Friedrich Hackländer
Ein Winter in Spanien
Friedrich Hackländer

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Sechzehntes Kapitel.
Ein Ritt nach Andalusien.

Unsere Pferde. Abschied von Toledo. Eine öde Landschaft. Orgaz. Eine Posada mit ihren Gästen. Felipe. Yevenes. Schöne Bergformen. Eine verdächtige Hochebene. Diner im Freien. Ein schöner Abend. Fuente el fresno. Man hält mich für den Alcalden. Eine ärmliche Schlafkammer. Freundliche Gegend und hübsche Dörfer. Reitvergnügen. Erinnerungen an Syrien. Der Esel und der Bock. Seltsame Musik bei einem Begräbniß. Almagro. Der Mistkäfer. Herrlicher Sonnenaufgang. Anblick der Sierra Morena. Man hält uns für Räuber. Val de Penas. Unsere Freunde. Don Alonzo de Santa Cruz. Fußwanderung. Eine große Venta. Ritt zu Esel. Durch die Sierra Morena. Raubvögel und Jagdlust. Santa Elena. Die deutsche Niederlassung La Carolina.

Am vierten Februar verließen wir Morgens früh um fünf Uhr unsere Fonda und schritten durch die noch menschenleeren Gassen Toledos zur Brücke von Alcantara hinab, wohin wir der steilen Gassen wegen, die wir beim Einreiten genugsam kennen gelernt, unsere Pferde und Führer bestellt hatten. Der Letztere war pünktlich und wartete schon auf uns, zugleich mit dem Pferdevermiether selbst, der uns nochmals seine Thiere lobte und uns zu gleicher Zeit eine glückliche Reise wünschte. Was diese Thiere anbelangt, so waren es zwei nicht übermäßig gut aussehende Pferde und ein stattliches Maulthier; von den ersteren hatte sich der Maler Horschelt einen hochbeinigen Rappen ausgesucht, und ich mir einen untersetzten Braunen erwählt; das Maulthier wurde von unserem Führer bestiegen, nachdem es vorher mit unseren Nachtsäcken, Mänteln und einigem Proviant beladen worden war. Diese Ladung war oben auf dem Sattel vertheilt, so daß sie einem hohen Polster gleichsah, und ungefähr bis zur Stirne des Thieres reichte. Mit Hülfe einer kleinen Mauer schwang sich nun unser Arriero auf seinen hohen Sitz und sah nun dort oben aus wie ein Courier der Wüste auf seinem Reitkameel. Die Zäumung des Maulthiers und vermittelst derselben seine Leitung war auch nicht weniger einfach und patriarchalisch, denn sie bestand aus einem Halfterstrick, welcher unserem Maulthier, weil es sehr jung und feurig war, ausnahmsweise durch das Maul gezogen wurde. Ich hatte jedoch noch nie ein zierlicheres und schlankeres Geschöpf der Art gesehen und fand hier zum ersten Mal, daß der Bastard von Pferd und Esel zuweilen außerordentlich schön sein kann; es hatte nichts von den sonst so plumpen Formen seiner Kameraden: die Füße waren schlank und vollkommen rein, hatten die feinen Fesseln des edlen mütterlichen Pferdes und den zierlichen Huf des väterlichen Esels; auch der Kopf war schön, das Auge glänzend und feurig und selbst die Ohren so anständig kurz, als das bei der nicht zu verläugnenden Abkunft nur möglich war. Daß der Geist des Thieres, seine Leistungsfähigkeit dem Äußeren vollkommen gleich kam, erfuhren wir in der ersten Zeit nach unserem Abreiten. Denn kaum hatten wir uns in die Sättel geschwungen, so ritt unser Führer ein paar Schritte voraus, mühsam sein Thier an dem Halfterstrick haltend, und blickte zurück, wobei er uns zurief, ob Alles in Ordnung sei; er ließ uns kaum Zeit unsere Steigbügel anzupassen und nachzusehen, ob unsere langen Gewehre fest in dem eisernen Haken am Sattel hingen, denn als er uns hoch zu Roß sah, schnalzte er mit der Zunge, stimmte ein andalusisches Lied an, daß es von den alten Mauern und Felsen wiederhallte, und ließ sein ungeduldiges Thier vorwärts schießen.

Obgleich der Weg von der Alcantarabrücke ziemlich steil nach der gegenüber liegenden Höhe hinauf führt, auch nichts weniger als gut und eben, vielmehr mit Felsplatten und Steingerölle aller Art bedeckt war, so ging doch das Maulthier in scharfem Trabe aufwärts, und wir bemühten uns, mit starker Sporenhülfe nachzueilen. Auf der Höhe angekommen, zügelten wir den Eifer unseres Führers und bedeuteten ihn, einen Augenblick zu halten, da wir von hier aus der alten, prachtvollen Stadt noch einen letzten Blick schenken wollten. Dazu hätten wir auch keinen besseren Augenblick wählen können. Zu unserer Linken stieg die Sonne auf und schoß ihre ersten Strahlen über das öde Felsenplateau und durch die Schlucht des Tajo auf den Alcazar von Toledo, der nun in dem goldnen Lichte flimmerte und strahlte. Die grauen Häuser der Stadt unter ihm lagen noch theilweise im Schatten; nur hie und da wurde die Kuppel einer Kirche oder die Zinnen eines hohen Thurmes ebenfalls von dem Sonnenlichte überglänzt, dazu die tiefblauen Schatten in der Felsenschlucht, welche der Fluß durchströmt, mit den aufsteigenden leichten Wassernebeln, die sich in der Höhe ebenfalls heller färbten und durchsichtig wurden, – das Alles gab ein unvergeßliches Bild, ein Gemälde mit der prächtigsten Abwechslung von Schatten und Licht, von verschwindender Nacht und aufstrahlendem, glänzendem Sonnenlichte.

Leb wohl, Toledo, du schöne ritterliche Stadt, leb wohl auf Nimmerwiedersehen! – War es uns doch im ersten Augenblicke wahrhaft traurig zu Muth, von dieser herrlichen Felsenburg scheiden zu müssen; fühlten wir doch, wie vielleicht jener unglückliche Feldherr der Mauren, der wohl lange auf derselben Stelle stand während seine geschlagenen Schaaren gegen Westen zogen, und sich nicht trennen konnte von der Burg seiner Väter und endlich in wildem Schmerze seinen Dolch zog und ihn weit von sich ab in die Schlucht des Tajo schleuderte, »wo er ruhen soll,« – wie der tapfere Sarazene zähneknirschend sprach, – »ein Pfand, das ich wieder holen muß, ein Zeichen meiner verpfändeten Ehre, das ich auslösen werde.« Wenn wir auch keinen Dolch dort hinabschleuderten und auch keine so wilden, schmerzlichen Worte sprachen, wie der unglückliche Maurenfürst, so sandten wir doch innige und herzliche Blicke nach der alten Steinmasse hinüber, und riefen ihr freundliche Worte des Abschieds zu, wofür sich die Stadt zum Gegengruß jetzt ganz in das hellste Sonnenlicht kleidete und uns aus Hunderten von leuchtenden und strahlenden Fensteraugen nachblickte; ja sogar beredt war ihre Erwiderung auf unseren Gruß denn als wir unsere Pferde wandten, um weiter zu reiten, begannen drüben die Glocken der Kathedrale zu läuten, und die mächtige Stimme der Campana de Toledo schien uns nachrufen zu wollen: kehrt bald wieder! kehrt bald wieder! – Vergeblicher Wunsch; das war ja gerade das Herbe an dem Abschiede von all diesen schönen Orten, daß wir sie voraussichtlich wohl auf Nimmerwiedersehen verließen.

Unser Führer hatte ungeduldig das Ende dieser Träumereien erwartet, und sobald er sah, daß wir unsere Pferde umwandten, trabte er wieder lustig vor uns her, stimmte aufs neue sein Lied an, und ohne sich weiter nach uns umzuschauen, überließ er es uns nachzufolgen, was übrigens keine Kleinigkeit war, da unsere Pferde seinem Maulthier weder an Kraft noch Ausdauer gleich kamen.

Es ist eigenthümlich, wie fast überall in Spanien alle Spuren von Kultur verschwinden und nichts mehr die Nähe einer großen Stadt anzeigt, sobald man diese aus dem Gesicht verloren hat. Kaum war Toledo hinter uns im Thale versunken, so umgab uns eine förmliche Steinwüste, in welcher der Weg, auf dem wir ritten, eine solche Benennung eigentlich gar nicht verdiente, denn er war nichts mehr als ein rother Streifen Sand, der sich zwischen den grauen Felsblöcken in beständigen Schlangenwindungen hin und her zog. Wir befanden uns auf einer Hochebene, die rings um uns, so weit das Auge reichte, nicht die geringste Kultur oder die Spuren von menschlichen Wohnungen zeigte. Um so eigenthümlicher klang, in dieser Öde der tiefe Ton der großen Glocke von Toledo, der durch den Nordostwind getragen, noch eine Zeit lang über die weite Fläche deutlich zu uns herüberdrang. Endlich verstummte auch er, und wir trabten feierlich gestimmt in der stillen schweigenden Landschaft. Es war ein seltsam geformtes Plateau, auf dem wir ritten, dessen Oberfläche bald stieg, bald sich senkte, und uns rings umher den Anblick auf schön geformte Bergketten gewährte, die in sehr großen Entfernungen hinter weiten Thälern um uns zu liegen schienen; namentlich vor uns lag ein imposanter Gebirgszug – wir glaubten schon, die Sierra Morena zu sehen; doch waren es noch die Montes de Toledo, die wir in den nächsten Tagen passiren sollten, ehe wir das ebengenannte Gebirge, wohl das majestätischste Spaniens, erreichten.

Unser Weg blieb sich in seiner Unebenheit immer gleich, nur lief er zuweilen in ziemlicher Breite durch eine Schlucht von Felsblöcken gebildet, um sich hinter derselben vielleicht in zwanzig kleine Fußpfade zu theilen, die in allen möglichen Wendungen zwischen großen Steinen, mit denen das Feld besäet war, durchliefen. Die Vegetation, die wir erblickten, war sehr gering, die Wiesen braunroth, und zwischen den Steinen bemerkten wir hie und da einen Buxbaumstrauch, Ginster, sowie kahle Sträuche, welche ihre nackten Äste zeigten. Wir ritten den ganzen Morgen fort, ohne irgend jemand zu begegnen; was wir von andern Reisenden sahen, war eine Familie zu Esel, die mit uns aus Toledo zog, ein Mann und eine Frau mit zwei Kindern, die wir aber bald hinter uns ließen. Auch unser Führer verminderte uns nicht durch seine angenehme Gegenwart die Öde der Landschaft; er war auf seinem flinken Maulthiere weit voraus, und nur, wenn er einen kleinen Hügel erstieg, sahen wir, wie er auf der Höhe desselben nach uns umschaute und winkte, und dann gleich wieder verschwand. Zuweilen holten wir ihn durch ein halbstündiges scharfes Traben wieder ein, doch lief sein Thier einen so eigenthümlichen Paß, daß wir im Schritt beständig hinter ihm zurückblieben; und immerwährend durch das schlechte Terrain in schneller Gangart zu reiten und dabei die häufig stolpernden Pferde aufmerksam zu führen, dazu hatten wir auch gerade keine Lust. So ließen wir ihn denn ziehen, rauchten unsere Cigarren, sangen deutsche Lieder und sprachen von der Heimath.

Gegen Mittag änderte sich auch die Landschaft und wurde angenehmer für das Auge. Vor uns tauchte eine nicht sehr entfernte Bergkette auf, an der Horschelt mit seinen guten Augen Felsen und Gesträuch entdeckte. Die Hochebene, auf der wir ritten, senkte sich zu einem weiten Thale hinab, und unser Weg, bisher hart und steinig, wurde mit einem Mal weich und sandig; zu unserer Rechten sahen wir einen kleinen Bach, der im raschen Lauf durch das Thal eilte, und in dessen braunrother Fläche einen angenehmen grünen Streifen von Gras und kleinem Gesträuche bildete. Vor uns hatten wir eine sanfte Anhöhe, auf welcher unser Führer einen Augenblick hielt und uns eifriger als bisher zuwinkte; wir galoppirten ihm nach und sahen von dort oben ein kleines Dorf, das wir in einer guten halben Stunde erreichen konnten. Unser Nachtquartier konnte es übrigens nicht sein, dazu war es noch zu früh; sollte doch unsere erste Tagreise acht Leguas, das sind über vierzehn deutsche Stunden, betragen. Das Dörfchen vor uns hieß Orgaz, und unser Arriero hatte beschlossen, dort zu frühstücken, was ihn übrigens zu solcher Eile antrieb, daß er bald in einem Hohlwege, der zum Dorfe führte, verschwand. So schnell wir konnten, folgten wir ihm, doch war das Terrain zu sehr coupirt, um schnell darin zu reiten. Der Bach, von dem ich vorhin sprach, lief nahe bei dem Dorfe hin, ja eine Zeit lang im Wege selbst, so daß wir auch hier auf gewisse Art längere Zeit tief im Kothe ritten, ehe wir die ersten Häuser von Orgaz erreichten; ja in den ersten Straßen des Dorfes blieben uns die Wasser des Baches treu zur Seite, und wir mußten unsere Thiere bald rechts, bald links leiten, um einmal tiefen Pfützen, das anderemal hohen Dünger- und Steinhaufen auszuweichen. Da es Sonntag war, befanden sich die Einwohner meistens vor ihren Häusern, blickten uns freundlich grüßend an, und da sie wohl sahen, daß der voraneilende Arriero zu uns gehöre, so riefen sie uns zu, ob wir rechts oder links reiten müßten. Endlich erreichten wir einen kleinen Platz mit der Kirche und sahen gegenüber an einem scheunenartigen Gebäude ein großes offenes Thor, unter welchem unser Felipe freundlich grinsend stand, beide Hände in die Hosentaschen gesteckt. Wir ritten in den Hof, wo wir abstiegen und unsere Pferde übergaben.

Ein spanisches Wirthshaus ist für den müden und hungrigen Reisenden in seiner Armseligkeit ein trauriger Aufenthalt, dabei aber so malerisch, als man etwas sehen kann. Ein finsterer, von einem schadhaften Dache halbbedeckter Hof ist mit Karren von verschiedener Größe, mit Fässern und Decken, welche von dem Rücken der Maulthiere herabgenommen wurden, angefüllt, und mit diesen nützlichen Geschöpfen selbst, welche in einer Ecke bei einander stehen, die Köpfe hängen lassen, und von allen andern lebenden Wesen, als da sind: Hunde, Katzen, Schweine, Ziegen, Hühner, die ebenfalls hier ihren Aufenthaltsort haben, sorgfältig gemieden werden; denn das spanische Maulthier ist tückisch und boshaft und schlägt und beißt, so wie etwas in seine Nähe kommt. Neben dem Karren liegt ein großer Haufen von Sätteln, so gruppirt, daß sie eine bequeme Unterlage abgeben für einen der Arrieros, der, den spitzen Hut auf dem Kopfe, die brennende Papiercigarre im Munde, faul und behaglich da liegt und mit seinen blitzenden Augen die eintretenden Fremden mustert. Beim Eingang eines solchen Hofes befindet sich gewöhnlich ein Ziehbrunnen, und hier sieht man irgend ein Mädchen beschäftigt, Wasser herauf zu holen, um die angekommenen Thiere trinken zu lassen. Um solche Kleinigkeiten bekümmert sich der Arriero selbst nicht; so unser edler Felipe, denn nachdem er sein Maulthier irgendwo festgebunden, ließ er unsere Pferde auf der Stelle stehen, wo wir abgesessen waren, und trat sogleich in die Küche, welche zugleich Wohnzimmer und Salon ist, um mit Begierde eine neue Papiercigarre zu drehen und anzuzünden. Diese Küche stößt gewöhnlich an den Hof, von dem sie durch die offene Thüre ihr Licht empfängt, und ist meistens ein großes finsteres Gemach, bis unter die schwarzgeräucherten Dachsparren reichend, von welchen Schinken, Speckseiten, Büschel spanischen Pfeffers, auch s. g. Liebesäpfel und dergl. mehr herabhängen.

Auf dem Boden brannte ein hellloderndes Feuer, und um dasselbe saßen und standen vielleicht ein halbes Dutzend schöner, junger Kerle, die man, was Costüm und Haltung anbelangt, auf einem unserer Theater ohne alle Zuthat zur Darstellung einer Räuberbande hätte benutzen können. Keck auf dem Ohre trugen sie den castilianischen Hut mit der niederen Krämpe; die verschnürte, aber meistens sehr geflickte Jacke stand auf der Brust offen und ließ ein sehr gelbes Hemd sehen, das um den Hals von einem strickartig zusammengedrehten, meistens gelben oder rothen Tuche zusammengehalten wurde. Die engen, kurzen Beinkleider, an denen noch Spuren von zahllosen Knöpfen zu sehen waren, wurden mit einer Schärpe um die Hüften befestigt, und flatterten unten um die Knie, von welchem bis zum Knöchel hinab eine lockere Gamasche reichte mit vielen herabhängenden Schnüren, weit klaffend, wo dann Schuhe darunter zu sehen waren, oder waren mit Bindfaden zusammen gebunden, wo dagegen einfache Sandalen die ebengenannte Fußbekleidung vertraten. Bei diesem Costüm ist es übrigens gut, daß die Köpfe, welche dazu gehören, von angenehmem, meistens schalkhaftem Ausdrucke sind; ebenso ist auch ihr Benehmen und ihre Redeweise, und jener Kerl dort, auf den langen, glänzenden Gewehrlauf gestützt, machte uns nicht nur bereitwillig Platz, um an das Feuer zu gelangen, sondern bot mir auch auf zierliche Art und mit wahrem Anstande seine Papiercigarre an, welche er eben im Begriff war, selbst in den Mund zu stecken. Da ich sein Geschenk annahm und ihm dafür eine Puros einhändigte, so konnte ich überzeugt sein, daß wir, ohne ein Wort mit einander gesprochen zu haben, als die besten Freunde schieden.

Felipe schien übrigens zu glauben, daß der Aufenthalt in der Küche für uns nicht anständig genug sei, denn nachdem er mit der Wirthin geflüstert, winkte er uns feierlich, ihm zu folgen, ließ uns im Hofe eine hühnerartige Treppe hinaufklettern und brachte uns auf eine Altane, die unter jedem Schritte krachte und wankte. Dort öffnete er uns eine Thüre, welche in eine völlig leere Kammer ohne Fenster und sonstige Öffnung führte, und bedeutete uns, wir würden augenblicklich mit Eiern, Brod und Wein bedient werden. Da wir es aber vorzogen, auf der Terrasse zu bleiben, so brachte man eine Kiste, welche den Tisch vorstellen sollte, sowie ein paar niedrige Schemel, auf welche wir uns setzten; dann kamen die Eier, hart gekocht, Brod, welches weiß und gut, und schwarzer Landwein, der vortrefflich war. Schon beim dritten Glase versicherten wir uns gegenseitig hoch und theuer, daß es nichts Amüsanteres gebe, als in Spanien zu Pferde zu reisen, beim sechsten brachten wir ein Pereat auf sämmtliche Landkutschen aus, und als wir unseren Krug leer getrunken hatten, stolperten wir die Treppen hinab, zahlten unsere Zeche, mein Freund mit dem langen Gewehr hielt mir den Bügel und dann galoppirten wir durch das Dorf, dießmal unserem Felipe voraus, der Mühe hatte, uns nach halbstündigem scharfem Ritte wieder einzuholen.

Das Dörfchen Orgaz liegt in einem breiten Thale, in welchem man einige Spuren von bebauten Feldern sieht; auch führt eine ziemlich breite und ordentliche Straße hindurch und gegen den Höhenzug, den wir schon früher gesehen und nun übersteigen mußten. Über diese Berge war die Straße nicht ohne Kunst angelegt, und obgleich wir hoch hinauf mußten, ging sie doch so bequem in Wendungen, daß wir, ohne unsere Thiere zu ermüden, lange Strecken traben konnten. Wir brauchten ungefähr zwei Stunden, bis wir von Orgaz aus diese Höhen erreicht hatten. Oben hatten wir eine weite und nicht uninteressante Aussicht nach allen Seiten; namentlich vor uns war das Terrain und die Fernsicht mannigfaltig belebt. Die Steinwüste, welche Toledo auf der Ost- und Westseite umgibt, lag hinter uns, und rückwärts blickend sahen wir deutlich das wild zerrissene Plateau, welches wir heute Vormittag durchritten; in grauer Färbung mit gelblichen und röthlichen Streifen lag es da, fast wie die weiten Flächen der Mancha anzuschauen, nur waren die Terrainlinien hier in dem zerklüfteten Boden weniger langweilig als dort, wo sich Hügel an Hügel reiht, fast alle gleich geformt. Vor uns dagegen sahen wir zuerst am Fuße des Berges, auf dessen Höhe wir uns befanden, das Dörfchen Yvenes, unser heutiges Nachtquartier, und hinter demselben eine kleine Ebene, an deren Ende sich die Montes de Toledo erhoben, ein tüchtiger Gebirgsstock in ziemlich weiter Ausdehnung voll Schluchten und Felspartien, den wir morgen zu überschreiten hatten; für heute aber waren wir bald am Ziele, und da ich vom langen Ritt recht müde geworden war, so stieg ich von meinem Pferde ab, schlang den Zügel um meinen Arm und spazierte mit einem höchst angenehmen und behaglichen Gefühl auf dem breiten, gut unterhaltenen Wege unserem Nachtquartier zu.

Yvenes hatte ein stattlicheres Aussehen als Orgaz; eine recht anständige Kirche, um welche die kleinen weißen Häuser lagen, deren letztere sich an die Bergwand schmiegten, von der wir herabzogen. Hier sahen wir auch Spuren von Gärten, sogar einige kleine Landhäuser, und vor einem derselben saß eine Gesellschaft von Herren und Damen beisammen, plaudernd und in die weite Ebene hinausschauend. Felipe erkundigte sich hier nachher besten Posada, worauf ihm freundlich der weitläufigste Bescheid zu Theil wurde. Zu unserer Rechten auf der Berghöhe, von der wir herabstiegen, befand sich ein altes Mauerwerk, die Ruine eines Schlosses oder dergleichen, und nicht weit davon eine kleine Kapelle, deren Glocke bei unserem Einzug in's Dorf melodisch läutete.

Die Posada lag am Ende des Dorfs, beinahe das letzte Haus nach dem Thale zu. Wir ritten in einen von Mauern umschlossenen Hof und kamen dann in die von andern spanischen Posaden her uns schon bekannte große Halle, wo die Familie des Wirths mit den eingekehrten Fremden und deren Thieren in angenehmer Gemeinschaft lebt. Man kann einen solchen Platz mit einer großen Scheuer vergleichen oder mit einem Schuppen, der durch Pfeiler, welche das Dachgebälke tragen, in verschiedene Abtheilungen getheilt wird. In einer derselben befindet sich die Küche, gegenüber stehen Maulthiere und Pferde, und der Mittelraum wird zu Handel und Wandel und später zu Schlafstellen für die Fremden benützt. Da wir aber von Felipe als etwas ganz Absonderliches gepriesen wurden, so erhielten wir das einzige Schlafzimmer des Hauses, und zwar das der Wirthin und ihrer Töchter, welche sich für die Nacht anderswo einquartierten. Dieß Schlafzimmer war auch eine der oben erwähnten Abtheilungen und nur durch eine dünne Lehmwand von dem großen Raum abgeschieden. Ein Fenster ohne Glas ging auf die Straße, und das Meublement bestand aus einem gewaltigen Bette, einigen Stühlen, einem Tische und zwei großen hölzernen Truhen; an der Decke befanden sich Schnüre, von welchen eine Unzahl Weintrauben herabhingen.

Da Yvenes nicht an der Hauptstraße liegt, auch die Zeit des Reiseverkehrs für Spanien noch nicht gekommen war, so befand sich der große Raum vor der Küche ziemlich leer; und zwei oder drei Maulthiere und vielleicht ein Dutzend Esel standen vor den Krippen, letztere träumend oder in stille Selbstbeschaulichkeit verloren, den Kopf tief herabhängend, eins der langen Ohren abwechselnd gesenkt. Von den dazu gehörigen Arrieros, schönen, kräftigen Burschen, wie die in Orgaz beschriebenen, waren einige beschäftigt, Päcke abzuladen und die Sättel auf einen Haufen zu werfen, andere aber hatten es sich an dem lodernden Herdfeuer schon bequem gemacht, rauchten Papiercigarren, und einer trällerte ein Lied, wozu er auf einer verstimmten Guitarre herumgriff. Der Ausdruck »Herdfeuer« ist eigentlich eine unrichtige Bezeichnung, indem sich in diesen Posaden nirgends ein Herd befindet, vielmehr brennt das Feuer auf dem gepflasterten Boden, öfter aber auf einem abgenützten Mühlsteine, der in die Erde eingestampft ist.

Unsere Wirthin, die Padrona, eine wohlbeleibte Frau mit freundlichem, gutmüthigem Gesichtsausdruck – sie stemmte gerne ihre Arme in die Seite – führte uns in das Schlafzimmer, und als wir uns dort unserer Manta's und Gewehre entledigt hatten, ersuchte sie uns, die Disposition für unser Abendessen zu treffen, d. h. ihr unsere Wünsche hierüber mitzutheilen. Da aber immer noch eine spanische Konversation außerordentlich schwierig für uns war, wir namentlich von den Benennungen der eßbaren Gegenstände nur sehr dunkle Begriffe hatten, so führte ich die Padrona in den Raum vor der Küche, wo ich beim Einreiten einige sehr schätzenswerte Gegenstände erblickt; hier hingen nämlich an der Wand eine lange Reihe von rothen Feldhühnern, auch Hasen und ein ausgeweidetes Reh. Nachdem ich an dieser Stelle der Hauswirthin unsern großen Hunger pantomimisch dargestellt, zeigte ich auf einige der Wildsorten, dann auf den Kessel am Feuer und gab ihr zu verstehen, mein Wunsch sei, daß einige dieser vortrefflichen Sachen ihren Weg dorthin finden möchten. Dazu wußten wir Eier, Chokolade, Wein und Brod bei ihrem wahren Namen zu benennen, verwahrten uns feierlich gegen allen Ajo, d. i. Knoblauch, und wurden von der guten Padrona bestens verstanden.

Da es draußen noch ganz hell war, so machten wir einen Spaziergang durch das Dorf; es hat ein besseres Aussehen, als die meisten in der großen Mancha; die Straßen waren mit kleinen Kieselsteinen gepflastert und die niedrigen Häuser, welche flache Dächer hatten, mit weißer Farbe sauber angestrichene Glasfenster schienen hier als ein überflüssiger Artikel betrachtet zu werden, nur an einem einzigen Gebäude, einer Zeugwaarenhandlung, vor deren Thüre Manta's und rothe Schärpen im Winde flatterten, sahen wir dergleichen; im Übrigen wurden die überaus kleinen Fensteröffnungen zur Nachtzeit einfach mit hölzernen Läden verschlossen, blieben es auch wohl während des Tages, – und bei manchen Häusern sahen wir dies, – wo dann Licht und Luft durch die weit offenstehende Hausthüre in's Innere drang. Von der Einwohnerschaft von Yvenes bemerkten wir wenig, nur hie und da stand eine Gruppe von Männern, alle in langen, meistens braunen Mänteln, Cigarren rauchend und plaudernd bei einander; Kinder spielten frühjährlich auf der Gasse mit Steinen und kleinen Hölzchen, und die Weiber und Mädchen schienen sich in die Wohnung zurückgezogen zu haben; nur zuweilen erschienen ein paar unter den Hausthüren, um uns neugierig nachzuschauen. Im Allgemeinen nahm sich Yvenes sehr still und öde aus, namentlich der Platz vor der Kirche, wo das Gras zwischen den Steinen wucherte. Von dieser Kirche selbst ist nichts zu sagen, es war ein ziemlich großes Gebäude aus grauen Steinen und in gar keinem Style erbaut.

Nach Hause zurückgekehrt, fanden wir unser Schlafgemach bestens hergerichtet, den Tisch mit einem weißen Tuche gedeckt und die beiden großen Truhen, um ihnen ein Ansehen zu geben, mit farbigen Schürzen verhängt. Unser Abendessen war recht gelungen und hätte man es selbst unter andern Umständen vortrefflich nennen können; Feldhühner mit Reis, einen geschmorten Hasen, Eier mit Schinken, dazu schneeweißes Brod und fast schwarzer Wein, nicht zu vergessen die herrlichste Chokolade der Welt, wir tafelten königlich, und zu unserer vollkommenen Restauration von den Mühseligkeiten des Rittes fehlte nichts als ein guter Schlaf, der aber auch so freundlich war, uns alsbald in seine Arme zu nehmen und bis zur Morgendämmerung zu beglücken, obgleich wir frühzeitig mit den Hühnern zu Bette gegangen waren. – Glückselige Zeit, an die ich mich oft erinnere, sowie an unsere unfreundliche, finstere spanische Kammer, wenn in der Heimath die schlaflosen Nächte oft so unendlich lang erscheinen und das weiße gespenstige Gaslicht durch die hellen Fensterscheiben dringt.

Unser edler Felipe, der nicht minder gut dinirt und geschlafen als wir, weckte uns beim Grauen des Morgens. Wir kleideten uns an, zahlten unsere Zeche, die in den meisten dieser Posaden für Mittag- oder Nachtessen, Bett und Frühstück gewöhnlich einen Duro betrug, 3 fl. 30 kr. rh.; das letztere besteht in der Regel aus Chokolade und Picatostes, d. h. in Olivenöl gebackenes Brod.

Da unsere Posada, wie schon bemerkt, am Ende des Dorfes lag, so waren wir bald im Freien, ritten noch eine kurze Strecke abwärts und befanden uns dann in der Fläche, die wir gestern Abend vom Berge aus gesehen, bemerkten aber, daß uns in Betreff derselben unser hoher Standpunkt einigermaßen betrogen hatte, und daß von einer ausgedehnten Ebene nach unseren Begriffen durchaus keine Rede war; nebendem daß die Morgendämmerung noch alles in ihren Schatten hüllte, hatten sich auch Nebel aufgemacht, die uns dicht und kältend umgaben; auch sanken sie nicht wieder herab, sondern hoben sich hoch empor, den Himmel mit grauen Wolken überziehend.

Eine Zeitlang ritten wir im Thale fort, an Fruchtfeldern vorbei, bald aber wurde der Weg sandig, es ging aufwärts eine Heide hinan durch lange und breite Gassen, die von mannshohen Buxbaumsträuchen gebildet waren. Das Terrain war gänzlich verschieden von dem, welches wir gestern durchritten, und nicht so langweilig als das Felsenplateau zwischen Toledo und Orgaz; hätte uns ein heller Sonnenschein beglückt und die Landschaft gefärbt, so würden wir sie wunderschön gefunden haben, so aber bei grauem, trübem Regenhimmel machten die Schluchten, durch welche wir ritten, einen gewaltigen, ernsten Eindruck. Bald ging es zwischen Felsen hindurch, neben dem Flußbette eines klaren Bergwassers dahin, deren wir heute viel sahen, bald über breite Wiesen, rechts und links mit grünen Gebüschen besäumt, lange Strecken aufwärts, ohne eigentlichen Weg, und auf der Höhe angekommen, hatten wir meistens rechts und links den Anblick einer düstern, aber prachtvollen Gebirgslandschaft, wie man sie bei uns in Deutschland nicht schöner sehen kann. Die vielen Wasser, welche überall hervorsprudelten, begünstigten eine reiche Vegetation, und wenn wir so vom Wege in die Berge hineinschauten, so erblickten wir an dem niederen Gebirgszug neben und unter uns deutlich alle Quer- und Längenthäler, ausgezeichnet durch ihre mannigfaltigen grünen Schattirungen. Bei einer solchen Partie wurde einmal das heimathliche Gefühl meines großen Malers außerordentlich rege, denn er machte mich auf einen herrlichen Bergkegel aufmerksam, der seiner Behauptung nach das genaueste Ebenbild des Wendelsteines im bayrischen Oberlande sei. Schöne Formen hatte dieser Spanier allerdings; sein Fuß war grün bewachsen, an ihn schlossen sich graue, nackte Felspartieen, und sein Haupt, in violettem, bläulichem Duft, schien von den freilich tiefhängenden Wolken berührt zu werden. Neben ihm öffnete sich ein breites Thal, dessen Grund mit Wiesen bedeckt war, weder Weg noch Steg hatte, und weiter hinten von einer Menge kleiner Berge eingeschlossen war, von denen einer über den andern hervorsah. Interessant war uns dieses Thal, weil sich in seiner Mitte ein grauer Fels erhob, der die fast schwarzen Mauern einer mächtigen Burg trug, die noch ziemlich wohl erhalten schien; wenigstens bemerkten wir unversehrte Thürme, eine vollkommen geschlossene Umfassungsmauer und ein großes Gebäude mit hohem Giebeldach. So viel wir aber weiter sehen konnten, waren die Fenster ohne Glas und Läden, und aus keinem der zahlreichen Schornsteine kräuselte sich irgend ein freundlicher Rauch hervor.

Unser Weg war heute belebter als gestern; lange Züge Maulthiere kamen uns entgegen oder wurden von uns eingeholt, wogegen Schaaren von Eseln ohne Ladung uns den Vorrang abliefen und lustig bei uns vorbeitrabten; unsere Pferde waren vom gestrigen Marsche etwas ermüdet, und das beständige Auf- und Abklettern an den Bergen, bald durch sumpfige Wiesen, bald über glatte Steine hinweg, ließ sie zu keiner schnellen Gangart kommen; nur zuweilen erlaubte uns irgend ein Sandstreifen oder ein Stück festen Weges einen halbstündigen Trab, doch war dieses nicht andauernd genug, um es den Reitern zu Esel gleichthun zu können, von denen beständig Andere mit freundlichem Gruß, aber lachend an unsern Rozinanten vorbeizogen. Diese kleinen spanischen Esel haben eine merkwürdige Behendigkeit; mag das Terrain sein, wie es will, mag es steil aufwärts oder abwärts gehen, über einen fußbreiten, schlüpfrigen Pfad oder über breite, glatte, abhängige Felsenplatten, die vier kleinen Hufe bewegen sich mit einer fast lächerlichen Geschwindigkeit dahin, das unbedeutende Thierchen, oft mit einem schweren Kerl beladen, trippelt beständig kopfnickend einher, holt uns ein und ist kurze Zeit nachher in den Schluchten, die wir vorsichtig hinabreiten müssen, unsern Augen wieder entschwunden. Felipe ärgerte sich jedesmal darüber, doch mußte er selbst mit seinem kräftigen Maulthier langsam thun, denn auch dieses war schon ein paarmal gestolpert und hatte sich, von dem schweren Gepäck niedergedrückt, nur durch die größte Kraftanstrengung aufrecht erhalten.

Wir waren schon mehrere Stunden geritten und der Weg führte seit einiger Zeit beständig aufwärts, die umliegenden Berge ließen wir unter uns und kamen gegen Mittag auf eine weite Hochebene, mit spärlichem Grase bewachsen und mit großen Gruppen von Buxbaumsträuchen übersäet, durch welche unser Weg bald rechts, bald links lief. Zu beiden Seiten hatten wir niedere Hügelketten, ebenfalls mit Gesträuch bewachsen, zwischen denen hie und da ein blauer Rauch emporstieg; auch bemerkten wir Rinder- und Schafheerden, hörten entferntes Hundegebell und sahen von Zeit zu Zeit einen Hirten, auf sein langes Gewehr gestützt, uns aufmerksam nachblicken. Felipe hatte schon seit einiger Zeit eine ernste Miene angenommen, rauchte weniger Papiercigarren als sonst, und meinte endlich, hier, wo wir uns gerade befänden, sei eine etwas unsichere Gegend, und den Hirten, Kohlenbrennern und Forstwächtern, die sich hier beständig herum trieben, nicht recht zu trauen. Er ersuchte uns darauf, das Maulthier mit dem Gepäck in die Mitte zu nehmen, selbst aber ziemlich weit von einander zu reiten, um mehr Terrain überschauen zu können, und unsere Gewehre aufzuheben, daß man sie aus der Entfernung sehen könne.

Wie weit die Furcht unseres tapfern Arriero begründet war, bin ich nicht im Stande anzugeben, daß aber die Hochebene, auf welcher wir während ein paar Stunden ritten, ein höchst ödes und unheimliches Aussehen hatte, war in der That nicht zu läugnen. So weit man blicken konnte, entdeckte man keine Spur einer menschlichen Wohnung, und was wir von Unseresgleichen in der Entfernung zwischen den Buxbaumsträuchen zuweilen hin und her streichen sahen, war auch gerade nicht Zutrauen erweckend. Diese Kerle mit ihren dunklen Gesichtern, ihren zerlumpten Anzügen, mit Ledergamaschen oder Stricksandalen, namentlich aber mit dem spitzen Hute, der ja bei uns als Attribut eines spanischen oder italienischen Banditen gilt, sahen mindestens wie ächte Strauchdiebe aus. Doch passirte uns durchaus nichts Unangenehmes, und gegen zwei Uhr hatten wir glücklich das Ende jenes Plateaus erreicht und erblickten vor uns eine breite Schlucht, die wieder abwärts zur Ebene führte. Einiges, was ich im Vorbeigehen gesehen, schien mir anzudeuten, daß das Terrain hinter uns nicht immer so unbewohnt und öde gelegen, zuweilen sahen wir große Stein- und Trümmerhaufen und einmal sogar die Ruine eines Bauwerkes nach Art alter Wasserleitungen; ich zählte wenigstens zwanzig Pfeiler, die noch durch Bogen verbunden waren, deren Ende und Anfang aber ebenfalls durch Trümmerhaufen bezeichnet war, konnte aber später nicht in Erfahrung bringen, was man von diesem eigenthümlichen Bauwerke hier auf der Hochebene wisse.

Bis hieher hatte uns Felipe aus Furcht vor den Räubern nicht vergönnt, unser mitgenommenes Frühstück anzugreifen; auch jetzt wollte er noch nicht halten, sondern weiter hinabziehen, bis zu einer vortrefflichen Venta, von welcher er träumte; doch waren uns diese s. g. Halbwegs-Venta's von unserem Zuge durch die Mancha noch in zu trostlosem Andenken, als daß wir noch weiter geritten wären. Felipe mußte nachgeben, und wir machten deßhalb am Rande der Hochebene einen Halt, banden Maulthiere und Pferde, nachdem wir ihnen die Kopfzeuge abgenommen, an ein paar Buxbaumsträucher, deren Blätter sie sogleich anfingen eifrig zu benagen. Die Padrona in Yvenes hatte für unser Frühstück reichlich gesorgt, uns ein paar gebratene Feldhühner eingewickelt, Brod und hartgesottene Eier hinzugefügt und guten rothen Wein mitgegeben, der allerdings nach dem Bockschlauche schmeckte, aber uns trotzdem vortrefflich mundete.

Nachdem wir abgespeist und wieder aufgezäumt hatten, erlaubte uns Felipe, unsere Gewehre wieder an die Sattelhaken zu hängen; wir schwangen uns auf, und da der Weg vor uns etwas besser war, trabten wir lustig den Bergabhang hinab. Hier oben auf der Höhe des Gebirges war eine kleine Wasserscheide, und wir ritten jetzt mit den sprudelnden Bergwassern, während uns andere bis dahin entgegen gerauscht waren. Eine Zeit lang fiel Weg und Flußbett zusammen, doch war der Grund ziemlich hart, bestand aus feinem weißem Kiessande, und nebenbei schien das klare, frische Wasser den Füßen unserer müden Thiere wohl zu thun.

Im Verhältniß, wie wir abwärts stiegen, verminderte sich auch das Öde und Finstere der Landschaft; die Felsenkronen, welche uns auf der andern Seite der Hochebene umgeben, waren verschwunden, und die Berge und Hügel vor und neben uns hatten abgerundete Häupter, oft mit Buschwerk bedeckt, die niedrigeren sogar mit grünen Wiesen. Auch unser Weg lief an einer breiten Schlucht sanft abwärts, vor uns schob sich die Bergkette immer mehr auseinander, und nach einer scharfen Rechtswendung, die wir machten, sahen wir, wie sich vor uns die Hügel immer mehr verflachten und endlich in jene weite Ebene versanken, die wir schon gestern von der Höhe hinter Yvenes gesehen.

Der Himmel hatte sich gleich nach Mittag aufgeklärt und gewährte uns jetzt noch einen schönen Abend; wir ritten gegen Süden, nach Westen zu war unsere Aussicht durch die muldenförmigen Ausläufer des Gebirges verdeckt und so bemerkten wir die Sonne nicht, wie sie niedersank, ihr volles Licht dagegen fiel auf das Thal vor uns und beglänzte dieses sowie den Himmel auf wunderbare Weise; namentlich den letzteren habe ich selten so schön gesehen; er erglühte in tiefem Purpurroth, leichte Wölkchen, die emporzufliehen schienen, waren umkränzt mit blauen und violetten Tinten, die, wie die Sonne tiefer und tiefer sank, in herrlichster Mannigfaltigkeit glänzten, endlich zum sanftesten Roth verblaßten, wodurch denn der Himmel zwischen ihnen eine unaussprechlich schöne meergrüne Färbung erhielt.

Die Ebene vor uns war vielfach unterbrochen bald durch Wiesen oder kleine Waldungen, bald durch weite Strecken schwarzen Bodens, des fruchtbarsten Landes, dann wieder auch durch lange Streifen rothen und gelben Sandes. Weit am Horizonte hob sich ein majestätischer Gebirgszug, den wir schon heute Morgen erblickten, in schönen Formen, jetzt bei untergehender Sonne in tiefdunkler prächtiger Färbung, wahrscheinlich die Sierra Morena, an deren Fuß Val de Penas liegt, wo wir unsern Reisegefährten wieder zu finden hofften. Die Strahlen der Sonne gaben der vor uns liegenden herrlichen Landschaft etwas unbeschreiblich Reizendes, etwas trügerisch Glänzendes, das wir morgen nicht wieder zu finden hoffen durften, wenn wir die Ebene selbst durchritten. Lieblich machten sich von hier oben eine Menge kleiner Bäche, deren Lauf wir bald durch den glitzernden Wasserspiegel, bald durch eine Einfassung des saftigsten Grüns in ihren eigensinnigen Wendungen weit hinaus verfolgen konnten; dazu dampften die Wiesen in die milde Abendluft hinauf, Wälder und Gebüsche prangten in der mannigfaltigsten Färbung, und selbst der leblose Sandboden erglänzte in höchst angenehmer Frische. Uns war zu Muthe, als hätten wir den Winter hinter uns gelassen im Thal des Manzanares und auf den Felsen von Toledo, und schauten jetzt vor uns in die weite, erwachende Landschaft, die sich zu schmücken begann für die schönere Jahreszeit; es war uns recht frühjahrlich zu Muth, ja der Boden schien uns den so wohlbekannten süßen Duft auszuhauchen und die Knospen der Bäume und Gesträucher zusehends anzuschwellen.

Da unser jetziger Weg nicht so viel Steingerölle und Unebenheiten zeigte, so ritten wir ziemlich schnell und glaubten in kurzer Zeit unser Nachtquartier erreichen zu können. Doch täuschte uns der gewaltige Bogen, den die breite Thalschlucht machte, und es vergingen ein paar Stunden, ehe wir hinabkamen; allein der Abend war so schön, die Natur um uns so großartig und herrlich, daß uns die Zeit rasch genug verging. Auch fehlte es nicht an Begegnungen und Bildern mannigfaltiger Art; hier tauchten einige kleine Hütten in einer Seitenschlucht auf, dort ein schwarzer Meiler, dessen bläulicher Rauch fast gerade in die Höhe stieg, da er von keinem Lufthauche bewegt wurde. Viel Spaß machte uns eine Zeitlang ein kleiner Bube, der auf einer Wiese neben unserem Wege auf einem kleinen schwarzen Esel galoppirte und von dem muthwilligen Thiere ein paarmal abgeworfen wurde, worauf ihn der Reiter aber alsbald am Ohre oder am Schweif faßte, sich eine Strecke weit mit fortschleppen ließ und dann mit lächerlicher Anstrengung wieder auf den Rücken des Thieres kletterte, worauf das Jagen alsbald wieder bis zu einem ähnlichen Abschlusse begann.

Wir hatten gehofft, von droben an immer abwärts steigend unser Quartier zu erreichen, sahen uns aber getäuscht, denn als wir im Thale ankamen, bemerkten wir eine neue Hügelkette, die quer vor uns lagerte und noch überschritten werden mußte. Diese sei aber auch die letzte, behauptete Felipe. Da der Boden aus weichem Sande bestand, so meinte er, wir sollten zu guter Letzt noch ein kleines Wettrennen halten, worauf er alsbald mit seinem flinken Maulthier im Galopp voranging und wir ihm so gut als möglich folgten. Auf der Höhe angekommen, sahen wir denn auch die weite Ebene dicht vor uns und auf wenige Schritte das Dorf Fuente el Fresno – unser heutiges Nachtquartier. Mir schien es weniger groß als unser gestriges, aus einer einzigen Straße bestehend, die am Abhange der letzten Hügelkette hinlief und größtentheils nur eine Reihe Häuser hatte. Eine kleine Kapelle zeigte ein unbedeutendes Thürmchen.

Unser heutiger Wirth war der Alcalde des Orts, Don Jose Maria Arritajo, ein freundlicher Mann in brauner Capa, der uns am Thore seines Hauses recht herablassend empfing, ja mir vielleicht sogar den Steigbügel gehalten hätte, wenn ihm nicht ein herumlungernder junger Bursche bei diesem Liebesdienst zuvorgekommen wäre. Die Posada, welche der Herr Alcalde hielt, war in einem viel kleineren Maßstabe als unsere gestrige, die weite Halle fehlte und die Küche nur ein kleines Gemach neben dem Thorweg, natürlich mit hochloderndem Feuer, um welches schon eine Menge Eseltreiber und anderer Gesellen es sich bequem gemacht hatten. Ein paar hübsche zerlumpte Kerle, denen man bei uns mit Schrecken begegnet wäre, lachten uns freundlich entgegen, indem sie sich freuten, uns wieder zu sehen. Es waren von jenen Reitern zu Esel, die heute Morgen den Zorn Felipe's rege gemacht und die es auch jetzt nicht unterließen, ihn tüchtig zu necken daß er mit seinem langbeinigen Maulthier zurückgeblieben sei. Horschelt zeichnete den hübschesten dieser Bursche, worüber sich Alle wie die Kinder freuten und das ganze Haus herbeilief, um das Bild Christovals – so hieß der junge Eseltreiber – zu sehen. Daß hierauf Alle gezeichnet sein wollten, versteht sich von selbst. Der Maler kam nicht eher zur Ruhe, bis er auch den Alcalden, als den Würdigsten, mit einigen Strichen skizzirt.

Während dieß drinnen vor sich ging, besprach ich mich draußen mit der Wirthin über unser Diner, dessen Hauptbestandtheil aus Tauben mit Reis bestehen sollte, und trat dann unter das Hofthor, um mich in der Straße umzusehen. Seitwärts vom Hause standen fünf oder sechs sehr zerlumpte Arriero's, die heftig zusammen stritten, aber plötzlich aufhörten, als sie meiner ansichtig wurden, ihre Hüte abzogen, auf mich zutraten, worauf der älteste begann, mit außerordentlicher Beredtsamkeit eine Menge Worte an mich hinzusprechen, von denen ich »Alcazar de San Juan,« von dem sie her kämen, und »Senor Alcalde« verstand, womit sie mich anzureden schienen. Wahrscheinlich hatte mir nur mein andalusisches Costüm in ihren Augen zu dieser Würde verholfen, denn als ich ihnen achselzuckend ein paar Worte ihrer schönen Sprache, wahrscheinlich schauerlich genug, entgegnete, prallten sie lachend zurück und wandten sich von mir. Ein Mädchen, welches mit einem Kinde auf dem Schooß an der benachbarten Hausthüre saß, erklärte ihnen mit lustiger Miene, ich sei ein Fremder, der eben eingeritten, Senor Alcalde aber wohne im Nebenhause und sie möchten nur hineingehen. Das thaten sie denn auch, natürlich mit abgezogenen Hüten, und ich ging hinter ihnen drein, um die Audienz mit anzusehen, welche ihnen der Ortsvorsteher in der Kaminecke sitzend augenblicklich ertheilte. Es war komisch, wie er dabei trachtete, seine Stellung und das ernste, würdevolle Gesicht beizubehalten, mit dem er dem Maler sitzen zu müssen geglaubt. Worüber der Streit gehandelt, kann ich nicht angeben, doch wurde er baldigst geschlichtet, und beide Parteien schienen ziemlich befriedigt das Haus zu verlassen.

Hinter der Küche wurde uns eine Schlafkammer eingeräumt, die sehr einfach und ländlich war, neben dem Lager, das man für uns hergerichtet, führte eine Leiter auf den offenen Söller des Hauses, und im Hintergrunde des Gemachs befand sich eine weite, unverschließbare Öffnung, die in den Raum ging, wo die Maulthiere und Esel standen. Dabei war der Strohsack meines Bettes so offenherzig, daß ein kleiner hungriger Esel mit dem Maul in seinem Innern wühlte, Halm um Halm hervorzog und in stiller Betrachtung verspeiste, bis ich ihm ernstlich wehrte.

Unser Mittag- oder Nachtessen wurde in einem einzigen Gange aufgetragen, bestehend aus einer großen Schüssel voll Reis und gekochter Tauben, und war mit einem solchen Aufwand von spanischem Pfeffer versehen, daß uns schon nach dem ersten Löffel der Schweiß ausbrach und wir zur Abkühlung mehr Wein tranken als gerade nothwendig war. Dazu war das Ameublement und Eßgeräthe des Herrn Alcalden sehr mangelhaft; man hatte uns ein Tischchen hingestellt, kaum groß genug für vierjährige Kinder, welches den Maler mit seinen langen Beinen zur völligen Verzweiflung brachte; hiezu passend waren auch die Messer, denn sie schienen aus einer Kinderküche herzustammen; glücklicher Weise aber waren die hölzernen Löffel recht groß, zum Trinken fanden wir hier wieder jenes Glasgefäß, das wir schon in der Mancha gesehen in Gestalt einer kleinen Gießkanne, welches man hoch empor hebt und den Wein vermittelst des langen Rohres in den Schlund hinabgießt. Diese Art zu trinken hat bei den großen sehr gemischten Gesellschaften, in welche man hier in Spanien häufig geräth, den Vortheil, daß die Lippen mit dem Glase gar nicht in Berührung kommen und man sich also nicht zu scheuen braucht, mit Jedermann aus demselben Gefäß zu trinken.

Um während der Nacht nicht von dem vorhin erwähnten hungrigen Esel belästigt zu werden, zog ich den Schragen, auf dem sich mein Lager befand, von der Fensteröffnung zurück, und nachdem ich noch am Herdfeuer mit dem Alcalden, sowie unsern Freunden, den Eseltreibern, einige Papiercigarren ausgetauscht und geraucht, gingen wir zu Bette, eigentlich zu Strohsack. Daß von Verschließen einer spanischen Wirthshausthüre keine Rede ist, brauche ich wohl nicht zu sagen; obendrein aber haben diese noch so viel Spalten und Löcher, daß man durch dieselben bequem hindurch schauen kann, was auch häufig genug von neugierigen Hausbewohnern geschah, die vielleicht gern sehen mochten, was die »Extraños« in ihren Zimmern trieben. Am heutigen Abend aber waren diese Extraños sehr ermüdet, legten sich alsbald nieder und schliefen den Schlaf der Gerechten bis zur Morgendämmerung.


 << zurück weiter >>