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Nach Aranjuez. Der königliche Palast. Das Meer von Antipola. Der Inselgarten. Schillers Don Carlos. Der Fürstengarten. Casa del Labrador. Theater in Aranjuez. Unsere Pony's. Herr W., der Sportsman. Don Quixote und Sancho Pansa. Reitübungen. Die Halbwegs-Venta. Süßholzanpflanzungen. Ein Zigeunerdorf. Toledo! Anblick der Stadt. Das fromme Schlachtroß des Cid.
So hatten wir denn beinahe Wochen in Madrid zugebracht und würden schon früher nach dem Süden aufgebrochen sein, wenn uns der dießjährige, für Spanien so harte Winter nicht mit seinem Gefolge von Frost und Kälte, unergründlichen Straßen und ausbleibenden Eilwagen festgehalten hätte. Die schönen Gärten von Aranjuez, die von hier unser erstes Reiseziel waren, kann man unmöglich bei Schnee und Eis sehen, und so warteten wir von Tag zu Tag auf freundlichere Witterung. Endlich, nach mehreren Tagen anhaltenden Regenwetters, welches übrigens das Gute hatte, auf den Höhen von Madrid den Schnee wegzunehmen, gegen Ende Januars fegte der Wind die grauen Wolken hinweg und säuberte den Himmel, der nun, wie sich dieser Erlösung freuend, wunderbar klar auf uns niederschien und eine warme, strahlende Sonne zeigte. Die Luft war angenehm, wie bei uns an einem Maitage, und der Boden, über welchen noch vor wenigen Tagen die Wasser rieselten, in wenigen Stunden ausgetrocknet, fest und hart.
Unser freundlicher spanischer Architekt, welcher den Abend vor unserer Abreise mit uns verbrachte, meinte lachend, jetzt können wir à peu près auf dauerndes gutes Wetter rechnen, weßhalb wir denn auch schleunigst unsere Koffer packten und an einem schönen Morgen gegen Aranjuez aufbrachen.
Von Madrid dorthin sind es ungefähr sechs Leguas und sind beide Städte durch eine Eisenbahn verbunden, vermittelst welcher man diese Wegstrecke in anderthalb Stunden zurücklegt. Die Gegend, durch welche man fährt, ist kahl und uninteressant, wie die ganze Mancha flach hügelig, ohne Baumwuchs, eine weite röthliche Fläche. Eigentlich sind es keine Hügel, welche die Ebene um Madrid bilden, vielmehr thalartige Vertiefungen, die das Terrain nach allen Richtungen durchziehen; häufig von Winterströmen, die ebenso schnell verschwinden als sie kommen, zu zerrissenen Schluchten ausgewühlt, in denen sich die röthliche Farbe des Erdreichs in grelleren Tönen zeigt. Zerstreut bemerkt man hie und da bald einzelne Blöcke grobkörnigen Granites, bald sonderbare Massen dieses Gesteins auf einander gethürmt, untermischt mit großen glänzenden, rothen Feldspathkrystallen. Bebaute Felder sieht man nur wenige und die ganze Vegetation besteht aus einzelnen Stacheleichen oder aus mannshohem Ginster, der die Abhänge hie und da bedeckt, weßhalb wir auch nicht wenig überrascht sind, wenn nun auf einmal die Locomotive gellend pfeift, der Zug seine Schnelligkeit vermindert, wir durch einen tiefen Einschnitt dahinfliegen und uns nun plötzlich in einem Thale befinden, wo uns parkartige Anlagen mit der üppigsten Vegetation begrüßen, wo wir lange Alleen hundertjähriger Bäume bemerken, zwischen denen die Kuppeln und Thurmspitzen prächtiger Gebäude hervorblicken, und welches Alles überragt ist von einem schöneren Hügellande, malerisch gruppirt und mit dichtem Holze bewachsen. Woher diese reizende Vegetation kommt, wird uns alsbald klar; langsam klirrt die Locomotive über die lange Eisenbahnbrücke, unter welcher der wasserreiche Tajo daherfließt; weiterhin ist eine der längsten steinernen Brücken, die wohl je gebaut wurden, die prächtige Jaramabrücke aus der Regierungszeit Karl's III., über das kleine Flüßchen gleichen Namens, der kurz vor diesem Punkte den armen Manzanares verschlungen und dabei doch so mager geblieben ist, daß er in gar keinem Verhältniß zu der eben erwähnten langen Brücke steht. Doch hat man auch hier auf die Winter- und Regenzeit gerechnet, wo dann allerdings die beiden sonst so sanften Wässerchen plötzlich, wenn auch nur auf wenige Tage, toll und wild werden.
Indessen haben wir den Bahnhof von Aranjuez erreicht, dessen Gebäude sehr einfach und provisorisch aussehen. Ein kleiner Bube trägt unsere Nachtsäcke und begleitet uns nach der Fonda ingles, von der er behauptet, daß sie außerordentlich gut sei. Er hat uns auch nicht getäuscht: wir fanden am Eingange der Stadt in der Nähe des großen Schloßplatzes ein freundliches Haus, wo man uns ein paar gute Zimmer anwies. Die alte Wirthin, die uns im ersten Augenblicke für Landsleute halten mochte, sprach uns englisch an, rief aber, sobald sie den Irrthum bemerkte, ihren Mann herbei, einen Franzosen, dem wir uns schon besser verständlich machen konnten. Da der Morgen recht kühl gewesen war, wir auch frühzeitig von Madrid aufgebrochen, so verschmähten wir ein gutes Frühstück nicht, umsoweniger, als es auf englische Art zubereitet war und für uns eine angenehme Abwechslung gegen die spanische Küche darbot. Doch hielten wir uns nicht lange dabei auf, denn es drängte uns, die in vieler Beziehung so interessanten Orte, das Schloß und die Parks von Aranjuez zu besuchen.
Wir nahmen einen Führer und gingen zuerst durch das Städtchen, um uns die Lage desselben anzusehen. Es ist klein und niedlich, und den breiten, geraden Straßen, die sich rechtwinkelig durchschneiden, sowie den gleichförmigen Häusern und den großen, regelmäßigen Plätzen sieht man deutlich an, daß der Ort künstlichen Ursprungs ist und nach einem genauen Plane angelegt wurde. Die Stadt hat einen neuen hübschen Stierplatz, eine Kirche, ist mit Gärten und Alleen umgeben und hat keine Mauer, wodurch man von fast jeder der geraden Straßen eine angenehme Aussicht auf das Schloß, den Park oder die umliegenden Hügelketten hat. Schloß und Stadt sind durch den großen Schloßplatz von einander getrennt, der für die umliegenden Gebäude eine gute Wirkung macht, aber begreiflicherweise jetzt, wo der Hof entfernt ist, still und öde liegt. Der Eingang in denselben führt durch zwei große Halbkreiskolonnaden, in deren Mitte eine schöne Kapelle steht; der Platz selbst ist auf drei Seiten mit gewölbten Arkaden eingefaßt, über denen sich Wohnungen der Beamten befinden, und wenn man ihn von der Stadt aus betritt, so hat man vor sich eine prächtige Terrasse mit Standbildern und springenden Wassern, an welche unmittelbar das Schloß stößt, das man jedoch erst in seiner ganzen Ausdehnung sieht, wenn man den Platz überschritten hat.
Der königliche Palast von Aranjuez, von Juan de Herrera erbaut, ist unsymmetrisch von Backsteinen, deren röthliche Farbe zwischen Einfassungen von grauem Stein übrigens nicht unangenehm ist, dabei aber in kleinem Maßstabe aufgeführt. Seine Hauptfaçade ist gegen Süden und nimmt sich trotz ihrer Unregelmäßigkeit nicht übel aus, doch bemerkt man auch hier weder Großartigkeit noch Reichthum des Styls. Gegen die Gärten hinaus hat das Schloß eine bedingte Ähnlichkeit mit St. Cloud. Auf der Terrasse war ein alter freundlicher Gärtner mit Arbeiten beschäftigt, die wir frühestens im Monat April zu besorgen pflegen; die Blumenbeete wurden aufgelockert und hergerichtet, Rosen geputzt und aufgebunden, und da es ein klarer warmer Tag war, so waren die überall sprudelnden Wasser von angenehmer Wirkung. Die Erlaubniß zur Besichtigung des königlichen Schlosses muß vom Verwalter desselben eingeholt werden. Während sich der alte Gärtner, von dem ich oben sprach, damit befaßte, setzten wir uns auf eine der vielen Bänke, die sich auf der Terrasse befanden, mit dem in der That sehr behaglichen Gefühl, vor uns die hundertjährigen Bäume des berühmten Parkes von Aranjuez zu sehen.
Man sagt, es sei Grimaldi gewesen, welcher die Niederlande als Gesandter besucht hatte und darauf die Veranlassung gab, Schloß und Stadt im holländischen Geschmacke zu erbauen; doch ist dieß nicht besonders gelungen, und wenn die eben angegebene Absicht wirklich vorlag, so hat man es nicht verstanden, in den Charakter des Musters einzugehen. Das einzige, was vielleicht an eine holländische Stadt erinnern könnte, sind die erwähnten geraden Straßen, der Backstein als Baumaterial und ein Glockenspiel auf dem Schlosse, welches sich aber nur an hohen Festtagen hören läßt.
Der Name Aranjuez wird von einem Tempel des Jupiter abgeleitet, ara Jovis; ob übrigens ein solcher je existirt, ist eine Frage, die wohl nie entschieden werden wird. Vor den Zeiten Philipps II. war von einer eigentlichen königlichen Niederlassung hier nicht die Rede und es befanden sich nur in diesem schönen Thale mehrere Landsitze und kleine Jagdschlösser, dem Großmeister von Santiago gehörig, der in dem benachbarten Ocana, welches damals Gränzfestung gegen die Saracenen war, seinen Sitz hatte. Karl V. und Ferdinand der Katholische kamen als die Erben des Großmeisters zuweilen auf kurze Zeit hieher, doch war es erst Philipp II., der das Schloß erbauen ließ und Aranjuez zur Frühlingsresidenz erhob. Seitdem hat dieses nun so stille Gebäude, die dichtverschlungenen Wege des Gartens, manch' Interessantes gesehen. Hier trieb Karl IV. sein melancholisches, unstetes Wesen, seine kleinen, oft so unschuldigen Liebhabereien, wie z. B. die Errichtung jener ungeheuren Seemacht aus imposanten Dreideckern, Fregatten, Corvetten, mit einer großen Anzahl von Feuerschlünden versehen, die auf dem benachbarten Teich von Antigola von dem Könige selbst manövrirt wurden. Leider waren die Schiffe nur wenige Fuß lang und die Matrosen aus Holz oder Pappendeckel, und von der ganzen Spielerei hatte nur der erwähnte Teich einigen Nutzen, der von jener Zeit an den Namen »das Meer von Antigola« erhielt, mit welchem ihn auch heute noch das Volk benennt. Während aber so der König mit seinen Schiffchen spielte und zur Abwechslung Kaninchen schoß, ging der Rest der spanischen Marine durch das französische Bündniß bei Trafalgar zu Grunde. Hier in Aranjuez war es auch, wo Karl IV. abdankte, was zur nächsten Folge hatte, daß sein Minister Manuel Godoi, damals Großadmiral, Friedensfürst und Geheimerath der Königen Marie Luise, von den Leibwachen, seinen früheren Kameraden, verhaftet und vom Volke fast zerrissen worden wäre, eine Scene, welche an Versailles erinnert, dessen Hofgeschichten denen von Aranjuez auch in manchen anderen Beziehungen zu vergleichen sind. Auch im Äußeren gibt es hier Ähnlichkeiten; findet man doch selbst im großen Parke, dem Fürstengarten, Stellen in jenem steifen, verschnörkelten Geschmack aus den Zeiten Ludwigs XIV., Alleen von schönen Bäumen, sorgsam frisirt und verschnitten, künstliche Teiche, Statuen, meistens Erinnerungen aus der Regierungszeit des ersten spanischen Bourbon, Karl V., welcher sich leider die unnöthige Mühe gab, manches hier umzubauen und umzupflanzen.
Indessen ist unser alter Gärtner zurückgekommen und bringt die Erlaubniß zum Eintritt ins Schloß. In Erinnerung an die glänzende Geschichte Philipps II. und seines Hofes, sowie auch in Anbetracht des Dramas jener gewaltigen Zeit, welche nach Schiller hier begann, glaubt man den Palast von Aranjuez aufs Prächtigste eingerichtet zu finden, werth des Beherrschers von Reichen, in denen die Sonne nie unterging, findet aber in dieser Richtung sich sehr enttäuscht. Schon die Räumlichkeiten des Schlosses sind nicht groß und imposant, und die Einrichtung sehr bescheiden und mangelhaft. In vielen Zimmern wurden die gewöhnlichsten Stoffe zu Vorhängen und zu Bedeckung von Möbeln angewandt, ja manches Gemach findet man mit Strohstühlen möblirt, und fast durchgängig statt der Teppiche allerdings kunstreich geflochtene Binsenmatten. Man kann sich denken, mit welch großem Interesse wir die Gemächer der Königin, noch mehr aber des Infanten Don Sebastians, und vor allem Don Carlos betrachteten.
Leider sind sie aber fast gänzlich ausgeräumt und man findet hier nicht mehr das Geringste, was mit einigem Scheine von Wahrheit aus jener Zeit herzuleiten wäre. Die Fenster in den Zimmern des Infanten Don Carlos gehen auf eine düstere aber doch interessante Partie des wunderschönen Inselgartens, den wir später betreten werden. – Wird man es komisch finden, wenn ich mich vor diesen Fenstern lehnend in tiefen Träumereien erging und lange zwischen die hundertjährigen Bäume blickend, endlich jene gewaltige räthselhafte Zeit lebendig in mir aufsteigen ließ und die stillen Laubgänge mit meinen Phantasiegebilden bevölkerte! Ja, ich that das, und plötzlich schien mir der stille Garten nicht mehr wie ausgestorben: auf dem feinen Sande seiner Wege rauschte und knisterte es unter kleinen Damenfüßen und langen seidenen schleppenden Gewändern, Guitarrenklänge ertönten aus den dunklen Bosquets, und am Ende jener Allee, die der Infant hier von dem Fenster aus überblicken konnte, zeigte sich freilich nur auf Augenblicke die Gestalt einer schönen Dame mit dem Kopfe nickend, mit dem Fächer spielend, vielleicht die räthselhafte Prinzessin Eboli, die gewiß oft hinaufschaute nach den Fenstern des Königssohnes.
Doch diese Träumereien verschwanden wie sie kamen. Ich war allein geblieben in den Zimmern des Infanten, nun aber trat der Hausverwalter unter die Thüre mit seinem Schlüsselbunde klirrend. Folgen wir ihm in die übrigen Räume des Schlosses! Das einzige und wirklich Prachtvolle ist der japanische Salon und der Spiegelsaal aus der Zeit Karls III. Die Wände sind mit Porzellanplatten bedeckt, welche man Basreliefs in Porzellan nennen könnte, denn aus dem farbig angegebenen Grunde treten die mannigfaltigsten Figuren: menschliche Gruppen, Thiere, Blumen, alles das verbunden durch das seltsamste Schnörkelwerk, in halber Rundung hervor. Interessant ist der Kronleuchter, ebenfalls aus Porzellan, ein wahrer Knäuel, wo sich Ranken und phantastische Gestalten aller Art in den sonderbarsten Wendungen hundertfach verschlingen. Die Ausschmückung dieses japanischen Salons lieferte die königliche Porzellanfabrik in Madrid, und wenn man diese wirklich kunstvollen Arbeiten bewundert, so kann man es nur bedauern, daß die Porzellanfabrikation heute so gut wie gar nicht mehr existirt. Was sich sonst noch an Sehenswürdigkeiten im Schlosse findet, sind einige gute Fresken und Deckengemälde von Velasquez, sowie hie und da zerstreut prachtvolle Mosaiken und Krystallgefässe, Alabasterwerke, Broncen, aus welchen übrig gebliebenen glänzenden Spuren man wohl errathen kann, wie die Einrichtung des Palastes einstens gewesen sein mag.
Das Prächtigste oder doch das Reizendste und Schönste in Aranjuez ist aber der Inselgarten, der dicht ans Schloß stößt und durch die vorhin erwähnte Blumenterrasse mit demselben zusammenhängt. Er hat seinen Namen daher, weil er von zwei Armen des Tajo umfaßt wird, der sich oberhalb spaltet und dann wie liebend die hoch aufgemauerten Terrassen umfluthet, auf denen der Garten liegt. Der schönste Punkt ist bei der Blumenterrasse, wo der Tajo in seiner ganzen Breite, kaum leicht bewegt, wie ein silbernes Band aus dem Schatten dichtbelaubter Bäume hervortritt, um unmittelbar vor dem Schlosse einen über zwanzig Fuß hohen imposanten Wasserfall zu bilden, dessen Anblick in der Hitze des Sommers kühlend und erfrischend sein muß. Dann wirkt sein Tosen, das Grollen und Murmeln seiner Wasser gewiß einschläfernd und ladet den Beschauer zur Siesta ein, der den schönen Fall von einem der steinernen Bänke betrachtet, welche am Rande der Terrassenbrustwehr, unter hundertjährigen Bäumen stehen. Eine prächtige vierfache Platanenallee der ältesten Bäume zieht sich neben dem Wasserfall und dem Tajo dahin; dieselbe hat vielleicht hundert Schritte vom Schlosse entfernt eine Wendung gemacht, man sieht von den Gebäuden nichts mehr und befindet sich auf einem heimlichen stillen Plätzchen, welches durch dichte Gebüsche und hohe Hecken vor jedem Blicke geschützt ist, während das Murmeln des Tajo einem argwöhnisch lauschenden Ohre nicht gestattet, den geringsten Laut eines Gespräches, das hier geführt wird, verrätherisch zu erspähen.
In diese Allee verlegte meine Phantasie den romantischsten Theil von Schillers Don Carlos. Der kühle, reizende Platz am Wasserfalle war wohl der Lieblingsaufenthalt des schlauen Beichtvaters; hier traf er den Prinzen, der nun darauf die Allee hinabeilte, zu jenem heimlichen, lauschigen Plätzchen, wo er die Königin traf, und wo der strenge König später erschien, um der armen, unschuldigen Prinzessin von Mondekar zehn Jahre Zeit zu geben, fern von Madrid über allerlei nachzudenken. Ich kann mir die Richtigkeit dieses aufgefundenen Punktes im Inselgarten von Aranjuez nicht nehmen lassen, und war so sehr davon überzeugt, daß ich dort Epheublätter abbrach, und sie verschiedenen Damen in der Heimath mit der Angabe meiner Entdeckung zusandte.
Um den ganzen Inselgarten am Ufer des Tajo vorbei setzen sich diese Alleen fort, mit Bäumen in solcher Höhe und Stärke, daß sie an einen Urwald erinnern. Das Innere des Gartens besteht aus geraden, scheinbar regellosen Wegen, von denen immer eine Anzahl in Form eines Sternes auf einem großen Rundstücke zusammenläuft, wo sich alsdann Fontaine, Wasserwerke in den verschiedensten Arten, sowie Bänke zum Ausruhen befinden. Für die bessere Unterhaltung hätte schon etwas mehr geschehen können; die Wege waren nicht besonders reinlich gehalten, die glatten Thujahecken nicht sauber verschnitten, und in den steinernen Bassins und Schalen der Fontainen lag Kehricht aller Art, vertrocknete Blätter, selbst Schutt, und vielen sah man an, daß der belebende Wasserstrahl hier lange nicht emporgesprungen. Auch die Mittelpunkte der verschiedenen Sternwege, die großen Rondells waren sehr verwahrlost, mit Stein- und Erdenhaufen bedeckt, sowie mit zerbrochenen Bänken und Fußgestellen, auf denen die Bildsäulen fehlen. Es ist das schade um diesen wunderschönen Platz, so prächtig angelegt und so schön von der Natur bedacht; und trotz der Vernachlässigung, welche dieser Inselgarten erfahren, muß es im Sommer doch himmlisch sein im kleinen Parke von Aranjuez unter dem dichten Schatten dieser gewaltigen Bäume am Ufer der klaren Flut des Tajo oder im Innern des Gartens, wo in viele Wege kein Sonnenstrahl zu dringen vermag, wo Massen prächtig blühender Rosen ihren süßen Duft freigebig spenden, unzählige Springbrunnen ihren klaren Strahl in die Höhe schleudern, der mit sanftem Geplätscher wieder herabfällt, und wo man, auf einer Steinbank ausruhend, von weitem her das Rauschen und Brausen des großen Wasserfalls vernimmt. Leider war es uns ja nicht vergönnt, diesen Garten in der schönen Jahreszeit zu sehen, wo die alten hohen Stämme überall mit Epheu und Lianenpflanzen umrankt sind und die Strahlen der Mittagssonne der Art gebrochen, daß man beinahe Kühle empfindet, wo bei der Hitze des Tages die frische Baumluft zur Rast auf den steinernen Bänken einladet, wo, wie der Verfasser von »Morgen- und Abendland« erzählt, Rosenhecken und Rosenbäume duftende Bouquets in die düsteren Schatten der dichtgestellten Riesenbäume flechten. Überall, fährt er fort, stößt man alsdann wieder auf Perspectiven, die das Schloß in der Ferne zeigen, wenn man bereits den Ausweg verloren glaubt, und die schönen Bäume biegen ihre üppigen Zweige und Wipfel über die kühlen Wogen der beiden Ströme hinab, alles in natürlichen Bogengängen, alles dicht, alles Schatten, alles ohne Zwang, oft gleich Urwald verschlungen, aber immer wieder von neuen Gängen durchbrochen. Solche gewaltige Bäume können nur Jahrhunderte erzeugen, sie haben das Größte und Herrlichste geschaut, sie haben die Könige beschattet, in deren Staaten die Sonne nie unterging, und die stille Liebe.
Der spanische Hof kam in den letzten Jahren nur höchst selten nach Aranjuez, da die Königin es mehr liebt, ihren Frühlings- und Sommeraufenthalt in La Granja zu nehmen, welches auf der Höhe des Guadarrama gelegen, sich einer frischen erquickenden Bergluft erfreut, wogegen das wasserreiche Thal von Aranjuez, im Sommer sehr dunstig und schwül, leicht Wechselfieber erzeugen soll.
Über die Blumenterrasse vor dem Schlosse zurückgehend kommt man über eine zierliche Drahtbrücke mit hohen Standbildern an den vier Ecken, welche den Tajo meinem einzigen Bogen überspannt, und erreicht nach kurzer Wanderung den »Fürstengarten«, einen prächtigen und schönen Park, der in jeder Hinsicht vortrefflich unterhalten ist und über eine Stunde lang an den Ufern des Flusses dahinzieht. An der Madrider Straße ist er von einer herrlichen breiten Allee eingefaßt und von jener durch ein reiches Gitter getrennt, in welchem verschiedene hohe Steinthore befindlich sind, die zu beiden Seiten durch Portierhäuser dem Publikum den Eingang gewähren.
Es war ein prächtiger klarer Morgen, als wir hier auf den breiten Kieswegen wandelten; die Nebel, welche uns heute früh kältend eingehüllt, waren von der Sonne niedergedrückt worden, hatten sich verstohlen an Gräsern und Blättern angehängt und dienten nun der stolzen Siegerin als ebenso viele Spiegel, welche dienstbar die hellen Strahlen in allen Farben des Regenbogens zurückwarfen. Dabei war die Luft warm, würzig, angenehm und uns Deutschen hier in dem fernen Spanien so außerordentlich wohl zu Muth. Der Park, in dem wir wandelten, erinnerte in seiner frühjährlichen Färbung ja so sehr, bald an unsere großen deutschen Gärten, bald sogar an unsere lieben heimathlichen Wälder, denn so still und feierlich wie in diesen war es auch heute morgen hier in dem Fürstengarten von Aranjuez, so bekannt rauschten unsere Tritte in dem abgefallenen Platanenlaube, und wenn wir lachten, – und wir lachten häufig, – so hallte das weit hinaus zwischen die Stämme der gewaltigen Bäume. Ich will nicht verschweigen, daß wir zu allerlei Kurzweil aufgelegt waren, daß wir deutsche Lieder sangen und daß wir uns das kindliche Vergnügen machten, uns als das Gefolge eines großen Herrn darzustellen, indem wir alsdann einen unter uns mit so außerordentlicher Ehrerbietung behandelten, beständig mit abgezogenem Hute und so tief gebückt zu ihm sprachen, daß ihn die Arbeiter des Parks und die Aufseher ebenfalls für nichts Geringes hielten und es gerade machten wie wir. Zu der Person des »Herrn« nahmen wir unsern Reisegesellschafter, Herrn W., vom Cid, der uns in Barcelona verlassen, den wir in Madrid wieder gefunden, und der mit uns die Tour nach Aranjuez und Toledo machte. Er nahm den Scherz bereitwillig auf und führte ihn vortrefflich durch, inklusive jenes kostbaren Momentes, wo die Pförtner des Gartens durch ein entsprechendes Trinkgeld nicht enttäuscht werden durften.
Wie schon gesagt, ist der Fürstengarten auf einer Seite vom Tajo begränzt, der hier eine ansehnliche Wassermasse hat, welches in Hunderten von Rinnen in den Park geführt wird, dort kleine Seen und Teiche speist und überall eine fast unglaublich üppige Vegetation hervorbringt. Schöner wäre es freilich noch gewesen, wenn man den Fluß selbst in den Garten hineingezogen hätte, statt daß er jetzt nur als Gränze und Wasserkanal dient. Unbegreiflich ist es mir, daß man nicht wenigstens seine Ufer nach der Seite des Parkes zu einem reizenden Spaziergang umgeschaffen, wozu alles Material im Überfluß vorhanden gewesen wäre. Jetzt aber wird die Gränzlinie durch einen hohen und kahlen Erdaufwurf gebildet, der die Aussicht auf den Tajo sperrt und über den man mühsam hinabsteigen muß, um an den Fluß selbst zu gelangen. Dieser hat dann aber auch wieder sein Schönes durch die vollkommene Ungezwungenheit seiner Ufer, von denen das üppigste Buschwerk in sein tiefes Bett herabhängt, aus dem dann wieder Wasserpflanzen aller Art emporsteigen, durch welche wilde Enten und andere Vögel streichen, eine so malerische Wildniß bildend, daß man hier nicht glaubt, man befinde sich wenige Schritte bei einem so sorgfältig angelegten Parke.
Das Innere des Fürstengartens ist eine beständige Abwechslung, bald von dunklem Walddickicht, hie und da mit geheimnißvollen Pfaden durchschnitten und gebildet von riesenhaften Bäumen, dem herrlichsten grünen Laubholze, zwischen denen sich fast schwarze Cypressen erheben, so colossal, wie ich sie nur auf den Kirchhöfen Konstantinopels gesehen habe; bald von großen Platanen und Pappelalleen, – hier von den fruchtbarsten Obstgärten, zwischen denen Frühbeete und Glaskästen stehen, dort von großen, freien Waldtriften, umsäumt mit Cedern, Cypressen, Silberpappeln, Eichen und Wallnüssen, so einen stillen abgelegenen Raum bildend, in dem sich die seltsamsten Bauwerke, Teiche und Wasseranlagen der verschiedensten Art befinden. Dort sieht man Marmorgruppen, Karyatiden, Blumenkörbe, hier ziert eine der schönsten Anlagen einen Teich mit zwei Inseln, auf denen sich ein Marmortempel befindet, ihm gegenüber auf Felsen eine Granitpyramide, und diese verschiedenen Punkte sind durch Stein- und Gitterbrücken mit einander verbunden. Im Sommer muß es hier wahrhaft reizend sein, wo in den wildesten Theilen des Gartens das Strauchwerk von farbenprächtigen Blüthen strotzt, wie man sie bei uns kaum in Treibhäusern sieht, wo die Beete glänzen und schillern von den edelsten Blumen, und wo deren Königin, die wunderbar prächtige Rose, alles dominirt in nie gesehener Herrlichkeit. Findet man doch hier kleine Gärtchen, mit niedern Hecken eingefaßt, in welche Thüren und viele eingezäunte Gänge zu Lauben, Bögen, Hütten und Blumenbeeten führen. Allein alle diese Blumen sind Rosen; die Hütten, die Lauben, die Bögen, die Thüren, die Zäune und die Bäume, alles ist alsdann Rose, rothe Rosen in Millionen über diesen kleinen Raum vertheilt, von paradiesischem Aroma getränkt, das die Vögel gierig einsaugen, das das Herz der Menschen erfrischt und es stärker und sehnender schlagen läßt.
Nach stundenlangem Umherschlendern im Parke – wir hatten uns absichtlich vom Führer nicht leiten lassen, sondern waren bald rechts bald links in einen Weg eingebogen, der uns besonders reizend erschien, oder wo uns gerade durch lichtere Baumgruppen ein künstlicher Felsen mit Wasserwerken und Statuen anzog – gelangten wir endlich auf einen freien Platz, der sich als eine Art von Pleasureground vor einem kleinen niedlichen Schlosse erhob, welches vielleicht eine kleine Stunde von der Stadt entfernt, im dichtesten Theil des Parkes liegt. Dieser kleine Palast ist die niedlichste und reichste Villa, die man nur sehen kann; weder Verhältniß noch Styl des Bauwerkes fallen von außen durch Großartigkeit in die Augen, und doch betrachtet man es entzückt. Hier im abgelegenen Dickicht kommt es uns wie ein kleines Zauberschloß vor; seine Formen sind edel und geschmackvoll, und auf dem dunklen Waldgrunde hebt sich das weiße Gebäude mit feinen kleinen Terrassen, Mauervorsprüngen, Nischen mit Bildsäulen und Büsten scharf und lebendig ab. Es ist die berühmte Casa del Labrador, vor der wir stehen. Karl IV. hatte eines Tags die Idee, sich ein ländlich eingerichtetes Gartenhaus zu bauen; ob nun der ursprüngliche Plan anders war, oder ob der spanische König den kleinen Palast, wie er heute dasteht, für eine einfache ländliche Wohnung hielt, weiß ich nicht anzugeben; – genug, diese prächtige kleine Villa mitten im Park von Aranjuez heißt Casa del Labrador, Bauernhaus, und ist auf diese Art wohl das reichste und in seinem Reichthum einzigste aller Bauernhäuser der ganzen Welt.
Gleich beim Eintritt in die Villa sehen wir, daß das Innere vollkommen würdig ist des reichen Äußern; auf allen Seiten ist man umgeben von Marmor, Gold, Bronze, Malerei und prächtigen Sculpturen, und was das Erwähnenswerteste ist, alle Reichthümer, welche man hier sucht, sind aufs Geschmackvollste vertheilt und angebracht. Wir staunen die reich verzierten Plafonds an und bemerken im ersten Augenblicke nicht, daß wir auf ebenso kostbare Fußböden von künstlichem Marmormosaik treten; eine sinnreich gedachte Kreistreppe mit marmornen Stufen und vergoldetem Geländer, zu welchem man, nebenbei gesagt, sechshundert Unzen Goldes verbraucht hat, führt in den ersten Stock. Hier ist jedes Zimmer von dem andern verschieden, und wir schreiten staunend durch diese Masse von Reichthümern. Hier sehen wir die Böden, Thüreinfassungen, Wandbekleidungen von edlem Marmor, dort von kostbaren Holzarten, aufs Reichste eingelegt, alle Schlosserarbeiten versilbert und vergoldet. In diesen Zimmern überraschen uns die reichen, wie eben erst gemalten Plafonds, sowie die Seidentapeten aus den schwersten Stoffen, mit Stickereien überladen; in jenem sind dagegen die Wände von Meisterhand gemalt, mit prächtigen Möbeln versehen, Marmortische auf vergoldetem Untergestell tragen eine Unzahl kleiner Kunstwerke: Uhren, Vasen, Statuetten, wogegen Spiegeltische, Kamine und Etagèren in den Ecken voll der seltensten Porzellanarbeiten sind.
In drei Zimmern dieses seltsamen Bauernhauses befinden sich Bildhauerwerke, namentlich Statuen, worunter Alterthümer, die jedem Museum zur Zierde gereichen würden. Der Glanzpunkt des Ganzen ist übrigens ein kleines Zimmer mit Nebenkabinet ganz in Paris nach Perciers Zeichnungen verfertigt, wenige Schritte lang und breit, wo aber an Kunstwerken, an Decken- und Wandgemälden, an Gold, Marmor und edlen Holzarten das Unglaubliche zusammengetragen ist. Es ist unmöglich, mit Worten einen Begriff von der Pracht und dem Reichthum zu machen, die sich hier in dem Gemach vereinigt finden; man sagt, die Verzierungen desselben haben vierzehn Millionen Realen gekostet, allerdings eine ungeheure Summe, aber fast glaublich, wenn man bedenkt, daß nicht nur Wände und Thüren von goldenen und Platina-Arabesken strotzen, und daß nicht nur jeder Stuhl und jedes andere kleine Möbel ein Kunstwerk ist, sondern selbst die Griffe an den Thürschlössern und an den Fensterbeschlägen von Künstlerhand aus Gold und Silber geformt wurden.
Unter anderen hat dieses Zimmer vier kleine reizende Wandgemälde Girodet's, die Jahreszeiten vorstellend, von so herrlicher Composition, daß unser Maler es nicht unterlassen konnte, sie trotz eines sehr mißbilligenden Blickes des Hausverwalters, der uns herumführte, in sein Buch zu skizziren. Ich glaube, daß es Jedem wie uns ergehen wird: wir verließen die Casa del Labrador übersättigt, geblendet, und der lange Spaziergang von hier nach unserer Fonda zurück durch den schönen Park kam uns gut zu Statten, um den Unterschied zwischen unserem gewöhnlichen Leben und der ländlichen Einrichtung eines spanischen Königs nicht gar zu stark zu empfinden.
Abends setzte uns unsere alte Engländerin ein gutes Diner vor, zu welchem sie ein großes Rostbeef, auf englische Art zubereitet, mit vielem Stolze selbst auftrug. Zufälligerweise spielte heute in Aranjuez eine wandernde Schauspielertruppe, was wir unmöglich versäumen durften, und hatten wir uns deßhalb schon vor dem Essen Karten zu der Vorstellung genommen. Das Theaterlocal ist klein und unbedeutend, und die Schauspieler und das Stück waren so außerordentlich schlecht, daß wir uns eben dadurch vortrefflich amüsirten. Das Publikum im Parterre bestand meistens aus Unteroffizieren der Garnison, welche sich für die Greuelthaten, die auf der Bühne vorfielen, aufs Lebhafteste interessirten und so sehr ergötzlich mitspielten. Nie in meinem Leben habe ich in fünf Acten und zwei Stunden eine solche Menge Schaudererregendes aller Art zusammen gedrängt gesehen wie hier; jede Scene hatte entweder eine Entführung, irgendeinen Verrath an den heiligsten Gefühlen der Menschheit, einen qualificirten Mord oder eine gesetzliche Hinrichtung.
Glücklicherweise hatten wir aber am heutigen Tage so viel Schönes gesehen, daß die schauerliche Komödie nicht im Stande war, während der Nacht meinen Schlaf zu beunruhigen; vielmehr wandelte ich im Traume durch die herrlichen Parke und Gärten, in denen jetzt Tausende von Rosen blühten und dufteten; alle Wasserwerke sandten ihre kühlenden Strahlen in die heiße Luft hinauf und unzählige Nachtigallen sangen dazwischen ihre schmelzenden Liebeslieder. Anfänglich klangen dieselben freudig und jauchzend, wie im Übermaße des Glücks in dieser Herrlichkeit leben zu dürfen; bald aber mischte sich ein ernster und melancholischer Klang dazwischen, und als ich träumend an dem großen Wasserfall des Tajo stand, sein Brausen hörte und den erfrischenden Wasserstaub auf meinem heißen Gesichte fühlte, war es mir, als sänge eine der neckenden Nachtigallen: Ach! sie sind nur zu bald vorüber, die schönen Tage von Aranjuez!
Um halb sechs Uhr am andern Morgen standen unsere Pferde an dem Thore des Gasthofes Fonda ingles in Aranjuez bereit und wir waren im Begriff, sie zu besteigen, mit Ausnahme unseres kleinen Architekten, der, mit der Sprache besser bewandert als wir, den Zahlmeister machte, und sich in der Küche mit der überaus freundlichen Wirthin herumzankte, welche ihm mit lachendem Munde eine sehr unverschämte Rechnung einhändigte.
Dank dem Rostbeef, welches wir bestellt, und dem Grog, den wir uns vor Schlafengehen gebraut, hatte man uns doch noch für Inglesen genommen, unsere Zeche wenigstens nach deren meist wohlgespickten Börsen berechnet. Um etwas davon herabzudingen, mußten wir unserem guten Baumeister zu Hülfe kommen, dessen freundliches Gemüth nicht im Stande war, einer Spanierin mit dem hier unentbehrlichen Lärm und Nachdruck entgegenzutreten. Endlich war der Streit geschlichtet und trotzdem, daß wir ihr fünfzig Realen abgehandelt, schieden wir doch im besten Frieden.
Unsere Pferde waren von einer sehr kleinen Race, eigentlich große Pony's, jedoch von einer merkwürdigen Ausdauer, wie uns der Pferdeverleiher versicherte. Jeder von uns schnallte seine kleinen Habseligkeiten: Nachtsack, Decke oder dergleichen, hinter sich auf den Sattel, dann wurde nach Commando aufgestiegen, worauf wir uns wegen des Glatteises, welches die Steine bedeckte, sehr behutsam in Bewegung setzten.
Der Morgen dämmerte auf, sein freundliches Licht wurde aber zurückgehalten durch einen dichten Nebel, der dem Tajo entstieg und Alles in seine grauen Schleier hüllte. So war es uns denn bei unserer Abreise nicht vergönnt, Schloß und Park von Aranjuez noch einen Abschiedsblick zu schenken; von ersterem sahen wir nur ein Stück der rothen Palastmauer durch den Nebel schimmern, von letzterem nur die kahlen Äste einiger Baumriesen, und vernahmen auch nur wie aus weiter, weiter Entfernung das Rauschen des Wasserfalles im Inselgarten, als wir über den weiten Platz San Antonio ritten. Dazu war der Nebel kalt, wir wickelten uns fest in die Mäntel, und lange wollte Lust und Scherz nicht gedeihen.
Der Weg von Aranjuez nach Toledo führt anfänglich stundenlang durch eine schnurgerade Allee, die mit zwei Reihen herrlicher Bäume besetzt ist; rechts und links befindet sich eine Art erhöhter Trottoirs, von Zäunen aus niederem Gebüsch eingefaßt, und da die Mittelstraße steinig und meistens unergründlich kothig war, so ritten wir auf diesen Trottoirs, aber Einer hinter dem Anderen, was ziemlich langweilig war. Zuweilen lassen Lücken in den Gebüschhecken oder Thore in seltsamem Geschmack ohne Gitter deren Bestimmung wir nicht zu enträthseln vermochten, eine Durchsicht nach der Seite, wo man aber auch nicht viel Erfreuliches schaut. Die breite Allee scheint ein schmales Stück Civilisation zu sein, welches Aranjuez von Weitem ankündigen soll, und das wie ein grüner Streifen in dem öden, kahlen Terrain der Mancha liegt. Die Bäume, welche diese Allee bilden, sind nur durch sorgfältige Pflege so gediehen; überall sieht man nämlich kleine Gräben, welche das lebendige Wasser des Tajo an ihre Wurzeln führen und auch wohl dazu bestimmt sind, Sommers den lästigen Staub der Straße zu dämpfen. Heute hatten wir von demselben gar nichts zu leiden; überhaupt war es ein großer Vortheil unserer Winterreise in Spanien, daß wir mit diesem grimmigen Feinde wenig zu thun bekamen.
Wir hatten nun die langweilige Allee hinter uns, konnten auf einer ziemlich schlechten Straße, die bergauf und bergab führte, jetzt neben einander reiten und uns so manche kleine Unterhaltung verschaffen. Unser lieber Freund, Herr W., hatte schon seit längerer Zeit durchblicken lassen, daß er eigentlich ein ganz vortrefflicher Reiter sei und erzählte gern von englischen Fuchsjagden, wo der Sprung über eine sechs Fuß hohe Gartenmauer oder einen zehn Fuß breiten Graben unter die Sachen gehöre, welche ihm jeden Augenblick vorgekommen seien. Trotz allem dem aber saß er ziemlich komisch zu Pferde und bildete eine einigermaßen seltsame Figur. Die Beine hatte er bekleidet mit Hosen von wasserdichtem Zeuge, darüber fiel ein langer Paletot, um Hals und Kinn trug er einen dicken Shawl und auf dem Kopfe einen runden Hut, der bei dem Traben sehr starke Neigung zeigte, nach hinten zu rutschen. Daß man, wie er that, die Fußspitzen immer hartnäckig zu Boden kehre, behauptete er, sei so Gebrauch bei den englischen Sportsmen, ebenfalls, daß er die Zügel von Trense und Candare fest zusammengeklemmt in der linken Hand trug. Leider konnten wir bei unserem Ritte dem Herrn W. keinen breitem Graben zum Setzen offeriren und mit kleinen Rinnen ließ er sich gar nicht ein; da leitete er sein Pferd vorsichtig hindurch, oder später, wo das Terrain einmal gar zu coupirt und unangenehm war und er beträchtlich zurückblieb, so daß wir auf ihn warten mußten, kam er endlich an – sein Roß bescheiden am Zügel führend.
Unser kleiner Baumeister, der vor dem Aufsteigen sein Pferd mit finsteren Blicken und Kennermiene umschritten, und der gestern beim Grog hatte durchblicken lassen, er sei kein sonderlicher Reiter, zeigte aber schon nach einigen Stunden eine solche Kühnheit im Sattel, daß wir ihm unsere volle Anerkennung nicht versagen konnten. Er ritt ein Grauschimmelchen von sanfter Natur, welches Neigung zum Galoppiren hatte, und wenn wir so ein kleines Wettrennen veranstalteten, so galoppirte er immer lustig voraus, freilich etwas stark vornüber gebeugt, aber er galoppirte doch; wogegen Herr W. nur trabte, nach englischer Sitte, wie er behauptete, denn nur so habe man sein Pferd in der Gewalt. Von dieser Gewalt legte er aber sehr zweideutige Proben ab; denn meistens trabte und hielt der Gaul nur dann, wenn die anderen Pferde es ebenso machten und bei einem der letzteren Fälle, der einmal etwas plötzlich eintrat, verlor Herr W. die Bügel, schaute denn seinem Pferde bedenklich zwischen die Ohren, und eine ziemlich verbürgte Tradition behauptet, er habe in diesem kritischen Augenblick beide Zügel geopfert, um dafür den Sattelknopf zu ergreifen. Unser langer Maler kletterte lustig wie immer über Berg und Thal, wobei es ihn besonders freute, wenn sein Gewehr recht klirrte, und wobei er sich häufig an Biegungen des Weges fest in den Bügeln aufrichtete, um, ein zweiter Don Quixote, nach Abenteuern umzuschauen. Um bei diesem Vergleiche zu bleiben und nicht als parteiisch zu erscheinen, muß ich mich denn selbst als Sancho Pansa darstellen, und wenn ich auch keinen Esel ritt, so war doch mein Pony der kleinste und untersetzteste von allen, dabei aber der stärkste, um die ihm zuerkannte Last gehörig zu tragen.
Es war indessen gut, daß wir auf unserem Ritte nach Toledo durch allerlei lehrreiche Gespräche und lustige Lieder uns die Zeit vertreiben konnten; denn das Terrain, durch welches wir zogen, war wenigstens während der ersten Hälfte unseres Weges höchst uninteressant; kahl und unfruchtbar stieß ein Hügel an den anderen, dabei war gelber Sandboden vorherrschend, und unsere Straße zog sonach in einem gelben Streifen vor uns dahin, jetzt kaum unterscheidbar von der Fläche zur Rechten und Linken, jetzt wieder als eine helle Linie über braune Haiden, welche mit magerem Gebüsch und Buxbaum bewachsen waren. Die einzige Abwechslung bot weit zu unserer Rechten das schmale Tajothal, mit Bäumen besetzt, theils kahl, theils belaubt, welche grau und grün schillerten, und das uns den ganzen Tag getreu zur Seite blieb. Hinter dem Flusse erhob sich eine Kette seltsam geformter Hügel, hier und da sah man ein altes Mauerwerk, auch wohl eine einsame graue Kirche, die uns recht verlassen erschien; denn da die Gegend ringsum wie ausgestorben ist und wir auch nicht die Spur einer menschlichen Wohnung sahen, so begriffen wir nicht, woher die Hand kommen soll, um das Glöcklein dort oben in Bewegung zu setzen, daß es weithin schallt über die Ebene. Ja, wenn dieß plötzlich geschähe, würde man erschrecken hier in der Öde und könnte zu dem Glauben berechtigt sein, als trieben dort oben allerhand Geister ihr unheimliches Wesen. – Vorbei denn!
Unsere Pferdchen galoppiren auf dem weichen Sande lustig vorwärts, hügelauf, hügelab. Abwärts thut unser Arriero etwas langsamer, um sich und uns vor dem Hinstürzen zu bewahren. Es ist fast Mittagszeit und die uns versprochene Venta auf halbem Wege könnte eigentlich erscheinen. Jetzt taucht auch in der Ferne Mauerwerk vor uns auf, unser spanischer Begleiter legt auf echt türkische Art die gekrümmten Finger mehrmals an den Mund, schmatzt dazu und will so gutes Essen und Trinken ausdrücken, welches er erwartet. Wir dagegen erwarten gar nichts, denn wir kennen von unserem Ritte durch die Mancha leider zu genau den Inhalt dieser Halbwegsherbergen, haben uns auch deßhalb in Aranjuez vorgesehen und hinten auf meinem Pferdchen liegt ein Zwerchsack, mit dem Nothwendigsten versehen. Wir haben noch eine tiefe Schlucht zu passiren mit steilen Sandsteinfelsen, über welche wehende Sträucher herabnicken, dann galoppiren wir lustig aufwärts und erreichen das weite Plateau, auf welchem die Venta liegt – nur die Ruinen der Venta, ein verlassenes Haus, wie ich richtig geahnt. Unser Arriero kratzte sich hinter den Ohren und schwor bei allen Heiligen, die ihm gerade einfielen, daß hier noch vor einem halben Jahr die prachtvollste Wirthschaft gewesen sei, der süßeste Wein auf zehn Stunden in der Runde und Garbanzo's mit Speck, daß einem die Seele im Leibe gelacht. Das Gemäuer dieses ehemaligen Gasthofes sah übrigens schon von Weitem so trostlos und verfallen aus, daß sich von uns Niemand hinbemühte; nur der Arriero trabte vor die Thür, umritt das Gehöfte kopfschüttelnd und stellte, als er im Schritt zurückkehrte, wahrscheinlich traurige Betrachtungen an über den Wechsel alles Irdischen.
Was brauchten wir aber auch eine Venta mit rauchiger Küche und oftmals schmieriger Padrona? Waren wir nicht viel besser hier unter freiem Himmel aufgehoben, der sich freundlich, klar und blau über uns ausspannte? Dabei war die Luft angenehm und nicht zu kühl. Was wir von dem Erbauer dieser Venta genossen, war sein guter Geschmack, der ihn veranlaßte, sich gerade an dieser Stelle anzubauen, auf einer Anhöhe, die meilenweit ringsum das Terrain beherrschte. Ja, auch eine solche öde Gegend kann interessant sein, namentlich wenn man ermüdet vom Pferde gestiegen ist, sich lang ausstreckt in die duftenden Haidekräuter und zwischen ihren feinen Zweiglein und braunen Blüthen hindurch nach dieser Seite hin die Wellenlinie des fernen, grau verschwimmenden Horizontes betrachtet – eine Bergkette, die auch wir noch zu besteigen haben und noch mehrere der dahinter liegenden, bis wir endlich wieder an das weite blaue Meer gelangen, den Weg nach der heiligen Heimath. Auch nach jener Seite zu ist der Anblick nicht uninteressant; denn der Arriero hat den erwähnten Zwerchsack geöffnet und mit leuchtenden Augen kaltes Geflügel, Schinken, hartgesottene Eier und Käse auf das vertrocknete Gras gelegt und daneben ein paar dickbauchige, freundliche Flaschen aufgestellt. Wie eine Weihnachtsbescheerung nimmt sich das unter den grünen Buxbaumsträuchern aus.
Unser Halt hier hat etwas Pittoreskes und verdient es wohl skizzirt zu werden. Die Pferde mit den zusammengebundenen Vorderfüßen weiden um uns her und den Abhang hinunter. Die lange Figur unseres andalusirten Malers steht aufrecht da, er hält sein Gewehr in Bereitschaft, denn es könnte ja allerlei Seltsames über uns hereinbrechen, wilde Räuber oder ein zahmes Kaninchen. Herr W., der seinen Cachenez abgelöst hat und hungrig auf die Collation blickt, meint, Spanien sei im Allgemeinen recht schön, und der kleine Baumeister wischt seine Brillengläser ab, um diese Schönheiten des Landes genau betrachten zu können. Endlich fallen wir mit einem wahren Wolfshunger über das Frühstück her, und da uns der Arriero trefflich unterstützt, so sind wir bald mit Geflügel, Eiern und Schinken fertig, haben Alles obendrein tüchtig mit Wein begossen und rüsten uns zum Aufbruch. Unser Spanier sammelt alle Überreste der Speisen sorgfältig in ein Stück Papier und die der Getränke in seinen Magen, Jeder von uns zieht den Sattelgurt seines Pferdes fester an, dann schwingen wir uns auf, der kleine Baumeister, der ganz des Teufels ist, singt: »Wohlauf, Cameraden, aufs Pferd, aufs Pferd!« und galoppirt mit wahrer Todesverachtung den ziemlich steilen Hügel hinab. Wir waren so erstaunt über diese Keckheit, daß sich selbst der lange Maler, der immer etwas eifersüchtig war auf die Reitkunst der Anderen, nicht enthalten konnte, in die größten Lobsprüche auszubrechen, worauf uns denn der Baumeister lächelnd gestand, wir hätten alle Ursache, mit seiner Reiterei zufrieden zu sein, denn offenherzig gesagt, befinde er sich heute zum erstenmale so eigentlich recht zu Pferde.
Daß wir durch diese kleinen Neckereien rascher vorwärts kamen, war der Hauptvortheil derselben während dieses langwierigen Rittes. Glücklicherweise änderte sich auch nach einer Stunde das Terrain ein wenig, wir verließen die Fahrstraße, mit derselben Sand und Haide und ritten durch grüne Berghalden – doch muß man sich keinen Wald auf unserem Wege vorstellen – dann durch Wiesenthäler ohne alle Pfade, wo wir auch einigemal den Weg verloren, jedoch nicht die Richtung; denn schon kurz nach unserer Rast sahen wir fern am Horizont eine nebelhafte Masse emporsteigen, einen seltsam geformten Felsen, nicht unähnlich dem des Alcazar von Toledo. Bald verschwand er unseren Blicken wieder, kam aber bei jeder Anhöhe, die wir erstiegen, abermals zum Vorschein, war jedoch noch lange Zeit meinem Auge so undeutlich, daß ich ihm nicht die Form eines Schlosses abgewinnen konnte.
Toledo liegt von Aranjuez über fünf deutsche Meilen entfernt. Zwischen beiden Städten befindet sich kein Dorf; ja das einzige Haus ist die Venta, von der wir oben sprachen und die in Trümmern liegt. Hier und da, aber äußerst selten, sieht man wohl die Spuren eines angebauten Feldes, einen unbedeutenden Streifen, wo der Pflug die Erde aufgerissen. Und doch scheint der Boden an manchen Stellen nicht schlecht zu sein, auf jeden Fall besser als in Catalonien, wo jede Handbreit Erde benutzt ist. Die gränzenlose Verwilderung hier kommt aber wohl daher, daß das ganze Terrain, auf dem wir heute ritten, Kroneigenthum ist und nur zu Jagdgründen und Viehweiden benützt wird. Da aber kein hoher oder niederer Wald vorhanden ist, so beschränkt sich die Jagd wohl nur auf Kaninchen und Rebhühner; und was die Weide anbelangt, so sieht man nur in der Nähe von Aranjuez junge und alte Maulesel, sowie Pferde und Fohlen des königlichen Gestüts die Gesträuche abnagen und das magere Gras fressen. Übrigens sind die Ynguada's von Aranjuez berühmt und sollen die besten Reit- und Zugthiere in Spanien hervorbringen.
Nach und nach trat denn auch die seltsame Silhouette der Stadt Toledo deutlicher und klarer zwischen den Bergen hervor. Wir unterschieden schon hohe Mauern mit ausgezackten Zinnen, sowie Thürme, doch Alles so auf einen Punkt zusammengedrängt und hoch erhoben, daß man hätte glauben müssen, Toledo sei nichts als ein mächtiges Schloß auf hohem, steilem Felsen. – Toledo! welch prächtig klingendes Wort! Toledo! Wenn man im Angesicht seiner hohen Mauern ihm entgegenreitet, zuweilen einen Blick darauf wirft und dann, in Erinnerungen alter Zeiten schwelgend, vor sich niederschaut und diesen Namen ausspricht, so ist er wie ein Zauberwort, das eine alte gewaltige Zeit lebendig vor unser inneres Gesicht zaubert. Man sieht Schwerter blitzen und Lanzen, Helmzierden wehen und christliche Fahnen mit dem rothen Kreuze von San Jago zwischen Reiherbüschen und dem Feldzeichen der tapferen Mauren. Die stolze Geschichte Castiliens rollt an uns vorüber mit ihren Heldenthaten, die ans Fabelhafte streifen. Geharnischte Schattengestalten reiten mit uns gegen Toledo, und wenn wir ihre Blicke verstehen, so lesen wir in ihnen von Kampf und Sieg, von ritterlichen Abenteuern und zarter Minne, sehen aber auch, wie sie unser friedliches Reiterhäuflein mit ziemlich zweideutigen Blicken betrachten, wie ein sonderbares Lächeln über die eisernen Züge fliegt, während sie an uns vorüber galoppiren, uns natürlich weit zurücklassend; denn die Schattengestalten berühren ja nicht den Boden, und die längst vermoderten Pferde werden vom Hauch des Windes dahingeführt. – Toledo! Ja, bei seinem Anblicke wird es selbst uns ganz kriegerisch zu Muthe; der Boden hier haucht eine berauschende Atmosphäre aus. Gebt mir Schild und Lanze, auf, gen Toledo! – Dulcinea ist das schönste Weib der Erde! – –
Da aber Toledo für uns eine durchaus friedliche Stadt war und wir höchstens im Wirthshause ein solides Nachtessen zu erobern gedachten, so wandte sich unsere aufgeregte Phantasie einigen Räubern zu, die vielleicht hätten erscheinen können, und wenn in der Entfernung Reiter auftauchten, was übrigens selten genug geschah, so faßte Herr W. nach seinem Lifepreserver, und unser Don Quixote legte seine lange Vogelflinte schußgerecht über den Sattel. Es waren aber nur harmlose Wanderer, die uns begegneten oder welche wir einholten, um mit ihnen gegen Toledo zu ziehen. Einer der letzteren war ein junger Mann auf einem vortrefflich aussehenden Maulthiere, der lachend und plaudernd mit uns dahinzog, wobei er auf die Führung seines Thieres nicht genug Achtung gab; auf einmal stolperte dieses, stürzte nieder und warf seinen Reiter einige Schritte weit ziemlich unsanft auf den Boden. Ich erwähne dieses Umstandes nur, weil wir häufig sahen, wie Maulthiere stürzten, wo Pferde kaum strauchelten, und weil dieß der allgemeinen Behauptung von der Sicherheit des Maulthieres widerspricht, einer Behauptung, welcher ich, wie gesagt, nicht beipflichten kann. Mir war auf meinen vielen Ritten in Spanien selbst ein altes Pferd lieber als sein Bastardbruder, der als Reitthier alle möglichen unangenehmen Eigenschaften vereinigt. Das Maulthier ist faul, tückisch und unbehülflich auf seinen Beinen, dabei eigensinnig wie – ein Maulthier, und fast jedes hat seine besondere schlimme Angewohnheit.
Unsere Ponys hielten sich vortrefflich, und schon zu guter Nachmittagsstunde kamen wir in die Nähe von Toledo, erreichten auch die Fahrstraße wieder, und zwar an einer Stelle, wo sich ein improvisirtes Dorf befand, das unsere ganze Aufmerksamkeit fesselte. Es waren Gitano's, welche hier hausten, in Erdhütten oder unter Zelten, die aus schwarzen Filzdecken bestanden; die ganze weibliche Einwohnerschaft mit den Kindern saß vor diesen erbärmlichen Wohnungen und wusch ihre geringen Habseligkeiten; bunte, meistens gelbe und rothe Leinwandfetzen, von denen auch schon eine ziemliche Anzahl zum Trocknen über die umherwachsenden Sträucher ausgespannt war. Dieses Dorf lag an einem kleinen Bergabhange, etwas erhaben über einer weiten Thalebene, die bis zum Ufer des Tajo ging, wo wir heute zum erstenmal eine große Anzahl Männer und Buben mit Feldarbeit beschäftigt sahen. Eine Gesellschaft Engländer hatte die weiten, fruchtbaren Gründe da unten gekauft oder gepachtet und dort Süßholzpflanzungen angelegt, die, wie man uns sagte, vortrefflich gediehen und von den Zigeunern gegen Taglohn besorgt wurden. Es schien mir, als haben sie neben diesem Lohne auch die Vergünstigung, so viel Süßholz kauen zu dürfen, als ihnen beliebe; wenigstens waren Weiber und Kinder damit beschäftigt und boten auch uns freigebig davon an. Als ich, noch ein kleiner Knabe, mir zu Hause in der deutschen Heimath für einen Pfennig von diesem edlen Strauche kaufte, hätte ich mir da wohl träumen lassen daß ich einstens mit demselben Gewächs von einer alten Zigeunerin regalirt werden würde, und obendrein im Angesichte von Toledo?! H. skizzirte das Dorf in sein Heft, dann schwangen wir uns wieder in die Sättel und ritten der alten Stadt entgegen.
Die Straße, auf der wir trabten, war so lange fest und breit, bis wir in die nächste Nähe von Toledo kamen; hier aber, wo wir auf die ersten verfallenen Mauern stießen, wo auf den Höhen links neben uns Ruinen und rechts im Tajothal ansehnliche Gebäude sichtbar wurden, fing das alte spanische Elend wieder an. Unsere Thiere sanken bis weit über die Fessel in den Koth, stolperten auch beträchtlich über Löcher und Steine, und der volle Anblick der alten prächtigen Stadt, den wir jetzt hatten, wurde uns durch die Aussicht getrübt, vielleicht in der nächsten Minute ein unfreiwilliges Schlammbad nehmen zu müssen. Und es war wahrlich schade, daß man hier nicht sorglos und behaglich so recht die malerische Umgebung genießend reiten konnte. Der Weg dicht vor den Mauern der Stadt war eine Art Spaziergang, mit Bäumen bepflanzt und mit breiten Pfaden für die Fußgänger versehen, mit im Gebüsch versteckten Steinbänken für die Ermüdeten. Mächtige Mauern aus der guten alten Zeit, fest und solid gebaut, erhoben sich zu unserer Linken, und hinter ihnen standen uralte Ulmen, die ihre Zweige weit über die Straße ausbreiteten. Zuweilen wichen diese Mauern im Halbkreise zurück, und hier befanden sich dann ebenfalls Ruheplätze mit schönen Springbrunnen, aus welchen das Wasser von einer Schale zur andern melodisch herabplätscherte.
Endlich hatten wir das böse Stück Weges überwunden und ließen es, da wir aufwärts gegen die Stadt ritten, hinter uns. Prächtig und malerisch schön ist Toledo, die alte Hauptstadt Castiliens, über alle Beschreibung prächtig in seinen Ruinen und Anklängen an die vergangene gewaltige Zeit. Wie seltsam zeichnete sich die Felsenstadt in ihrer gelben und röthlichen Färbung von dem tiefblauen Himmel ab, eigenthümlich und großartig! Toledo liegt auf einem steilen, von allen Seiten frei stehenden Felsen; seine Wohnhäuser sind keck über einander gebaut, und zwischen den mannigfaltigen altersgrauen Massen ragen schlanke Saracenenthürme hervor neben Festungswerken späterer, christlicher Jahrhunderte, während Überreste ehemaliger Festungsmauern einen steinernen Gürtel um sie ziehen. Aber diese Festungswerke, diese Überreste alter stolzer Schlösser sind so sonderbar zerrissen und verwittert, daß das Auge mit Entzücken über diese wunderbaren Ruinen dahinfliegt. Hier steigt ein stolzes Gebäude seltsam gezackt in unzähligen Terrassen vom Ufer des Tajo bis hoch empor an den Fuß des Alcazar. Aber in dem dunklen Mauerwerk ist kein Fenster mehr, das freundlich dem Abendsonnenstrahl zum Spiegel diente; die Thüren sind verschwunden, und da auch die hintere Mauer eingestürzt ist, so sieht man durch die leeren Fensterhöhlen das gelbe Gestein, an welches sich der Bau lehnt, und den blauen Himmel.
Und immer neue Schönheiten erblickt man, während man langsam emporreitet. Auf einem Felsen zu unserer Linken gegenüber der Stadt liegt ein altes Saracenenschloß aus gelbröthlichem Stein erbaut, der noch in der Abendsonne flimmert und glänzt, während dunkle Schatten schon auf unseren Weg und die tiefer liegenden Theile von Toledo fallen. Nur der Alcazar glänzt noch herausfordernd im Strahl der sinkenden Sonne, und das christliche Schloß scheint seinem gegenüber liegenden feindlichen Bruder in Ermangelung anderer Kämpfe wenigstens den letzten Kuß der Sonne streitig machen zu wollen.
Als Festung einer ehemaligen, ganz anderen Zeit hat Toledo eine einzige Lage. In einer tiefen, steilen Schlucht strömt der Tajo, »der Fluß mit goldenem Sand,« fast ganz um den Felsen, auf welchem die Stadt wie auf einer Insel liegt; nur zwei gewaltige Brücken vermitteln die Verbindung – mit dem Festlande, könnte man sagen. Denken wir uns diese abgebrochen oder theilweise zerstört, so begreifen wir wohl, was die alten Geschichtschreiber erzählen von den furchtbaren Stürmen auf Toledo, die Hunderttausende von Menschenleben gekostet. An diesen glatten, steilen Felsen konnte man nur auf Händen und Füßen emporkriechen, und ein herabgerollter Baumstamm mußte Hunderte mit sich in die Tiefe reißen.
Dabei lag die Stadt so einsam und todt vor uns, kein Geräusch verkündete, daß sie bewohnt sei, und als wir über die von Fels zu Fels von König Almansor von Cordova im Jahre 987 in einem einzigen Bogen gesprengte Brücke von Alcantara ritten, hoch über dem dunklen, rauschenden Wasser, da klapperten die Hufe unserer Pferde wahrhaft gespenstig auf dem schweren Pflaster der ehemaligen Zeit. Seltsam hallte das Echo wieder unter dem trotzigen Festungsthore mit seinem finsteren Gewölbe, von dem dahinter aufsteigenden Felsen und der Riesenmauer des Königs Wamba, und schien uns erzählen zu wollen von anderen, bedeutenderen Leuten, die es einst wachgerufen aus seinem Schlafe, von Sultan Mulay und dem Cid Campeador, die häufig hier aus- und eingezogen. Hoch oben vom Thor schaut der gewaltige Doppeladler Karl's V. auf uns herab und gemahnt uns an dessen prächtige Regierungszeit.
Hinter diesem Thore führt ein Mauergang rechts um die Stadt, sehr hoch über der Ebene, die wir vorhin verlassen, aber immer noch um Hunderte von Fußen überragt von den Gebäudemassen zu unserer Linken. Die niedere Brustwehr erlaubte uns einen Blick in die Fläche hinaus, die im letzten Strahl der Abendsonne vor uns lag und in deren gelbgrauer Öde man weit, weit hinaus den Lauf des Tajo mit den Augen verfolgen kann. Nachdem wir ziemlich steil, aber immer noch an dieser äußeren Brustwehr geritten waren, wandte sich der Weg scharf links, das glatte Pflaster wurde steil wie ein Dach, und wir betraten die eigentliche Stadt durch einen maurischen Thorbogen, die sogenannte Puerta del Sol, der, allein übrig geblieben, zwischen Mauern aus der christlichen Zelt dastand und mir wahrhaft rührend erschien. War es doch das erste derartige gut erhaltene Bauwerk, dem wir in Spanien begegneten, und in seiner zierlichen Hufeisenform mit den seinen Sculpturen und den wohl erhaltenen arabischen Charakteren klang es besonders mir wie ein freundlicher Gruß aus dem fernen Orient, aus dem herrlichen Damascus, der Wiege seiner Erbauer, die ja auch ich einstens geschaut, und zugleich wie ein freundlicher Willkomm jenes Theiles von Spanien, wo die glänzende Maurenzeit noch so deutlich aufgezeichnet ist in Bauwerken, Sitten und Gebräuchen, und den wir in kurzer Zeit betreten sollten.
Dieses Thor machte einen gewaltigen Eindruck auf uns alle, namentlich weil es so verlassen und hülflos und doch wieder so trotzig zwischen den Mauern und Häusern steht, sich besonders auszeichnend durch die gelbe Färbung seiner Steine, jetzt ein Fremdling in dem Lande, das seinen Vätern einst gehörte. Rechts neben uns erhebt sich auf hohen Felsenmauern ein Haus über dem anderen, alle hoch, schmal, mit kleinen Bogenfenstern, denen das orientalische Gitter aufgezwungen ist. Neben schlanken christlichen Festungsthürmen sehen wir kleine maurische Kuppeln, neben Häusern mit flachen Terrassen gezackte Giebeldächer, die christliche und heidnische Zeit bunt durch einander gewürfelt. Auch eine alte Wasserleitung läuft neben unserem Wege, und deutlich sieht man, daß beide Nationen daran gearbeitet. Die weggebröckelte Säule unter dem maurischen Bogen ist durch einen schweren Pilaster ersetzt. Doch freuen wir uns hier dieser Wasserleitung. Die klaren Tropfen, die aus ihr an der Mauer herniederträufeln, beleben dieselbe, noch mehr aber grünes Gesträuch, welches die Feuchtigkeit gedeihen ließ und das nun freundlich über unseren Häuptern weht.
Ich kenne nur eine einzige Stadt, welche so ihren Charakter bewahrt hat wie Toledo, nur in ganz anderer Art; das ist das alte Pompeji, und vielleicht die Ritterstraße auf Rhodus. Wie man in jener Stadt der Griechen jeden Augenblick erwartet, vor sich ein paar Männer erscheinen zu sehen, im ernsten Gespräch aus einem Hause tretend, angethan mit der purpurgesäumten Toga, so blickt man hier in den engen, finsteren Gassen von Toledo erwartungsvoll um sich und glaubt jeden Augenblick eine geharnischte Gestalt erscheinen zu sehen, langsam aus der Seitenstraße herausreitend oder dort vor dem Hause mit dem kleinen Steinbalkon haltend, um einer Dame, die ihr freundlich nachwinkt, noch einige süße Worte des Abschiedes zuzuflüstern. Doch könnte dieses geisterhafte Leben in Toledo noch mannigfaltiger sein; denn während wir den schwarzen gepanzerten Reiter dort langsam verschwinden sehen, und nur noch das rothe Kreuz auf seinem Schilde aus der dunklen Straße hervorleuchtet, öffnet sich neben uns vorsichtig und leise ein kunstreich verschlungenes Gitter, und wir erblicken den wehenden Schleier der Maurin, die sich zum Fenster herausbeugt, vielleicht um dem dahinziehenden Christen, vielleicht aber auch, um Einem aus jener glänzenden Schaar nachzuschauen, die so eben aus dem hufeisenförmigen Thore des hohen Gebäudes zu unserer Rechten heraussprengt, einem schlanken Reiter, in seidenem Gewände, den Stahlharnisch auf der Brust, mit Turban und Reiherbusch.
Und nicht blos in einigen Straßen bemerkt man diese Anklänge an die vergangene kriegerische Zeit, ganz Toledo ist voll davon, ein Museum der merkwürdigsten Art. In seinen winkeligen, steilen Gassen kann der aufmerksame Beobachter keinen Schritt thun, ohne jeden Augenblick durch etwas Interessantes gefesselt zu werden und stehen zu bleiben; hier ist es die eigenthümliche Form eines Hauses, dort eine Inschrift, eine halbzerbrochene Säule, zerfallenes Mauerwerk, an dem vielleicht hier und da Überreste der wunderbarsten Sculpturen sichtbar sind: ein trotziger Thorweg, dessen Bogen aus fast schwarzen Steinen gewölbt ist, während die Flügel aus kunstvoller Holzarbeit bestehen, die durch schwere Bronzenägel vor starker Berührung geschützt sind. Wenn man in den Gassen Toledos wandelt, so liest man ein illustrirtes Gedicht von der Adelsfreiheit, der Ritterlichkeit, der Ehre und Wehrhaftigkeit der spanischen Nation.
Überraschend war es uns und machte einen unheimlichen Eindruck, bei unserem Einreiten so gar Niemanden auf den Gassen zu sehen. Gewiß war es ein minder belebtes Stadtviertel, durch welches wir unseren Einzug hielten, aber auffallend war es doch, daß wir bei klarem Himmel nicht einem einzigen menschlichen Wesen begegneten. Wohl vermehrte dieß den eigenthümlichen Eindruck, den Toledo auf uns machte, doch erschwerte es uns auch anderntheils das Auffinden unserer Herberge; denn unser Arriero kannte wohl eine sehr geringe Posada in Toledo, von der Fonda de Lima hatte er indessen nie reden gehört. Endlich gelang es uns, eines Geistlichen habhaft zu werden, der uns auch freundliche Anweisung gab, unseren Gasthof zu finden. Ehe wir denselben übrigens erreichten, ging es meinem Pony wie dem Rosse des Cid, als dieser nach der Eroberung der Stadt mit dem tapferen Alonso VI. seinen Einzug in Toledo hielt. Und ich bin stolz auf diese Ähnlichkeit der Verhältnisse. Mein kleines Pferd rutschte nämlich auf dem glatten, steilen Pflaster aus und stürzte auf die Kniee, sprang aber gleich darauf wieder in die Höhe, um seinen Weg fortzusetzen. Vabieca dagegen, das Schlachtroß des Cid, sank beim Einreiten seinerseits ebenfalls auf die Kniee und blieb ruhig liegen, was seinen Herrn so wie den König ungemein überraschte, da Vabieca als sehr stolz und trotzig bekannt war. Man ließ deßhalb auf der Stelle nachgraben und fand unter der Erde den blutigen Christus wieder auf, der schon unter dem Gothenkönige Athagilde Lahme und Blinde heilte und seitdem spurlos verschwunden war. Dieses Wunder erschien um so größer, als zu seinen Füßen die ewige Lampe klar und hell brannte, als habe man sie erst gestern mit frischem Öl versehen, während das doch zum letzten Male vor so viel hundert Jahren geschehen war. Der blutige Christus ist übrigens heute noch zu sehen, und zwar in der Kapelle del santisimo Cristo de la sangre auf dem Zocodover, dem ältesten Marktplatze von Toledo.