritterstadt nach, daß sie stumm auf ihren Felsen liege, trauernd über das Verschwinden ihrer ehemaligen Größe. Und sie hat ein Recht dazu. Ihr Name Toledo, auf Hebräisch Toledoth: Stadt der (alten) Geschlechter, sagt mit gerechtem Stolze, daß sich einst die Blüthe des spanischen Adels in ihren Mauern befunden. Das ist jetzt freilich ganz anders geworden. Glanz und Leben ist ausgeflossen nach den Ufern des Manzanares, und nur Felsen und Häuser sind zurückgeblieben, ein versteinertes Bild der Melancholie.

Wenn man in den alten Büchern liest von der großen Bevölkerung Toledo's in früheren Zeiten, so begreift man weder, wo all die Tausende Platz gefunden, noch, wo die Räumlichkeiten waren für die glänzenden Hofhaltungen der spanischen Großen. Es ist derselbe Gedanke, der uns beim Betrachten namentlich der deutschen Ritterburgen aufstößt. Alles klein und eng, nirgends Platz für den uns jetzt so unentbehrlich scheinenden Comfort des Lebens. Recht wohnlich und behaglich kann Toledo nie gewesen sein, und wenn auch vielleicht viele der ehemaligen größeren Häuser verschwunden sind, so sind doch die Gassen und Plätze die gleichen geblieben. Letztere sind aber unbedeutend, und was die ersteren betrifft, so gibt es wohl in keiner Stadt der ganzen Welt schmälere und winkligere Passagen als hier. Steil auf und ab winden sich durch die ganze Stadt die Straßen, abschüssig und mit schlechtem Kieselpflaster, welches ohne die Idee eines Trottoirs beide Häuserreihen ausfüllt; zuweilen befindet sich in der Mitte eine Rinne, um das Regenwasser abzuleiten, und sie sind dabei so eng, daß in die wenigsten ein Sonnenstrahl eindringen kann, unter sich das schlüpfrige Pflaster, hat man zu beiden Seiten schwarze Mauern mit unbedeutenden Fenstern und über sich einen schmalen Streifen des dunkelblauen Himmels.

Dabei ist aber jedes Haus wie eine Burg massiv aus Stein gebaut und gewöhnlich nur von einer einzigen Familie bewohnt. Nach maurischer und andalusischer Sitte haben indeß die meisten Häuser einen Hof; durch das massive Thor vor den Augen jedes Unbefugten gewahrt, dient er den Bewohnern zum freundlichen Aufenthalte. Meistens ist er mit Blumen geschmückt, die den unentbehrlichen Springbrunnen umgeben; rings herum laufen Arcaden, von Säulen getragen, und ein dichtes Dach von Weinlaub hält im Sommer die brennenden Sonnenstrahlen ab.

Die Waffenschmiede von Toledo waren ehemals berühmt, und die Toledaner Klingen ebenso geschätzt wie die von Damascus und Khorassan; aber auch diese Werkstätten, welche im Mittelalter so kunstvolle Arbeiten erzeugten, sind verschwunden; nichts Neues, Bedeutendes wird von Privaten mehr gemacht, und um vielleicht ein altes werthvolles Stück zu finden, kroch ich vergebens einen halben Tag lang durch die dunklen Schmieden einiger Schwertfeger. Und doch ist in der Nähe von Toledo immer noch die größte Waffenfabrik Spaniens, welche einen großen Theil des Bedarfs für die Truppen liefert, weiter aber auch nicht viel; freilich sieht man in einem der Magazine der Fabrik ein paar Curiositäten, neues Fabrikat nach einem alten prächtigen Modelle gearbeitet; aber nur das Äußere ist nachgeahmt, den inneren Werth der Klingen hat man nicht zu erreichen vermocht.

Der erste Tag unseres Hierseins war wunderschön, und so stiegen wir am frühen Morgen, da die Thüren zu der Kathedrale und andern Sehenswürdigkeiten verschlossen waren, zur Waffenfabrik hinab; sie liegt südwestlich, eine starke halbe Stunde von der Stadt entfernt, unten im Thale am Ufer des Tajo. Ein großes, weißes, weitläufiges Gebäude mit einem Zaun, der aus alten Lanzen gebildet ist, und auf dessen Zwischenpfeilern sich statt der Capitäle alte Granaten befinden, aus deren Zündlöchern künstliche Flammen von rothgemaltem Blech hervorsehen. Die früher so berühmte Fabrica de Armas hat sich aber total überlebt; wohl sind noch ein paar hundert Arbeiter hier beschäftigt, auch sollen immer noch gute Militärklingen hier gemacht werden. Wenn man aber gegen diese königliche erste Anstalt von Spanien eine der kleinsten deutschen Fabriken, z. B. in Solingen, betrachtet, so sieht man in letzterer doch ein ganz anderes Treiben und Schaffen. An den mechanischen Hülfsmitteln hier scheint seit langen Jahren nichts verbessert worden zu sein und manche neue Erfindung in diesem Fache ihnen gänzlich unbekannt. Ihre Streck- und Pochwerke, Schleif- und Polirmaschinen sind alle Holz-Constructionen und arbeiten mit dicken Wellen und schwerfälligen Rädern, die von den Fluthen des Tajo in Bewegung gesetzt werden. Wenn man an ein derartiges Etablissement bei uns denkt, mit seiner Dampfkraft, den rührigen Arbeitern, den umherfliegenden schlanken Rädern, so kommt einem die Wirthschaft hier ein wenig lahm vor. Wie schon bemerkt, werden fast nur Militärwaffen hier angefertigt, besonders Kavallerie-Säbel, und daneben für den Fremden, der sich gern ein Andenken mitnehmen möchte, kleine mit Gold eingelegte Dolche mit dem Fabrikzeichen von Toledo, die man aber theuer genug bezahlen muß.

Übrigens bin ich überzeugt, daß die berühmte altspanische Klinge, die gute treue Toledana, welche von Romanzendichtern eben so gern und häufig besungen wurde, als die Augen der Geliebten, als Sonne und Mond, aus einzelnen kleineren Werkstätten hervorging, wo ein Meister den andern in der Güte der Waaren zu übertreffen suchte. In frühester Zeit waren es die Mauren, die, wie so viel Gutes und Schönes, auch ihre vortreffliche Damascirkunst in Spanien einführten; später ließen sich kunstfertige Italiener hier in Toledo nieder, in deren Werkstätten jene Klingen, von denen der Krieger träumt, wie der Dichter sagt, geschaffen wurden. Schon an der Art der Arbeit sieht man heut zu Tage, daß sie nicht fabrikmäßig betrieben wurde; fast jede Waffe ist von der andern in Einzelheiten verschieden, meistens durch die immer wechselnde hübsche Zeichnung des Korbes, noch häufiger aber durch die Form der Klinge und deren Inschriften, die immer so charakteristisch und sinnreich gewählt waren, daß es sich wohl der Mühe verlohnte, eine Sammlung dieser Sprüche anzulegen. Einige derselben findet man wohl hier und da wiederholt, z. B.: No me saques sin razon, no me envaines sin honor: ziehe mich nicht ohne Grund, steck' mich nicht ein ohne Ehr'!

Eine schöne Toledoklinge, die ich selbst besitze, mit einem der zierlichsten Griffe, die man sehen kann, führt die schöne Inschrift: Eres mi fuerza, seras mi esperanz. Große Werkstätten hatten daneben auch eine Art Zeichen, durch welche ihre besten Arbeiten von den anderen kenntlich waren, z. B. die eingehauenen Worte: El Morillo, el Moro se Zaragoza, oder el Rerillo, das Hündchen. Statt des letzteren findet man auch häufig ein Zeichen eingeschnitten, das in wenigen rohen Strichen das Bild eines Hundes darstellt, so auf der Klinge, von welcher ich oben sprach.

Nachdem wir ein paar Einkäufe in der Waffenfabrik gemacht, kehrten wir zur Stadt zurück. Gern wären wir noch einige Stunden an den Ufern des Tajo umhergewandelt; denn trotzdem wir uns erst in der Mitte des Monats Januar befanden, hatten wir doch einen vollkommenen Frühlingstag. Die Sonne schien klar herab vom wolkenlosen Himmel, und unter ihrem warmen Kusse duftete die Erde so eigenthümlich und angenehm, wie bei uns »im wunderschönen Monat Mai, wenn alle Knospen springen«. Aber der gewissenhafte Reisende ist ein geplagtes Geschöpf, mache er nun in Wein, Tabak, in Leinwand oder in Naturansichten und Sehenswürdigkeiten; er muß im Schweiße seines Angesichts seine Kunden besuchen, damit sein Notizbuch nicht leer bleibe und zahlreiche Bestellungen in der Heimath ankommen. Wir besuchten noch die zu unserer Rechten liegende Basilica de Santa Leocadia, einen höchst interessanten Überrest der alten prächtigen Kirche dieses Namens; dann gemahnte uns aber der tiefe Ton der berühmten Campana de Toledo, deren weitschallende Stimme durch die klare Luft zu uns herüber drang, daß nun die Thüren der Kathedrale geöffnet seien. Wir kletterten wieder zur Stadt hinauf, während uns der Führer von dieser großen Glocke einiges Fabelhafte erzählte. Sie hatte ihre Schicksale gehabt, so gut wie jede ihrer bekannten Colleginnen, bekam auch wie viele derselben beim ersten Läuten einen Riß, von dessen Entstehen die Sage erzählt, der heilige Petrus, vor dem Himmelsthore sitzend, habe einst ein gewaltiges Lärmen aus der Gegend von Toledo her gehört; als er hinabblickte, bemerkte er die stattliche Campana, und zwar in einer Größe, wie seine Kirchen in Rom keine dergleichen aufweisen konnten, worauf er denn in einem Anfalle sehr unchristlicher Eifersucht einen seiner großen Schlüssel hinabschleuderte und die Glocke so gewaltig traf, daß sie einen großen Sprung bekam. Die meisten unserer berühmten Dome wurden leider in alter Zeit von untergeordneten Bauwerken umgeben, die sich, wie Schutz suchend, an die mächtigen Mauern klebten oder zwischen den Strebepfeilern einnisteten. Dieser Mißbrauch ist hauptsächlich auch bei der Kathedrale von Toledo zu beklagen; denn von außen verschwindet sie fast unter der Masse von kirchlichen und bürgerlichen Umbauten, die sich auf allen Seiten an sie anlehnen. Dagegen hat vielleicht diese Umkleidung hier dazu beigetragen, daß der Kern dieser prächtigen Kirche unter den schweren Zeiten, die an ihr vorübergingen, fast gar nicht gelitten; Alles ist an ihr gut erhalten, nirgends sieht man eine Spur von Verwüstungen, wie an vielen ähnlichen Bauwerken. Die Kirche, an deren Stelle schon im Jahre 535 der sechszehnte Gothenkönig Recaredo aus Anlaß seiner Bekehrung zum Christenthum einen kleinen Tempel gegründet hatte, der wechselweise je nach dem Kriegsglück dem christlichen und dem muhamedanischen Bekenntniß diente, verdankt ihre Entstehung dem Könige Don Ferdinand, dem Eroberer von Sevilla. Im Jahre 1258 durch den Architekten Pedro Perez begonnen, wurde sie erst nach zweihundert zweiunddreißig Jahren (1490) unter Isabella der Katholischen, die für Toledo so viel gethan hat, vollendet. Bei vierhundert Fuß Länge und zweihundert Fuß Breite zählt sie fünf Schiffe und diese sind durch Säulenbündel von einander getrennt, die bei mäßiger Höhe verhältnißmäßig dick sind, leider aber dem Innern den Eindruck der an gothischen Bauwerken so wohlthuenden Schlankheit benehmen. Daher kommt es wohl, daß, obgleich die Kathedrale von Toledo eines der schönsten, namentlich reichsten Werke mittelalterlicher Kunst ist, sie doch durch ihre architektonischen Formen und Verhältnisse neben den gothischen Bauwerken ersten Ranges nicht bestehen kann. Ihr Reichthum aber ist unendlich groß, sowohl an edlen Metallen, kostbaren Steinen als prächtigen Bildern und Sculpturen; es hat nicht nur jeder spanische König seit dem siebenten Jahrhundert bis auf Karl III. die Kirche mit einem kostbaren Geschenke bedacht, nicht nur hat jede Epoche sie nach dem herrschenden Geschmacke verschönert und trugen Erzbischöfe, Bischöfe und reiche Bürger zur Vergrößerung der Kathedrale bei, sondern arme Pilger und Bettler spendeten willig ihre geringen Gaben. Der feurige Glaube, dem die einfache Majestät dieses Baues nicht mehr genügte, umgab denselben im Laufe der Zeit mit einer Menge von Kapellen, die seinen Raum fast verdoppeln; ein prachtvoller Kreuzgang, um den die Wohnungen der Chorherren liegen, schließt sich an der einen Seite an, und als heiligen Begräbnißort der ersten Geschlechter füllten die frommen Stifter die Kirche und die Kapelle mit den kostbarsten Kunstwerken an. Wohin man sich wendet, sieht man glänzende Edelsteine und Vergoldungen, die Mauern mit den herrlichsten Marmorarbeiten bedeckt und kostbare Holzschneidereien, deren Ausführung viele Menschenalter in Anspruch nahmen. Ja, die Prachtliebe hier ging so weit, daß die Steinfugen des Mauerwerks neben dem Hochaltar vergoldet sind, was wohl reich, aber nicht geschmackvoll aussieht.

Der erzbischöfliche Sitz von Toledo war früher der reichste in ganz Spanien, er hatte 400,000 Piaster Einkünfte, unter ihm standen die Bisthümer von Cordova, Jaen, Carthagena, Cuenca, Siguenza, Segovia, Osma und Valladolid; zu ihm gehörten vierzig Klöster und sechsundzwanzig Pfarrkirchen; sein Capitel, aus hundert hohen Prälaten bestehend, lebte mit kaiserlicher Pracht. Das ist nun alles verschwunden, und wenn man zur Zeit der Messe durch die weiten Hallen der Kathedrale wandelt, so sieht man wenige dürftige Priester, welche den heiligen Dienst besorgen; die mit Edelsteinen bedeckten Monstranzen, die Statuen der heiligen Jungfrau mit ihren Gewändern, ganz aus Perlen und Gold bestehend, sind freilich noch vorhanden; aber man sieht nicht mehr wie damals Großwürdenträger der Kirche von allen Graden, von unzähligen Chorknaben umgeben, ihre Kniee vor dem Allerheiligsten beugen. Das Rauschen der seidenen und gestickten Gewänder ist verschwunden, die alte Pracht und Herrlichkeit zu Grabe getragen, und wenn heute die gewaltige Orgel ihre mächtigen Klänge in die gewölbten Hallen hineinschmettert, so dröhnt das wahrhaft abschreckend in dem leeren Raume; denn statt der tiefen Stimmen der hundert Chorherren und Prälaten, die früher aus den zahlreichen Chorstühlen antworteten, vernimmt man jetzt nur noch die schwachen Gesänge von einem Dutzend alter, zitternder Männer, auf die das ganze Kapitel zusammengeschmolzen ist.

Trotz alledem aber gewährt es wieder ein so süßes, ja berauschendes Gefühl, in diesen ehrwürdigen Hallen umherzuwandeln. Eindrücke der mannigfachsten Art stürmen auf die Seele ein und erheben das Herz. Es ist, als läse man in einem gewaltigen Gedichte von der vergangenen Zeit; der Weihrauch duftet, Blicke und Gedanken irren an den bunten gemalten Scheiben hin und her, sie können nicht hinaus, sie müssen immer wieder zurückkehren in die Kirche, in das eigene Herz, und während die Orgel singt und jubelt von alter Pracht und Herrlichkeit, scheinen sich die todten Priester- und Fürstenstatuen allmählich zu beleben; man glaubt sie nach einander flüstern zu hören: Dieß und das geschah zu meiner Zeit.

Am Hochaltar und Chor, welche nach spanischer Sitte eine Kirche in der Kirche bilden, ist nun zusammengedrängt, was die Kunst Kostbares zu erfinden im Stande war. Es blendet einem fast die Augen, wenn man die Arbeiten betrachtet; Schnitzwerke in kostbarem Holz, in Marmor neben getriebener Arbeit in edlen Metallen bilden die Wände dieses Innersten; zahllose Marmorfiguren von großem Kunstwerthe sieht man bald in Gruppen, bald vereinzelt. Vom Fundament bis hinauf zur Decke ist nicht ein Platz handgroß, der nicht verziert wäre, und zudem umgibt den Chor ein herrliches vergoldetes Gitter mit vier Ellen hohen ziselirten Stäben und Knäufen. Zu allem dem kommt noch, daß die Pfeiler mit einem eigenthümlichen Netze von Vergoldungen überzogen sind, dessen Endfäden sich hinaufziehen bis an die verschlungenen Rippen des Gewölbes, und so, wie durch zahllose goldene Ranken mit den Rosen der Decke zusammenhängen, man könnte sagen: als kostbare Frucht von ihr getragen werden.

Der Retabel des Hochaltares, der das Chor als eine gerade Wand abschließe, ist durch eine Menge feiner Pfeiler in einzelne Nischen abgetheilt, deren zierlich durchbrochene Baldachine immer wieder die Untergestelle zu darüber befindlichen Reliefen bilden, in denen von der Geburt bis zur Himmelfahrt des Erlösers alle Momente seines heiligen Lebens mit hoher Kunst dargestellt sind, Alles in ganz runden Figuren meisterhafter Schnitzarbeit ausgeführt und mit den Farben des Lebens colorirt; dazwischen Vergoldung, wo sich nur ein Platz dafür findet, so daß diese Gruppen aus dem tiefen Schatten ihrer Nischen mit einer überraschenden Lebendigkeit heraustreten und das Ganze, besonders wenn ein warmes Licht durch eines der hohen bunten Fenster darauf fällt, eine zauberhafte Wirkung macht. Welche Feder wäre im Stande, diesen Glanz und Reichthum zu beschreiben, so wie das geheime heilige Grauen, das die Seele des Beschauers, wie die Herzen der vielen Tausende, die hier schon gekniet, erfüllt! Rührend ist die Kindlichkeit der Auffassung dieser uralten Sculpturwerke, und selbst in späteren Zeiten, wo die Kunst schon auf Abwege gerathen war, nöthigt uns das Bestreben, etwas Herrliches, noch nie Dagewesenes mit ganz neuen Mitteln zur Ehre des Glaubens hervorzubringen, wie in der Kapelle de la Antigua, zur Verehrung, und wenn z. B. der Altar, genannt el Transparente, der sich hinter dem Retabel des Hochaltars befindet, auch von höchst ausschweifender Composition und Ornamentik ist, und wahrhafte Monstruositäten dabei vorkommen, so ist doch die Überschwänglichkeit der Zusammenstellung thurmhoch über einander aufsteigender Chöre von Engeln in Marmorwolken, Sonnenstrahlen, Sternen, Säulen und Gesimsen aus den kostbarsten Stoffen und von überreicher Färbung, trotzdem daß alle Gränzlinien verwischt sind, wo Sculptur und Architektur aufhört und die Malerei beginnt, von frappanter Wirkung, und man läßt dem gewaltigen Triebe eine Zeit lang Gerechtigkeit widerfahren, das Heiligste mit allen nur denkbaren Mitteln der Kunst zu ehren.

Weit edler und reiner sind die Formen der meisten Begräbniskapellen, unter denen diejenige der Familie des Don Alvaro de Luna besonders hervorragt. Wunderschöne gothische Maßwerke bedecken die Wände, und durch vielfach verschlungene, in den korrektesten Dessins ausgehauene Steingitter, die diese Kapelle von der Kirche trennen, hat man den Blick in das geheimnißvolle Dunkel der Hallen des Chorumganges. Von den herrlichen Grabmalen kann man sich kaum trennen, und wie schön sind die Kapelle des heiligen Ildefonso und die Kapelle de Reyes Nuevos, welche von ihrem im Chorumgange angebrachten Portado durch die Kapelle bis zur Sacristei eine ununterbrochene Reihe der vortrefflichsten Muster elegantester Renaissancearchitektur darbietet! Doch es wäre kein Ende, die Kunstschätze der einzelnen Kapellen aufzuzählen. Nur derjenigen unter dem Thurme wollen wir noch gedenken, die ganz arabisch ist, und deren wimmelndes, prachtvolles Detail der Wölbung bei je längerem Betrachten ein immer größeres Räthsel wird, und endlich des von Cardinal Cisneros erbauten Wintercapitelsaales, zu dem vom Seitenschiff aus eine herrliche, von gothischer Filigranarchitektur gekrönte Thür von der Hand des Antonio Rodriguez führt. Der Capitelvorsaal, dessen Wände mit schönen Fresken von Jean de Bourgogne geschmückt sind, hat eine Decke von wunderbarer Arbeit, von der man kaum weiß, ob Araber oder Christen sie gefertigt haben, so sehr durchdringen sich die wechselvollen gothischen und maurischen Formen, und Alles leuchtet von den brennendsten Farben. Der Capitelsaal selbst aber, dessen Wölbung ganz in goldenem Glanze strahlt, und von welcher zahllose Stalaktiten herunter zu hängen scheinen, hat nur einen Raum, der ihm annäherungsweise gleicht, den ehrwürdigen großen Saal des venetianischen Dogenpalastes; ernst und würdig schauen im Kreise herum in doppelter Reihe die Bildnisse der Kirchenfürsten auf den Besucher herunter. Dem Eingange gegenüber steht erhöht der erzbischöfliche Stuhl, bedeckt mit den reichsten Sculpturen und überragt von einem schönen Bilde, der Krönung Marias. Zu beiden Seiten erheben sich mehrere Rang hoch schön geschnitzte Chorstühle, und die Wände sind bedeckt mit fünfzehn merkwürdigen historischen Bildern Johanns von Burgund. Ein stolzer, feierlicher Raum!

Schon vorhin erwähnte ich des Reichthums der Kathedrale von Toledo an edlen Metallen. – Neben einer Anzahl silberner und goldener Gefässe, neben den vielen Gewändern der heiligen Jungfrau, die so mit Perlen und Diamanten bedeckt sind, daß man zwischen ihnen durch keinen Faden des Gewebes sehen kann, ist in der That sehr bemerkenswerth eine Monstranz von Gold und Silber, woran der Metallwerth nicht gegen die riesenhafte Arbeit in Betracht kommen kann. Wie man uns erzählte, haben drei Generationen einer Goldschmiedsfamilie, der Vater, der Sohn und der Enkel, ihr ganzes Leben auf diese Arbeit verwandt. – Auch an alten Bildern ist die Kirche sehr reich, doch sind sie mit Ausnahme der Altarblätter so unvortheilhaft aufgehängt, daß es selbst für einen Kenner, der ich nicht bin, unmöglich wäre, sie mit Vortheil zu betrachten.

Die vielen Grabdenkmäler in der Kirche sind von großer und angenehmer Wirkung für den Umherwandelnden; an den stillen marmornen Erzbischöfen können die Blicke ausruhen, wenn sie geblendet von dem Glanze des Goldes und dem ungewissen Leuchten und Schimmern der Glasmalereien einen stillen Winkel suchen. Und das Ausruhenlassen der Blicke und Gedanken kann man schon brauchen, nachdem man ein paar Stunden lang umher gewandelt. Man fühlt sich ermüdet, übersättigt von dem, was man gesehen, und braucht eine Restauration; und ich für meine Person fand diese in der großen Kirche öfters, wenn ich mich in einen finsteren Winkel niedersetzte, das Gesicht in die Hände verbarg, und so die Ruhe auf mich einwirken ließ.

Auch ein Spaziergang in den prachtvollen Kreuzgängen, welche an den Dom stoßen, thut so wohl und erfrischt. An der Thür warfen wir noch einen Blick rückwärts in den dämmernden Raum, die ganze Kirche funkelt vor dem Auge wie ein Kaleidoskop; die Kerzen am Hochaltare schimmern gleich rothen Funken und wie durch Nebel zu uns herüber. Hinter dem Chore liegt der ganze gewaltige Raum noch dunkler; und oben ganz in der Höhe läßt ein offenes Fenster einen Lichtstrom hereindringen, auf welchem der Staub sich mit Behagen schwingt, und dessen Strahl eine erhabene Marmorfigur trifft, die im allgemeinen Halbdunkel hell leuchtend und wie verklärt dasteht. Drunten vor dem Altar ist der heilige Dienst zu Ende, die Priester ziehen sich, die Kniee beugend, zurück; von der Orgel herab sausen und brausen nur noch einzelne Töne. Man hört die Wegeilenden leise husten und sich räuspern; die Tritte ihrer Füße schlurfen auf dem Pflaster. Einer, der an uns vorbeigeschritten ist, hebt den schweren Vorhang an der Kirchenthür in die Höhe, ein gewaltiger Strom des scharf glänzenden hellen Tageslichtes dringt plötzlich herein, beleuchtet das reiche Schnitzwerk der Thür, deren Figuren aus der biblischen Geschichte Centauren, Liebesgötter, Laubgewinde und Arabesken umgeben, sowie auch die schweren Formen zweier Weihwasserbecken dicht neben uns. Und dieses Licht, welches hereinblitzt, läßt die Kirchenschiffe noch ernster und dunkler, ja, fast unheimlich erscheinen.

Gern verlassen wir die Kathedrale und erfreuen uns draußen an der Tageshelle, an dem goldenen Sonnenstrahle, der sich an den schlanken Pfeilern des Kreuzganges herumwindet, der an den durchbrochenen Fenstern hier glänzende Lichter aufsetzt, und gleich nebenan tiefe Schatten hervorruft. Doch, nachdem wir uns lange in den dunkeln Räumen der Kirche aufgehalten, steigen wir gern auf den Thurm hinauf, um einen Blick auf Toledo und die umliegende Landschaft zu thun.

Dieser Thurm hat drei Theile, und seine Breite läßt ihn weniger hoch erscheinen, als er wirklich ist. Der untere Theil ist ein Prisma mit viereckiger Basis, von Strebepfeilern an den Ecken flankirt und die glatten Flächen ganz mit gothischem Maßwerk überdeckt; oben führt ein reich durchbrochenes Steingeländer um die Terrasse, aus der sich der zweite Theil mit achteckiger Basis erhebt, welcher in zwei Stockwerke mit je acht reichgegliederten Spitzbogenöffnungen zerfällt, und um den sich eine Menge Fialen und Spitzsäulen gruppiren. Früher mag sich dieser Theil weit zierlicher ausgenommen haben; denn die Durchsichtigkeit hat sehr abgenommen durch eine Masse nachher angebrachter Verstärkungspfeiler, die, wo nur Raum war, hinter den freistehenden Streben aufgeführt wurden. Die Pyramide zu oberst, die den dritten Theil bildet und sich schnell verjüngt, hat eine eigenthümliche Zierde durch drei Gürtel von wagerecht in die Luft starrenden Spitzen erhalten, die, an und für sich von beträchtlicher Größe, ganz die Wirkung einer dreifachen mächtigen Krone machen. Der ganze Thurm, von der Sohle bis zum Kreuze, hat eine Höhe von dreihundert dreißig Fuß. Die Treppen, welche hinauf führen, sind sehr bequem, und man gelangt ohne große Mühe bis an den durchbrochenen Theil des Thurmes, wo die schon erwähnte berühmte Glocke von Toledo hängt. Allerdings hat diese eine anständige Größe, doch glaube ich, daß das Sprüchwort übertrieben ist, nach welchem unter der Campana fünfzehn Schuster im Kreise nicht nur sitzen können, sondern mit langgezogenem Zwirn frischweg nähen, ohne daß einer den andern genire.

Von hier oben hat man eine schöne Aussicht auf die Stadt. Toledo liegt rings um uns ausgebreitet und sieht noch von hier oben besonders ehrwürdig aus. Es ist ein stattlicher Steinhaufe in grauer und gelblicher Farbe, und wenn man den Umfang betrachtet, so begreift man wohl, daß Toledo statt der 15,000 Menschen, die jetzt hier leben, früher eine vier- bis sechsfache Zahl beherbergen konnte. Eigenthümlich ist der Anblick auf die Dächer und Terrassen; vielfach sieht man auf den letzteren noch einen kleinen Aufbau von Säulen und Bogenfenstern, durch welche man den frischen Luftstrom genießen und weit hinaus in das Land lugen konnte. Diese Aufbauten nehmen sich auf den grauen Mauern wie eine eigene Stadt auf den Dächern aus. Auch mehrfache Überbleibsel aus der Maurenzeit entdeckt man hier oben, und kleine Kuppeln, die sich, von unten gesehen, scheinbar ängstlich zwischen den hohen trotzigen christlichen Thürmen verbergen, treten hier frei zu Tage; überhaupt entdeckt man von der Gallerie des Thurmes eine Menge hervorragender Bauwerke, die in dem Labyrinth der engen Gassen verschwinden.

Einer der Geistlichen der Kirche, ein freundlicher alter Mann, der zu unserem Glücke geläufig Französisch sprach, hatte uns hinaufbegleitet, und nannte uns gern einzelne hervorragende Punkte der Stadt. Ziemlich deutlich sahen wir auch von hier, wie der Tajo dieselbe auf drei Viertheilen ihres Umfanges umkreist; weit über die öde Fläche daher, welche wir gestern geritten, schlängelt er sich in einem grünen Streifen, wie eine langgezogene Oase in der Wüste, und bricht sich dicht vor der Stadt einen Weg durch gewaltige Granitmassen, statt, wie er wohl gekonnt hätte, quer über die Sandebene gemächlich weiter zu laufen, >– – ein schönes Bild jener alten echten Ritterlichkeit, die auch Kampf und Tod aufsuchte und sich den entgegentretenden Hindernissen frisch und muthig entgegenwarf.

Vor uns, entlegen vom Felsenufer des Flusses, sehen wir einen mächtigen Bau aus dem sechszehnten Jahrhundert, das Thor von Bisagra. Auf der anderen Seite der Stadt befindet sich die St.-Martinsbrücke, und derselben gegenüber auf dem verlängerten Tajoufer ein mächtiger gothischer verfallener Bau, der Mirador des unglücklichen Königs Roderich.

Bemerken Sie wohl, sagte unser Geistlicher, den alten grauen Thurm in der Nähe der Martinsbrücke; er ist mit Inschriften bedeckt, und an ihm kleben zerbröckelte Mauerreste, die man am Ufer des Tajo hinab verfolgen kann, welche ehemals einen stattlichen Palast umschlossen, der dem Grafen Julian gehörte; von seinem Mirador aus sah König Roderich diesen Palast, und in demselben die schöne Tochter des Grafen. Unten am Wasserspiegel des Tajo sieht man heute noch die Überreste eines anderen Thurmes, wo die Grafentochter ihre Bäder hatte, und wo sie vom Könige überrascht und verführt wurde, worauf der erzürnte Vater, um diese Schmach zu rächen, die Mauren aus Afrika herüberrief und so sein Vaterland in die Hände der Ungläubigen lieferte.

Welche Bilder, welche Erinnerungen knüpfen sich an diesen Trümmerhaufen! Eigenthümlich ist es, daß der Name der Grafentochter verloren ging und später erst die Araber wieder, wohl aus Dankbarkeit, ihrer in Romanzen gedachten; dort nannten sie sie aber die Caba, ein verlorenes Mädchen.

So hat hier jeder verfallene Thurm, jeder Trümmerhaufe, jeder Stein seine Sagen und Geschichten und unzählig sind diese maurischen und mittelalterlichen Trümmer, die überall zerstreut liegen, deren Bedeutung aufzuschreiben gewiß höchst interessant wäre. Selbst im Flußbett des Tajo sieht man eine Menge Ruinen, Brückenpfeiler, Überreste von Thürmen, ja, die Mauern eingestürzter Paläste mit leeren Fensterhöhlen, von denen Niemand genau etwas weiß, als daß sie seit Menschengedenken so da gestanden.

So war es Nachmittag geworden, und da wir, um nichts von der kostbaren Tageszeit zu verlieren, unser Diner auf sechs Uhr Abends bestellt hatten, nahmen wir in unserer Fonda ein einfaches Frühstück von hartgesottenen Eiern und Schinken und folgten darauf wieder unserem Führer zu der oben erwähnten St. Martins-Brücke, von wo wir bei klarem Himmel und heiterem Sonnenscheine noch einen Spaziergang um die halbe Stadt machen wollten. Diese Brücke, über die sich wie einer ihrer Bestandtheile ein schlanker Thurm erhebt, ehrwürdig durch sein hohes Alter und Träger einiger arabischen Inschriften aus grauer Vorzeit, übersetzt mit zwei gewaltigen riesenhaften Spitzbogen und zwei kleineren die tobenden Wasser des Tajo. Mehrmals durch Überschwemmungen und in Folge der Kriege zerstört, wurde sie ebenso oft wieder erneuert, um den Zugang zur Stadt unter dem niedern Bogen des Thurmes durch, an dem heute noch der kaiserliche Doppeladler prangt, wieder herzustellen, aber auch die letzte Wiederherstellung unter dem Erzbischof Pedro Tenorio sollte durch etwas besonderes bezeichnet sein. Während der Architekt den Hauptbogen derselben vollendete und man die hölzerne Gewölbrüstung zu entfernen sich anschickte, entdeckte er, daß durch irgend einen Fehler der Construktion der Einsturz dieses Bogens die unausweichliche Folge sein würde. Der trostlose Künstler vertraute diesen entsetzlichen Kummer seiner Frau, die sogleich, anstatt ihre Klage mit der ihres Mannes zu vereinigen, auf Mittel sann, seine Ehre zu retten. In der Nacht legte sie, unterstützt von einer ergebenen Magd, im Geheimen Feuer an die Holzunterlage, die Flammen griffen um sich und Gerüst und Bogen stürzten in die Tiefe. Jedermann fand darin ein unvermuthetes Unglück und nicht die Schuld des Erbauers, und dieser wurde aufs Neue mit dem Wiederaufbau, der dießmal auch gelang, betraut. Aber die Frau, die dieses beherzte Auskunftsmittel erdacht, wußte das Schweigen nicht zu bewahren und entdeckte, sei es aus Eitelkeit oder aus Gewissensscrupel, ihre That dem Erzbischof, der, großmüthig wie alle erhabenen Geister, der Hingebung dieser muthigen Frau, weit entfernt, sie zu tadeln, das wohlwollendste Lob ertheilte. Etwas Belohnenderes, als diesen Weg um die Stadt, gibt es nicht leicht, obgleich derselbe nur noch kurze Zeit mit der Straße nach dem Süden zusammenfällt. Bei unserem Gang über die Brücke steigt uns zur Seite der imposante nackte Fels des Mirador aus der feuchten Tiefe auf und strahlt die Glut der auf ihn prallenden Sonne auf uns herüber. Gleich über der Brücke zieht sich der Weg links auf die Höhe des andern Tajoufers und zeigt sich als einen eigensinnigen Flußweg, der über Felsplatten, Klippen und Steingeröll bald steil aufwärts, bald ebenso abwärts führt, jetzt auf einem glatten Steinplateau, dann am Rande der Felsen hin. Habe ich doch lange Jahre nichts Schöneres und Malerischeres gesehen, als von hier aus den beständig wechselnden, aber immer malerisch schönen und prächtigen Anblick auf Toledo, namentlich wie derselbe heute Abends war in der wunderbarsten Färbung der Abendsonne. Man geht den Fluß entlang, der tief unter uns in einer Schlucht von fünf- bis sechshundert Fuß Tiefe rauscht und an dessen uns gegenüberliegendem Ufer sich fast in gleicher Höhe mit uns der platte, nach allen Seiten schroff abfallende Felskegel erhebt, auf welchem die Stadt liegt.

Während man ihn so umwandelt, zeigen sich bei jedem Schritt neue und immer schönere Bilder unserem entzückten Auge. Bald fesseln uns die wilden Felsen, an deren Rande wir stehen, mächtige kahle Steinplatten, aber von herrlich warmer rother und gelber Färbung mit dem mageren Grün einzelner größerer Buchsbaumsträucher, welche hier und da in den Fugen wachsen. Diese Felsen in den wunderlichsten Formen dehnen sich nach allen Seiten aus, sich rückwärts an die trostlose Ebene anschließend; vor uns bilden sie tiefe, zackige Spalten, in welchen der grüne Tajo rauscht und schäumt. Schatten bedeckt schon seine Fluten und ebenso die gegenüberliegende Felswand, die oben mit dem eigenthümlichsten Durcheinander von Bauwerken gekrönt ist. Zwischen altem Gemäuer und zerstörten Thürmen hat sich ein Neubau eingenistet, dessen Fenster glänzen und strahlen. Alte Festungswerke, die den Abhang hinabklettern, scheinen wegen ihres moosbedeckten Gesteins mit den Felsen, an welchen sie kleben, zu Einer Masse verwachsen zu sein. Über diese hinauf bauen sich staffelförmig die Häuser der Stadt in dem bunten Allerlei von Bauwerken so vieler Jahrhunderte, die wir schon früher beschrieben; aber der helle Sonnenschein, der darauf lagert, gleicht alles das aufs freundlichste aus und gibt den Terrassen und Hohlziegeldächern, den Kuppeln und Thürmen die gleiche glühend röthliche Färbung.


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