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Während geschah, was wir in den letzten Kapiteln erzählten, war der Winter ziemlich vorüber gegangen und das beginnende Frühjahr zeigte sich schon in einzelnen schönen, heiteren Tagen – Tagen, an welchen das Land, von der Sonne erwärmt, einen erdigen, aber angenehmen Duft ausströmen läßt, wo die Grashalme sich zu strecken scheinen, und die Zweige den innigsten Trieb zeigen, sich baldigst mit Knospen zu bedecken. Um diese Zeit werden die Glashäuser und Frühbeete von ihrer Umhüllung befreit, man lockert die Rosen auf, die, während des Winters mit Erde bedeckt, ruhig schlummerten, man gibt auch den in ihren gläsernen Käfigen eingesperrten Pflanzen Luft, indem man schon auf längere Zeit die Fenster offen läßt und Sonnenlicht und frische, erquickende Luft über ihre sehnsüchtig zitternden Blätter dahinströmen läßt.
So war man auch in dem kleinen Garten beschäftigt, welcher den Pavillon umgab, in dem Graf Fohrbach wohnte. Obgleich es drei Uhr Nachmittags war, standen doch die Fenster seines Salons offen, und die hereinströmende, jetzt schon wieder etwas kühle Luft vermischte sich wehend mit der warmen, die das lodernde Feuer des Kamins umspielte.
Der Graf war nicht in seinem Salon, sondern befand sich im Ankleidezimmer, dessen Thüre aber ebenfalls geöffnet war; er lag in einem Fauteuil, hatte diesen so gedreht, daß die kühlere Luft von draußen, geschwängert mit den oben erwähnten Frühlingsdüften, über sein Gesicht hinstrich. Neben ihm in der Sophaecke saß der Major von S. Beide rauchten vortreffliche Cigarren, doch verscheuchte der Graf den Dampf, den er von sich blies, augenblicklich wieder mit der Hand, um alsdann wieder einen tiefen Zug Luft zu sich zu nehmen.
»An einem solchen Tage,« sagte er, »wenn man so recht merkt, daß der Winter hinter uns liegt, fühlt man sich doch wie dem Gefängniß entsprungen. Hinter uns finstere schwarze Mauern, die bisher fest verschlossenen Thore weit geöffnet, und vor uns Freiheit, sowie herrliche, göttliche Luft.«
»Das wirst du diesmal ganz besonders finden,« meinte der Major lächelnd, »bricht doch für dich nächstens ein Frühling an, so süß und berauschend, wie man ihn in diesem Leben nur ein einziges Mal genießen kann. Habe ich das doch auch erlebt!«
»Wenn ich daran denke,« entgegnete der Andere, indem er einen Moment seine Augen mit der Hand bedeckte, »so hört mein Herz auf zu schlagen, und ich kann nur mühsam Athem holen. Ist es dir auch so ergangen?«
»Gerade so,« erwiderte der Major lachend. »Und ich will nur hoffen, daß sich deine Erinnerungen an diese Zeit nie trüben mögen. Doch davon bin ich überzeugt, denn Eugenie ist ein so vortreffliches Wesen, ein so reiches und liebes Herz, daß du mit ihr glücklich werden mußt.«
»Und mir wirst du hoffentlich ebenfalls einige Vortrefflichkeit und Liebe nicht absprechen?«
»Ja, du hast gute Eigenschaften, und bei sorgfältiger Erziehung kann mit der Zeit noch was Rechtes aus dir werden.«
Der Graf blickte lächelnd vor sich auf den Boden, stieß die Asche von der Cigarre und dachte über seine künftige Erziehung nach.
»Wie ist es denn mit dem heutigen Diner?« fragte der Major nach einer Pause, »es ist wohl sehr groß und wird eine starke Feierlichkeit absetzen? – Ah! wenn das schon vorüber wäre! Ich werde wohl einen Toast halten müssen, und das kommt mich immer entsetzlich sauer an. Sind wir in der That sehr zahlreich?«
»An die vierzig Couverts, glaub' ich. Papa hat's nun einmal nicht anders gethan.«
»Doch alle unsere genauen Bekannten?«
»Versteht sich. Nur Steinfeld wird fehlen; er ist plötzlich abgereist. Ah! ich verstehe das – der arme Kerl!«
»Warum arm?« meinte der Major. »Er liebt die Baronin noch so leidenschaftlich wie damals, als er sie zum erstenmale gesehen. Erinnerst du dich noch des Abends draußen in deinem Salon nach dem Balle drüben, als er uns jene Geschichte erzählte? Damals waren sechs Jahre vorüber. Und mit welchem Feuer, welcher Leidenschaft sprach er von der Begebenheit!«
»Er wird die Baronin heirathen?« fragte der Graf.
»Versteht sich von selbst. Die Scheidung wird in den nächsten Tagen ausgesprochen. Ich bin überzeugt, die Beiden werden sehr glücklich mit einander sein. Natürlich wird er vorderhand nicht hieher kommen können und wollen.«
»Das begreift sich. Aber der General hat sich so verhaßt gemacht, daß Alles Partei für die arme Frau nimmt.«
»Und er?« fragte der Major nach längerem Stillschweigen.
Der Graf zuckte die Achseln, während ein düsterer Schatten über seine vorhin so freundlichen Züge flog. »Das ist ein rätselhafter Mensch,« sagte er nach einer Pause.
»Für dich und Steinfeld wohl nicht so sehr als für uns Andere,« meinte lächelnd der Major. »Aber ich achte euer Geheimniß. Ich mag den Baron wohl leiden. Coeur de rose ist nicht so übel.«
Bei diesen Worten trat der Kammerdiener leise in den Salon, blieb dort stehen, bis die Blicke des Grafen auf ihn fielen, dann sagte er mit leiser Stimme: »Soeben ist der Jäger zurückgekommen und wünscht Euer Erlaucht sprechen zu dürfen.«
»Darauf bin ich begierig!« rief der Graf, indem er aufsprang. »Er soll augenblicklich hereinkommen. Bleibe nur,« wandte er sich an den Major, der sich ebenfalls erheben wollte. »Ich will in dieser Sache keine Geheimnisse vor dir haben. Was mir der Jäger zu sagen hat, ist für uns Alle sehr ernst und wichtig und betrifft den, von welchem wir eben sprachen.«
»Den Baron von Brand?«
Der Graf nickte mit dem Kopfe und fuhr fort: »Er hat mich gestern um einen Jäger gebeten; ich weiß nicht, weßhalb er zu dem Rencontre von seinen eigenen Leuten Niemand nehmen wollte.«
»Zu welchem Rencontre?« fragte überrascht der Major.
»Mit Herrn von Dankwart. Es scheint, sie haben sich heute geschossen.«
»Das ist seltsam,« meinte der Major kopfschüttelnd; »ich habe Herrn von Dankwart gestern Abend noch gesprochen; von der betreffenden Angelegenheit versicherte er mich gerade das Gegentheil.«
»Und sagte, der Baron habe ihm einen versöhnenden Brief geschrieben, den er im Nothfall überall zeigen könne.«
»So hören wir den Jäger! Ich bin fest überzeugt, die Sache ist anders.«
Hier trat Franz in den Salon, und sein Herr, der schnell nach ihm blickte, fuhr betroffen zurück. »Ah!« sagte er zu dem Major, »die Sache ist ernsthaft. So verstört sah ich das Gesicht meines Jägers, dieses sonst so ruhigen Menschen, nie.«
Und so war es auch in der That. Franz Karner, der auf einen Wink des Grafen langsam näher schritt, ging gegen seine Gewohnheit ziemlich gebeugt. Sein Gesicht war bleich, seine Augen roth unterlaufen, seine Lippen zuckten, und da er das wohl fühlen und doch nicht sehen lassen mochte, biß er sie fest über einander.
Der Major war ebenfalls aufgestanden und blickte bestürzt bald den Jäger, bald seinen Freund an.
»Ah! du bist zurück!« rief dieser. »Nun sprich, was ist geschehen? Ein Unglück – gewiß ein Unglück!«
Der Jäger wagte es nicht, zu sprechen, und nickte stumm mit dem Kopfe.
»Dem Baron ist ein Unglück geschehen?« fuhr Graf Fohrbach hastig fort. »Sammle dich, Franz, und erzähle uns die Geschichte ruhig dem Verlaufe nach. – Ah, Teufel! sei ein Mann!« fuhr er nach einer Pause fort, als er bemerkte, daß der Blick des Andern seltsam flimmernd wurde. »So laß doch hören!«
Der Jäger öffnete langsam die Lippen, nachdem er mit der Hand über die Augen gefahren war, dann sagte er mit tiefer, fast tonloser Stimme: »Ehe ich Euer Erlaucht berichte, was gestern und heute geschehen, will ich zur Rechtfertigung meines auffallenden Betragens nicht verschweigen, daß ich den Herrn Baron von Brand früher gekannt und genau gekannt, ehe ich in den Dienst Euer Erlaucht trat.«
»Ich weiß das, er hat dich mir ja empfohlen.«
»Daß er öfters mein Wohlthäter wurde, daß ich ihn achtete und liebte. – O, sehr liebte, denn er war ein guter Herr. Euer Erlaucht werden mir verzeihen, aber ich muß die Wahrheit sagen, sollte auch für mich daraus erfolgen, was da wolle! Ich kannte alle seine Verhältnisse.«
»Das habe ich mir gedacht,« erwiderte der Graf nach einer Pause. »Aber gleichviel, Franz. Für mich ist der Baron von Brand nur der Baron von Brand, und was dich betrifft, so gehen mich deine früheren Verhältnisse gar nichts an.«
»Das lohne Ihnen Gott,« versetzte der Jäger; »und er wird Sie dafür belohnen.« Er murmelte diese Worte nur, doch verstand sie der Graf vollkommen. Dann streckte sich der Jäger lang in die Hohe, unterdrückte einen tiefen Seufzer und fuhr fort: »Auf die Bitte des Herrn Baron von Brand erlaubten mir Euer Erlaucht, denselben begleiten zu dürfen. Zu diesem Zweck erwartete ich gestern Abend den Herrn Baron um neun Uhr vor dem E.'schen Thor mit dem Wagen. So hatte er es mir befohlen.«
»War es ein Reisewagen?« fragte der Graf.
»Nein, ein leichtes Coupé, aber mit vier Pferden bespannt. – Es mochte fast halb zehn Uhr sein, da hörte ich, daß sich ein Wagen dem Thore näherte, und zwar so schnell, als zwei tüchtige Pferde nur zu laufen im Stande sind. Es war das die Equipage Seiner Durchlaucht des Herrn Herzogs Alfred. Trotzdem es sehr dunkel war, erkannte ich den Kutscher, der seine Pferde neben dem Coupé parirte. Der Herr Baron von Brand sprang heraus, und der Wagen, mit dem er gekommen, kehrte augenblicklich in die Stadt zurück. Der Herr Baron begrüßte mich freundlich, befahl, auf der Chaussee nach der ersten Station zu fahren, und stieg eilig in den Wagen.«
»Wie war er gekleidet?« fragte jetzt aufmerksam der Graf.
»Ueber dem gewöhnlichen Anzug trug er einen weiten Radmantel und auf dem Kopfe hatte er einen runden Hut.«
»Und war bewaffnet?«
»Ja, Euer Erlaucht, mit zwei Pistolen.«
Der Graf warf seinem Freunde einen bezeichnenden Blick zu und sagte hierauf: »Und sonst war Niemand dabei?«
»Niemand. – Ich stieg auf den Bock und wir fuhren davon. Die Postillone, denen ein gutes Trinkgeld versprochen war, ließen tüchtig laufen, so daß wir bald die Station erreichten. Dort wurde umgespannt, und wir fuhren weiter.«
»Aha! nach Königshofen,« sagte kopfschüttelnd der Major. »Es ist das der gewöhnliche Ort.«
»In Königshofen,« erzählte der Jäger weiter, »begab sich der Herr Baron in das dortige Wirthshaus, ließ sich ein Zimmer geben, befahl mir darauf zu Bette zu gehen, ihn aber heute Morgen vor Tagesanbruch zu wecken. Ich verabschiedete die Postillone, mochte aber nicht schlafen gehen, vielmehr schritt ich Stunden lang um das Haus herum, und bemerkte wohl, daß in dem Zimmer des Herrn Baron immerfort ein helles Licht brannte. Er war ebenfalls nicht zu Bette gegangen, denn als ich, dem Befehle gemäß, vor Tagesanbruch seine Thüre öffnete, saß er an seinem Tische und siegelte Briefschaften zu. Ah! du bist schon da! rief er mir entgegen; die Zeit ist schnell verstrichen. – Ich habe mich bemüht, Erlaucht, seine Worte in meinem Gedächtniß festzuhalten; es schien mir das wichtig,« sagte der Jäger in bestimmtem Tone. – »Der Tag fing an zu grauen,« fuhr Franz darauf in gewöhnlichem Tone fort, »und der Herr Baron wollten seine Toilette machen, doch hatte er Alles mitzunehmen vergessen. Ich sorgte so gut als möglich dafür, und nachdem ich ihm das Haar einigermaßen arrangirt, zog er sein Schnupftuch hervor und roch daran. Ich wollte, sprach er alsdann, daß ich nicht vergessen hätte, gestern Abend noch ein paar Tropfen aufzuträufeln. Ich liebe den Geruch und er hätte mir so manche Erinnerung noch einmal frisch vor die Seele geführt.«
»Coeur de rose,« sagte nachdenkend der Graf. »Wer hätte das gedacht, als wir uns hier vor einigen Monaten über sein Odeur lustig machten! Doch weiter!«
»Er gab mir einige Briefe, um sie auf die Post zu werfen. Die Pistolen nahm er selbst unter den Mantel, dann verließen wir das Haus, gingen durch Königshofen durch und stiegen hinter dem Dorfe die Anhöhe hinauf.«
»Der Weg führt nach einer einsamen Waldlichtung, ich kenne ihn wohl,« sprach nachdenkend der Major.
»Und was dachtest du von allem dem?« fragte der Graf seinen Jäger.
»Fast das Gleiche fragte mich der Herr Baron, als wir den Wald hinauf gingen. Ich antwortete ihm, er könne wohl ein Duell vorhaben, doch sehe ich weder Gegner noch Sekundanten. – Die kommen Alle von der andern Seite, entgegnete er mir. Und du bist wohl klug genug, einzusehen, daß hier eine Sache vor sich geht, die mit großer Heimlichkeit betrieben werden muß.«
Der Major wechselte mit seinem Freunde einen bedeutsamen Blick, welch' Letzterer die Achseln zuckte und sehr ernst nach oben sah.
»Ja, ich habe ein Duell vor, so fuhr der Baron fort, und einen gefährlichen Gegner. Ich weiß wohl, wie der schießt,« sagte er sonderbar lächelnd, fehlt auf fünfundzwanzig Schritte nie ein Aß und kann auch wohl die Kugeln auf einer starken Messerklinge theilen. – Da müßte er ja fast so gut schießen wie Sie, gnädiger Herr, erlaubte ich mir zu bemerken, worauf er entgegnete: ganz genau wie ich, deßhalb ist die Sache sehr zweifelhaft, da er den ersten Schuß hat, und befolge daher genau, was ich dir auftrage: Hier müssen wir scheiden, zieh deine Uhr hervor und richte sie nach der meinigen. – Es war sechs Uhr. – In einer halben Stunde wird wohl Alles vorüber sein. Dann folgst du dem schmalen Weg, den ich jetzt hinaufsteige, und findest oben eine Waldlichtung. Da wirst du schon selbst sehen, was zu thun ist. – Ich bat ihn, mich mitzunehmen, doch er wiederholte seinen Befehl ernst und strenge. Und er konnte sehr ernst sein, der Herr Baron,« sagte der Jäger gedankenvoll. – »Er nahm also Abschied von mir, indem er mir noch vorher seine Brieftasche übergab, um die Rückfahrt für die Postillone zu bezahlen, sagte er. Dann stieg er zwischen den Bäumen aufwärts und meine Blicke folgten ihm. Euer Erlaucht werden mir verzeihen, wenn ich Ihnen gestehe, daß es mir fast das Herz zerbrach, als ich ihn so leicht und gewandt da hinaufsteigen sah, ein Herr in den besten Jahren, ja in voller Kraft der Jugend.«
»Und warum folgtest du ihm nicht?« fragte fast athemlos und tief bewegt der Graf.
»Sein Befehl war gemessen, Erlaucht. Und dann kannte ich auch meinen ehemaligen Herrn. Er hätte mich niedergeschossen, wenn ich ihm gefolgt wäre, ohne daß mein Tod,« setzte er trübe lächelnd hinzu, »sein Duell verhindert hätte. – Mehrmals blieb er stehen und wandte sich rückwärts gegen das Thal. Man sieht von dort oben weit in der Ferne die Residenz vor sich ausgebreitet liegen. Dahin schien er mehrmals zu schauen, aber auch auf mich fiel sein Blick, und als er mich so ruhig da unten warten sah, winkte er mir noch einmal freundlich mit der Hand zu. – O sehr freundlich! – Und gleich darauf war er zwischen den Bäumen verschwunden.« – –
Diese letzten Worte hatte der Jäger mit kaum verständlicher Stimme gesprochen. Dann aber sagte et: »Verzeihen mir Euer Erlaucht, aber ich kann nicht anders!« – worauf er seine Hände vor die Augen preßte und einige Sekunden so verblieb.
Der Graf hatte seine Cigarre weggeworfen, und er sowie der Major blickten in der größten Spannung auf den Jäger, der nun die Hände langsam niedersinken ließ, tief aufseufzte und fortfuhr: »Darauf befand ich mich allein in dem Walde. O es waren das schreckliche Augenblicke! Und ich horchte wohl athemlos auf jedes Geräusch, wenn weit von mir entfernt irgend ein Wild durch das dürre Laub raschelte, wenn ein welkes Blatt neben mir zu Boden fiel, so schrak ich zusammen, indem ich befürchtete, irgend etwas Anderes überhört zu haben. O Herr Graf, wenn man im dichten Walde auf etwas lauscht, wobei das Herz mit im Spiele ist, so ist die Stille, die uns umgibt, feierlicher und ernster als die Ruhe eines Kirchhofes! Ich kenne das,« setzte er mit leiserer Stimme bei. – »Auf einmal knallte ein Schuß. – Gnädiger Herr, ich habe Schüsse knallen hören unter schauerlichen Verhältnissen – aber so wie dieser heute Morgen hat mich nie etwas erschüttert! Gleich darauf fiel ein zweiter. Ich riß meine Uhr heraus und als ich sah, daß es halb Sieben war, stürzte ich den Waldweg hinan. So eilig ich auch war, so blieb ich doch zuweilen zitternd stehen und lauschte. Was konnte es mich auch nützen, daß ich schnell an Ort und Stelle kam, mir ahnte ja doch, was ich finden würde! Dann spiegelte ich mir auch wohl eine falsche Hoffnung vor und blieb in der Absicht stehen, um vielleicht die Schritte der andern Partei zu vernehmen. Aber,« setzte er trübe lächelnd hinzu, »ich hörte nichts dergleichen. Der Wald war entsetzlich stille, nur das Laub rauschte unter meinen Füßen, hie und da flatterte ein Vogel und von weit her sang der Kukuk sein melancholisches, einförmiges Lied.«
»Endlich fandest du ihn!« rief gespannt der Graf, als der Jäger vor sich hinstarrend schwieg.
»In der Waldlichtung – Herr, wie er mir vorausgesagt.«
»Ganz allein.«
»Und –«
»– – Todt,« sagte der Jäger nach einem tiefen Athemzuge.
»Die Kugel war durch's Herz gegangen.«
»Ah! das ist entsetzlich!« rief der Major. »Du sahst Niemand? Du vernahmst also wirklich keine Schritte, die sich entfernten?«
»Ich sah nichts als die Sonne, die ihren Strahl über seine bleichen Züge warf, und ich hörte nichts als die eigenen Worte des Jammers, mit welchen ich mich neben ihn hinwarf. Denn, Herr Graf, ich hatte ihn sehr geliebt, meinen ehemaligen Herrn, den Baron von Brand.«
*
»Und was denkst du über die ganze Geschichte?« fragte der Graf nach einer langen, langen Pause.
»Ich denke nur, was er mir sagte,« erwiderte der Jäger mit feierlicher Stimme. »Ich will mein Leben dafür lassen, daß er im Duell gefallen. Denn so hat er gewollt, daß man glaube.«
»Ja, er hat so gewollt,« sprach Graf Fohrbach nachdenkend, »sein Lauf war zu Ende, wie er mir auf jenem denkwürdigen Maskenballe sagte, und er soll einen ehrenvollen Tod gestorben sein.«
»Von der Hand des –« fragte der Major mit bedeutsamem Blick.
Worauf der Andere entgegnete: »Herr von Dankwart ist bei allen seinen kleinen Schwächen ein Ehrenmann, das ist nicht zu bestreiten.«
»Allerdings nicht,« meinte der Major. »Aber er wird die ganze Geschichte hartnäckig leugnen.«
»Nehmen wir an, aus Diskretion, wie ich vorhin sagte,« erwiderte Graf Fohrbach, »die Welt wird doch an das Duell glauben, und so hat es der Unglückliche gewollt. Er ruhe sanft. – Doch laß uns das Ende deiner Geschichte hören,« wandte sich der Graf nach einigem Stillschweigen an seinen Jäger.
»Ich holte Leute aus dem Dorfe,« fuhr dieser fort, »und brachte ihn nach Königshofen zurück. Ich ließ Aerzte kommen, obgleich ich wußte, daß das unnütz war. Darauf brachte ich ihn in seinen Wagen und kehrte langsam nach der Residenz zurück.«
»Und wo ist er jetzt?«
»In seinem Hause. Ich habe ihn dem alten Kammerdiener übergeben, der darauf vorbereitet zu sein schien. Denn obgleich er trostlos und verzweifelt that, sagte er doch unter Thränen, er habe das wohl vorher gewußt.«
»Und die Briefschaften, die dir der Baron gab?«
»Warf ich auf die Post bis auf einen Brief, den er mich beauftragte, Punkt neun Uhr Seiner Excellenz dem Herrn Polizeipräsidenten eigenhändig zu übergeben, wozu vielleicht Euer Erlaucht so gnädig sind, mir später Urlaub zu ertheilen.«
Der Graf Fohrbach wechselte mit dem Major einen Blick, dann erwiderte er dem Jäger: »Allerdings, du sollst überhaupt den heutigen Nachmittag und Abend für dich haben, und erst morgen früh,« setzte er mit Betonung hinzu, »den Dienst bei mir wieder in deiner gewohnten Pünktlichkeit und – Treue antreten.«
»Wie danke ich Ihnen für dies Wort!« sprach der Jäger, tief erschüttert. Dann verließ er auf einen Wink seines Herrn Kabinet und Salon.
»Es ist ein trauriges und doch gutes Ende für den Baron,« sagte Graf Fohrbach nach einer Pause. »Wir müssen übrigens seinen letzten Willen erfüllen und das Gerücht verbreiten helfen, er sei im Duell gefallen. Herr von Dankwart wird das heftig leugnen, aber nachher, wenn er sieht, daß man ihm doch nicht glaubt, wird er am Ende gezwungen, das Rencontre achselzuckend zuzugeben.«
»Verlaß dich auf mich,« entgegnete der Major, »es soll auf ihm hängen bleiben. Aber sage mir, Eugen, wie verstehe ich das? Hat der Baron wirklich etwas mit der Polizeidirektion zu schaffen gehabt? Auf dem letzten Hofball sprach man von einer Brautschaft zwischen ihm und der Tochter des Präsidenten.«
»Ich hörte auch davon, glaubte aber nicht daran.«
»Muß man,« meinte der Major, »heute noch den Tod des Barons geheim halten oder kann man nach Tisch darüber sprechen?«
»Natürlich wollen wir darüber sprechen, um so mehr, da Herr von Dankwart da ist. Wir werden überhaupt nicht die Einzigen sein, die die Sache erfahren haben.«
»Schön,« versetzte der Andere, indem er sich zum Weggehen anschickte; »ich verlasse dich jetzt. Es ist vier Uhr und du hast doch etwas Sammlung nothwendig.«
»Und Toilette!« lachte der Graf, während er seinem Freunde die Hand reichte.
»Adieu denn bis nachher!«
»Adieu, Major!«
Mit kurzen Worten wollen wir dem Leser noch sagen, daß das heutige Diner bei Seiner Excellenz dem Kriegsminister äußerst glänzend war, daß bei demselben die Verlobung zwischen Eugenie und dem jungen Grafen proklamirt wurde, und daß der Major einen hierauf bezüglichen gar schönen Toast ausbrachte. Das unglückliche Ende des Barons war übrigens schon bekannt geworden und man schrieb dasselbe allgemein einem Duell mit Herrn von Dankwart zu. Es half auch nichts, daß dieser auf's Feierlichste das Gegentheil versicherte, ja daß er sich anheischig machte, sein Alibi beweisen zu wollen. Man zuckte die Achseln, man verbeugte sich lächelnd, sobald aber Herr von Dankwart den Rücken gewendet und anderswohin getänzelt war, so sagte man: »Das ist erstaunlich; wer hätte das gedacht!«
»Und der Baron war ein immenser Pistolenschütze,« meinte ein Anderer, und ein Dritter setzte hinzu: »Was mich bei Herrn von Dankwart nur wundert, ist einzig und allein, wie man nach einer so furchtbaren Katastrophe – am gleichen Tage mit der Ruhe sein Diner einnehmen kann.«
»Erstaunlich!«
»Erstaunlich!« wiederholten Alle, und Herr von Dankwart wurde von da an mit weit größerer Ehrfurcht betrachtet, als dies bisher geschehen.
Auch der Präsident war bei dem Diner gewesen, war aber sehr still und nachdenkend und verkehrte fast nur mit dem Herzog Alfred, mit dem er sich längere Zeit in einer Ecke des Salons eifrig unterhielt. Gegen acht Uhr verließ er die Gesellschaft und fuhr nach Hause. Dort hatte er mit seiner Gemahlin eine heftige Scene, bei welcher endlich auch Fräulein Auguste, aber sehr niedergeschlagen und mit rothgeweinten Augen, erschien. Wer der Gegenstand der Unterhaltung in der Familie war, werden wir dem Leser nicht zu sagen brauchen, dagegen wollen wir nicht verschweigen, daß Seine Excellenz, die Nase mit der Hand festhaltend, lange im Salon auf- und abschritt und einer längeren Rede der Präsidentin lauschte, welche eifrig zu ihm sprach. »Und wenn Alles so wäre, wie du mir sagtest,« fuhr sie fort, »so können sämmtliche Gerichte des Landes ihn doch nicht wieder lebendig machen und zur Verantwortung ziehen. Welchen Nutzen brächte es dir also, die Sache an die große Glocke zu hängen, sie stadt- und landkundig zu machen? – Nutzen, du lieber Gott!« rief sie weinend. »Nur Schande, o welche Schande! Wird nicht die ganze Stadt mit Fingern auf uns deuten? O, der Skandal!«
»Und meine Ehre als Chef der Polizei?« sprach stehenbleibend der Präsident, wobei seine losgelassene Nase hoch empor fuhr.
»Und meine Ehre!« sagte Auguste weinend. »Bin ich nicht unglücklich genug durch diese schreckliche Geschichte geworden?«
Der Präsident setzte abermals schweigend seinen Spaziergang fort und mit einem tiefen Seufzer blickte er auf die linke, immer noch leere Seite seines Frackes. »Eine allerhöchste Belohnung,« redete er schwermüthig, »hätte mir diesmal nicht entgehen können. O, ich war so nahe daran!« – Damit meinte er den Stern, nach dem er so lange geschmachtet. – »Wer weiß, wenn es wieder einem Hauptverbrecher gefällt, sich von mir einfangen zu lassen!«
In diesem Augenblicke meldete der Bediente einen herrschaftlichen Jäger, welcher Seine Excellenz zu sprechen wünsche. Auf ein Kopfnicken des Letzteren trat Franz ein und übergab einen Brief, indem er sagten »Von dem Herrn Baron von Brand.«
Man kann sich denken, wie der Präsident bei dieser Meldung zurückfuhr und daß er mit zitternden Fingern das Couvert abriß. Auch schien ihn die Einlage desselben nicht zu beruhigen; es war ein einfaches Blatt, auf welchem die Worte standen: »Der Baron von Brand gibt sich die Ehre, Seine Excellenz den Herrn Polizeipräsidenten daran zu erinnern, daß er heute Abend erwartet wird und zwar zu einem Whist à trois mit dem todten Mann.«
*
Im Hause des Kommerzienrathes Erichsen hatte man in diesen Tagen ebenfalls eine Verlobung gefeiert, nicht so geräuschvoll wie bei Seiner Excellenz dem Kriegsminister, aber darum nicht minder herzlich. Zwar saß die Räthin auch bei dieser Veranlassung steif wie immer in ihrer Sophaecke, doch lag über ihren Zügen eine angenehme Weichheit, ihre Augen blickten freundlich und sie wandte den Kopf häufig nach der rechten Seite, wo Herr Staiger saß, an dem die alte Dame ihr besonderes Wohlgefallen zu finden schien. Der Mann hatte so ein gutes warmes Herz und ein ehrliches Gemüth, das sich bei jedem seiner Worte kundgab; dabei konnte er so angenehm erzählen, und bei dem, was er am heutigen Tage vorbrachte, kam es denn heraus, daß seine Eltern mit denen der Kommerzienräthin vor langen Jahren in einem sehr freundschaftlichen Verhältniß gestanden, was zu vernehmen der Madame Erichsen nicht gerade unlieb war.
Marianne hatte sich der Verlobten ihres Bruders herzlich und innig angenommen und liebte sie schon nach den ersten Tagen ihrer Bekanntschaft wie eine Schwester. Ja, sie hatte der Kommerzienräthin erklärt, da sie selbst keine Kinder habe, so wolle sie sich des guten armen Mädchens annehmen und mache sich ein wahres Vergnügen daraus, derselben eine glänzende Aussteuer zu geben.
Der Kommerzienrath hatte sich wie immer Diner und Champagner wohl schmecken lassen und war glückselig, daß die verdrießlichen Geschichten in seinem Hause sich wieder anfingen aufzuklären und daß er Hoffnung hatte, nächstens wieder ein stilles und harmloses Leben führen zu können. Wenn auch leider alle Bemühungen gescheitert waren, um seine Schwiegertochter Bertha wieder in das Haus ihres Mannes zurückzubringen, obgleich bis jetzt noch keine Scheidung erfolgt war, so hatte er dagegen einen Brief von seinem Schwiegersohn, Herrn Alfons, in der Tasche, worin sich dieser an seine Frau wandte, sein Unrecht vollkommen einsah und versprach, bei seiner Rückkunft – er hatte nämlich zu seiner Zerstreuung eine kleine Reise unternommen – so viel in seinen Kräften stände, Alles wieder gut machen zu wollen.
Auch bei diesem Diner fielen Toaste, und als das Dessert aufgesetzt wurde, ergriff sogar die Kommerzienräthin ihr Glas, nachdem sie vorher, diesmal mit beiden Händen auf den Tisch getrommelt, und brachte die letzten Tropfen ihres Champagnerkelches Allen denen zu, welche ihre Nebenmenschen ohne Neid und Mißgunst liebten, die statt gehässig die Fehler Anderer aufzudecken, lieber deren gute Seiten hervorheben, die dabei Freunde der Wahrheit und Feinde jeglicher Verleumdung seien.
Ein Trinkspruch, zu welchem aus vollem Herzen Amen zu sagen auch wir uns gedrängt fühlen und mit uns gewiß der größte Theil unserer verehrlichen Leser.