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Winterlandschaft. Der Herzog von Rianzares. Der Leichenzug der Prinzessin. Eine Feenburg. Der Escorial. Ein blinder Führer. Philipp II. in der Schlacht. Kloster und Kirche. Aussicht von der Kuppel. Der Rost San Lorenzos. Nacht und Nebel. Der Leichencondukt. Die Übernahme der Prinzessin. Nächtliches Kirchenamt. Die königliche Gruft. Die Beisetzung. Abschied vom Escorial.
Schon längere Zeit hatten wir auf günstige Witterung gewartet, um den Escorial zu besuchen; um diesen Ausflug zu machen, wünschten wir schon ein klein wenig Sonnenschein, denn der Escorial liegt bekanntlich noch weit höher als Madrid, in eine Schlucht des mächtigen Guadarramagebirges geschmiegt, welches, wie wir uns häufig von der Terrasse des königlichen Schlosses durch den Augenschein überzeugten, selbst auf seiner, Madrid zugekehrten, Südseite von oben bis unten mit einem weißen Schneemantel bedeckt war. Endlich kam trotz Eis und Schnee eine für unsere Tour entscheidende Stunde. Am fünften Januar ward die Königin Isabella bekanntlich von einer Infantin entbunden, welche am achten desselben Monats starb und am dreizehnten im Escorial beigesetzt werden sollte. Man sagte uns, eine so günstige Gelegenheit, den Escorial in alter Pracht und Herrlichkeit aufleben zu sehen, dürften wir nicht vorübergehen lassen, weßhalb wir uns denn rasch entschlossen, nicht mehr auf Sonnenschein und warme Witterung zu warten, sondern einen Platz auf der Postkutsche zu nehmen, die alle zwei Tage Morgens früh um sechs Uhr aus der Calle de Fuentes nach dem Escorial abgeht.
So rollten wir denn am zwölften in der Morgendämmerung durch die Straßen, hatten angenehmer Weise die Berline erhalten (mit dem Coupé unserer Eilwagen gleichbedeutend), konnten also frei vor und um uns schauen und erblickten, als wir am königlichen Schloß vorbeifuhren, hier Infanterie- und Kavalleriemassen, welche auf der Plaza del Oriente und in den angränzenden Straßen aufgestellt waren und Spaliere gebildet hatten für die arme kleine Prinzessin, deren Körper, von großem Gefolge escortirt, schon eine Stunde vor uns Madrid verlassen hatte. Vor dem Thore, auf der Landstraße nach Galizien, dem Paseo de la Florida, begegneten uns reichvergoldete Staatskutschen mit sechs, acht und zehn Pferden oder Maulthieren bespannt, die schwarze Federbüsche an den Köpfen und lange Trauerflore an den Geschirren trugen, begleitet von Kavalleriepikets. Sie hatten der Infantin das Geleite bis ans Weichbild der Stadt gegeben, von wo der Leichenzug in einfacherer Pracht nach dem Escorial gehen sollte.
Es war ein frostiger, nebeliger Morgen, der Boden ziemlich hart gefroren, weßhalb die Räder des Wagens freilich nicht so tief in den Koth einschnitten, wir aber desto empfindlichere Stöße erleiden mußten. Die mächtigen Ulmen am Wege auf dem eben erwähnten Paseo, sowie die Sträucher am Ufer des Manzanares gaben uns recht das Bild eines heimathlichen Winters, der kleine Fluß hatte an seinen weißbereiften Ufern sogar Eis angesetzt, die gewaltigen Bäume sowie die Sträucher zeigten ihre schwarzen, kahlen Äste. Der Mayoral hatte Nase und Mund mit einem dicken Tuch verbunden, und der Zagal strampelte mit Händen und Füßen, um sich warm zu halten, da er mit seinem gewöhnlichen Geschäft, dem Antreiben der Maulthiere, nicht viel zuthun hatte; vor unsere Kutsche waren nämlich sechs tüchtige Pferde gespannt, die mit leichtem Zungenschlag und der Peitsche angetrieben, uns in einem gleichmäßigen tüchtigen Trab dahinzogen. Bis an die Brücke des Manzanares fuhren wir in der Ebene, dann aber hatten wir gleich wieder das uns bekannte Terrain der Mancha, beständig Berg auf und ab, durch ein ödes, unfruchtbares, langweiliges Land. Die Straße von Madrid nach dem Escorial ist eine lange Strecke zugleich der Weg zu dem Lustschloß la Granja, wo sich der Hof während des Sommers mehrere Monate aufhält, und deßhalb recht gut erhalten. Auf einem hohen Damme ziemlich aufsteigend, der durch ein Thal mit steilen Wänden in die Höhe führt, kletterten unsere Pferde langsam empor und ließen uns vollkommen Zeit, einen Rückblick auf die Stadt zu werfen, deren Häusermassen undeutlich im Nebel verschwimmend hinter uns lagen. Rechts und links dehnte sich das kahle Land weit hinaus, ein kleiner Hügel am andern, keine Bäume, fast nirgends ein Strauchwerk, höchst selten die Spur einer Menschlichen Wohnung. Hie und da bemerkte man einen Streifen Schnee, welcher den Anblick der graugelben Fläche doch um etwas belebter machte. Es war an diesem Bergabhange, wie man uns erzählte, wo Königin Christine ihren zweiten Gemahl, den damaligen Senor Munoz, jetzigen Herzog von Rianzares kennen lernte; sie begab sich nach la Granja, und ihre zehn Maulthiere waren nicht im Stande, den schwer bepackten Reisewagen, ohne mehrmals stehen zu bleiben, den Berg hinauf zu bringen. Bei einer solchen Rast standen die Thiere obendrein nicht fest, und der Wagen fing an rückwärts zu rollen, was gerade an dieser Stelle hätte sehr gefährlich werden können, denn wie schon erwähnt, führt die Straße hier über einen hohen Damm von zuweilen an sechzig bis achtzig Fuß Höhe. In diesem Augenblicke warf sich ein junger Mann von der berittenen Leibwache der Königin von seinem Pferde, sprang an den zurückweichenden Wagen hin, griff mit riesenhafter Stärke in die Speichen eines der Hinterräder und brachte ihn zum Stehen. Von der Königin blieb diese That, solch ein kräftiger Ausdruck der Ergebenheit, nicht unbemerkt; doch hatte Senor Munoz eine so glänzende Belohnung, wie sie ihm später zu Theil wurde, wohl nicht erwartet.
Jetzt erreichten wir die Hochebene, und der Mayoral, der mit einem kräftigen Peitschenschlag seine sechs Pferde zum gestreckten Lauf antrieb, zeigte darauf vor uns hin auf die Straße, wo sich in weiter Ferne ein nebelhaft verschleiertes Gewühl von Wagen, Reitern und Fußgängern bewegte, – der Leichenzug der Prinzessin. Da wir sehr scharf fuhren, so erreichten wir in einer halben Stunde die letzten der Begleitung, escortirende Infanteriemassen, fuhren in kurzem Trabe zwischen ihnen hindurch, und darauf langsam an dem ganzen Zuge vorüber. Es war ein interessantes Bild, eine Erinnerung an alte spanische Pracht und Herrlichkeit mit gewaltigem, ergreifendem Contraste, wenn man die großen, reichverzierten Equipagen mit zahlreicher Dienerschaft in gold- und silbergestickten Röcken, die Pferde mit prachtvollen Geschirren bedeckt so in der kalten, traurigen Winterlandschaft dahinziehen sah. Äußerst malerisch nahm sich die berittene Leibwache der Königin aus, die in aufgelösten Reihen, in Gruppen von zwei und drei ritt, fest in ihre weißen Reitermäntel gewickelt, schöne, hohe Leute auf großen, kräftigen Pferden, in der rothen, goldgestickten Uniform mit weißen, anliegenden Beinkleidern und hohen, glänzenden Reitstiefeln, auf dem Kopfe den blitzendem Helm. Unser Zagal voltigirte vom Bocke herab, und näherte sich mit abgezogenem Hute einem der commandirenden Offiziere, den er im Auftrag des Mayoral um Erlaubniß bat, an dem Zuge im Trab vorbeifahren zu dürfen. Dieß wurde denn auch freundlichst, aber mit der Weisung bewilligt, die Pferde vorn beim Leichenwagen im Schritte gehen zu lassen. Bald ließen wir die Reiter hinter uns und erreichten wieder andere Kutschen, schwere Dienst- und Reisewagen mit Hofwürdenträgern, Kammerherren, zahlreicher Dienerschaft, Köchen und Hellebardieren der Königin angefüllt. Ihnen voraus fuhren abermals ein paar Staatscarossen mit hoher und niederer Geistlichkeit, und dann erreichten wir den Leichenwagen, der im langsamsten Schritte von zehn schwarzen Maulthieren mit dunkler Beschirrung und wehenden Federbüschen auf den Köpfen gezogen wurde. Zu Fuß gehende Stallleute in schwarzer Livree führten die Zügel der Thiere. Besonders dieser Wagen mit der kleinen Kinderleiche hatte hier in der weiten, düsteren, einsamen Ebene etwas unbeschreiblich Rührendes. Auf seinem Untergestell befand sich ein auf vier Säulen getragener Baldachin, unter dem der kleine Sarg stand, verhüllt mit einer rothsammtnen, goldgestickten Decke, deren Fransen so tief herabhingen, daß sie beständig gestreift wurden von den langsam sich umdrehenden Rädern. Diese sowie der ganze Wagen waren aus weiß lakirtem Holze, alles mit künstlichen Rosenguirlanden umwunden. Obenauf lag ein mächtiger Blumenkranz, zwischen dem die königliche Krone hervorragte. Unser Mayoral und Zagal, selbst der vorreitende Postillon und natürlicher Weise auch wir Passagiere, nahmen unsere Hüte ab, bis wir bei dem Leichenwagen vorbei waren, dem abermals ein Trupp von der berittenen Leibwache der Königin vorauszog, dann aber machte sich unser Rosselenker eine frische Papiercigarre, rief dem Postillon ein lautes vorwärts! zu, knallte seinen Thieren tüchtig eins über, und dahin sausten wir, nach ächt spanischer Manier im gestreckten Galopp der Pferde, bald den ganzen Leichencondukt weit hinter uns lassend. Doch noch lange nachher, wenn ich aus dem Fenster zurückschaute, bemerkte ich den weißen Wagen, wie er langsam auf der dunklen Chaussee hin und her schwankte. Nach einer Stunde tüchtigen Fahrens erreichten wir die erste Station, die Pferde wurden ausgespannt, dagegen die unvermeidlichen Maulthiere vorgelegt, und mit ihnen hatten wir auch wieder das beständige, unerträgliche Peitschengeknall und das ewige gellende Geschrei von Mayoral, Zagal und Delantero. Die Gegend blieb sich in ihrer Langweiligkeit völlig gleich, bald ging es auf der breiten Straße ziemlich steil abwärts, dann wieder ebenso aufwärts; rechts und links bestand die ganze Abwechslung in bald kleinern, bald größern Hügelreihen in schmutzig grauer oder gelb-röthlicher Färbung. Zuweilen zeigten sich einige verkümmerte Bäume, kleine Buxbaumsträucher, Ginster und zwischen der Straßeneinfassung, aus roh über einander gelegten Steinen bestehend, wucherten Disteln und Brombeerstauden. Der Himmel war uns nicht ganz ungünstig, es regnete nicht, ja das graue Gewölk, welches heute Morgen schon über uns lagerte, wurde lichter und durchsichtiger, und zuweilen sogar blickte aus der grauen Fläche eine blaue Stelle, welche aber bald wieder von Nebelmassen bedeckt wurde.
Der Guadarrama wuchs scheinbar vor uns in immer majestätischeren Massen auf. Seine Schneeumhüllung, welche ihn uns von Madrid aus fast weiß erscheinen ließ, sah hier durch tief eingehende Schluchten und vorspringende Felswände zerrissen und zerfetzt aus und ließ seine schroffen, zerklüfteten Formen um so deutlicher erkennen. Nach der zweiten Station überschritten wir einen Ausläufer des Gebirges und zwar auf einer Straße, die man selbst in Deutschland hätte vortrefflich nennen können, in Spanien aber überraschend schön, sie war gut geebnet und stieg, kunstvoll angelegt, an den steilen Felsen in Windungen in die Höhe; den Weg größtentheils hier durchzusprengen war keine kleine Arbeit gewesen, die Abräumung, mächtige Felsenplatten und riesenhafte Blöcke, befand sich noch zu beiden Seiten der Straße. Unsere Maulthiere liefen in einem starken Trabe hinauf, und daß sie das auszuhalten im Stande sind, darin besteht der Vorzug, den man ihnen hier in Spanien, und mit großem Recht, vor den Pferden gibt.
Auf der Höhe angelangt hatten wir vor uns ein weites Thal, hinter dem der Hauptzug des Guadarrama stolz und mächtig emporstieg, und zu gleicher Zeit einen Anblick, den ich in meinem ganzen Leben nicht vergessen werde. »Escorial!« rief der Mayoral, indem er vor sich hinzeigte. Und an der gegenüber liegenden Felswand, sich scharf abhebend von der Schneedecke, welche sich dort befand, sahen wir in dunklen schweren Massen das riesenhafte Kloster mit seiner gewaltigen Kuppel und seinen hohen Thürmen, wie eine Feenburg thronen. Ja, wie eine Feenburg, wie das Schloß eines mächtigen Zauberers, der sein Werk hoch in die Luft hingestellt hat. Denn gerade so sah es aus. Ein Nebelstreifen hatte sich unten um die Grundmauern des Gebäudes gelagert, einer weißen Wolke ähnlich, die dasselbe zu tragen schien. Überraschend im höchsten Grade war dieser Anblick; dazu war die Sonne so freundlich, in diesem Augenblicke einen klaren Strahl ihres Lichtes zu senden, welcher auf die wogenden Nebelmassen fiel, sie hell beglänzte und einen wohlthuenden Schimmer auf die finstere Häusermasse fallen ließ. Dieß Bild allein hätte sich der Reise hieher verlohnt. – Und während wir abwärts rollten, blieb das Zauberschloß noch lange unverrückt vor unseren Augen wie hoch in der Luft schwebend stehen.
Der Escorial, eigentlich San Lorenzo el real la Victoria, wie der wahre Name des berühmten Hieronymitenklosters ist, hatte von seinem Stifter, König Philipp II., ein ungeheures Territorium von Ländereien erhalten, die sich südlich von ihm ausbreiten. Hier befanden sich früher Fruchtfelder, Parkanlagen, und für die Mönche Spaziergänge jeglicher Art durch Wald und Flur. Schon zwei Stunden vorher, ehe man den Escorial erreicht, kommt man an seine äußerste Gränze, ein Gebäude mit weitem, hohem Thorbogen, hinter dem aber leider die gute Straße aufhört und man bei einem rieselnden Bergwasser vorbei wie über einen Waldgrund fährt. Hier ist von der ehemaligen Chaussirung des Weges kaum eine Spur mehr übrig geblieben; die Mauern, welche ihn früher begränzten, sind zusammengestürzt, haben die Straße verengt und auch wohl hie und da das Flußbett ausgefüllt, so daß das Wasser schäumend anprallt und sich nun über die benachbarten Gründe einen anderen Weg suchen muß. Gleich hinter dem oben erwähnten Thorbogen erblicken wir zu unserer Linken ein mächtiges, vielleicht dreißig Fuß hohes Kreuz, welches auf der Stelle, wo es steht, mit seinem massenhaften Piedestal aus einem einzigen Steinblocke gehauen wurde. Von angesetztem Moos und Flechten hat es eine grünliche Farbe angenommen, und paßt so recht in die traurige, öde Wildniß. In der bessern Jahreszeit, wenn alles grün ist, mag es hier wohl freundlicher sein und alsdann das murmelnde Wasser unter den dichtbelaubten Eschen, Erlen und Ulmen vielleicht allerlei sonderbare Dinge erzählen, die sich hier heimlich begaben; denn in der alten Zeit war der Escorial nicht nur ein Aufenthalt für Mönche, sein Gründer Philipp II. brachte hier mit dem ganzen Hofe jährlich einige Monate zu, und die armen spanischen Hofdamen und Edelfräulein, die sich gewiß in den düstern Klostermauern entsetzlich langweilten, liebten es wahrscheinlich, ihre Spaziergänge bis hier ans alte Kreuz auszudehnen, an dessen moosbedecktem Fuße man sicher oft einige von ihnen gelagert sah, wenn auch vielleicht nicht immer in inbrünstigem Gebet begriffen. –
Wir lassen es hinter uns, der Weg ist zuweilen so eng, daß die überhängenden Zweige den Wagen streifen, und wird dabei so kothig, daß unsere armen Maulthiere nur mit Mühe fortkommen. Dazu geht es nach einiger Zeit wieder ziemlich stark bergan, doch erhalten wir glücklicher Weise Vorspann und zwar zu unseren sechs Maulthieren noch vier Pferde, welche durch einander zu drei und drei gespannt werden, und so fahren wir nun unverdrossen wieder in scharfem Trab vorwärts. Wir nähern uns dem Ziele und erkennen das hier an regelmäßigen Alleen, die unsern Weg durchschneiden, dort an Thoren mit oder ohne Eisengitter, die wohl auf Felder und in umschlossene Parks führen. Letztere scheinen noch gut unterhalten zu sein, man sieht freistehende Gruppen von mächtigen Bäumen neben niederem Gebüsche, Wege, die sich um sie herum schlängeln, und von ihnen weg nach großen Teichen und ummauerten Bassins führen. Auch einen Springbrunnen bemerken wir, der seine kalten Wasserstrahlen in die winterliche Luft hinaufspritzt; endlich auch wird der Weg wieder breiter und ist von einer hohen Granitmauer eingefaßt, über welche Steineichen ihre immergrünen Zweige hinausstrecken. Wir biegen um eine Ecke, und vor uns liegt das gewaltige Klosterschloß, ernst, ja düster auf seinen Terrassen und Plattformen, die sich gleich steinernen Redouten vor ihm erheben. Wie sehr man auch auf diesen großartigen Eindruck vorbereitet sein mag, der erste Anblick des Escorial überwältigt jede Erwartung. Ich glaubte ein Haus zu finden, sagt Rochau, und sah ein ausgehöhltes Granitgebirge vor mir. Man nennt Juan Bautista de Toledo und Juan de Herrera als die Baumeister des Escorial, aber ich glaube nicht an diese Namen, ich bin überzeugt, daß der Escorial von dem Künstler herrührt, der sich erbot, den Athos zum Standbild des macedonischen Alexander umzumeißeln. Wie die eiserne Nothwendigkeit steht der starre kalte Riesenbau da, als ob er gewiß wäre, das Weltende zu überleben. Und sicherlich, wenn von allen Bauwerken, die Spanien seit dem Ende der Römerzeit bis auf den heutigen Tag errichtet hat, wenn von allen seinen Schlössern und Kathedralen einst kein Stein mehr auf dem anderen sein wird, dann wird noch immer eine finstere und stolze Klosterruine am Guadarrama von der Fabelzeit Philipp's II. zeugen, die in wahnsinnigem Hochmuth auf diesem Fußgestell einen Platz einnehmen wollte zwischen der Menschheit und Gott. Der Escorial ist ein Denkmal der maßlosesten Selbstsucht, die zumal durch die Naivetät Grauen erregt, mit welcher sie sich für lautere Frömmigkeit hält und ausgibt. Ein Grabstein für seinen königlichen Leichnam und eine ununterbrochene Fürbitte für seine königliche Seele: das war der große Zweck Philipp's II. bei der Gründung des Lorenzklosters. Zweihundert Mönchen war es zur Aufgabe ihres ganzen Lebens gestellt, zu beten und Messen zu lesen für das Seelenheil eines einzigen Sünders, fort und fort bis an das Ende der Zeiten. Von den Häuptlingen alter Völker lesen wir, daß sie ihre Weiber und ihre Lieblingssclaven auf ihrem Grabe schlachten ließen; der Beherrscher Spaniens hat hundert, ja tausend Generationen, so wenigstens lag es in der Absicht Philipp's II., dazu bestimmt, auf seinem Sarge nicht etwa zu sterben, sondern in Banden des Leibes und des Geistes zu leben.
Der Nebel, welcher um die Terrassen des Escorials wogte, hatte sich weder ganz gehoben noch ganz gesenkt, und wenn aus Schluchten des Guadarrama zuweilen ein Windstoß herüber fuhr, so qualmte er hoch empor und verhüllte das riesenhafte Gebäude mit seinen Wolken, so daß es aussah, als brenne irgendwo in der Tiefe ein mächtiges Feuer, das seine mächtigen Rauchmassen hoch empor sende. Zu guter Letzt hatten unsere Zugthiere noch einen schweren Stand; es ging sehr steil aufwärts bis zum Städtchen, welches neben dem Kloster liegt, und nur mit lautem Geschrei und Peitschenknallen konnte man die Maulthiere und Pferde auf ihren Beinen erhalten. Dazu fanden wir in der schlecht gepflasterten engen Straße Glatteis und waren in der That recht zufrieden, als wir endlich ohne besondere Unglücksfälle vor der Post hielten. Wir hatten von Madrid hieher – eine Entfernung von sieben Leguas – acht Stunden gebraucht. Das Städtchen Escorial, wohl von Escorias, erschöpften Minen, die sich in der Nähe befinden, abgeleitet – Escurial haben die Franzosen daraus gemacht, – nach welchem das Kloster benannt ist, liegt etwas höher als dieses; es ist klein und nimmt sich wie ein Anhängsel der gewaltigen Steinmassen da drunten aus. Seine einzige ordentliche Straße wird in der Mitte von einem klaren aber sehr schmalen Bergwasser durchströmt, und eine Häuserreihe derselben besteht aus zusammenhängenden, massiv aufgeführten Gebäuden, welche früher zu Wohnungen für Gefolge und Hofdiener benützt wurden. Auch befand sich hier der Palast, welchen die Infanten für ihre Familien bauten, der übrigens nie beendet wurde. Während der langen Bürgerkriege dienten diese kleinen, unfertigen, aber festen Häuser bald dieser bald jener Partei, welche sich gerade darin verschanzte, was auch nicht zu ihrer Erhaltung beitrug. Und so sind die meisten von ihnen jetzt nur noch Ruinen mit eingestürzten Dächern und ohne Fenster und Thüren.
Im Gasthofe zur Post bekamen wir ein paar gute Zimmer nach spanischen Begriffen, d. h. einen kleinen Salon mit Binsenmatten, in dem aber weder Thüre noch Fenster gehörig zu verschließen waren; draußen war es recht kalt und zu unserer Erwärmung wurden wir mit einem Brassero voll glühender Kohlen versehen; unsere Betten standen in zwei dunklen Alkoven. Doch machten wir von dieser Wohnung im Augenblick nur sehr kurzen Gebrauch; es drängte uns, schon heute von dem Kloster so viel wie möglich zu sehen, denn man hatte uns gesagt, wegen der Feierlichkeiten der Beisetzung könnte es uns vielleicht morgen schwer gemacht werden, das Innere genau zu betrachten. Schon in Madrid hatten wir von dem seltsamen Führer gehört, welcher die Fremden durch das Labyrinth des Escorials begleite. Unser Wirth hatte gleich nach ihm geschickt, und es erschien bald ein alter Mann mit weißen Haaren, sehr langsam und vorsichtig gehend, wobei er sich auf die Schulter seiner kleinen Enkelin stützte. Er betrieb das Geschäft eines Cicerone schon seit langen Jahren, kannte nicht nur die Entstehung jedes Bildes und jeder Statue, sondern ich möchte fast sagen, jeden Stein, jede Treppenstufe, und wußte allerlei anmuthige Geschichten bald über dieß, bald über das zu erzählen. Dabei hatte er nur einen einzigen Fehler: er war nämlich blind, vollkommen blind, und nur eine langjährige Gewohnheit machte es ihm möglich, in der tiefen Nacht, die ihn umgab, die Fremden, welche sich seiner Leitung anvertrauten, ohne die geringste Irrung durch das ganze Gebäude zu führen. Ich würde diese Thatsache nicht für möglich halten, wenn ich sie nicht erlebt hätte. Der Wirth, der übrigens Zweifel in unseren Mienen zu lesen schien, sagte lächelnd: »folgen Sie nur dem Cornelio, Sie werden sehen, er vergißt keinen Winkel des Klosters, keine Statue, kein Bild.«
So schritten wir denn über die Straße, unter einer der bedeckten Brücken durch, mit denen die verfallenen Häuser, von denen ich oben sprach, unter einander verbunden sind, über finstere Gänge, die sich bald rechts, bald links wandten, und über große und kleine Treppen zum Platze vor dem Escorial hinab. Schon hier war uns der blinde Führer von großem Nutzen, er schritt voran und zeigte uns die Richtung des Weges an, jetzt rechts, jetzt links, sechs oder acht Schritte abwärts, dann vier gerade aus.
Da standen wir denn auf dem weiten, von langen niedrigen Gebäuden umgebenen Platze, in dessen Mitte der Escorial emporragt – es war uns wie ein Traum und wir hätten versucht sein können, nicht an die Erfüllung des sehnlichen Wunsches zu glauben das achte Wunder der Welt, wie die Spanier wohl mit Recht das Kloster nennen, nun wirklich vor uns zu schauen. – Escorial! Das Wort ruft so manche Erinnerungen wach, und die glänzende, wenn auch schreckliche Regierungszeit Philipp's II., der wir schon in der Jugend mit so großem Interesse gefolgt, tritt hier so lebendig vor unsere Seele. Ist es uns doch gerade, als würden wir den finsteren, unheimlichen König selbst vorüberschreiten sehen, ihn, in dessen weiten Reichen die Sonne nie unterging, und die Flammen des Scheiterhaufens nie erlöschten, gefolgt von Personen, die uns so bekannt scheinen und doch so fabelhaft sind, Elisabeth, seiner königlichen Gemahlin, Karlos, seines Infanten, von dem man nicht weiß, wie und wo er geendigt, ja nicht einmal, ob sein Leib wirklich drunten ruht in dem Sarge, der seinen Namen trägt. Wenn wir die starre Form der granitnen Thürme betrachten, so fällt uns Alba ein, seines Königs würdigster Diener, und wir denken an seine blutigen Züge gegen Norden, unserer Heimath zu, es ist, als sähen wir Flandern und Brabant, den Aufruhr in den Provinzen, den Marktplatz von Brüssel mit seinem Schaffot und mit Egmont, den wir so sehr geliebt und dessen Schicksal wir von jeher bedauert haben. Ja ihn, den flandrischen Grafen können wir besonders nicht vergessen und müssen des Schlachttags von Saint-Quentin gedenken, denn der Sieg der spanischen Waffen dort ist die Ursache der Erbauung des Escorials. Ein spanischer Geschichtschreiber erzählt darüber: am zehnten August 1557 belagerte der König Philipp II. Saint-Quentin; Philibert von Savoyen führte die Spanier und wurde von Graf Egmonts flandrischen und deutschen Truppen glänzend unterstützt, sowie von ein paar tausend Engländern unter Pembroke. Die Franzosen boten die Schlacht an, welche mörderisch entbrannte; während sich aber die Soldaten für ihren König schlugen, hielt sich dieser außer Schußweite, wie ein armer Sünder zwischen zwei Beichtvätern und hörte nicht auf, Gebete zu murmeln und Schwüre und Gelübde an alle Heiligen zu thun. Der König fürchtete sich, sagt einfach der spanische Geschichtschreiber; vor allen Dingen wandte er sich an San Lorenzo und gelobte ihm eine prachtvolle Kirche nebst Kloster, wenn er ihm ohne Gefahr für seine Person zum Siege verhelfen wolle. In der That wurden auch die Franzosen vollständig geschlagen und der König hielt dem Heiligen sein Wort auf so umfassende und glänzende Art, daß alle Heiligen der Welt hätten damit zufrieden sein können.
Dabei hat wohl nie ein König mehr in seinem eigenen Charakter gebaut, als Philipp II., indem er dieses Werk herstellte. Die große Anfahrt zum Escorial ist von Nordost, so daß man die Gebäudemasse zur Linken hat, wenn man die Höhe erstiegen, auf der dieselbe liegt. Die Nordseite, vor der auch wir so eben mit unserem Führer ankommen, und die ihrer ganzen Länge nach zurückgelegt werden muß, um den Haupteingang, der auf der Westseite liegt, zu gewinnen, hat schon beim ersten Blick etwas Zurückstoßendes; betrachten wir die lange, unermeßliche Front, nur an beiden Enden von Thürmen flankirt, ohne allen Vorsprung, von zahllosen kleinen Fenstern durchbrochen, so gibt es keinen erkältenderen Anblick; man hofft auf der Westseite beim Hauptportal einige Unterbrechung dieser Monotonie zu finden, aber so bald man um die Ecke biegt ist hier die gleiche Starrheit, die Säulen, welche die Mitte auszeichnen, nur angelehnt und mit der Wand verwachsen, kein offener Portikus, keine mächtige Arkade, die den Blick in einen luftigen Hof erlaubt; außer zwei entfernteren und unbedeutenden Seitenthüren ist die mittlere Hauptpforte nur eine, im Verhältniß mäßig große Thüre, mit der gleichsam durch eine Schlüsselumdrehung der ganze Gebäudekoloß von außen unzugänglich gemacht werden kann, nirgends ein Rücksprung, nirgends eine Verzierung auf dieser todten Façade, noch sonst eine künstlerische Laune, die auf die schwere Masse phantastisches Licht und Schatten wirft: ernst und feierlich, grau in grau steht der Riesenbau, ganz wie die kalte, unbeugsame Seele Philipps oder das starre und öde Herz des Königs, wenn überhaupt eines in seinem Busen schlug.
Die Anlage des Escorials ist, weil aus einem Gedanken entsprungen und auf einmal ausgeführt, auch eine vollkommen regelmäßige, symmetrische und contrastirt wesentlich mit den meisten derartigen Bauanlagen, die ihr Entstehen der Länge der Zeit verdanken und bei denen mannichfach sich durchkreuzender Wille die ursprüngliche Idee verrückte. Wie der Zweck, dem dieses Gebäude dienen sollte, ein gedoppelter, so zerfällt auch der Plan in zwei gleiche Hälften; die Achse geht von Westen nach Osten durch den großen Hof und dann durch die gegen denselben sich öffnende Kirche, die demnach ihre Rückseite gegen Osten und also nach Madrid kehrt; nördlich davon liegt der königliche Palast, dessen Zimmer dadurch im Sommer eine herrliche Kühle erhalten, und das Seminar, südlich das Kloster. Diese zwei Seitenpartien bilden je zwei länglichte Vierecke, doppelt so lang als breit, und fassen die Kirche, an die sie dicht angebaut sind und den vor derselben liegenden Hof in ihre Mitte.
Der innere freie Raum in den zwei ungeheuren Vierecken des Palastes und des Klosters ist durch Querbaue, die von Norden nach Süden laufen, je in zwei quadradische Hälften getheilt; die Hälfte gegen Süden bildet im Schloß den Ehrenhof, im Kloster den Kreuzgang oder Patio de los Apostoles, die nach Westen abfallenden Hälften zerfallen aber durch kreuzweise Theilung je wieder in vier kleinere Höfe, alle von Bogengängen umgeben, so daß im Ganzen elf Höfe entstehen, zu denen noch mehrere kleine am Zusammenstoß der verschiedenen Flügel kommen, welche theilweise tiefen Cisternen gleichen, in die nie ein Sonnenstrahl dringt und die den finsteren Charakter des Innern noch vermehren. Je im Kreuzungspunkt der vier kleinen Höfe erhebt sich ein hoher Thurm, so daß mit den Eckthürmen und den zwei Campanilen vorn an der Kirche sechs Wächter über die enorme Granitmasse hervorragen, über welche die gewaltige Kuppel sich noch hoch in die Lüfte erhebt. Die Silhouette dieses Gebäudes ist trotz der Einförmigkeit der einzelnen Façaden nichts destoweniger eine schöne und interessante, sowohl wie sie sich von der dicht dahinter aufsteigenden Gebirgswand abzeichnet, als auch, wenn man diese theilweise erstiegen, sich vom Himmel abhebt.
Der große Hof, Patio de los Reyes, den man nach Überschreitung der Schwelle der Hauptpforte betritt, ist düster und zu beiden Seiten mit glatten Wänden geschlossen, der Portikus der Kirche gedrückt und schwer, man kommt erst nach und nach zu dem Bewußtsein der enormen Ausdehnung, da die einzelnen Theile so massenhafte Dimensionen haben, die vier Königsstatuen oben an der Kirchenfaçade in fast dreifacher Lebensgröße lasten schwer auf den Säulen des Portikus und unwillkürlich geht man gebeugt durch die Kirchenthür. Der Dom selbst ist edel und groß gedacht, das Innere in der Form des lateinischen Kreuzes wahrhaft majestätisch, aber alle Formen sind schwer, derb und streng gebunden, die riesigen Granitpfeiler und Bogen haben die Naturfarbe des Steines und nur die Gewölbe sind mit Fresken, meistens von Giordano, geschmückt. In älteren Reisebeschreibungen lesen wir freilich von ungeheuren Kostbarkeiten, welche Kirche und Kloster des Escorial enthielten, von einem Tabernakel aus massivem Golde, mit Thüren von Bergkrystall, von Altargefässen aus feinstem Achate, eingesetzt mit funkelnden Topasen, von einer Statue des heiligen Lorenzo, aus reinem Silber und fünfzig Mark schwer, und von einem Christus aus Silber an silbernem Kreuze, dessen Dornenkrone, Wunden und Nägel aus Rubinen und Brillanten bestanden. Alles das ist mit den Mönchen verschwunden; nicht als ob die armen Vertriebenen selbst es mitgenommen hätten, sondern der Escorial wurde zum Besten des Staates und anderer Gebäude geplündert. So wurde auch der größte Theil seiner kostbaren Gemälde nach Madrid gebracht, und selbst das prächtige Glockenspiel von fünfzig Glocken, die harmonisch zusammenklangen, ist nicht mehr vorhanden.
Wenn man aber die ernsten, gewaltigen Formen des Domes betrachtet, so vermißt man durchaus nicht den Schmuck von Silber, Gold und Edelsteinen, und vollkommen passend erscheinen uns die noch vorhandenen einfacheren, aber schweren Verzierungen von Kupfer und Messing. Von diesen Metallen sind hier an Geländern Gittern, Candelabern und Armleuchtern so ungeheure Massen verschwendet, daß man nicht begreift, welche Erzgruben im Stande waren, sie zu liefern. Der Hauptaltar ist von Jaspis und Marmor und hat zu beiden Seiten herrliche Gruppen von vergoldeter Bronze, zwei Kaiser mit ihren Gemahlinnen knieen in Andacht versunken; über dem Eingang der Kirche, gleichsam als eine Empore, liegt der hohe prächtige Chor voll akustischer Wirkung mit seinem berühmten Kronleuchter von Bergkrystall, der von einem sehr schlechten Deckengemälde herabhängt. Unter demselben befindet sich ein kleines mechanisches Kunstwerk; der drehbare Pult nämlich, auf welchem die riesenhaften Chorbücher liegen, hat eine enorme Schwere, und läßt sich nichtsdestoweniger mit einem einzigen Finger spielend herumdrehen. Die Chorstühle, zahlreich genug, um ein paar hundert Mönche aufzunehmen, sind aus kostbaren Holzarten, aber sehr einfach geformt, hier zeigt man auch den Sitz, welchen König Philipp II. einzunehmen pflegte; er befindet sich ganz hinten in der Ecke, scheinbar aus Bescheidenheit und Demuth so gewählt; wenn man sich aber dort hinsetzt, was wir nicht unterließen, so begreift man gleich, daß der umsichtige König auch noch einen anderen Zweck bei der Wahl dieses Platzes hatte, denn von dort aus konnte er nicht bloß den ganzen Chor, sondern auch den größten Theil der Kirche übersehen. Dicht neben diesem Stuhle befindet sich eine kleine Thüre, durch welche Philipp erschien, und hier war es, wo der Abgesandte Don Juan d'Austrias sich erlaubte, während des Gottesdienstes einzutreten, um dem König die wichtige Nachricht von der gewonnenen Schlacht von Lepanto zu melden. Der König aber, der dieser Botschaft wohl mit der größten Spannung entgegen harrte, unterbrach die ersten Worte der Meldung finster und ernst, indem er sagte: »Höre zuerst die Messe und dann sprich.« Ebenerwähnte kleine Thüre führt zu der, genau über dem Kirchenportal im Rücken des hohen Chors gelegenen kleinen Privatkapelle des Königs, wo sich der berühmte Christus von Benvenuto Cellini in weißem Marmor befindet. Doch fanden wir hier, wie auch bei den andern größeren Werken des großen Goldschmiedes, die wir gesehen, daß die Muskulatur des Körpers gar zu ängstlich und sorgfältig ausgeführt ist, der Kopf, obgleich von sehr edlem und schönem Ausdruck, dagegen zu flach und unbedeutend gehalten erscheint. Auch dieses Kunstwerk sollte seiner Zeit nach Paris wandern, und da die Kiste zu klein gerathen war, schlug man ihm beide Arme ab, die sich später glücklicherweise in einem Winkel wieder vorfanden.
Die Königswohnung im Kloster liegt, wie schon bemerkt, gegen Madrid zu; im ersten Stocke wohnten seiner Zeit die Infanten Karlos und Sebastian, im zweiten Stocke der König und die Königin; alle Zimmer sind hier auffallend klein, selbst die Empfang- und Speisesäle unbedeutend und dazu noch mit geringem Comfort eingerichtet. Bemerkenswerth allein sind die Wandbekleidungen, meistens gewobene Seidentapeten von herrlicher Zeichnung und einer Frische der Farben, als seien sie erst heute angefertigt; nur die vier Zimmer des Königs sind statt mit diesen Seidenstoffen mit eingelegtem edlem Holz in reichster Abwechslung und prachtvoller Politur bekleidet. An größern Räumlichkeiten ist hier sehenswerth die Bibliothek des Klosters, eine geschmackvoll verzierte Halle, welche mit ihren Schätzen recht gut unterhalten zu werden scheint; von den Büchern sind die meisten in rothes, marokkanisches Leder gebunden und haben das Eigenthümliche, daß ihre Titel auf dem Goldschnitte, der nach außen gekehrt ist, zu lesen sind. Es sollen noch vierundzwanzigtausend Bände vorhanden sein, sowie viertausend Handschriften und unter diesen viele kostbare arabische Manuscripte, deren wahrscheinlich sehr interessanten Inhalt man entweder gar nicht, oder doch nur sehr ungenügend kennt. Ein breiter Corridor in der Nähe der Königswohnung mit gewölbter Decke, die Wände mit sehr schönen Fresken bedeckt, heißt der Schlachtensaal, man sieht dort aus der Maurenzeit einen Sturm auf die Alhambra, Darstellungen aus der Eroberung St. Quentins und die Schlachten von Lepanto und von Pavia.