Friedrich Hackländer
Ein Winter in Spanien
Friedrich Hackländer

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Nach gründlicher, vollbrachter Mahlzeit, ausnahmsweise bei einer Tasse Kaffee, zu der eine von den wenigen guten Cigarren, die wir noch besaßen, nicht fehlte, ward unser mißlungenes Rendezvous besprochen und mit Zuziehung des Kellners auch in seinen Folgen von allen Seiten beleuchtet. Die nächsten Eilwagen, von denen einer unsere Freunde höchst wahrscheinlich brachte, erreichten Val de Penas also erst in der kommenden Nacht gegen drei Uhr Morgens. Was war nun zu thun? Wollten wir die Reisegefährten hier erwarten, so durften wir natürlich nicht zu Bette gehen oder mußten schon um zwei Uhr wieder aufstehen. Beides recht unangenehm. Kommen sie aber morgen auch noch nicht, so hatten wir von Val de Penas nach Santa Elena auf der Höhe der Sierra Morena bei zehn Leguas, einen gar zu langen Weg, und dazu keine Pferde, die, wie der Kellner uns versicherte, hier in Val de Penas schwer zu bekommen sein sollten. Wir beschlossen demnach, noch heute Nachmittag auf irgend eine Art nach Santa Cruz, am Fuße des Gebirges, zu gelangen und den Freunden ein Schreiben zurückzulassen, worin wir ihnen unsern Entschluß anzeigten und zugleich, daß wir dort in der Venta »zum halben Monde«, wo die Eilwagen wenige Minuten anhielten, zu finden sein würden.

Der Kellner, der das Haus voller Fremden hatte und uns deßhalb kein anständiges Zimmer abtreten konnte, billigte unsern Entschluß und meinte, das beste Mittel, um auf angenehme Art nach Santa Cruz zukommen, sei, sich einer der vielen Galeras, Frachtfuhrwerke, anzuvertrauen, die jeden Augenblick am Hause vorbeipassirten. Wir schrieben also unsere Briefe an die Freunde, trugen einen hinüber in den andern Gasthof, und als wir zurückkehrten, hatte der Kellner auch bereits eine vortreffliche Fahrgelegenheit, wie er sagte, für uns aufgefunden. »Man kann sich hier nicht Jedermann anvertrauen,« sprach er mit hoch empor gezogenen Augenbrauen und einem wichtigen Schwenken seiner Serviette; »aber da draußen ist einer meiner genauen Bekannten, Don Alonso de Santa Cruz, der sich um ein Billiges das Vergnügen machen wird, Sie mitzunehmen.«

Wir gingen auf die Straße und sahen in einiger Entfernung einen zweirädrigen Karren, hochbeladen und mit vier Maulthieren bespannt, eines vor das andere. Das war die vortreffliche Fahrgelegenheit. Daneben stand ein alter Kerl, unrasirt, ziemlich schmierig angezogen, mit einer sehr gestickten Capa, die er aber malerisch über die Schulter geworfen hatte, und einem spitzen Hut voller Löcher, den er keck auf dem rechten Ohre trug – Don Alonso de Santa Cruz. Hätte man nicht recht gehabt, sich unter solchem Namen einen Granden erster Klasse vorzustellen, der zufällig in einer mit sechs Pferden bespannten Equipage vorbeikäme und sich ein Vergnügen daraus machte, ein paar fremde und ermüdete Cavalleros aufzuladen? Wir traten also zu Don Alonso, um seine billigen Fahrbedingungen zu vernehmen. Er sah uns ziemlich hochmüthig an und meinte, zwei Duros sei nicht zu viel, – zwei Duros, über fünf Gulden für einen Weg von nicht ganz vier Stunden auf einem schwerbeladenen, stoßenden Karren. Ich fragte ihn lächelnd, er meine wohl zwei Duros für Jeden. »Natürlicher Weise,« war die Antwort, die sehr würdevoll gegeben wurde. Jetzt brachen wir aber in ein so gewaltiges Lachen aus, daß der Kellner davon angesteckt wurde, und in welches sogar Don Alonso selbst, nachdem er uns einen Augenblick recht sauer angeschaut, herzlich mit einstimmte. Um mit ihm in's Reine zu kommen, boten wir ihm einen halben Duro für uns und unser Gepäck, was er denn auch nach einigem Widerstreben einging. Unsere Nachtsäcke, Mäntel und Waffen luden wir auf die Galera, zogen es aber vor, noch eine Strecke zu Fuß zu gehen, da die Chaussee breit und eben, das Wetter warm und angenehm war.

So zogen wir denn abermals dahin, diesmal als harmlose Fußreisende, und wenn uns auch Don Alonso zum Öftern einlud, den Karren zu besteigen, so hatten wir doch keine Lust dazu, da wir sahen, wie er in den Geleisen hin und her gestoßen wurde. Die breite Chaussee führte fast eben durch ein schönes, wohlangebautes Land voll gut bearbeiteter Felder und Olivenpflanzungen, zwischen welchen hie und da spitzige Kirchthürme hervorschauten. Daß wir dem Süden näher gerückt waren, bemerkten wir auch an einzelnen Aloen, die hin und wider an den Rändern des Weges emporwuchsen. Zum Schutz der großen Straße von Madrid nach Sevilla gegen Räuber sind jedesmal in einem Zwischenraum von zwei bis drei Leguas, gewöhnlich auf hochgelegenen Punkten Stationshäuser für die Guardias Civiles erbaut, von denen Patrouillen das Land durchstreifen, einzelne Posten aber auch an der Landstraße vertheilt sind, wo sie aus ihren runden zeltförmigen Erdhütten alles beobachten, was vorüberzieht. Auch wir entgingen der Aufmerksamkeit eines dieser Straßenwächter nicht, der uns auf die höflichste Art von der Welt nach unseren Papieren fragte. Der früher erwähnte Befehl des Chefs der Gensdarmerie that auch hier wieder seine Wirkung, der Gensdarm legte ehrfurchtsvoll grüßend seine Hand an den Hut und entließ uns mit einem freundlichen buenas noches, – ein kleiner Vorfall, dem Don Alonso aufmerksam zuschaute und der uns in seiner Achtung auffallend befestigte.

Inzwischen war es dunkel geworden, und an dem klaren Nachthimmel strahlten und glänzten die Sterne in wunderbarer Pracht. Ich glaube jeder, der sich viel im Freien aufhält und häufig die seltsamen Sternbilder dort oben sieht, faßt für irgend eins derselben eine besondere Neigung. So ist es mir wenigstens ergangen, und wenn ich den Orion sehe, so durchströmt ein angenehmes, erwärmendes Gefühl mein Herz; er ist mir wie ein alter treuer Freund, mit dem ich plaudern kann und der mich zu verstehen scheint, wenn ich aufwärtsblickend an diese oder jene Stunde meines Lebens denke. Wir beide haben uns auch schon viel gesehen, in frostiger, schneeglänzender Winternacht und an warmen Sommerabenden, wenn die Nachtigallen schlugen und ein leichter Wind weiße Blüthen spielend herumwehte. Dann wieder auf schwarzem, tobendem Meer, wo der Orion nur hie und da, wie mir zum Troste, durch zerrissene Wolken niedersah, sowie auch im Sande der unendlichen Wüste, wo er hellfunkelnd an dem stahlfarbenen Himmelsgewölbe prangte. Er ist ein so angenehmes, verständliches Sternbild mit seinem blitzenden Gürtel, mit Keule und Schwert. Heute Abend blieb er uns treulich zur Seite und war so freundlich, uns nach mehrstündigem Marsche endlich unser Nachtquartier Santa Cruz zu zeigen, hinter dessen Häusern er ruhig niedersank. Lebe wohl! rief ich ihm nach, und grüß mir morgen meine Lieben, die dich auch erblicken werden und wissen, wie gern ich dich anschaue.

– – Jetzt klapperten die Hufe unserer Maulthiere auf einem recht schlechten Pflaster, und die Achsen und Räder knarrten und dröhnten. Das Dorf aber war von einer unausstehlichen Länge, und wir brauchten fast eine halbe Stunde, ehe wir die Venta »zum halben Mond« erreichten, die ganz am andern Ende des Orts lag. Einen Gasthof besaß natürlich Santa Cruz nicht, und die Eigenthümer einer gewöhnlichen Venta waren hier an der großen Straße durchaus nicht darauf eingerichtet, Reisende unserer Art zu empfangen. Der Weg durch die Mancha oder die Straße von Toledo nach Val de Penas wird wenigstens zur Sommerzeit hie und da von Reisenden besucht, woher es denn kommt, daß man in der einfachsten Posada oder in einer ganz gewöhnlichen Venta wenigstens ein Stück Speck findet, wie auch Zwiebel, Wein und Brod. Hier aber an der großen Straße, wo Diligencen in diesen kleineren Orten nie längere Zeit anhalten, die Posaden also nur von Maulthiertreibern und Kärrnern besucht werden, ist es nicht Gebrauch, ein Mittag- oder Abendessen zu verlangen. Der Einkehrende erhält hier nur einen Platz für sich und seine Thiere zum Ausruhen und Schlafen, Wasser aus dem Brunnen und eine Stelle am Feuer, das die Padrona beherrscht, welche denn auch, wenn sie gut gelaunt ist, die Zubereitung dessen, was der Fremde mitbringt, höchstselbst und gnädigst überwacht.

Diese Einkehrhäuser an der großen Straße unterscheiden sich nicht viel von den türkischen Karawansereien oder den syrischen Chan's, gewöhnlich aber sind es weitläufige Gebäude, um hinlänglichen Platz zu bieten für die große Anzahl der Zug- und Lastthiere, die von beiden Seiten des Wegs zusammenströmen. Ein mächtiges Thor verschließt den Eingang, das erst nach tüchtigem Anklopfen geöffnet wird. Wir waren heute Abend dieser Mühe überhoben, denn wenige Minuten vor uns war ein Zug Maulthiere angekommen, weßhalb der Eingang weit offen stand. Die Thiere schritten mit lang vorgestrecktem Halse, vorsichtig und in guter Ordnung eins hinter dem andern, zum Hause hinein und nach dem Hofraume, wo sie sich, einer langjährigen Gewohnheit folgend, so aufstellten, daß sie von den Treibern bequem abgeladen werden konnten. Wir mußten eine Zeitlang warten, bis der lange Zug eingekehrt war. Das Innere der Venta erschien uns von hier als eine weite Scheune, deren Balken und Sparren röthlich angestrahlt waren von den Flammen eines großen Feuers, das wohl rechts in einer Ecke brannte. Nach den Maulthieren triumphirte Don Alonso auf seinem Karren ein und wir folgten ihm zu Fuße, vom langen Ritt und der Abendpromenade herzlich ermüdet.

Ehe sich der Leser mit uns an dem lodernden Feuer niederläßt, wird es für ihn nicht uninteressant sein, die Beschreibung einer dieser Venta's an der Hauptstraße zu erhalten. Die meisten derselben verdanken ihre Entstehung milden Stiftungen und Erbschaften zu diesem Zwecke gemacht, oder wurden von irgend einem großen Herrn erbaut, dessen Wappen in Stein gehauen dann auch meistens über dem Thore zu sehen ist. Hinter diesem Thor beginnt ein großer Raum, eine einzige gewaltige Halle, deren Decke vom Dache mit seinem Sparrenwerk gebildet und von zwei bis drei Reihen starker steinerner Pfeiler getragen wird. In diesem Raum herrscht Tag und Nacht ein beständiges Halbdunkel, welches ebenso wenig das große Herdfeuer oder einige Öllampen zu vertreiben vermögen, als das Tageslicht, das nur durch ein paar unbedeutende Lücken oder sonstige kleine Öffnungen einzudringen vermag. Das Auge muß sich zuerst an die Dunkelheit gewöhnen, die hier herrscht, ehe es die Gegenstände rings umher erkennen kann. Vermag man den ganzen Raum zu übersehen, so bemerkt man wohl, daß hier über hundert Maulthiere mit ihren Führern, Karren und Ballen Platz haben. Links vom Thor stehen die beladenen Fuhrmannskarren, so eng als möglich zusammengeschoben, und dahinter an den Wänden sind die Maulthiere angebunden, die zuweilen stampfen, schnauben und sich schütteln, wobei man ihre Halfterketten rasseln hört. Rings um die Pfeiler, welche das Dach tragen, sieht man Ballen und Fässer, Kisten und Kasten, und es dienen diese wieder zum Lager einiger schläfrigen Arriero's, welche schon ausgestreckt dort liegen.

Doch lassen wir alle die ebengenannten Gegenstände in ihrem Halbdunkel und wenden uns rechts vom Eingange, wo am andern Ende der Halle auf dem gepflasterten Boden ein gastliches Feuer hoch emporlodert. Um eine künstliche Ableitung des Rauches bekümmern sich die spanischen Bauleute nicht, er sucht seinen Weg theils durch die Dachluken, theils zieht er hoch oben als leichtes Gewölk durch die ganze Halle. Neben dem Herde befindet sich gewöhnlich eine Art von Verschlag, wo der Ventero oder die Padrona das Bischen Küchengeschirr, auch Flaschen und Gläser aufgestellt haben, welche sie zu ihrer Wirthschaft brauchen, daran schließt sich öfters ein starkes hölzernes Gestell mit mehreren oft mannshohen und verhältnißmäßig breiten Krügen von rothem Thon, wie in dem Landhause bei Valencia, welche den Wasserbedarf für das Vieh enthalten; darüber befinden sich auf einem Brette kleine zierliche Gefäße für den Gebrauch der Reisenden selbst. In nächster Nähe des Herdes sieht man eine Art Divan, natürlicher Weise roh von Holz gemacht, an den Wänden hinlaufen, auf welchem hie und da ein kleines Polster oder ein Stück Teppich liegt, – vielleicht für einen Gast, den man besonders ehren will. Oben zwischen dem Sparrenwerk des Daches kleben einige Kammern, die von hier aus wie Schwalbennester aussehen.

Um den Feuerplatz befand sich schon eine zahlreiche Gesellschaft, von der einige rauchten, andere plauderten, dort welche ihr Abendessen verzehrten, hier wieder andere begierig in die Pfanne schauten. Die meisten saßen auf dem erwähnten Divan, andere aber auf kleinen niederen Schemeln, welche mich sehr an den Orient erinnerten. Hinter dem Feuer befand sich die Padrona, eine schon ältliche starke Dame, aber noch sehr rüstig und mit außerordentlich lebhaftem Mundwerk begabt. Zu ihrer Seite befanden sich ein paar Mägde, welche Wasser zutrugen oder Pfeffer, Salz und dergleichen darreichten. Vor der Frau, zwischen den glühenden Kohlen, standen Pfannen und Töpfe, in welchen das Nachtessen für verschiedene Gäste schmorte. Alle diese jedoch wagten sich nicht in die Nähe der eifrigen, aber ziemlich barschen Köchin, und wenn Einer sich etwas Feuer für seine Cigarre verschaffen wollte, so wandte er sich mit einer höflichen Bitte an die Padrona, welche ihm alsdann mit der eisernen Zange, die neben ihr lag, eine glühende Kohle darreichte.

Unser Erscheinen machte so gut wie gar kein Aufsehen; die Padrona schaute kaum von ihren Töpfen in die Höhe und nickte uns schweigend zu; doch rückten die Maulthiertreiber auf dem Divan sogleich zusammen, um für uns Platz zu machen, ja ein ältlicher Mann, der aufstand, bot mir freundlich seinen Schemel an. Es ist etwas Wohlthuendes um die Freundlichkeit und Höflichkeit der Spanier; man hat bei ihnen immer das Gefühl, sich in guter Gesellschaft zu befinden. Ohne von Fragen belästigt zu werden, sieht man sich aufmerksam behandelt, wird aufgefordert, näher zum Feuer zu rücken, wenn es kalt ist, oder weiter zurück, wenn die Flammen gar zu heftig aufprasseln. Kaum zieht man seine Cigarre heraus, so bietet man Einem augenblicklich Feuer an, und wenn man einigen der Gäste, die es sich gerade schmecken lassen, einen guten Appetit wünscht, so kann man sicher sein, nach alter arabischer Sitte, eine ernstlich gemeinte Einladung zur Theilnahme zu erhalten. Letzteres habe ich fast immer hier in Spanien bemerkt, und wenn man zwischen diesen Leuten sitzt, so wird jeden Augenblick eine Schüssel oder ein Glas angeboten mit der freundlichen Bitte, sich zu bedienen.

Don Alonso hatte unterdessen seinen Karren und seine Maulthiere besorgt und als er darauf mit einem »ave Maria purissima! gesegne euch Gott das Nachtessen, Cavalleros!« an's Feuer trat, bemerkten wir wohl, daß wir alsbald der Gegenstand der Unterhaltung wurden, hätten wir aber auch das Spanische besser verstanden, so wäre es uns doch nicht möglich gewesen, diese Unterredung zu verstehen, denn sie wurde nur durch einzelne Worte, Blicke und Pantomimen geführt. Nur etwas davon begriffen wir zu unserem Leidwesen, daß nämlich nichts zu unserem Abendessen vorhanden war, denn auf diese Frage zuckte die Padrona bedeutsam die Achseln; doch meinte sie gleich darauf, sie wolle in's Dorf schicken, um vielleicht ein Huhn und etwas Reis für uns zu kaufen. Da wir aber in Val de Penas gut und ziemlich spät dinirt, auch sehr ermüdet waren, so baten wir um etwas Chokolade und um Anweisung eines Zimmers zum Schlafen. Letzteres schien einige Schwierigkeit zu machen, doch nahm sich Don Alonso kräftigst unserer an, worauf denn eine der Mägde fortgeschickt wurde, um unsere Lagerstätten in Ordnung zu bringen. Auch die Chokolade erschien bald darauf, recht gut, aber leider wieder sehr dünn.

Was unser Fortkommen für den nächsten Tag anbelangte, so hatten wir durchaus keine Lust, uns darum zu bekümmern, denn morgen in der Früh mußten ja die Freunde kommen, mit ihnen Herr St., der das Land genau kannte und die besten Arrangements treffen würde. Wir nahmen deßhalb von Don Alonso Abschied und ließen uns nach der Schlafkammer geleiten; eins der Schwalbennester, von denen ich vorhin gesprochen. Die Einrichtung hier war über alle Beschreibung ländlich: auf einem hölzernen, sehr kurzen Schragen lag eine fingerdicke Wollenmatratze, ein Kopfkissen von Seegras und zum Zudecken mußten wir uns der eigenen Manta bedienen. Doch ermüdet, wie wir waren, hatten wir uns kaum ausgestreckt, als auch schon ein süßer, erquickender Schlaf über uns kam. Selbst im Traume beschäftigte ich mich übrigens mit der Ankunft der Freunde, und da ich das Glück habe, fast immer zu einer Zeit, die ich mir bestimme, erwachen zu können, so war ich auch hier gegen vier Uhr Morgens schon vollkommen munter und lauschte auf die Ankunft des Eilwagens. Horschelt schlief noch, wurde aber auch bald darauf erweckt durch das Klingeln, Rasseln, Klirren und Klappern, mit welchem nach Verlauf einer Viertelstunde die Madrider Postkutsche ankam. Auch sprang mein Freund sogleich von dem Lager auf, eilte an's Fenster und rief lustig, sie wären da, er habe den Baumeister beim Schein der Wagenlaternen so eben in's Haus eilen sehen. Gleich nachher polterte es auch die Treppen herauf, die Thüre wurde hastig geöffnet und die Erwarteten erschienen. Daß wir uns freudig begrüßten, kann man sich leicht denken, hatten wir doch des Umherirrens ohne Kenntniß der Sprache und des Landes genug bekommen und freuten uns, die prächtige Tour über die Sierra Morena in Gesellschaft von Freunden machen zu können, die mit Allem genau bekannt und die besten Erklärungen zu geben im Stande wären. Doch wie ward uns, als nun Baumeister Leins hastig erklärte, sie könnten leider die besprochene Tour nicht mit uns machen; die beiden andern Herren, deren Reiseziel Sevilla war, hatten gehofft, übermorgen ihren Weg von Baylen mit dem Wagen weiter fortsetzen zu können, aber in Madrid erfahren, daß auf allen Diligencen für die nächsten acht Tage sämmtliche Plätze bereits genommen seien, sie also in Baylen liegen bleiben müßten, wenn sie nicht mit dem heutigen Wagen ihre Reise fortsetzten. Auch der treulose Leins hatte darauf hin seinen Platz bis Baylen gekauft, was wir ihm im Grunde nicht übel nehmen konnten, denn wie wir jetzt erfuhren, hatten weder er noch die andern geglaubt, uns in Val de Penas so bald und heil und gesund anzutreffen.

Das alles verstimmte mich so, daß ich mich ziemlich erbost in meinem Bette herumwarf und den Drei eine glückliche Reise, aber auch sonst noch allerlei wünschte, was ich hier nicht wiederholen mag. Was sie uns unter bewandten Umständen Gutes thun konnten, das geschah in höchster Eile; Horschelt ließ unsere sehr zusammengeschwundene Reisekasse auffrischen und nahm von Herrn St. ein Paket guter Cigarren, welche dieser für uns zurückließ. Drunten fluchte unterdessen der Mayoral im Verein mit Zagal und Delantero; die Maulthiere schüttelten sich und stampften mit den Füßen, und das Schicksal, roh und kalt, ließ uns allein in Santa Cruz zurück, frierend auf ärmlichem Lager, während unsere Bekannten wenige Augenblicke nachher im vollen Galopp von zwölf Maulthieren dem Gebirge entgegen fuhren. Horschelt, der noch an's Fenster sprang, sah ihnen kopfschüttelnd nach, dann kroch er auch wieder unter seine Manta, worauf wir uns bis zum heranbrechenden Morgen allerlei tröstlichen Gesprächen hingaben.

Glücklicherweise hatten wir Beide vortrefflich geschlafen, auch war die Sonne so freundlich, sich sehen zu lassen und uns einen Strahl ihres lieben Lichtes zu spenden. Waren wir doch glücklich bis hieher gekommen und hofften auch, die Sierra Morena ebenso zu überschreiten. Wir kleideten uns an, gingen in die allgemeine Halle hinab, wo uns das prasselnde Feuer recht wohl that, nahmen unsere Chokolade und hielten mit Don Alonso einen Kriegsrath über unsere Weiterreise. Nach seiner Aussage waren die guten Pferde, von denen uns Herr St. gesprochen, in Santa Cruz gar nicht vorhanden. – In Gottes Namen, wenn wir auch weniger gute bekommen. Auch diese fehlen, wie uns der Ventero versicherte. »Aber ein vortreffliches Maulthier?« fragten wir. – Abermaliges Kopfschütteln. »Nun denn ein Maulthier wie es gerade ist.« Auch ein solches war nicht zu bekommen, und nach langem Hin- und Herreden sahen wir denn zu unserer unangenehmen Überraschung ein, daß es nur zwei Arten des Fortkommens für uns gäbe: per pedes apostolorum oder zu Esel, – zu sehr kleinem Esel, zu Esel, wie sie bei uns die Säcke aus der Mühle tragen. Wir sahen uns einen Augenblick an, hatten aber, Gott sei Dank, Humor genug, laut hinauszulachen. Wir wollten nach Santa Elena, auf die Höhe des Gebirges, und glücklicher Weise fand sich eine Familie von dort, die mit vier leeren Eseln zurückging. Um einen recht mäßigen Preis mietheten wir dieselben, zwei wurden für unser Gepäck bestimmt, die andern zur Ehre, uns zu tragen.

Wir zahlten unsere Zeche und nahmen Abschied von Don Alonso, der uns noch die gute Lehre: man muß in der Welt immer zufrieden sein, mit auf den Weg gab und durch ein vortreffliches Beispiel vor Augen führte. Als wir nämlich aufsitzen wollten, kam ein Reiter auf gutem Maulthier bei der Venta vorüber. »Wenn wir nur solche Thiere bekommen könnten!« sagte ich seufzend, hatte aber kaum ausgesprochen, als das Maulthier über einen Stein stolperte, auf die Knie fiel und seinen Reiter unsanft von sich abwarf.

Unsere Esel hatten weder Zaum noch Halfterstrick, weder Steigbügel noch Sattel. Die Stelle des letzteren vertrat ein breites hölzernes Gestell mit aufgeschnalltem Strohkissen, das aber zu breit war, um sich rittlings darauf setzen zu können, wir mußten es deßhalb so besteigen, daß wir beide Füße nach einer Seite herunterhängen ließen und nun streben, das Gleichgewicht so gut wie möglich zu behalten. Als alles aufgepackt war und wir ebenfalls, stachelte unser Führer die Esel nach der Reihe mit einem spitzigen Stocke an einen unnennbaren Theil ihrer Körper, und fort liefen die kleinen Thiere, so flink und behende, dabei aber mit so komischem Kopfnicken, daß ich, der noch obendrein den Maler mit seinen langen Beinen, die fast den Boden berührten, vor mir hatte, in ein lautes Gelächter ausbrechen mußte.

Wenn man bei dieser Art zu reiten einmal die Befürchtung überwunden hat, daß man rückwärts vom Esel fallen könne und sich auf dem Sitz etwas heimisch fühlt, so findet man die Bewegung der Thiere gar nicht unangenehm; man spürt kaum ihren sanften Trab und kommt dabei mit einer fast unbegreiflichen Schnelligkeit von der Stelle. Die Thiere machen kleine gleichförmige Schritte, aber unermüdlich, unaufhörlich. Betrachtet man einen Gegenstand an der Straße, so glaubt man natürlicherweise, man komme nicht vom Flecke, ist aber doch, ehe man sichs versieht, auf der Höhe der Straße angelangt, wo es denn abwärts mit noch etwas vermehrter Geschwindigkeit geht. Ich dachte bei diesem Ritt an Ägypten, an Kairo, wo wir auch viele Touren auf gleiche Art machten, wo die kleinen Esel gleichfalls vortrefflich sind, doch nicht besser als die spanischen.

So ging es denn die lang ersehnte Sierra Morena hinauf, diese Scheidelinie, welche die öde und flache Mancha von dem herrlichen Andalusien trennt. Wie ich schon früher bemerkte, ist der Gebirgszug auf dieser nördlichen Seite nicht hoch; der höchste Paß, der von Despena-Perros, Hundeabgrund, steigt durch steile und wilde Schluchten, nicht über 400 Fuß, wogegen sich das Gebirge auf dem südlichen Abhang nach Andalusien um eben so viele tausend Fuß, aber sanft nach und nach abdacht. Die ganze Breite der Bergkette mag fünf bis sechs Stunden betragen, und die Länge von Osten nach Westen vielleicht siebenundzwanzig Stunden. Bis zur glücklichen Regierung Karl III. war die Sierra Morena eine wilde Wüste mit felsigen dürren Höhen und morastigen Thälern, wo sich kaum das Maulthier »im Nebel seinen Pfad suchte;« in den Schluchten und Abgründen hauste »der Drachen wilde Brut« und im Passe von Despena-Perros war die Räuberei in schönster Blüthe und brandschatzte die Karavanen. Der damalige Intendant von Sevilla, Don Pablo Olavides, mochte wohl einsehen, daß es mit spanischen Händen schwer gehen würde, durch diese felsige Scheidewand, welche den glücklichen Süden vom Norden trennt, eine gute Straße zu brechen, weßhalb er auf den klugen Einfall kam, am südlichen Abhange des Gebirges Colonien zu errichten, deren Bevölkerung man große Vortheile einräumte und dafür die Verpflichtung auferlegte, sich nach dem Innern des Königreichs einen guten Weg zu bahnen. Namentlich waren es Tausende von Deutschen, und unter diesen viele Schwaben, welche dem Rufe Don Pablos folgten und sich hier ansiedelten. Dabei hielt der Intendant von Sevilla, was er den Fremdlingen versprochen und sorgte aufs Umfassendste für sie. So waren namentlich die deutschen Ansiedlungen wahrhaft verschwenderisch ausgestattet. Nicht nur fand jeder Colonist bei seiner Ankunft sein Haus fertig, seinen Boden und seinen Keller auf ein Jahr lang gefüllt, eine Kuh und ein paar Maulthiere in seinem Stalle, sondern die Colonisten erhielten zugleich außer andern Vorrechten die Zusicherung der Befreiung vom Kriegsdienst, von Zehnten und Steuern auf ewige Zeiten. Leider dauerten diese »ewigen Zeiten« nicht gar zu lange, und nur bis zum Sturz des vortrefflichen Intendanten, nach welchem ihnen die Zehnten aufgenöthigt wurden. Die Inquisition unterbrach die großen Bemühungen Olavides, den sein König schon früher anderer Verdienste wegen zum Grafen von Pilo erhoben hatte; er ward, als der Toleranz eifrigster Beförderer, der Ketzerei beschuldigt und 1778 zu achtjähriger Gefangenschaft und Bußübung in ein Kloster eingesperrt, woraus er jedoch nach Venedig zu entfliehen Gelegenheit fand, später aber nach Spanien zurückkehrte, wo er 1803 in einem Alter von 63 Jahren starb. Unter andern weisen Bestimmungen, die Olavides für die neuen Colonien einführte, befand sich auch die, daß kein Gut zerstückelt oder vom Nachbar erworben werden durfte, sondern im Fall einer Veräußerung oder Verpfändung an einen neuen Pflanzer übertragen werden mußte. Obgleich später bei der Resolution auch noch mehrere der übrigen Privilegien verloren gingen, so bildeten sie doch heute noch die lachendsten und fruchtbarsten Gefilde Spaniens und mildern auf das angenehmste den grellen Contrast zwischen den segenvollen Fluren Andalusiens und der steinigen Mancha. Wohin das Auge sich wendet, gewahrt es hier bald einzelne Höfe, bald niedliche und reine Dörfchen zwischen wallenden Saaten und herrlichen Obstpflanzungen jeder Art. Zur ferneren Ausschmückung trägt auch die üppige Natur das ihrige bei, indem ein jeder Garten mit großen Aloen und Cactuszäunen umgeben ist, die, wenn auch die meisten Bäume und Sträucher kahl und nackt erscheinen, doch ihr frisches Grün nicht verlieren. Die Hauptstadt dieser Ansiedlungen ist la Carolina, meistens von Deutschen bewohnt, welche sich denn auch bald an die Arbeit machten, und nach schwerem, ausdauerndem Schaffen den berühmten Paß durch die Felsen und Schluchten von Despena-Perros zu Stande brachten, – eine Chaussee, die sich in ihrer prächtigen Anlage, in ihrer breiten und sanften Steigung mit jeder Kunststraße von Deutschland und der Schweiz messen kann.

Wenn wir auch auf unserem heutigen Ritte versucht waren, den spanischen Straßen alle Unbill, alle bösen Benennungen abzubitten, die wir ihnen insgesammt beigelegt, so muß es den Reisenden doch zu gleicher Zeit traurig berühren, wenn er bedenkt, was dieses ganze herrliche Land unter einer kräftigen Regierung durch Herbeiziehung und Unterstützung fremder Arbeitskräfte sein könnte, und welche glückselige Zukunft sich dadurch Tausenden unserer armen Landsleute eröffnen würde, die jetzt über das Weltmeer ziehen, um bei den kalten und herzlosen Yankees zu verkümmern.

Unsere kleinen Esel trabten so Stunde um Stunde lustig über die breite Straße dahin, die sanft aufstieg, zuweilen aber auch wieder kurze Strecken abwärts führte. In einem kleinen Dörfchen hielten wir unsere Mittagsrast, ritten dann eine Zeit lang in der Hochebene fort, worauf sich der Weg zu einem Male hinabsenkte, hinter welchem sich die schwärzlichen Massen des Gebirges ziemlich steil erhoben, das dort bei Concepcion de Almuradiel seinen höchsten Punkt erreicht. Unser Führer oder eigentlich Treiber verließ hier die breite Straße und trieb seine Thiere, um den Weg abzukürzen, einen ziemlich steilen Felsenpfad hinab, was für uns Reiter nichts weniger als angenehm war. Von einem Wege war hier eigentlich nicht die Rede: bald ging es durch das Bett eines kleinen Baches, über Rollkiesel, bald über breite Felsenplatten, die so glatt waren, daß ich jeden Augenblick erwartete mit meinem armen Esel in die Tiefe zu rollen. Dabei wollte uns der spanische Tyrann nicht einmal absteigen lassen, stachelte vielmehr die Thiere immerfort, schnalzte dazu mit der Zunge und sprang in großen Sätzen nebenher. Daß wir ohne Unfall hinabkamen, betrachtete ich als ein Wunder; denn rückwärts blickend sah ich die Wand, welche wir herabgekommen waren, in erschreckender Steilheit aufsteigen.

Unten bogen wir wieder in die breite Chaussee ein und betraten zu gleicher Zeit den Anfang des Passes von Despena-Perros, – eine wilde Schlucht von steilen, viele hundert Fuß hohen Felsen gebildet, an deren einer Seite die Straße in malerischen Wendungen hinführt. Sie ist auch hier vortrefflich unterhalten, für die Durchlassung der Wasser, die von den Felsen herabrieseln, ist aufs beste gesorgt, und an manchen Orten ist sie auf kühnen Bogen über die tiefen Schluchten weg geführt, welche die großen Gebirgswasser zur Zeit des Winters in die Felsen gerissen haben. Auf der linken Seite trennt uns vom Abgrunde eine hohe steinerne Brustwehr. Zur rechten Seite der Straße erheben sich die zerklüfteten Steinwände eines Glimmerschiefers in senkrechten Schichten, dessen rothe Farbe auffallend gegen das dunkle Grün der Stacheleichen und Pinien absticht, welche auf einzelnen Terrassen, namentlich aber in den Schluchten des Gebirges wachsen. Wo sich diese, besonders auf der westlichen Seite des Passes hin und wider erweitern, unterbrechen einzelne große grüne Rasenplätze, jetzt von Pflanzungen zierlicher Eriken umsäumt, im Frühjahr aber beschattet von blühenden Mandelbäumen, den düstern Charakter der Gegend. Hier weiden Viehheerden, und der mächtige Toro der Sierra Morena, der gewaltige Kämpfer auf dem Stierplatze, wetzt sein Horn an den Stämmen der Eichen, scharrt die Erde und schaut brüllend nach dem vorüberziehenden Reisenden empor.

Hin und wider gewährten uns die Wendungen der Straße noch einen Rückblick auf die rothe, kahle Ebene der Mancha bis nach dem fernen Castell des alten Consuegra und den Hügeln von Val de Penas. Ich erinnere mich nicht, je Abbildungen dieses Passes gesehen zu haben, und doch wäre das eine der dankbarsten Aufgaben, die sich ein Maler stellen könnte; namentlich eine Strecke weiter oben sahen wir einen Punkt, wo die Chaussee unter überhängenden Felsen dahinzieht, hoch auf der steilen Wand des Abgrundes. In der Höhe scheint die Straße plötzlich aufzuhören, und dort erhebt sich zur linken Seite derselben, aus der nebenliegenden Schlucht aufsteigend, ein gewaltiger Felszacken, der mit einem kleinen Wachthaus der Guardias Civiles gekrönt ist und den Mittelpunkt der wilden Landschaft einnimmt. Den Hintergrund bilden die steilen Felswände mit den Zickzacklinien der Straße, die hoch auf die Höhe führen, bis wo die ersten Häuser des Dörfchens Santa Elena freundlich herabschauen. Hier ist die Gränze zwischen der Mancha und Andalusien; sie ist durch einen uralten Stein bezeichnet, worauf auf der castilischen Seite die Worte virgen del sagrario de Toledo, und auf der andalusischen die Santa faz de Jaen eingehauen sind. Diese bezeichnet das Schweißtuch der h. Veronica, was man in Jaen zeigt, jene das in der Kathedrale von Toledo so hoch verehrte Muttergottesbild.

Obgleich es heute Morgen empfindlich kalt gewesen war, so hatten wir doch jetzt um die Mittagszeit so heißen Sonnenschein, daß wir uns gegen die brennenden Strahlen schützen mußten und zu diesem Zwecke unsere Taschentücher nach Art der Beduinen unter dem Hut um den Kopf legten. Da es in dem erwähnten Paß auch längere Zeit aufwärts ging, so rutschten wir von unsern Eseln hinab und schritten zu Fuße, uns an dem wahrhaft prachtvollen Anblick der wilden Schlucht erfreuend. Außer uns und unsern Treibern war weit und breit keine menschliche Seele, und tiefe Stille lag über diesen Felsengründen. Die Sierra Morena hat vor andern Gebirgen Spaniens den Vorzug, daß ihre Thäler und Schluchten dicht bewachsen sind, und zwar meistens mit Gebüschen von dunkelgrünem, glänzendem Laube, als: Stechpalmen, Pinien, Rosmarin, welche ihr selbst in der Nähe ein schwärzliches Aussehen geben und woher auch wohl ihr Name kommt, denn Sierra Morena heißt: das schwarze Gebirge. Aber auch andere Bäume und Gesträuche wachsen hier in großer Anzahl; überall sieht man Steineichen, Eriken mit schönen Blüthen, Erdbeerbäume und Farrenkräuter, und wie wir so dahinwandelten im heißen Sonnenscheine, umgeben vom Grün durch alle Schattirungen, so war es uns, als sei der Winter vergangen und als befänden wir uns auf einmal mitten im Sommer. Doch gingen wir ja auch der schönen Jahreszeit und dem herrlichen Süden entgegen, und unser Begleiter, der neben uns her schritt und bemerkte, daß uns bei dem Bergsteigen recht heiß wurde, sagte, hier sei es kalt, aber sobald wir erst auf der andern Seite des Gebirgs angekommen sein würden, sollten wir erst fühlen, was eine andalusische Sonne sei.

Schon während des ganzen Morgens hatte sich in Horschelt starke Jagdlust geregt beim Anblick großer Raubvögel, die von den Felsen her über den Weg und wieder zurückstrichen, und ich hatte ihn kaum davon abgehalten, sein Pulver unnütz zu verschießen; hier aber, als wir gegen die Höhe des Passes kamen, und ein stolzes Adlerpaar nicht hundert Fuß über uns langsam und majestätisch um die Felszacken schweben sahen, ließ er sich nicht länger halten, machte sich fertig und schoß eine Kugel in die Höhe; leider hatte er aber nicht, wie der Jäger Caspar im gleichen Falle eine trächtige Blindschleiche geladen, die Steinadler unterbrachen nicht ihren stolzen Flug, noch viel weniger kam einer auf den Boden herab, wogegen dem Schützen ein ironisches Lächeln von Seiten unseres Begleiters nicht erspart wurde, in welches auch die umliegenden Felsen einzustimmen schienen. Horschelt schoß noch einigemal mit gleichem Erfolg; er traf nicht, da das Gewehr nach meiner Ansicht zu schlecht construirt und die Entfernung zu groß war. Doch ließen sich die Adler nicht einmal verscheuchen, ja, wahrscheinlich von den Schüssen aufgeschreckt, erschienen noch andere in der Ferne, strichen langsam über die Schlucht und verloren sich ohne Übereilung wieder zwischen den Felskronen.

Wir hatten jetzt das Wachthaus erreicht, von dem ich vorhin sprach, und waren im Begriff unsere Esel wieder zu besteigen, als wir hinter uns in der Schlucht das Klingeln und Rasseln vernahmen, mit dem sich eine spanische Diligence schon von weitem anzeigt; – vielleicht eine prächtige Gelegenheit für uns, den noch übrigen Theil der Sierra Morena schneller zu überschreiten und Baylen zu erreichen, wo Baumeister Leins uns erwartete. Unser Führer kletterte auf die Straßenbrüstung und berichtete, es sei der Correo, der hinter uns drein komme. Der spanische Correo oder Courier ist gleichbedeutend mit der französischen Malle, befördert wie diese Briefe und kleine Pakete, und hat nur Platz für zwei Passagiere. Ihn unbesetzt zu finden, konnten wir nicht hoffen, weßhalb wir ihn auch ziemlich gleichgültig näher und näher herankommen hörten. Endlich erreichte er uns und zum Überfluß fragte Horschelt den Conducteur, ob er seine beiden Plätze nach Baylen frei habe. »Nur einen,« war die Antwort, worauf wir die Achsel zuckten, der Mayoral freundlich grüßte und der Wagen von sechs flinken Maulthieren auf der nun stark abwärts fallenden Straße bald unsern Blicken entschwand.

Genügsamkeit ist eine schöne Tugend und an ihrer Hand bestiegen wir unsere kleinen Esel wieder, nachdem wir uns eine außerordentlich gute Cigarre angezündet und sie mit Hochgenuß rauchten. »Qui va piano, va sano,« sagt der Italiener. Und das Sprüchwort bewährte sich freilich an uns, aber auch eben so sano an dem vorauseilenden Correo, der durchaus nicht piano fuhr, denn nachdem wir erst die Schlucht vor uns hinabgestiegen waren, sahen wir ihn schon hoch über uns nach Santa Elena hineinrollen. Wir hatten da hinauf noch ein tüchtiges Stück Weges, das wir abwechselnd reitend und zu Fuß gehend zurücklegten. Gegen vier Uhr kamen wir droben an, und unser Führer brachte uns in eine von der Straße abgelegene, ziemlich große Venta, wo wir die einzigen Gäste waren, anfänglich sogar die einzigen menschlichen Bewohner überhaupt, denn nur ein großer Hofhund empfing uns bellend, dann erschienen einige Kinder, die ein paar Mägde herbeiriefen, und erst nach einer Viertelstunde kam der Ventero und die Padrona, welche auf dem Felde beschäftigt gewesen waren.

Die scharfe Gebirgsluft, verbunden mit der großen Sonnenhitze, hatte mein Gesicht dergestalt verbrannt, daß sich überall Blasen zeigten, welche mich tüchtig schmerzten. Das beste Linderungsmittel dafür sind geschabte rohe Kartoffel, weßhalb ich in die Küche ging, um mir ein solches Mittel anzufertigen. Die Töchter des Hauses, sowie sämmtliche Mägde sahen meinem Beginnen mit großem Erstaunen zu, bis ihnen die Wirthin erklärte, es sei eigenthümlich, daß die meisten Engländer rothe Haare und eine feine weiße Haut hätten. »Das habe sie schon oft erlebt,« setzte sie hinzu. »Ja, eine feine weiße Haut,« wiederholte eins der Mädchen, »aber ein schwarzes Herz.« Ob sie in dem Punkte gleichfalls etwas erlebt hatte, kann ich nicht angeben, vermuthe es aber, da sich hier bei Santa Elena häufig Engländer aufhalten, um den Gehalt der umliegenden Minen zu untersuchen.

Unser Diner war ländlich und bescheiden; nach demselben zeichnete Horschelt einen hübschen Ochsenwagen und ich ging zurück an den Eingang des Dorfes, wo sich das Posthaus befand, der Ritt zu Esel hatte uns nämlich so wenig befriedigt, daß wir beschlossen, die Madrider Diligence nach Granada, welche heute Abend gegen acht Uhr durchkommen sollte, von hier bis Baylen zu benutzen, vorausgesetzt, daß wir zwei Plätze fänden. Der Postbeamte empfing mich recht freundlich, und meinte gutmüthig, die Wagen seien in letzter Zeit nicht vollständig besetzt, wir möchten nur etwas vor acht Uhr kommen, er wolle schon für uns sorgen.

Wir verfehlten denn auch nicht, uns schon um sieben Uhr einzustellen. Drunten in der Venta war es ziemlich langweilig und in dem Dorfe hofften wir irgend jemand zu treffen, mit dem wir uns unterhalten könnten. Und so war es denn auch; der Postbeamte hatte ein paar seiner Freunde für uns geladen, von denen Einer etwas Französisch sprach. Die Unterhaltung drehte sich anfänglich um ganz gewöhnliche Dinge: das Wetter, die Straßen, die Eilwagen, kam aber bald auf das Lieblingsthema der Spanier, Minen und Erze. Jede Dorfschaft, in deren Nähe sich eine alte Galmeigrube findet, träumt von großartigen Bergwerksschätzen, und die vielen Fremden, namentlich Engländer, welche im gegenwärtigen Augenblicke das Land bereisen, um die Schachte der Berge und die Geldbeutel der Actionäre zu untersuchen, haben das Volk ganz schwindlig gemacht. Auch uns hielten sie für reisende Geognosten, was ich aber feierlich von mir ablehnte, wogegen Horschelt die Unvorsichtigkeit hatte, einen schlechten Witz zu machen und den guten Spaniern zu sagen, ich sei ein deutscher Bergmeister. Da ich die Ehre habe, einer Künstlergesellschaft »das Bergwerk« unter dem Namen Bergmeister zu präsidiren, so sprach er allerdings keine Unwahrheit; doch protestirte ich vergeblich gegen diesen Titel im andern Sinne: man schleppte augenblicklich ein paar große Körbe voll Erz herbei, und da saß ich nun und sollte mein Urtheil abgeben. Glücklicher Weise verstand nur einer meiner Zuhörer Französisch und auch dieser nicht genug, um meinem ungelehrten Vortrag folgen zu können; auch mochte er sich keine Blöße geben, that, als verstehe er mich vollkommen und übersetzte demgemäß den Andern meine Reden aufs Allerbefriedigendste. Dabei war ich ehrlich genug, ihnen Aussicht auf viel Blei und wenig Silber zu geben. Recht froh war ich indessen, als der heranrasselnde Eilwagen mein Examen unterbrach; doch hatte der Titel »Bergmeister« so viel genützt, daß ein junger Spanier, der vorn in der Berline saß, auf die Imperiale befördert wurde, vielleicht wider alles Recht, denn er sträubte sich anfangs, wogegen ich von dem Postmeister auf die höflichste Art ersucht wurde, dessen Platz einzunehmen. Horschelt bekam einen Eckplatz im Innern, und so rollten wir wohlgemuth in die Nacht hinaus, abwärts dem schönen Andalusien zu.

Gegen zehn Uhr kamen wir nach la Carolina, dem Hauptort der Colonien, von denen ich oben gesprochen. Leider war es zu dunkel, um eine Ansicht dieses Ortes, der fast ganz von Deutschen gegründet wurde, zu gewinnen. Daß er aber durchaus keinen spanischen Charakter hat, bemerkte ich schon beim Hereinfahren, denn die breite Straße war vortrefflich unterhalten. Hauptsächlich waren es Schwaben, die la Carolina bevölkerten; doch ist im Laufe der Zeit die deutsche Sprache gänzlich verloren gegangen. Rochau erzählt, als er la Carolina im Jahre 1845 besuchte, – er kam am Tage durch die Stadt und hatte Zeit, sich umzuschauen, – habe er lange vergeblich nach irgend jemand geforscht, der noch deutsch spräche. »Endlich,« so erzählt er, »fand ich eine achtzigjährige Frau, altersschwach und sehr schwerhörig, die mich, als ich mich ihr als Landsmann vorstellte, mit wahrer Herzlichkeit bei der Hand nahm und neben sich auf einen Stuhl niederzog. Die gute Alte redete ihre Muttersprache in der That ganz deutlich, aber sie mußte oft lange nach dem Ausdruck suchen. »Es ist so lange her,« sagte sie zu mir, »daß ich nichts anders mehr sprechen höre als spanisch. Sie sehen, ich bin sehr alt, ich bin mehr als sechszig, ich bin mehr als siebzig – warten Sie, ich bin jetzt vier Thaler alt.« Ich errieth, was sie sagen wollte. Das Wort achtzig war ihr entfallen und sie fand zu seiner Bezeichnung nichts näher liegendes als den Gedanken, so viel Jahre als vier Thaler Realen haben, den sie nicht in die gehörige Form zu bringen wußte. Ihr Mann, der bald darauf eintrat, um zehn Jahre jünger, sprach ebenso gut, und er verstand mich besser als seine Frau, welche über die Reinheit meines Dialektes die unverholensten Zweifel laut werden ließ. Die beiden alten Leute waren gleichfalls in der Colonie geboren, und sie wußten mir den früheren Wohnort ihrer Eltern nicht anzugeben. Auf meine Äußerung, daß dieselben vermuthlich vom Rhein gekommen seien, mußte ich erfahren, daß ihre Kinder den Rhein selbst nicht einmal dem Namen nach kannten.«

Der Gasthof, wo die Diligence anhielt, war indessen so reinlich und deutsch heimlich, dabei hatten die Aufwärterinnen oder Töchter des Hauses so unverkennbare Zeichen ihrer Abstammung, nicht nur blonde Haare und blaue Augen, sondern auch der Ausdruck ihres Gesichts, die Bildung ihres Kopfes, ihre ganze Gestalt und Haltung erinnerte uns so sehr an die Heimath, daß wir ihnen unwillkürlich die Hand entgegenstreckten und auf gut schwäbische Art: grüß Gott! zuriefen. Doch erging es uns nicht einmal wie dem ebengenannten Reisenden vor uns: im ganzen Hause wußte niemand mehr ein Wort von der Muttersprache der Großeltern. Der Wirth erinnerte sich als kleiner Knabe die für ihn fremde Sprache öfter gehört zu haben. Das war aber auch Alles. Längere Zeit nach dem Entstehen hatte man in la Carolina noch Manches von deutschen Sitten und Gebräuchen beibehalten; so wurde an Sonn- und Festtagen bei Geigen- und Flötenklang unter der Linde getrunken und gewalzt, während von der andern Seite des Dorfes her die Guitarren schnarrten, die Castagnetten knackten und dazu der Fandango aufgeführt wurde. Vollkommen verschmolzen haben sich die deutschen Einwanderer auch heutigen Tages mit den Spaniern noch nicht; wenn sie auch jetzt die gleiche Sprache sprechen, so sind sie doch eigen und abgesondert geblieben, und das nicht nur in Gesicht und Körperbau, sondern sogar in der Kleidung und ihrem Wesen. Erzählt doch Rochau ferner: »Als ich in la Carolina einfuhr, schauten ein paar junge, frische Mädchen neugierig aus dem Gitterfenster eines der ersten Häuser, und ich begrüßte sie auf den ersten Blick im Herzen als Landsmänninnen. Ein junger Offizier, mein Wagennachbar, der ohne Zweifel gleichfalls Rechte der Landsmannschaft gegen die hübschen Carolinerinnen zu haben glaubte, erlaubte sich, dieselben durch einen artigen Wink mit der Hand geltend zu machen. Ein spanisches Landmädchen würde den Gruß des galanten Lieutenants wie einen ganz erlaubten Scherz aufgenommen und vielleicht lachend erwidert haben, die beiden Carolinerinnen aber wandten sich beleidigt ab und klirrend flog das Fenster hinter ihnen zu. Welch ein beredter Commentar zu den Gesichtern!«

Nachdem wir über eine Stunde lang im Gasthof von la Carolina zugebracht, fuhren wir gegen zehn Uhr weiter. Die Nacht war finster, und die Wagenlaternen zeigten nur die scheinbar vorüberhuschenden Bäume zu beiden Seiten des Weges. So viel ich aber an den gelinden Stößen des Wagens und dem sanften Neigen bald nach dieser, bald nach jener Seite merken konnte, war die Straße nicht schlecht, was auch das oftmals tolle Fahren des Mayorals bestätigte. Ich komme immer wieder auf die Behauptung zurück, daß die kolossalsten Nerven dazu gehören, um mit einiger Behaglichkeit in spanischen Eilwägen, namentlich zur Nachtzeit, fahren zu können. Wenn ich mich auch zum Wagenfenster hinausbog, so konnte ich doch nur in schwachen Umrissen das vordere Paar unserer acht Maulthiere erkennen und die auf- und abhüpfende Gestalt des kleinen Delantero.

Da es beständig stark abwärts ging, so durfte es der Zagal nicht wagen, viel auf- und abzuspringen, um die Thiere mit einem Steinwurf oder einem tüchtigen Schlage anzutreiben. Doch saß er unruhig genug auf seinem Sitz, strampelte mit Händen und Füßen und schrie sein: »Hatje, hatje!« oder: »anda Gitana! anda Capitana!« oder wie die Thiere alle heißen mochten, so laut in die Nacht hinaus, daß es häufig das Knirschen der Räder auf den Steinen übertönte. Und wie knirscht und knarrt so ein spanischer Eilwagen, wenn es so im vollen Galopp abwärts geht und der Wagen schwankend dahinsaust, jetzt durch ein tiefes Loch hindurch, dann wieder über einen Stein, so begreift man nicht, wie das Räder und Wagenkasten nur eine Stunde lang auszuhalten vermögen. Bäume, Sträucher, die Wände des Hohlwegs, Brückengeländer und Wegsteine, von dem zitternden Schein der Wagenlaternen beleuchtet, scheinen eilfertig vor unserem Anblick rückwärts zu fliehen. Das einzig Beruhigende bei dieser wilden Jagd ist der Anblick des Mayorals, – eines riesenhaften, kräftigen Mannes, der in seiner braunen Jacke unbeweglich wie ein Bild von Erz draußen sitzt; seine starke Faust hält die Zügel der Stangenthiere, und man sieht kaum eine Bewegung, wenn er sie bald rechts, bald links leitet. Sein treuherziges, kluges Gesicht ist vom Scheine der Laternen beleuchtet, und erscheint so ruhig und heiter, als habe die nächtliche Fahrt durchaus nichts zu bedeuten. Zuweilen sagt er dem Zagal ein leises Wort und läßt sich auch nicht selten von diesem eine Papiercigarre drehen und in den Mund stecken; dann wickelt er ruhig seine lange Peitsche auf, pfeift dem Delantero, knallt den Maulthieren eins über und in erneuertem Jagen rasseln und klirren wir abwärts und immer abwärts, bald rechts, bald links um scharfe Bergecken, immer zu, bis vor uns im Thale Lichter aufglänzen. Wir sind in der Nähe einer spanischen Stadt, denn die Straße, bis jetzt breit und hart, verengt sich plötzlich, die Wagenräder schneiden tief in den Koth und die müden Maulthiere ziehen uns langsam durch die stillen Straßen.


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