Friedrich Hackländer
Ein Winter in Spanien
Friedrich Hackländer

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Erstes Kapitel.
Nach Italien.

Abreise von Stuttgart. Ein Eisenbahnbild. Das Neckarthal. Herbstliche Zeit. Ein Kirchlein. Bergriesen. Geißlingen. Ulm. Biberach. Ravensburg. Das Haus des Hannikel. »Turlesbach fertig«. Bodenseedampfer. Rorschach. Ein Freund. Schweizer Telegraphen. Über den Splügen. Chiavenna. Donna è mobile! Gewitterstürme. Colico und der Dampfer Adda. Fahrt auf dem Comersee. Regenmantel, Regenwetter und Passagiere. Der energische Kellner. Como. Postwesen auf der Eisenbahn. Hôtel Reichmann.

An einem warmen schönen Herbstmorgen, es war der 8. Oct. 1853, bestieg ich mit meiner Familie in Stuttgart den Eisenbahnwagen, um eine Reise nach Italien und Spanien anzutreten, – »fertig, fort« rief der Zugführer, und es ist das die letzte Abfertigung, das Signal zur Abfahrt – fertig, fort! – man hört es oft wenn man kleine Ausflüge in der Umgebung macht und freut sich alsdann den dunkeln Bahnhof verlassen zu können. Heute aber, wie das »fertig, fort« den leichten Faden zerriß, der uns noch an die Heimath band, und wir gleich darauf langsam vorwärts fahrend, noch einmal im Fluge die betrübten Gesichter der Freunde und Bekannten sahen, die uns vom Abschied schmerzlich bewegt das Geleite gegeben, winkend mit der Hand und mit feuchten Augen, unser letztes Lebewohl ebenso erwidernd – heute bewegt das einfache »fertig, fort« unsre Herzen, und wir, die wir abreisen, sitzen schweigend und gedankenvoll – an die Zukunft denkend, an den langen langen Weg vor uns, und auch viel und gern an eine glückliche Heimkehr. Nur die Kinder freuen sich des Fahrens und schauen mit glänzenden Augen in das vielfarbige Grün des Schloßgartens, an dessen Gränzen wir dahinfliegen, rücken aber nun ängstlich zusammen, als uns die Locomotive in den Rosensteintunnel hineinreißt, und lachen erst wieder als wir jenseits des Berges das sonnenbeglänzte Neckarthal erreichen. –

Ja es war ein schöner heiterer Tag, aber die Sonnenwärme hatte den klaren Himmel redlich erkämpft, erst nach langen heftigen Gefechten schlug sie die irdischen Nebelschauer aufs Haupt und zwang sie sich in ihre Schluchten und Berge zurückzuziehen. Wohl schwebten noch längere Zeit einige Nachzügler, als Wolken zusammengeballt, an dem tiefblauen Himmelsgewölbe dahin, doch führte der schöne Tag die Besiegten wie im Triumph mit sich; ihre weißen Massen dienten seiner Schönheit als Relief, und er benutzte sie, um die glühende im bunten Herbstschmuck prangende Gegend hin und wieder mit zierlichen leicht vorüberziehenden Wolkenschatten neu zu schmücken. So fuhren wir dahin in ziemlich leerem Wagen, weßhalb es denn auch möglich war, selbst gegen das Reglement hie und da an die Thür zu treten, um einen Blick in das schöne Neckarthal hinauszuwerfen. Bis nach Göppingen hinauf dampft die Locomotive fast unter lauter Obstbäumen dahin, die sich über der Bahn die Hände reichen und jetzt ihre reifen Früchte in gelb und roth beinahe auf die Wagendecken herabhängen lassen. Zur Rechten begleitet uns der Neckar bald in breitem Sand- und Kiesbette, bald durch mächtige Mauern eingeengt, die ihn auf die Seite drücken und ihm einen Platz für den Schienenweg abnöthigen; hier stürzt sich der Fluß schäumend über ein Wehr hinab, dort trägt er geduldig und ergeben das Joch einer alten hölzernen Brücke mit ihren plumpen unregelmäßigen Formen, während sich bei Untertürkheim die zierlichen Geländer der so eben neuentstandenen eisernen Gitterbrücke wohlgefällig in seinen klaren Fluthen abspiegeln. Zur Linken haben wir die Abhänge der Berge, welche die Eisenbahn tragen, auf ihnen alte und neue Schlösser, Wartthürme, an ihrem Fuß freundliche Dörfer, meistens in kleinen heimlichen Nebenthälern liegend. Die Ernte ist aller Orten vorüber, kaum weht der Wind über die Stoppeln, und schon wird ein Theil der Felder von dem unersättlichen Menschengeschlecht wieder zu neuem Dienst vorbereitet; der Pflug reißt hier die dampfende Erde auf, dort wird die Seele der Landwirthschaft ausgebreitet, und während man an dieser Stelle noch Kartoffeln ausgräbt, wirft man drüben schon wieder die Wintersaat aus. Aber dieses Leben, diese Bewegung in der herbstlichen Landschaft ist so mannichfaltig, so schön, die Erde hat sich, nachdem sie alles hingegeben, mit dem armseligen Überrest ihres reichen Sommers herrlich geschmückt, und lächelt uns noch einmal freundlich zu, ehe des Winters kalte Hand über sie dahinfährt und von ihr streift den letzten Schmuck, die gelben und rothen Blätter, die schon jetzt bei jedem Lufthauch, ahnend ihr baldiges Vergehen, ängstlich an den matten Stielen zittern. Die Gärten, an denen wir vorüberdampfen, sehen schon recht traurig und verwahrlost aus, die halbvertrockneten Stängel und verwelkten Kräuter sind niedergetreten; Unkraut wuchert triumphirend über sie empor und lacht recht höhnisch zu den hohen Dahlien auf, die gestern noch stolz ihre bunten Köpfe trugen, und sie jetzt, durch den Reif verletzt, tief und traurig herabhängen lassen. Die gelben Capuciner haben schon ein zäheres Leben, und ihre hellen Blumen leuchten noch ziemlich frisch aus dem dunkeln Laub hervor; – vorbei – vorbei! Dort in einem Waldwinkel weidet eine Schafheerde, und die weißen Thiere treten aus dem Grün deutlich hervor, der Hirt und sein Hund schauen uns nach, der Mann ist nachdenkend, er hat so traurige Gedanken über die Eisenbahn und das wilde Getriebe, das mit ihr hier in den stillen Thälern entstanden.

Während wir nun auf der einen Seite an dem Fluß dahinfahren, der bald den Eisenbahndamm bespült, bald in einem weiten Bogen das fruchtbare Thal durchzieht, kreuzen wir häufig die alte Landstraße und sausen hier an Fußwanderern vorbei, die alle das Gesicht gegen uns kehren, oder an Frachtwagen, die mit weißem Tuche überdeckt sind und, obgleich mit kräftigen Pferden bespannt, doch gar nicht von der Stelle zu kommen scheinen. Das alles lassen wir im Augenblick hinter uns, und wenn wir uns dort oben am Berge das weiße Haus mit seinen grünen Läden und rothem Ziegeldach betrachten, und die Augen fest darauf heften, so kommt es uns vor, als drehe sich das Gebäude langsam, um uns nachzuschauen. Neben diesem Hause, nicht weit davon, steht ein altes graues Kirchlein mit ehrwürdigem Schlafmützenthurm; von ihm aus gehen zwei weiße Mauern, die wie zwei lange Arme den stillen Friedhof umfassen; auch das Kirchlein schaut uns mit seinen gothischen Fenstern grämlich nach, scheint aber dabei die Arme fester zusammenzuziehen und flüstert wahrscheinlich zu den Ruhenden hinab, die früher auch hier vorüberzogen im Sonnenglanz und Leben: Laßt sie nur dahinsausen mit ihrem Feuerwagen, das hat alles sein Ende, und auch die da unten werden über kurz oder lang ihr Plätzchen finden; schlaft nur, schlaft! Es ist gut, daß in diesem Augenblick eine Schaar lustiger Tauben von dem Hügel nebenan emporfliegen und alle trüben Gedanken zerstreuen, denn man blickt ihnen gern nach, wie sie so dahinschießen mit ihrem glänzenden Gefieder, bald in einem dichten Haufen, bald weit auseinander und zerstreut, und wie sie nun dort auf der Höhe langsam einfallen neben einem Bauer mit Ochsen und Pflug, der gegen den klaren blauen Himmel wie eine dunkle Silhouette absticht. Aber an allem dem fliegen wir vorüber, immerzu, immerzu! Jetzt rast die Maschine mit aller Kraft dahin, jetzt fühlen wir, wie sie langsam ihren Lauf mindert, um pfeifend und stöhnend endlich anzuhalten, eine neue Station mit altem bekanntem Leben. Passagiere, die sich herandrängen, bald gleichgültig ausschauend, bald mit ernster Miene rückwärts blickend nach den Ihrigen, die scheu auf dem Trottoir stehen bleiben, und leicht zusammenfahren, wenn überflüssiger Dampf zischend auffährt, während der Conducteur zur Eile treibt, und die Glocke demgemäß ihre drei Zeichen so schnell hintereinander gibt, als habe sie eigentlich wichtigeres zu thun und gebe sich nur so nebenbei aus purer Gefälligkeit mit dem Läuten ab – gleichviel, die Locomotive pfeift, hustet und stöhnt erst langsam, dann immer geschwinder, die Häuser an der Bahn fangen wieder scheinbar an rückwärts zu fliegen, von den Menschen die uns angaffen sehen wir nur eine lange Reihe unerkennbarer Gesichter, Bäume huschen vorüber, die letzte Stätte des Orts liegt eben erst hinter uns, und schon rasseln wir an dem nächsten Bahnwärterhäuschen vorbei, wo der Beamte steht, den Arm ausgestreckt wie ein Telegraph, während sein kleines Kind vor der Thür sitzt und: »die Eisenbahn« ruft; doch würden wir kaum die erste Sylbe vernehmen können, wenn das übrigens bei dem Getöse möglich wäre, denn wenn es »bahn« ausspricht, sind wir schon eine gute Strecke weiter. Hinter Göppingen wird das Thal auf Augenblicke weiter und ausgedehnter, und wir können uns deßhalb nicht mehr so mit den Einzelheiten von unserm Wege beschäftigen, auch ist fast alles heute Morgen schon dagewesen und kehrt immer wieder, die Felder in gelb, grau, grün, die Wälder mit ihrer prächtigen Färbung von Violett bis ins helle Roth, durch welche man nun die Form fast eines jeden Baumes erkennt. Die weißen Häuser mit den gelben glänzenden Welschkornkränzen, der getrocknete Flachs am Boden in langen regelmäßigen Linien, schnatternde Gänse, staunende Pferde und wichtig dreinschauende Ochsen; nur ein einsamer Waldweg an dem wir vorübersausen fesselt vielleicht unsere Aufmerksamkeit für einen Moment; dort steigt er vergessen die Höhe hinan, der arme Pfad, der einstens, wie alle andern, nach Rom geführt, nun aber von niemand mehr betreten wird; denn umsonst sagt ein morscher melancholischer Wegweiser, gleich einem zurückgekommenen Budenbesitzer: »nur hereinspaziert«, man zuckt die Achseln und fliegt vorüber.

Dort ist der hohe Stauffen, der Rechberg und Staufeneck, die auf Augenblicke in die Höhe zu streben scheinen, um dann wieder hinter andern Bergen zu verschwinden; die Fremden schauen dem ersten lange zu und denken wohl: majestätisch genug sieht er aus, das Fundament des so mächtigen und so unglücklichen Kaiserhauses; ja majestätisch ernst und traurig, eine gewaltige Pyramide, die auch ohne Hieroglyphen, getreu und deutlich, ihre riesenhafte Geschichte erzählt!

Ich glaube, es war der liebe und freundliche Justinus Kerner, der mir einstens eine eigenthümliche, aber, wenn man das Auge dafür hat, sehr wahre Ansicht über die Formation der Berge des Fils- und Neckarthals mittheilte, eine Ansicht die ich wenigstens immer bestätigt fand, wenn ich so im Dahinfahren träumend und sinnend die Höhen beschaute; jeder Berg hat nämlich, so sagt er, die Gestalt eines Riesen, bald in sitzender, bald in liegender Stellung. Dort sieht man deutlich den zusammengebückten Oberkörper, das Haupt tief auf die Brust herabgesenkt, den Schooß und die Kniee scharf abgezeichnet, während die Füße ins Thal herabhängen; weiterhin ruht ein anderer lang ausgestreckt, den Kopf mit dem Arm unterstützt, und blickt behaglich mit übereinandergeschlagenen Beinen zu uns hernieder, vielleicht im Stillen lächelnd über das sonderbare Spielzeug, das er da unten sieht und das sich dampfend in weiten Schlangenlinien um ihn herumwindet, scheinbar so geschwind und doch für ihn schneckenhaft langsam. Denn wir brauchen ja eine geraume Zeit bis wir von seinem Kopf zu seinen Füßen gelangt sind, aber wir wollen so geräuschlos wie möglich vorübergleiten, um die Aufmerksamkeit dieser respectabeln Riesenfamilie nicht allzu sehr auf uns zu ziehen; denn sonst könnte es einmal einem der jungen Bengel, die winzig hinter den alten hervorlauschen, in den Sinn kommen, mit der derben Faust nach uns zu langen, um die seltsam vielgliedrige Wagenschlange in der Nähe zu betrachten. Also auch hier ohne Aufenthalt vorüber, immerzu, gegen die hohen Berge der schwäbischen Alb hin, die wie eine kolossale Mauer unsern Weg zu versperren scheint.

Aber der geneigte Leser wird den Kopf schütteln, daß ich mir erlaube, ihn hier spazieren zu führen, ohne ihm das geringste neue mitzutheilen, nur altes, aber für mich so gern gesehenes, Feld, Wald, Flur und Haide, Dörfer und Berge, in immer wechselnder neuer und schöner Pracht; vielleicht freut sich aber auch ein einsam Lesender, denn ich schreibe ja nicht für die Passagiere und Mitreisenden, nicht für Glückliche, die ebenfalls in diesem Augenblick in der Welt herumfliegen, die wie ich die freie herrliche Luft durstig einsaugen, sondern ich erzähle das ja alles den Freunden, Bekannten und Unbekannten, die jetzt zu Hause sitzen in der dunkeln Stube, und will glücklich sein, wenn ich ihnen damit einen kleinen heitern Augenblick verschafft, wenn ich ihnen vielleicht zurückgerufen einen ähnlichen Tag, den sie ebenfalls verlebten im glänzenden Sonnenlicht, in gleicher Pracht und Herrlichkeit, will zufrieden sein, wenn es mir gelungen für manchen, der mit mir fühlt, einen kleinen Spalt zwischen diesen Zeilen zu eröffnen, durch welchen er hinausblicken kann in die freundlichen, bunten, glänzenden Berge, die mich umgeben.

Während wir nun eben von Geißlingen langsamer aufwärts dampfen, will ich alles Ernstes die Phantasien dahintenlassen und mich eines gesetzten Betragens befleißigen, wie es sich für einen soliden Reisebeschreiber ziemt. Daß hier die Bahn zu 1 auf 40 steigt, wissen wir bereits; ebenfalls daß sie sich in engem und weitem Bogen an dem Felsenabhang hinwindet, auch daß man die grüne Kirchthurmspitze des genannten Ortes bald weit unter sich sieht und auf der Hälfte der Steigung in ein stilles friedliches Waldthal hineinblickt, das tief zu unsern Füßen liegt mit murmelndem Wasser und Mühle »in einem kühlen Grunde«, einsam und verlassen an der jetzt pensionirten Landstraße. Das Liebchen, welches vielleicht dort gewohnt hat und verschwunden ist, konnte wohl den Lockungen der Eisenbahn nicht widerstehen und fuhr gen Ulm, der alten Stadt an der Donau, jetzt Bundesfestung mit sehr vielem und schönem Militär.

Auch wir kamen gegen halb 1 Uhr dorthin, um nach einer halbstündigen Mittagsrast durch die ausgedehnten Ebenen Oberschwabens weiter zu fahren. Alles hat hier einen andern Charakter, die Gegend ist flach, die Aussicht fast unbegränzt, nur hie und da haftet das Auge gern an einem majestätischen Schloß, einem prächtigen Kloster oder an alten malerischen Städten, wie Biberach und Ravensburg, die noch immer wie gerüstet dastehen im verwitterten Steinharnisch, umgeben von Mauern und Thürmen. Eine angenehme Abwechslung ist endlich der Schussendobel, den man über viele Brücken hinweg klirrend und sausend hinabrast, wieder einmal durch dichten Wald, zwischen Bergen dahin und über klares Wasser. Der Schussendobel hat zwei Merkwürdigkeiten: das Haus des großen Hannickel, ein altes morsches graues Gebäude, ganz wie eine Zigeunerherberge aussehend, und die Station Turlesbach, letztere berühmt, weil hier außer den Conducteuren noch nie eine menschliche Seele aus- oder eingestiegen sein soll, so sagt nämlich die Tradition. »Turlesbach.« ruft der Zugführer und setzt gleich darauf hinzu »fertig«, worauf es ohne anzuhalten weiter geht.

In Friedrichshafen, wohin wir um 3 Uhr kamen, greift alles sehr gut in einander, um den Reisenden und sein Gepäck sogleich an den See und auf das Dampfschiff zu befördern, welches sich denn auch eine halbe Stunde später mit uns in Bewegung setzte und zu dem schönen neuen Hafen hinausfuhr. Die Quais desselben, seine Uferwand und der Leuchtthurm sind nun vollendet; fest und doch zierlich erbaut, geben sie der Wasserseite Friedrichshafens ein heiteres stattliches Ansehen und gewähren den Schiffen den vollkommensten Schutz gegen alles Unwetter des zuweilen sehr aufgeregten und unartigen Sees. Von den Fahrten der Dampfboote kann man sagen, daß sie jetzt sehr zweckmäßig eingerichtet sind, um die verschiedenen Orte des Sees mit einander in Verbindung zu setzen, und der eilige Reisende braucht nun nicht mehr wie früher trauernd an diesem Wasser zu sitzen und sehnsüchtig nach Rorschach hinüber zu blicken, wohin ihm sonst die Fahrt nur an einigen bevorzugten Wochentagen vergönnt war. Auch die Restaurationen der Schiffe haben einen schönen Aufschwung genommen, denn ich erinnere mich noch sehr genau der Zeit, wo z. B. die Kaffeeschale für einen mäßig starken Mann als Fingerhut hätte dienen können, wo gute frische Butter eine Fabel war, und wo ein zähes verbranntes Fleisch Beefsteak genannt wurde – das ist, wie gesagt, ganz anders geworden, und man kann sich nun mit vieler Behaglichkeit zu einem Gabelfrühstück mit Kaffee niedersetzen, und hat, wenn man endlich nach einer guten halben Stunde aufsteht, etwas solides im Magen und gleich darauf Rorschach vor Augen, denn die Überfahrt dauert nicht viel länger. Die Schweizer Douaniers sind sehr artige Leute und begnügen sich mit der Verneinung der sehr höflich gestellten Frage: ob man irgend etwas Verzollbares bei sich führe, worauf man ungehindert mit seinen sieben Sachen zur nahe gelegenen Post ziehen kann, um mit dem bequemen und angenehm eingerichteten Eilwagen gegen halb 6 Uhr nach Chur weiter zu fahren. Der Fremdenzug durch die Schweiz ist in diesem Augenblick noch immer sehr stark, und wir hatten drei große Beiwagen, lauter anständige Gebäude, mit guten Pferden bespannt, dazu sind die Straßen vortrefflich, die Postillons verstehen zu fahren, und so kommt man sehr rasch vorwärts.

Es war schon Nacht und ziemlich dunkel, als wir durch das Rheinthal fuhren, welches hier über eine Stunde breit ist. An der gegenüberliegenden Bergkette Vorarlbergs liegt die Straße von Bregenz nach Chur fast parallel mit der von Rorschach; ich blickte lange dorthin, schmerzlich bewegt, und als ich durch die Finsterniß weit in der Ferne einige Lichter glänzen sah, dachte ich, es könnte Hohenems sein, wo zur gleichen Stunde ein guter edler und lieber Freund an einer schweren Verwundung auf seinem Schmerzenslager ruht und nichts davon weiß, daß von ihm in geringer Entfernung Personen vorüberziehen, die tief bewegt an sein Leid, an seinen Schmerz denken, die mit ihm fühlen, von deren Lippen eine gute sanfte Nacht für ihn erfleht wird – ein Flehen, das wie ein Gebet klingt! – – Doch wir eilen dahin, immer weiter in die Nacht hinaus, um uns zittert der Schein der Wagenlaternen, vorüber huschen Bäume und Häuser, jetzt rollt der Wagen weich im Sande dahin, jetzt rasselt er durch stille Ortschaften, die lautlos, scheinbar ohne Leben daliegen, und deren Häuser uns fast erstaunt betrachten, wie aufgeschreckt aus tiefem Schlaf durch den Knall der Peitsche und das Traben der Pferde.

Neben mir im Wagen saß ein sehr artiger Schweizer, der mich unter anderm auch über das Telegraphennetz unterhielt, das nun im Begriff ist, sich mit großer Schnelligkeit über alle Kantone auszuspannen; auch an unserer Straße standen schon die Stangen mit Glashut und Drähten und reichten sich die Hände, auf diese Art einen magischen Kreis um die Länder ziehend. Der letzte Anstoß zur schnellen Errichtung der hiesigen Telegraphen wurde bei einem Mahl in Genf gegeben, wo dortige und Baseler Kaufleute den Entschluß faßten, im Nothfall auf eigene Kosten durch eine Linie diese beiden Städte und Bern zu verbinden; als kluge Leute aber wandten sie sich vorher noch an den Bund, der denn auch nach kurzer Berathung beschloß, diese wichtige Sache selbst und schleunigst in die Hand zu nehmen. Alle Kantone und selbst die einzelnen Gemeinden interessirten sich lebhaft dafür; letztere lieferten Stangen und Platz auf eigene Kosten, und so ging denn die Ausführung rasch von statten. Da sich die Bureaux meistens mit den Postämtern vereinigt finden, so sind die Auslagen für Beamte und Betrieb ziemlich mäßig. Die Zinsen der ganzen Anlage, sowie die Unterhaltungskosten sollen sich jährlich auf 300,000 Fr. belaufen, wovon schon jetzt die Hälfte durch aufgegebene Depeschen gedeckt wird, was sich übrigens noch jeden Tag vermehren wird; denn die Schweizer waren so klug, den Telegraphentarif äußerst niedrig zu stellen: zwanzig Worte durch das ganze Land kosten nur 1 Franken, und dafür kann man sich schon einmal das Vergnügen machen, von Basel aus einen Genfer Bekannten zu fragen, wie ihm das gestrige Mahl bekommen, oder wie er geschlafen. Vielleicht die einzigen Feinde der Telegraphen sind die Schweizer Postillone. Denn sie oder vielmehr ihre langen Peitschen liegen in beständigem Kriege mit den längs der Straße laufenden Drähten und verwickeln sich nicht selten so in einander, daß der Schwager nur durch Herabsteigen von seinem hohen Bocke und kluges Nachgeben sein Scepter wieder zu erlangen im Stande ist.

Nach Chur kamen wir um 8 Uhr Morgens. Die Straßen lagen in diesem Städtchen wie immer nächtlicher Weile ohne sichtbare Beleuchtung in tiefste Dunkelheit gehüllt; doch ist auch hier für den Reisenden eine Verbesserung eingetreten, daß man nämlich während des stundenlangen Wartens jetzt ein freundlich geöffnetes, erhelltes Gastzimmer mit gutem Kaffee etc. antrifft, statt daß man sich früher mit einem kalten Schnaps in einer sehr geringen Schenkstube behelfen mußte.

Wenn mein Bericht nicht schon so ungewöhnlich groß geworden, und der Weg von hier auf den Splügen nicht schon so oft beschrieben wäre, würde ich meinen Lesern noch einige Details mittheilen von dem großartigen Rheinthal jenseits Chur, wie der Feldbau allmählich kümmerlicher und der Baumwuchs nach und nach dürftiger wird, wie dort Felsberg in größerer Gefahr wie je schwebt, um endlich ganz verschüttet zu werden, wie die schöne Insel Reichenau heute Morgen im Glanz der Sonne so wunderbar dalag, rings umfluthet von den hier so durchsichtigen smaragdgrünen Wellen des stürmischen Rheins, und was dergleichen malerische Sachen mehr sind; so aber begnüge ich mich mit den praktischen und sage nur noch, daß man von den Überschwemmungen des Frühjahrs an der schönen Straße nichts mehr bemerkt, und daß man mit diesen Schweizer Eilwägen und ihren umsichtigen Conducteurs auf die beste Art von der Welt durch die prachtvolle wild-romantische Via mala nach dem Dorfe Splügen gelangt.

Wie es im Herbst und Frühjahr bei Alpenübergängen stets der Fall ist, so hört man schon in Rorschach und Chur bald gute, bald bedenkliche Nachrichten. Vorgestern, hieß es, habe sich der Eilwagen um vier Stunden verspätet, gestern hätten ihn 8 Pferde mühsam durch fußhohen Schnee geschleppt, und wenn es die letzte Nacht so fortgeschneit, so ständen Schlitten in Aussicht. Von all dem aber fanden wir gar nichts; nach eingenommenem Mittagessen fuhren wir langsam und sicher aufwärts, nur hatte sich hier oben die Sonne verschleiert, und der Himmel hüllte uns, wie wir allmählich emporstiegen, in seine dichten Nebelmassen. Auf der Höhe erreichten wir auch ein wenig Schnee, doch bedeckte derselbe kaum die Hufe der Pferde; die Straße selbst ist, wie immer, vortrefflich unterhalten, neue Gallerien sind gebaut und die Wegeinfassungen im besten Zustand. Von der österreichischen Mauth auf dem Splügen kann man in Wahrheit nur das angenehmste und freundlichste sagen: man begnügte sich hier mit einem sehr oberflächlichen Durchsehen unserer Koffer und Nachtsäcke, und nachdem wir auch diese Charybdis glücklich hinter uns hatten, rollten wir wohlgemuth gen Italien hinab. Bald verließen wir den Schnee, und auf den bisher ganz kahlen Felsen zeigten sich hie und da wieder verkrüppelte Nadelhölzer, tiefer unten schlanke und hohe Tannen und magerere Wiesen mit munter herumspringenden Ziegen. Wasserfälle stürzten lauttosend von den Felsen in die Abgründe oder unter dem Damm unseres Weges hindurch, der bald rechts, bald links in den kühnsten Wendungen die kolossale Steinwand hinabklettert. Die Poststation Campo Dolcino lag mit ihren kleinen schwärzlich grünen Häusern öde und einsam da, wie immer; man befindet sich dort noch fortwährend zwischen ungeheuern Bergwänden, nur vor sich sieht man sie etwas gelichtet. Da theilen sie sich mehr auseinander und durch die grauen starren Massen erblickt man tief unter sich freundlichere Formen, statt dem einförmigen Grau in sanfter, röthlich-violetter Färbung; das sind schon die Berge, deren Fuß der schöne Comersee bespült. Auch wir kommen bald dort hinab, noch einige unheimliche Felspartien haben wir zu passiren, noch einige Zickzackwege, welche die guten und sichern Pferde in vollem Trabe hinablaufen, dann wird die Gegend rechts und links reicher und lieblicher, die Häuser bekommen schon ein wohnlicheres Ansehen, Laubholz aller Art, worunter viele zahme Castanien und welsche Nüsse, beschatten unsere Straße; die öden Steinmauern, die bisher unsern Weg begränzten, verwandeln sich in zierliche Veranden, überrankt von wehendem Weinlaub, und bei sinkender Nacht erreichen wir Chiavenna. Hier in den engen Straßen sind alle Buden geöffnet, Lichterglanz strahlt in unsere Augen; der Wagen rasselt fürchterlich auf dem Pflaster, die Postillone knallen übermäßig mit ihren langen Peitschen, und vor einem der zahlreichen Kaffeehäuser hält eine große Orgel und spielt aus Rigoletto:

Donna e mobile
Comme il vento! – – – –

Das Hôtel zur Post in Chiavenna war früher in der Hand eines deutschen Wirthes und ein sehr guter Gasthof, jetzt wird es von Italienern verwaltet und man ist gezwungen, sich mit den ärmlichen vernachläßigten Einrichtungen des Hauses zu begnügen, da es das Einzige ist, in welchem fremde Reisende ein Unterkommen finden. Wir erhielten die besten Zimmer gegenüber der malerischen Ruine des alten Schlosses von Kleven, die ich bei meinen früheren häufigen Reisen nach Italien so oft gesehen. Sehr ermüdet, wie wir alle waren, legten wir uns bald zur Ruhe und schliefen nun zum erstenmal jenseits der Alpen wie wir zu Hause sagen, fest und ungestört wie in der Heimath.

Durch die regelmäßige Befahrung des Comersees mit Dampfbooten von Colico nach Como, und durch die Eisenbahn von Camerlata nach Mailand, erreicht man letztere Stadt mit größerer Bequemlichkeit als sonst, obgleich man an der Geschwindigkeit etwas verliert, da man hiedurch sich entschließt, nach mühseliger Splügenfahrt die Nacht in Chiavenna zuzubringen. – Freilich geht von dort immer noch der Nachteilwagen nach Mailand, da aber derselbe erst den andern Tag gegen Mittag ankommt, und der Zug von Camerlata nur um sechs Stunden später, so wird jeder, der zu seinem Vergnügen reist, Comersee und Eisenbahn vorziehen. Mit eigenem leichten Wagen und Extrapostpferden würde man vielleicht bei sehr gutem Fahren in vierunddreißig Stunden von Stuttgart nach Mailand gelangen können; man müßte alsdann nämlich den zweiten Tag um 1 Uhr Colico am Ufer des Sees erreichen. Außer der kaiserlichen Post gibt es in Chiavenna noch ein paar Gesellschaften, bei denen man zur Fahrt nach Mailand für Dampfboot und Eisenbahn sein Billet löst, und alsdann für nichts mehr zu sorgen hat. Obgleich die Post ein paar Lire theurer ist als diese Gesellschaften, thut doch der Reisende, der des Landes und der Sprache nicht vollkommen mächtig ist, besser mit ihr zu fahren.

Ein klarer heiterer Himmel, der uns von Chiavenna bis an den See zu Theil wurde, versprach einen freundlichen Tag; die Schluchten der Alpen, durch welche uns gestern unser Weg geführt, lagen in tiefvioletter Färbung hinter uns, die Sonne vergoldete ihre Felsenkronen, färbte aber auch zu gleicher Zeit Nebel und Wolken, die langsam aufstiegen, mit einem glühenden Roth. Der Weg von Chiavenna führt auf einer ebenen, theilweise gut unterhaltenen Straße am Fuße der Gebirgsausläufer hin, die hier, zerbröckelt, voll Klüfte und Spalten und wild zerrissen, bei jedem Regenguß eine Menge Sand und Steine ins Thal hinabrollen, welche die Landstraße, namentlich zur Frühjahrszeit, vielfach verderben und oft unsicher, ja gefährlich machen. So passirten wir die Stelle wo, ich glaube es war im Monat Junius dieses Jahrs, der Eilwagen von Gewittersturm und heftigem Regen erfaßt und vollständig weggeschwemmt wurde, so daß sich nur der Postillon und der Conducteur auf einem Pferde retteten, Passagiere waren glücklicherweise nicht im Wagen. Die Straße, obgleich wieder hergestellt, glich immer noch einem jetzt vertrockneten Flußbett, und große Kieselmassen, sowie ansehnliche Felsstücke bedeckten weithin die Felder.

Um halb ein Uhr erreichten wir Colico, den kleinen gefährlichen Ort, rings mit Sümpfen umgeben, wo der Reisende, der hier übernachtet, sehr leicht vom Wechselfieber befallen werden kann. Ja sogar des Nachts bei der Durchfahrt soll man sich vor dem allzufesten Schlafen hüten, und ein vorsichtiger Conducteur vergißt selten, dieß seinen Passagieren bei der Abfahrt von hier in Erinnerung zu bringen.

Auf dem See dampfte schon das kleine Boot, die »Adda«, und schaukelte kaum merklich auf dem Wasser, doch war das Wasser nicht so tief grün und klar, wie ich es sonst wohl hier gesehen, denn leider hatte sich der Himmel überzogen und schmutzig graue Regenwolken spiegelten sich in der Fluth wieder. Die Abfahrt ging für ein italienisches Dampfboot ziemlich regelmäßig von statten, auch wurde von den Schiffsleuten nicht allzuviel Geschrei und Spektakel gemacht, nur blieb ich längere Zeit zweifelhaft, wer der eigentliche Befehlshaber des Bootes sei; denn ein wohlgenährter Mann in Schiffsjacke und Mütze, mit mächtigem schwarzem Backenbart, der sich bei der Abfahrt wenigstens das Ansehen gab, als sei seine Person auf dem Radkasten unumgänglich nothwendig, nahm kurze Zeit nachher eine Serviette auf den linken Arm und erkundigte sich höflichst, ob wir una collazione wünschten. Das Verdeck des kleinen Bootes war recht bequem eingerichtet, auf den Bänken an der Wand lagen hohe Polster, auch hatten wir vollkommen Raum, denn von Colico aus bestanden sämmtliche Passagiere des ersten Platzes aus der auf allen Reisen immer unvermeidlichen englischen Familie mit Büchern und Karten in der Hand und den stets aufmerksamen und erstaunten Wesen. Die Freude auf dem Verdeck mit frischer angenehmer Luft, mit Polster und englischer Familie sollte übrigens nicht lange dauern, denn schon bei den ersten Regentropfen, die bald nachher niederfielen, flüchtete sich die letztere in die Cajüte, die Sitze wurden uns von den allzu vorsichtigen Bootsleuten fast mit Gewalt unter einem unaussprechlichen Theil des Körpers weggezogen, und da der See sich vollständig in Regen und Nebel einzuhüllen begann, so brachte sich Alles was nicht wasserdicht war, ebenfalls schleunigst unter Deck. Ich machte hievon eine Ausnahme, denn ich hatte mir nicht umsonst in Stuttgart einen sehr theuren Regenmantel angeschafft, und fühlte mich nun recht glücklich, dieses Kleidungsstück endlich einmal benützen zu können; damit angethan hielten mich die Bootsleute wahrscheinlich für einen englischen Courier oder dergleichen, denn sie behandelten mich mit außerordentlicher Hochachtung. Um noch ein Wort über meinen schönen Regenmantel zu sagen, den ich ja nicht mit einem ordinären Mackintosh zu verwechseln bitte, so hielt er freilich den Oberkörper vollkommen trocken, bildete aber unten in jeder Falte eine förmliche Dachrinne, wodurch alles von den Knieen abwärts in einer beständigen und sehr unangenehmen Feuchtigkeit erhalten wurde.

Der See war schlecht gelaunt, er hatte schwere Wolken tief auf sich herabgezogen, und seine Fluthen, mürrisch und verdrießlich, hatten hie und da weiße Schaumkronen aufgesetzt, und schaukelten in kurzer Zeit das Schiff mehr als gerade nothwendig war; die Farbe des Wassers war dunkelgrün fast wie die Nadeln der Cypressen, rund an den Ufern aber tiefgrau und schmutzig schien es fast eins zu sein mit den Bergen und Felsen die hier fast überall keck und schroff in den See abfallen. Die zahlreichen prachtvollen Villen und die malerisch gelegenen Städte an seinem Ufern waren kaum zu erkennen, und nur einzelne mächtige Paläste schimmerten, obgleich undeutlich, aus dem Nebel und Regen hervor. Und was für ein Regen war es, mit dem wir heute bedient wurden: man hätte das Wasser zuweilen füglich einen Wolkenbruch nennen können, wobei ich übrigens meinem Regenmantel zulieb tapfer auf dem Verdeck aushielt, fast allein mit einem dicken italienischen Ehepaar, das sich indessen unter dem Schutz eines so kolossalen rothseidenen Regenschirms befand, wie ich nie etwas ähnliches gesehen, sowie mit dem Lenker unseres Schiffes, der, in graues Wachstuch gehüllt, zusammengekauert am Steuerruder saß und mit seinem ebenfalls grauen Gesicht einer verwitterten Steinfigur glich, auf die ein Wasserfall herabstürzt, dessen Tropfen nach allen Seiten hinausspritzen.

Zuweilen warf ich einen Blick in die Cajüte, doch da unten war es indessen fürchterlich geworden, das Dampfboot hielt nämlich jeden Augenblick um zahlreiche Passagiere aufzunehmen, die in großen mit Segeltuch überspannten Barken trotz des strömenden Regens von allen Seiten ankamen. Dabei gab es komische Auftritte genug; die ängstliche Hast, mit der man suchte an Bord zu kommen verursachte manchen Fehltritt, manche Vergeßlichkeit, und oft wenn die Barken schon wieder abgefahren waren, stürzte irgendeine Dame an die Schiffswand und schrie nach einem Paketchen oder nach ihrem Sonnenschirm, den sie in der Eile zurückgelassen. Ja es waren viele Sonnenschirme heute zu sehen, und dazu reiche und elegante Toiletten, für schönes Wetter eingerichtet von Unglücklichen, die sich nach dem heitern Himmel von heute Morgen eingerichtet, auf eine Fahrt über den herrlichen See gefreut und nun so schlimm von Wind und Regen mitgenommen wurden. Da saßen sie denn alle zusammengepfropft in der engen Cajüte mit langen Gesichtern, und in einer wahrhaft unerträglichen Hitze.

Bis jetzt hatte der Wind nicht vermocht, die Regenwolken zu zertheilen, oder über den See hinwegzujagen, sie hingen fast unbeweglich und schwer zwischen den Bergen; glücklicherweise aber erhob sich ein schärferer Luftzug, und zwar angesichts von Como, so daß wir die Hoffnung hatten, uns wenigstens trocken ausschiffen zu können. Alles strömte aus der engen Cajüte aufs Verdeck, und jeder schien glücklich, wieder frische Luft athmen zu können. Mit dem Anlegen ans Ufer hatte es indeß noch seine Schwierigkeiten; der Capitän – ich hatte ihn endlich herausgefunden – ließ die Maschine zu früh halten, und statt daß wir mit der Schiffsseite, wie es sich gebührt, an die Landungsbrücke fuhren, kam der Schiffsschnabel in ziemlich verdächtige Berührung mit dem Geländer; alle Hände beorderten sich selbst aufs Deck, und jeder der Schiffsmannschaft bemühte sich dem Capitän mit vielem Geschrei Befehle geben zu helfen, wodurch der Dampfer denn auch merklich zurückwich, und wir vielleicht wieder nach Colico gekommen wären, wenn nicht der Mann mit der Serviette und dem schwarzen Backenbart energisch eingegriffen und, zugleich mit Capitän und Matrosen an einem Tau ziehend, das vorwärts und glücklich ans Ufer gebracht hätte. Bei dem Herüberbringen des Gepäcks durch das Hafenthor, hinter welchem der Wagen stand, der uns nach Camerlata hinaufführen sollte, kamen, wie gewöhnlich, noch allerlei Wortwechsel zwischen den verschiedenen Facchini vor, die größtentheils mit einem solchen Aufwand von heftigen Redensarten und wilden Pantomimen geführt werden, daß der Fremde jeden Augenblick glaubt, jetzt würden die Messer gezogen und es gebe ein blutiges und allgemeines Handgemenge; aber nichts von allem dem – plötzlich ist der Streit zu Ende, die Parteien klopfen sich auf die Schulter, als wenn gar nichts vorgefallen wäre, und jedermann geht beruhigt seinen Weg.

Como ist eine recht freundliche Stadt mit hohen steinernen Häusern, von denen viele bei uns für Paläste gelten würden; die Straßen sind vortrefflich gepflastert und haben für die Räder der Wagen zwei schmale Streifen von harten Steinen, durch welche das Fahren sanft und geräuschlos gemacht wird. Auf einem Platz steht die Statue Volta's, in weißem Marmor ausgeführt. An freundlichen mit Bäumen bepflanzten Spaziergängen um die Stadt fehlt es nicht; doch wird, seit die Eisenbahn eröffnet ist, der breite und gut unterhaltene Weg nach Camerlata hinauf für Fußgänger, Reiter und Fahrende am meisten benützt. Man braucht eine gute halbe Stunde, um von der Stadt auf den Bahnhof zu fahren, genießt aber, während man langsam aufwärts steigt, eine schöne Aussicht auf die umliegenden Schlösser und Villen, sowie auf einen Theil des Sees. Die Einrichtung der Wagen auf dieser Eisenbahn ist nach dem amerikanischen System; alle sind bedeckt, die erste Classe sehr elegant, und auch die zweite anständig genug eingerichtet, mit schwarzledernen Sitzkissen und gepolsterter Rücklehne. Das Fahren dagegen geht ziemlich langsam von statten, obgleich die Stationen weit von einander entfernt sind, und man die Maschinen tüchtig könnte auslaufen lassen. Es dunkelte bereits, als wir abfuhren, doch verloren wir dadurch bei der bekannten Einförmigkeit der lombardischen Ebene nicht viel; rechts und links hat man nichts wie flache Felder mit Maulbeerbäumen bepflanzt, an denen sich Reben in langen Gewinden emporschlingen.

Die einzelnen Stationen waren belebt durch zahlreiche Aus- und Einsteigende und die Höfe derselben beleuchtet durch lodernde Pechpfannen, die ihren röthlich zitternden Schein auf die neugierigen Gesichter der Mitfahrenden warfen, die bei jedem Anhalten in großer Anzahl die Köpfe zu den Wagenfenstern hinausstreckten. Einen wahrhaft mühsamen Dienst haben bei den Fahrten hier die österreichischen Polizeibeamten, welche durch alle Wägen gehen und sich von den Reisenden die Pässe erbitten, wofür man einen Empfangschein erhält; doch verfahren sie dabei der größten Artigkeit, und man ist durch diese Maßregel viel weniger geplagt als früher, wo man oft lange Zeit genöthigt war, unter den Thoren der Stadt still zu halten.

Wir erreichten Mailand gegen 7 Uhr, und wurden in einem eigenen Wagen nach dem Postgebäude gebracht, hier aber durch einen furchtbaren Regenguß noch eine Zeitlang festgehalten, denn Mailand, obgleich eine so elegante und in vielfacher Beziehung so wohl eingerichtete Stadt, entbehrt immer noch eines geregelten Fiakersystems; weder für Geld noch gute Worte war ein Wagen zu bekommen, und um nicht vielleicht bis in später Nacht sitzen zu bleiben, mußten wir die Regenschirme auspacken; ich war genöthigt, meinen jüngsten Sohn auf den Rücken zu nehmen, den andern in meinen schon vielfach gepriesenen Regenmantel zu wickeln, und so hielten wir unsern Einzug in das Hôtel Reichmann, wo wir aber bei freundlichem und herzlichem Empfang die Mühseligkeiten der bisherigen Reise bald vergaßen. Der deutsche Reisende befindet sich überhaupt bei Herrn Reichmann wie zu Hause; obgleich Gasthof ersten Rangs, kann man hier ein stilles behagliches Familienleben führen; die ganze Dienerschaft spricht deutsch, die vortreffliche Küche erinnert an die Heimath, und das herzliche Entgegenkommen des Herrn Reichmann sowie seiner liebenswürdigen Mutter erleichtert dem Reisenden jeden Verkehr, und läßt ihn nicht fühlen, daß er in der Fremde ist.


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