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72. Mademoiselle Therese

Sobald es im Hause des Kommerzienraths Erichsen auf der großen Schwarzwälder Uhr Zwei schlug, erschien der alte Bediente mit dem Kaffee, und es war der Mann darin so pünktlich, daß ihn Arthur einmal antraf, Kaffeebrett und Tasse in der Hand, mit den Augen geduldig dem Lauf des Zeigers folgend, der noch circa eine halbe Minute bis zu der angegebenen Stunde zu laufen hatte. – Es hatte also zwei Uhr geschlagen, zu gleicher Zeit waren auch Bedienter und Kaffee erschienen, doch war es bereits halb Drei und Niemand von der Familie, selbst nicht einmal der Kommerzienrath, der sonst diesem Augenblicke sehnsüchtig entgegen sah, hatte daran gedacht, das Aufgestellte zu berühren.

Die Kommerzienräthin saß in ihrer Sophaecke wie gewöhnlich, aber noch aufrechter und unbeweglicher als sonst. Mit den grauen und harten Zügen ihres Gesichts, aus denen die lange, spitze Nase drohender als je hervortrat, mit ihrem einfachen Kleide von einer Farbe, die ebenfalls in's Gräuliche spielte, hatte sie sehr viel Ähnlichkeit mit einer Versteinerung. Ja sogar ihre Augen hafteten fest auf einem Fleck in der andern Ecke des Zimmers, und ihre knöcherne Hand, die auf dem Tische lag, obgleich offenbar bereit zum Trommeln, hielt sich doch noch ruhig und hatte nur die Finger weit ausgespreizt. Marianne saß neben ihr in der anderen Ecke; die Arme über die Lehne gelegt und die Hände gefaltet, den Kopf tief gesenkt, schien sie in ernste Betrachtungen versunken und sich gar nicht um die Anwesenden zu bekümmern.

In einem Fauteuil am Fenster lag der Kommerzienrath, aber sein Aeußeres zeigte nicht wie sonst um diese Stunde Ruhe und Behaglichkeit. Sein Gesicht war etwas aufgedunsen und mehr als gewöhnlich geröthet, seine Unterlippe hing schlaff herab, und zu gleicher Zeit hatte er die Augenbrauen hoch empor gezogen, was seinem gutmüthigen Gesichte einen ganz eigenthümlichen Ausdruck gab. Hinter ihm stand der Doktor, die Arme fest verschlungen und blickte so finster, als es sein offenes und freundliches Gesicht nur erlaubte, auf seinen Schwager Alfons, der, beide Hände auf den Rücken gelegt, in dem weiten Zimmer auf- und ab spazierte, und sich dabei offenbar in weit behaglicherer Gemüthsstimmung befand als alle Uebrigen. Er sprach, während er so einher schritt, wobei er die Augen auf den Boden heftete und nur erhob, so oft er sich umwandte, um alsdann Eines der Anwesenden eine Sekunde lang anzuschauen.

»Eine Scheidung,« sagte er, »hat immer etwas Unangenehmes für die Familie, in welcher dergleichen vorkommt; und ich würde schon aus dem Grunde Alles anwenden, um die Geschichte zu verhindern. – Ich weiß wohl,« wandte er sich an Eduard, »daß bei Madame bis jetzt alle Mühe vergeblich war; aber man muß ihr begreiflich machen und deutlich sagen, daß bei einer Scheidung vor den Augen der Welt immer einiger Makel auf beiden Theilen haften bleibt.«

»Deine Reden wären recht schön,« erwiderte der Doktor, »wenn du es nur einmal lassen könntest, sie mit den ewigen Gehässigkeiten zu untermischen; daß die Scheidung für mich und meine armen Kinder allerdings ein Unglück ist, weiß ich wohl, aber was dadurch für ein Makel auf meinen Namen fallen soll, begreife ich nicht.«

»Aber ich begreife es,« sprach streng die Kommerzienräthin, und ihre Finger zuckte leise; »von dem Mann wird man sagen: er war ein unordentlicher Mann, vielleicht ein unsolider Mann; und über die ganze Familie zuckt man die Achseln und spricht: es ist doch nichts Rechtes dahinter.«

»O Mama,« entgegnete der Doktor, »Sie sehen zu finster; in der Welt kommt so Manches vor, wovon man heute vielleicht spricht, morgen aber denkt Niemand mehr daran.«

Die Räthin hustete leise, dann versetzte sie: »Das ist darnach, wem so etwas passirt. Bei einer Familie, die Schimpf und Schande gewohnt ist, da thut freilich ein bischen mehr auch nicht viel. Aber bei einer Familie, wie die unsrige« – dabei erhob sie ihre Stimme und ihre Hand bewegte sich – »einer Familie, die in ihrem Thun und Lassen klar wie der Tag dastand, die noch nie Gelegenheit gab, gehässig über sich sprechen zu machen, da schimpfirt so etwas, wie wenn man die Augen verliert oder die Nase aus dem Gesicht.«

»Nun, eine kleine Schmarre haben wir schon auf die Backen bekommen,« sagte hämisch Herr Alfons.

Die Räthin wandte mit einer steifen Bewegung den Kopf nach ihm herum; ihre scharfen, grauen Augen schienen ihn durchbohren zu wollen und die erhobene Nase drückte deutlich aus: sprich weiter!

Das that denn auch der Schwiegersohn und bemerkte: »Nun, ich dachte nur an den Skandal bei der Probe lebender Bilder. Das war nur eine kleine Ouverture, der vielleicht noch Manches nachfolgt.«

»O ja,« meinte der Doktor, »der vielleicht noch Manches nachfolgt.«

Marianne erhob ihren Kopf und wechselte einen Blick mit ihrem Bruder. Darauf seufzte das arme Weib tief auf und versank wieder in ihre Betrachtungen.

»Und du kannst dich wahrhaftig nicht arrangiren, Eduard?« fragte der Kommerzienrath mit verdrießlichem Ton und matter Stimme. »Ich versichere dich, das Fragen und Schwätzen über diese leidige Angelegenheit ist nicht zu ertragen. Sogar auf der Börse muß ich davon hören.«

»Sogar auf der Börse!« wiederholte würdevoll die Räthin. »Das kann dem Kredit des Hauses schaden.« Sie trommelte leicht auf dem Tische, aber nur wenige Takte; dann saß sie wieder so steif und unbeweglich da wie vorhin.

Alfons spazierte einige Male im Zimmer auf und ab, wobei ihn übrigens nichts besonders Unangenehmes zu beschäftigen schien, seine Mundwinkel zuckten und seine Hände rieben sich behaglich an einander. – »Was nun die andere Sache anbelangt,« meinte er nach einer Pause, »so befahlen Mama, sie ebenfalls zur Sprache zu bringen.«

Die Räthin nickte mit dem Kopfe, und der Doktor schaute so plötzlich und fragend auf Alfons, daß dieser genöthigt war, ihm zu sagen: »Es betrifft Arthurs höchst kuriose Geschichte. Er macht ja kein Geheimniß mehr daraus, und wie ich aus seinen Reden zu entnehmen glaubte, ist es ihm sogar nicht unangenehm, wenn man darüber verhandelt.«

»Ihn soll der Teufel holen!« seufzte der Kommerzienrath mit ziemlich erzwungenem Zorn, wofür ihm aber ein strenger Blick seiner Gemahlin zu Theil wurde. – »Es ist aber auch nicht zu sagen,« fuhr der geplagte Bankier fort, »was man nicht Alles erleben muß. Ich hab' das satt und will meinem Herrn Sohn zeigen, wo er her ist. Alle Wetter! das ging mir ab. Eine – eine – Tänzerin! – Wie heißt die Person doch?«

Die Räthin wandte ihm majestätisch das Gesicht zu und sprach: »Ich hoffe, du bist weit genug gegangen in deinen Reden; du wärest freilich im Stande, sogar den Namen jener Mademoiselle vor uns zu nennen. Pfui!«

»Daß Einem die Galle überläuft ist kein Wunder,« fuhr der alte Herr Erichsen fort; »kommt nicht einmal mehr zu Tisch, der saubere Herr! Also da keine Ruhe, weil man sich ärgern muß, und nachher wieder keine,« dabei schielte er mit schmerzlichem Gesichtsausdrucke nach dem unberührten Kaffee. »Ja, es ist eine Schande,« fügte er nach einer Pause bei, als Niemand sprach, »für einen jungen Menschen von Talent, der etwas Rechtes gelernt hat.«

»Da liegt eben der Fehler,« entgegnete etwas lebhafter die Kommerzienräthin: »Hättest du ihn was Rechtes lernen lassen, so hätte er kein Künstler zu werden gebraucht, und wäre vielleicht mit – dergleichen Volk nie in Berührung gekommen.«

»Aber was will er denn eigentlich?« fragte Marianne, die sich für ihren Bruder lebhaft interessirte.

»Nun, er will sie hei –« erwiderte der Kommerzienrath; doch ließ ihn ein wahrhaft furchtbarer Blick seiner Gemahlin dies Wort nicht beendigen. Sie hustete heftig und bedeutsam und sagte:

»Dergleichen soll vor meinen Ohren nicht genannt werden. So etwas will ich nicht hören; wenn man über diese – Geschichte sprechen will, so soll man sich passender Ausdrücke bedienen.« »Aber, Mama, Sie sind in der That komisch,« bemerkte Alfons. »Er denkt sehr stark an eine Heirath, wie ich gehört.«

»Ich bin nie komisch, Herr Schwiegersohn,« entgegnete die Räthin, »am allerwenigsten in einem Falle wie der vorliegende. Und von einem Zusammenlaufen meines Sohnes mit jener Person kann durchaus keine Rede sein.«

»Sie scheinen Arthur nicht zu kennen, denn was er sich einmal vorgesetzt hat, das thut er,« meinte Alfons.

»Was in dem Falle Herr Arthur zu thun gesonnen ist, kann mir gleichgiltig sein; von meinem Sohne ist alsdann nicht mehr die Rede.« Dies sprach die Räthin und machte dazu eine entschiedene horizontale Bewegung mit der Hand, worauf sie ihre Finger wieder auf den Tisch niederfallen ließ und einen wahren Siegesmarsch trommelte, als wollte sie damit anzeigen, daß die Regeln des Anstandes über jedes andere Gefühl den Sieg davon getragen haben.

Der Kommerzienrath wagte es, leicht mit dem Kopfe zu schütteln, ja sogar einen mißbilligenden Blick seiner Ehehälfte zuzusenden.

Doch bemerkte diese es nicht, denn sie schaute gerade vor sich hin und sagte unter einzelnen bedeutsamen Schlägen auf den Tisch: »Die Scheidung, von der wir vorhin sprachen, wird, ich sehe das wohl ein, nicht wohl zu hindern sein. Mein Herr Schwiegersohn hat Recht, wenn er meint, es könne das einen Makel auf die Familie werfen, und daher kommt mir eben die andere Geschichte, ich möchte fast sagen, erwünscht. Man muß der Welt zeigen, welche – Opfer man bringt, um den Namen des Hauses fleckenlos zu erhalten; man muß ihr zeigen, daß man ungerathene Glieder der Familie wegwirft; man muß der Welt deutlich zu verstehen geben: ich habe sie gewollt und gethan. Dann werden die Menschen vielleicht so gerecht sein und, jene Scheidung treffend, sagen: eine Frau, die den einen ihrer ungerathenen Söhne verstieß, würde auch den andern nicht geschont haben, wenn sie in seinem Thun und Lassen etwas Unrechtes entdeckt hätte. – Und so wird es auch geschehen; lieber will ich allein und verlassen, aber mit Ehren, sterben, als von Kindern umgeben, deren guter Namen befleckt ist.«

Nach diesen Worten zog sie ihr Taschentuch hervor, hielt es vor den Mund und hustete leise hinein. Auch schaute sie ihre beiden Kinder an und als sie den traurigen Blick Eduards bemerkte, sowie daß die Augen ihrer Tochter voll Thränen standen, zuckte es ein klein wenig in ihrem harten, finstern Gesicht, wie ein leuchtender Blitz, der bei Nacht durch eine Ruine fährt.

In diesem Augenblicke hörte man Tritte auf dem Gange, die Thüre öffnete sich und Arthur trat herein. Wenn er in gewöhnlicher Gemüthsverfassung gewesen wäre, so hätte er wohl gemerkt, daß man soeben von ihm gesprochen, und würde sich, unbefangen und freimüthig wie er war, darnach erkundigt haben. So aber schien er das plötzliche und auffallende Verstummen des Gesprächs, sowie die seltsamen Blicke, welche der Vater, seine Geschwister und sein Schwager zusammen wechselten, nicht zu verstehen. Er ging gegen seine sonstige Gewohnheit gebückt und schwankend, seine Züge waren bleich und verstört, und überhaupt war sein Benehmen vollkommen räthselhaft; er grüßte kaum die Anwesenden, er entschuldigte sich nicht einmal, daß er nicht zu Tische gekommen, er setzte sich ohne Aufforderung neben seine Mutter hin, die mit einem strengen, fragenden Blick etwas von ihm wegrückte; ja, er nahm, was selten vorkam, fast mit Gewalt die eine Hand seiner Mutter und drückte sie an seine Lippen.

Die Räthin schien das Alles für Bitten anzusehen, und es schauerte sie leicht. Sie hob ihren Kopf noch höher, sie war im Begriff, ihre Hand kräftig zurückzuziehen, als der Ausdruck ihres Gesichts mit einem Mal an seiner Härte verlor, ja ihre Züge augenscheinlich milder wurden, worauf sie ihr Haupt ein wenig zu ihrem Sohne neigte und ihn mit einem fast mütterlichen Tone fragte: »Was hast du mein Kind?«

Wir wollen dem geneigten Leser nicht vorenthalten, daß die Räthin auf ihrer kalten Hand, als Arthur dieselbe geküßt, heiße Tropfen fühlte, Thränen aus den Augen ihres Sohnes, von welchem dies so ungewohnt und seltsam war, und etwas so Trauriges, das damit in Verbindung stehen mußte, anzeigte, daß sich sogar das so fest umpanzerte Mutterherz der Kommerzienräthin davon ergriffen fühlte.

»Gott sei Dank!« dachte Herr Erichsen, der besorgt einem Sturme entgegengesehen, »das Wetter scheint sich aufzuklären; vielleicht kommen wir noch Alle zu einer guten Versöhnung, und ich, wenn gleich zu einem halbkalten Kaffee.« Bei Veranlassungen wie die gegenwärtige, bei Erörterungen ernster Art nahm es nämlich die Räthin gewaltig übel, wenn man dazwischen gleichgiltige Dinge trieb, wie zum Beispiel Kaffeetrinken oder auch Essen, hauptsächlich wenn eine brennende Tagesfrage zufällig beim Diner verhandelt wurde.

»Nun, was hast du, Arthur?« wiederholte die Räthin.

»Nichts Besonderes,« entgegnete der junge Mann, ohne aufzublicken, doch mit so lauter Stimme, daß es alle im Zimmer deutlich vernahmen. »Ich kam nur, Ihnen zu sagen, daß ich fühle, wie sehr Sie Recht hatten, wenn Sie bemüht waren, die Schranke aufrecht zu erhalten, die einen Stand der Gesellschaft vom andern trennt. Ich wollte Ihnen nur zugestehen, Mama, daß Sie vollkommen die Welt kennen, und daß, wie Sie so oft sagten, sich Niemand ungestraft über die Meinungen seiner Mitmenschen wegzusetzen vermag.«

Die Kommerzienräthin sah einigermaßen triumphirend rings im Kreise umher. Der Doktor zuckte die Achseln, selbst Alfons war überrascht, und Marianne betrachtete mit einem traurigen Lächeln auf den Lippen ihren jüngeren Bruder. Sie wußte um Arthur's Liebe, sie wußte, welch' schöne Hoffnungen er sich gemacht, und sie mit ihrem weichen Frauenherzen fühlte wohl, daß ihm etwas Entsetzliches begegnet sein mußte, denn nur etwas der Art war im Stande, seine bisher so freien und widerstrebenden Ideen den schroffen Ansichten der Mutter zu unterwerfen.

Wahrscheinlich wäre es auch hierüber noch zu Erörterungen gekommen, wenn nicht in diesem Augenblicke der alte Diener eingetreten wäre und der Kommerzienräthin eine Dame gemeldet hätte, welche sie in einer dringenden Angelegenheit zu sprechen wünsche.

Es war dies nicht die Zeit, in welcher die Besuche zu der Kommerzienräthin kamen, weßhalb sie auch ziemlich befremdet fragte: »Wer ist die Dame? Hat sie meinen Namen deutlich genannt? – Will sie mich allein sprechen?«

»Den Namen der Frau Räthin hat sie deutlich ausgesprochen,« entgegnete der Diener; »doch glaube ich nicht, daß sie darauf bestehen wird, Sie allein zu sprechen.«

»So soll sie ihren Namen nennen,« meinte die Räthin nach einigem Besinnen.

»Sie wünschte das nicht zu thun.«

»So bin ich begreiflicher Weise für sie nicht zu Hause,« sprach die Räthin mit großer Würde. »Sagen Sie ihr das!«

»Den Fall hat die Dame vorgesehen,« erwiderte achselzuckend der Diener, »denn sie sagte mir, sie wünsche überhaupt nur Jemand von der Familie zu sprechen, sei es nun die Frau Räthin oder der Herr Rath, oder auch Madame Marianne.«

»Räthselhaft!« meinte der Kommerzienrath; »ich denke, man läßt sie hereinkommen, das wird nicht gegen den Anstand verstoßen.«

»Ich glaube, man ist's der Dame jetzt schuldig,« bemerkte Alfons lachend, »denn Friedrich blieb so lange aus, daß die draußen wohl merken kann, es sei Jemand zu Hause, und man berathschlage, ob sie anzunehmen sei oder nicht.«

»Das wäre für mich kein Grund, Herr Schwiegersohn,« antwortete hochmüthig die Räthin. »Aber meinetwegen kann sie sich sehen lassen.« – Sie nickte dem Bedienten zu, der augenblicklich hinaus ging, und gleich darauf die Thüre von außen langsam öffnete.

Jedes Auge richtete sich dorthin, und für fast Alle – für fast Alle sagen wir, nur nicht für Arthur – war es eine völlig fremde Person, die auf sehr anständige, ja elegante Weise hereintrat, den beiden Damen eine zierliche Verbeugung machte, gegen die Herren den Kopf neigte und dann leicht und gewandt gegen das Sopha vorschritt, auf welchem die Räthin saß. – »Was kann das bedeuten? – Mademoiselle Therese!« dachte Arthur fast erschrocken.

Der Kommerzienrath, der sich damit schmeichelte, eine wirklich vornehme Frau stets an ihrer Tournüre zu erkennen, und der nicht daran zweifelte, eine Dame aus höhern Ständen vor sich zu haben, erhob sich, indem er den Gruß derselben tief erwiderte, und rollte einen kleinen Fauteuil in die Nähe des Sopha's, auf welchem sich Mademoiselle Therese – denn sie war es in der That – höchst unbefangen niederließ.

Obgleich die Räthin im Aeußern und im Benehmen der Fremden durchaus nichts Verdächtiges witterte, war sie doch behutsamer als ihr Gemahl; sie erwiderte den Gruß derselben förmlich und kalt, hustete leicht und saß dann wieder so steif und aufrecht da, als habe sie eine beträchtliche Anzahl Bleistifte verschluckt. Marianne hatte mit einem Blicke die Toilette der Fremden gemustert, fand aber weder an dem weißen Atlashute, von welchem eine einzige Feder herabhing, noch an der Art, wie sie ihren Shawl trug, noch an der Farbe der Handschuhe und der Façon der kleinen eleganten Stiefeln das Geringste auszusetzen.

Mademoiselle Therese schien eine Frage zu erwarten und rekognoszirte unterdessen mit einem schnellen Blick das Terrain. – »Ah!« dachte sie, »das ist der alte Herr Erichsen, das sein Sohn, der Arzt, dies die arme kleine Frau, und der Herr dort mit der Brille mein Freund.« Ein kaum bemerkbares schalkhaftes Lächeln spielte um ihren Mund, verlor sich aber sogleich wieder, als sie Arthur erkannte, der sehr erstaunt neben seiner Mutter saß.

»Sie haben mich zu sprechen gewünscht,« sagte endlich die Räthin. – »Mit wem habe ich das Vergnügen?«

»Das thut eigentlich nichts zur Sache, gnädige Frau,« erwiderte Therese.

»Doch – ich muß bitten.«

Die Brust der schönen Tänzerin hob sich etwas stärker, denn sie wußte ganz genau, daß die Nennung ihres Namens ein Allarmschuß wäre, mit dem sie einen heftigen, aber sehr ungleichen Kampf beginnen würde. Doch war sie genugsam mit sicher treffender Munition versehen und scheute sich gar nicht, das Gefecht zu eröffnen.

»Obgleich mein Name gewiß nichts zur Sache thut, gnädige Frau,« wiederholte sie, »und er Ihnen wahrscheinlich völlig unbekannt ist, so mache ich mir doch ein Vergnügen daraus, ihn zu nennen. Ich heiße Therese Selbing und bin Tänzerin bei der königlichen Hofbühne.«

Die Wirkung, welche die letzten Worte in dem stillen Familienkreise hervorbrachten, war komisch und doch schrecklich. Das Gesicht der Räthin verlängerte sich zusehends, doch schien sie ein Lächeln zu unterdrücken und wischte sich über die Augen, wie man es nur nach einem schweren Traume zu thun pflegt, um den häßlichen Kobold, der einem erschienen, zu verscheuchen. Aber der hübsche, der hier in den Kreis getreten, war durch keine solche Pantomime zu verjagen, und betrachtete sich sogar sehr anmuthig die höchst überraschten Gesichter rings umher.

Marianne schrak am auffallendsten zusammen; vielleicht ahnte ihr mit Recht, was daraus erfolgen könne, und obgleich noch vor Kurzem entschlossen, einen Familien-Skandal nicht zu scheuen, bebte sie doch jetzt davor zurück. Sie warf einen schnellen Blick auf ihren Mann, der hinter seinen Brillengläsern mit den Augen zwinkerte, und, obgleich er sich das Ansehen gab, den Auftritt einigermaßen komisch zu finden, nicht ganz unbefangen erschien.

Der Kommerzienrath, der sich anfänglich ärgerte, den Fauteuil so bereitwillig an den Tisch gerollt zu haben, betrachtete sich einige Sekunden nachher das elegante und schöne Mädchen etwas genauer und war so frei, bei sich zu denken: »Nun, anständig genug sieht sie aus, und Manche könnte sich wünschen, eine solche Tournüre zu besitzen.«

Unterdessen hatte die Räthin bei sich überlegt, was zu thun sei. Am liebsten hätte sie sich erhoben, und wäre mit steifem Nacken aus dem Gemach gerauscht. Doch wäre das unklug gewesen, denn es leuchtete ihr wohl ein, daß die »Mademoiselle« eine triftige Ursache haben müsse, um mit solcher Frechheit in ein anständiges Bürgerhaus einzudringen. Sie warf einen Blick auf ihren Sohn Arthur, der indessen ganz ruhig und unbefangen dasaß, worauf sie mit einem leichten Kopfnicken sprach: »Mademoiselle, so bitte ich, mir zu sagen, was Sie hergeführt; der Name Selbing ist mir gänzlich unbekannt.«

Therese betrachtete lächelnd die Spitzen ihrer Füße, dann hob sie den Kopf empor und erwiderte: »Ich glaube wohl, gnädige Frau, daß Ihnen der Name gänzlich unbekannt ist. Und doch wurde er – es sind einige Jahre her – vor Ihnen genannt, oder vielmehr vor ihrer Frau Tochter dort. Ich habe eine Schwester, ein armes Mädchen, aber ehrlich und anständig, obgleich nur eine Nähterin. Sie suchte um eine Stelle nach, die damals in Ihrem Hause offen war; sie war nicht schlecht empfohlen, ihr Aeußeres gefiel auch Ihrer Frau Tochter.«

»Ach ja, ich erinnere mich,« sagte Marianne.

»Dann werden auch Madame nicht vergessen haben,« fuhr die Tänzerin fort, »daß Ihr Herr Gemahl, ich glaube jener Herr mit der Brille dort, meiner armen Schwester die Stelle abschlug, nicht, weil man ihr irgend etwas Uebles nachsagen konnte, ebensowenig, weil sie ihre Arbeiten nicht verstanden hätte, sondern aus dem einfachen Grunde, weil sie eine Schwester habe, die Tänzerin sei, mit der man ja vielleicht zufällig später einmal in Berührung kommen könnte, was für ein so achtbares Haus, wie das Ihrige, doch keine große Ehre sei. Jene Schwester aber, von der die Rede war, bin ich. Ich war indeß damals zu jung und unerfahren, um die Beleidigung, die man mir und meinen armen Eltern angethan, zu verstehen.«

»Mademoiselle!« sagte streng die Räthin.

»Als ich sie endlich verstehen lernte, trug sie wahrhaftig nicht dazu bei, mich auf dem Wege der Tugend zu erhalten –, denn ich dachte bei mir: Man sieht dich deines Standes halber über die Achseln an, man rümpft die Nase über dich, weil du arm und schön bist und dich gut kleidest; du bist ein verlorenes Wesen, weil deine Mutter und gute Freunde nicht im Stande sind, bei so und so viel vornehmen Bekannten mit deiner Tugend und vortrefflichen Aufführung zu prahlen. – Sei es darum, dachte ich, und ließ alles den Weg gehen, den es gerade gehen wollte.«

»Aber ich verstehe nicht, Mademoiselle,« sagte nun der Kommerzienrath, »wie diese Einleitung auf ein Thema führen kann, das uns zu interessiren im Stande wäre.«

»Sie werden mich nicht für so thöricht halten,« versetzte Therese mit einiger Röthe auf den Wangen, denn die Worte, welche sie eben gesprochen, hatten ihr Blut erregt, »daß ich über Sachen zu sprechen anfange, die mit Ihnen in keinem Zusammenhange stehen.«

»Doch möchte ich in der That wissen,« meinte Herr Alfons spitzig, »auf welche Weise wir die Ehre gehabt hätten, mit Ihrer Person und der Ihrer Schwester in Berührung gekommen zu sein.«

»Es handelt sich vorderhand nicht um Personen, sondern um Meinungen,« entgegnete die Tänzerin mit einem kalten Lächeln. »Und namentlich um eine seither sehr geänderte Meinung.« Mit diesen Worten wandte sie sich direkt an Herrn Alfons und zwar mit so festem und sicherem Blicke, daß dieser achselzuckend seine Augen zu Boden schlug.

Die Kommerzienräthin saß da, trommelnd und hustend, und röthlich angestrahlt von einem aufsteigenden Zorne. So etwas war ihr in ihrem ganzen Leben noch nicht vorgekommen. Diese – fremde Person war in ihr Haus gedrungen und wagte es, mit einem ihrer Angehörigen über veränderte Meinungen zu sprechen, und zwar mit ihrem Schwiegersohn, dessen Meinungen, er mochte sonst sein wie er wollte, doch beständig fest und gleich geblieben waren in Anstand und guten Sitten.

»Mademoiselle,« sagte sie in sehr strengem Tone, »ich glaube, wir haben das Vergnügen, zu wenig miteinander bekannt zu sein, um uns gegenseitig über unsere Meinungen aufzuklären. Ich muß also bitten, zum wahren Zweck Ihres Besuches überzugehen, oder mir zu erlauben« – damit erhob sie sich einige Zoll vom Sopha, so ihre Rede pantomimisch beschließend.

Der Doktor hatte mit Arthur einige Blicke gewechselt und Marianne war bei den letzten Worten der Tänzerin über und über roth geworden. – »Ich dächte, Mama,« meinte Eduard nach einer augenblicklichen Pause, »statt Demoiselle Selbing von dem uns interessanten Thema wegzudrängen, sollten Sie ihr erlauben, sich näher auszudrücken, was sie unter diesen veränderten Meinungen versteht. Ich glaube, Alfons muß darauf dringen.«

»Ja, ja,« stotterte dieser. »Aber vor allen Dingen begreife ich diese Keckheit nicht.«

»S – s – s – t!« machte der Kommerzienrath, indem er langsam seine Hand erhob.

»Für diese Aufforderung bin ich Ihnen sehr dankbar, Herr Doktor Erichsen,« wandte sich Therese an diesen. »Allerdings haben Sie das Recht, Aufklärungen über meine etwas kühnen Worte zu verlangen. Ich wollte damit nur so viel sagen,« fuhr sie mit sehr langsamem Tone fort, wobei sie ihren Fauteuil so weit drehte, daß sie Herrn Alfons im Auge behielt, »Ihr Herr Schwiegersohn, der damals der Meinung war, es passe sich für eine Dienerin seines Hauses nicht, eine Schwester zu haben, die Tänzerin sei, habe seine Meinung so weit verändert, daß er – nicht jenen Schritt wieder gut machte, sondern noch viel weiter ging und der – Freund einer Tänzerin selbst werden wollte; ein Versuch, der jedoch für die arme Betreffende sehr unglücklich ausfiel.«

»Ah!« machte Arthur erschrocken, denn er fing an, einen schauerlichen Zusammenhang zwischen seinem Schwager und jenem unglücklichen Mädchen zu ahnen, dessen Leiche er heute Morgen gesehen.

Man hätte in diesem Augenblick glauben können, die Räthin habe ein Gespenst gesehen, oder sonst etwas Entsetzliches. Sie saß da, die Augen weit aufgerissen, den Mund geöffnet, das Gesicht mit einer Todtenblässe überzogen, während ihre Hand zitternd auf dem Tische lag. Ihre Augen hatten starr an den Lippen des Mädchens gehangen, jetzt erhob sie dieselben und schaute ihren Schwiegersohn an, der mit einem Male seine Fassung gänzlich verloren hatte. Seine Augen irrten hin und her, er wurde bald bleich, bald roth; er zuckte mit den Achseln, versuchte zu lächeln und machte jetzt ein paar Schritte gegen den Doktor, und darauf ein paar gegen seine Frau, welche weinend mit dem Kopfe in die Kissen des Sopha's gesunken war.

Bei all' ihren Fehlern war die Kommerzienräthin eine sehr verständige Frau, welche namentlich die Gewalt über sich selbst höchst selten und dann nur auf Momente verlor. Auch jetzt, nachdem sie das Terrain überschaut, schien sie bald im Reinen zu sein und faßte sich augenblicklich wieder. Sie saß straffer da als vorhin, ihr Husten klang wie ein ferner Donner, und ihre, obgleich zuckenden Finger trommelten mit aller Energie einen Sturmmarsch. – »Fahren Sie fort – Mademoiselle,« sprach sie gelassen zu Therese.

Alfons wischte sich den Schweiß von der Stirne und näherte sich, wenn gleich mit wankenden Schritten, dem Tische. Er stützte die rechte Hand darauf und sagte, nachdem er heftig geschluckt: »Frau Schwiegermama – Sie geben jener Person die Erlaubniß, in den ehrenrührigsten Reden gegen mich fortzufahren. Gestatten Sie mir aber dann – daß ich mich entferne.«

»Nein, du bleibst!« schrie Marianne plötzlich laut auf und sprang von ihrem Sitze in die Höhe. »Nein, du bleibst – Heuchler! und läßt dir von fremden Leuten sagen, was deine arme Frau nicht den Muth hatte, gegen dich auszusprechen.«

»Marianne!« sagte die Kommerzienräthin, ohne aber eine Miene zu verziehen.

Wie wir vorhin schon angedeutet, war die Periode ihrer Emotion vorüber und jetzt hätte noch Schlimmeres über sie hereinbrechen können, nichts wäre im Stande gewesen, eine Miene ihres unbeweglichen Gesichts zu verändern.

»Aber um Christi willen!« sprach jammernd der alte Herr, indem er die Hände zusammenschlug; »was sind das für furchtbare Geschichten? Wache ich denn, oder träume ich?« Er erhob sich etwas schwerfällig und ging dann so eilig als möglich an die Thüre, um zu sehen, ob sie auch fest verschlossen sei.

Marianne war in diesem Augenblicke nicht mehr zu kennen. Dies sanfte, furchtsame Weib, welches sich durch einen gebietenden Blick ihres Mannes in jeden beliebigen Winkel scheuchen ließ, trat ihm nun fest entgegen, stützte die Hand ebenfalls auf den Tisch und sagte mit flammenden Augen: »Diese Dame spricht die Wahrheit. Du, dessen zweites Wort ›Sitte‹ und ›Anstand‹ war, du, der du die unschuldigste Sache so lange zu drehen wußtest, bis du ihr eine gehässige Seite abgewinnen konntest, du, der du jeden Blick auf's Schlimmste deutetest, du, der hochmüthig über die verderbte Welt und die Laster der Menschen absprach, du – bist selbst einer jener Sünder, und um so schlimmer, da du ein heuchlerischer Sünder bist. – Mademoiselle hat Recht, und wie schon Mama sie bat, so bitte auch ich sie, in ihrer Rede fortzufahren. – Für mich ist das ja gleichviel,« setzte sie laut weinend hinzu, »denn ich weiß Alles.«

Alfons machte einen letzten Versuch, die total verlorene Schlacht wieder zu gewinnen; er fuhr das schwere Geschütz der Unverschämtheit und Frechheit auf, er verbarg seine Hand auf der Brust, hob seine Nase hoch empor und sagte in dem entschiedenen Tone, durch welchen er schon öfters Recht behalten: »Madame, über Ihre Taktlosigkeit, dergleichen gehässige Dinge über Ihren eigenen Mann – vor einer fremden – zudringlichen – und lügenhaften Person auszusprechen, werde ich Sie später zur Rechenschaft ziehen. Was die Sache aber an sich anbelangt, so erkläre ich sie für eine infame Verleumdung, und bin bereit, gegen Jeden aufzutreten, der es wagen sollte, nur durch eine Miene seinen Glauben daran zu verrathen.«

Dabei schaute er herausfordernd im Kreise umher, und wollte einen vernichtenden Blick auf Therese fallen lassen; doch erhob sich diese langsam aus ihrem Fauteuil, trat ihm fest entgegen und wollte ihm gerade eine gehörige Antwort geben, als Madame abermals emporsprang, sich zwischen Beide drängte und vor die Augen ihres Mannes ein Papier hielt, bei dessen Anblick seine angespannten Gesichtszüge schlaffer wurden und er unwillkürlich einen Schritt zurücktrat.

»Kennen Sie,« wandte sich die arme Frau an Therese, »kennen Sie eine Tänzerin Marie U.?«

»Ich kannte sie. – Sie ist todt.«

Ohne eigentlich zu wissen warum, durchzuckte dies Wort widrig die Kommerzienräthin; sie seufzte tief auf und hustete darauf lange und anhaltend in ihr Taschentuch.

»Todt?« fragte Marianne zurückfahrend.

»Todt!« sagte auch Alfons mit allen Zeichen des Schreckens auf seinem Gesicht.

»Sprechen Sie!« rief der Doktor, der eilig näher trat; »ist es das arme Mädchen, das den fürchterlichen Fall im Theater gethan?«

Therese nickte mit dem Kopfe.

»Ah! sie ist gefallen!« murmelte Alfons aufathmend. »Was geht das mich an?«

»Sie kennen also dies Papier und den Namen der Tänzerin?« fragte die Räthin mit einem Tone, der eines Inquisitors würdig gewesen wäre.

»O, er kennt ihn!« rief Marianne. »Er wagt es nicht, seine Handschrift zu verleugnen.«

»Und wenn ich diese Schrift anerkenne, was folgt daraus?«

»Daß du dich um jenes arme Mädchen bemüht,« entgegnete Marianne, »daß du sie durch Geschenke bestechen wolltest, du, der von dergleichen Personen nur achselzuckend und mit wegwerfendem Tone sprach. Es beweist, daß du ein schlechter Heuchler bist.«

»Marianne –!« rief abermals die Räthin.

»Ach ja, Mama,« erwiderte die kleine Frau, indem sie die Hand an ihre Stirne drückte und tief aufathmete; »ich vergaß mich.«

»So ersuche ich um Ruhe,« fuhr die Räthin in einem majestätischen Tone fort. »Mademoiselle,« wandte sie sich an die Tänzerin, »reden Sie.«

»Es ist ja nicht viel mehr zu reden,« erwiderte Therese, die auch nicht einen Augenblick ihre Fassung verloren hatte, sondern ruhig dastand, in bester Haltung, ihren Shawl fest um sich gezogen, den Kopf erhoben. – »Sie starb, das Nähere darüber kann Ihnen der Herr Doktor Erichsen mittheilen, der ins Theater gerufen wurde. Sie starb in Folge jenes schrecklichen Falles, und die Sache ist um so trauriger, da dies Unglück von einem jungen Manne verschuldet wurde, der die arme Marie auf's Innigste liebte, sie in der nächsten Zeit heirathen wollte, und der in jenem Augenblicke erfuhr, sie sei ihm untreu geworden.«

Marianne zuckte schmerzlich zusammen.

»Ich war bei ihr und verließ sie keinen Augenblick bis zu ihrem Tode. Mir theilte sie die ganze traurige Geschichte mit, mir nahm sie das feierliche Versprechen ab, jenen Mann, der sie verfolgt, der sie unglücklich gemacht, der sie – ja, ich sage es frei – gemordet, von den schrecklichen Umständen ihres Todes in Kenntniß zu setzen, ihm hoffentlich zur ewigen Strafe. – Und ich nahm den Auftrag gerne an,« fügte sie mit blitzenden Augen nach einer kurzen Pause bei, »ich nahm ihn gerne an, beschloß aber, ihn nicht unter vier Augen zu erfüllen, sondern offen und frei, vor so vielen ihm unangenehmen Zeugen als nur möglich. – Und so that ich.« Damit machte sie eine Handbewegung gegen Alfons, welcher noch einen Augenblick am Tische wie erstarrt stehen blieb, dann fast in sich zusammenbrach, sich aber aufraffte, mit der rechten Hand durch sein Haar fuhr, und dann plötzlich zur Thüre hinausstürzte.

»Ich bin fertig,« wandte sich die Tänzerin gegen die alte Dame »und wenn ich Sie verletzt, so will ich Sie um Entschuldigung bitten.« Sie machte darauf sämmtlichen Anwesenden eine tiefe Verbeugung und wandte sich zum Weggehen.

Die Kommerzienräthin hatte einen Augenblick überlegt, worauf sie sagte: »Ich danke Ihnen, Mademoiselle; Sie haben Ihre Schuldigkeit gethan.« Bei diesen Worten erhob sie sich und begleitete die Tänzerin bis zur Zimmerthüre in ruhiger, würdevoller Haltung. Sobald sich übrigens die Thüre hinter der Fremden geschlossen, blieb die alte Frau einen Augenblick wie betäubt stehen und preßte die Hand vor die Stirne. Dann aber sprach sie: »Komm Marianne, ich habe mit dir zu reden.« Und beide Damen verließen das Zimmer. Die Herren machten es gleich darauf ebenso, nicht ohne viele Oh! und Ach! von Seiten des Kommerzienrathes, der über alle Maßen verdrießlich war, denn er sah nun eine lange Reihe von unangenehmen Auftritten vor sich, von denen er ein großer Feind war, und überlegte auch, daß die Geschichte noch einmal schlimm endigen könne. Doch müssen wir leider gestehen, daß er dabei weniger an seine arme Tochter dachte, als an sein Bankiergeschäft, welchem Herr Alfons eine Hauptstütze war.

 


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