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76. Achselbänder

Gewöhnlich wurden jedes Jahr bei Hof zwei große Maskenbälle gegeben. Es war das so herkömmlich, und wenn sich vielleicht auch Niemand besonders dabei amüsirte, so sah man diesen Festen doch mit einigem Interesse und Neugierde entgegen; es war eine Unterbrechung in dem beständigen Einerlei der Diners und Frühstücke, der Hofkonzerte und gewöhnlichen kleineren und größeren Bälle. Es fiel da meistens allerlei vor, worüber man ein paar Wochen lang sprechen konnte, es gab da Kostüme zu bewundern und zu bekritteln. Selbst das Hofmarschallamt, das bei diesen Festen Arbeit und Sorge genug hatte, liebte dergleichen ein paar mal im Jahr; es war das, wie wenn das Militär in neuen Anzügen, Waffen und Fahnen paradirt – so glänzte dann der Hofmarschall mit den besten Livréen, den schönsten Sälen, prächtiger Beleuchtung und dem großen Silberzeug. Deßhalb glich auch schon mehrere Tage vor diesen großen Bällen ein Theil des Schlosses, namentlich der, wo sich die Küchen befanden, einem Bienenschwarme, und wie in einem solchen summte es auch hier aus und ein. Die Küchenjungen glühten vor Eifer und Maulschellen, die Schloßknechte liefen in einem beständigen Hundetrab hin und her, die gesetzteren Lakaien nahmen in den Gängen und Zimmern des Schlosses noch verstohlener als sonst ihre Prise, und erinnerten sich an Carnevalbälle aus diesem oder jenem Jahrgang, wo dies und jenes geschehen war, meistens an und für sich etwas sehr Unbedeutendes, aber unvergeßlich für das Gemüth eines Hofbedienten, als zum Beispiel eine abgetretene Schleppe, eine verschüttete Sauce, eine allerhöchste Nase dem Hofmarschallamt gespendet, oder dergleichen mehr. Gefährlich war es übrigens an diesen Tagen in den Küchen selbst und zwar an den Plätzen, wo der regierende Koch Hochselbst zu komponiren und zu arbeiten pflegte. Diesen Ort umschlichen die Küchenjungen mit wahrem Grausen und schätzten sich glücklich, wenn sie ein Kasserole überbracht, ohne dafür einen Fußtritt oder eine Kopfnuß eingehandelt zu haben.

In den Sälen wurden die Kronleuchter nachgesehen, in den Nebenzimmern Buffets und Tische aufgeschlagen, die Treppen mit Teppichen bedeckt, und das alles von den höheren Hofbediensteten auf's Sorgfältigste überwacht. Sogar der Hofmarschall war an diesen Tagen ernster als gewöhnlich, seufzte zuweilen, zog die Augenbrauen in die Höhe und dachte gern an jenen Moment, wo Alles glücklich vorüber sein werde und wo sich die höchsten Herrschaften nach genug ertragener Langeweile müde, aber zufrieden in ihre Gemächer zurückziehen würden.

Wenn auch in den übrigen Theilen des Schlosses, die mit den festlichen Räumen in gar keiner Verbindung standen, äußerlich an diesen Tagen keine Veränderung wahrzunehmen war, so beschäftigte man sich doch auch hier mehr oder minder mit dem bevorstehenden Feste. Selbst im Adjutantenzimmer wurde die Dominofrage verhandelt: ob Seine Majestät dieses Jahr Höchstselbst vermummt erscheinen werde und welche Farben man zu Ihrem Anzuge bestimmen würde? Solche Gespräche hörte der Leibkammerdiener mit einem unaussprechlichen Lächeln an, denn er allein wäre im Stande gewesen, die Herren über die Sache au fait zu setzen.

Daß die eingeladene jüngere Generation sich aufs Eifrigste mit ihren Kostümen beschäftigte, brauchen wir wohl nicht erst zu bemerken. Und da man an diesem Tage große Geheimnisse vor einander hatte und sich gerne Überraschungen bereitete, so waren die Garderoben der Herren und Damen, wo Schneider, Nähterin und Kammerjungfer arbeiteten, für Uneingeweihte fast hermetisch verschlossen.

Am Tage des Balles selbst klärte sich nun das wilde Getreibe in den unteren Räumen des Schlosses so ziemlich ab und es begann dort Stille und Ruhe zu herrschen – die drückende Stille vor einem Sturm. Selbst die Küchentyrannen waren umgänglicher geworden: man mußte nun eben Alles gehen lassen, wie es ging. An der fertigen Arbeit war nichts mehr zu ändern, selbst die gewaltigste Hand konnte nicht mehr die Speichen des Rades regieren, das unaufhaltsam den Berg hinab rollte. Nur in den oberen Räumen des Schlosses wurde fast noch emsiger gearbeitet, als an den vorhergehenden Tagen, namentlich in den Garderoben der Hofdamen und Ehrenfräuleins der Frau Herzogin. Dieselbe hatte sich, wie sie gern zu thun pflegte, eine kleine Ueberraschung ausgesonnen. Dem Fest-Programme nach sollte sie mit ihren Damen erst auf dem Balle zum Gefolge Ihrer Majestät stoßen. Daran änderte sie nun freilich nichts, doch wollte sie vorher maskirt erscheinen und sich selbst mit den höchsten Herrschaften einige Spässe erlauben. Sie hatte sich das Kostüm einer Zauberin gewählt und ihre Damen sollten sie als phantastisch gekleidete Gehilfinnen oder vielmehr dienende Geister umgeben. Den Damen war dieses Projekt erst zwei Tage vor dem Ball und zwar mit dem allerhöchsten Wunsche der strengsten Geheimhaltung anvertraut und ihnen dabei befohlen worden, nach mitgetheilter Figurine schleunigst für ihre Kostüme zu sorgen.

Daran wurde nun auf's Emsigste gearbeitet, und da es ein trüber nebliger Tag war, so hatte man in der Garderobe der Fräulein Eugenie von S. schon in früher Nachmittagsstunde die Fenstervorhänge herabgelassen und Lichter angezündet. Tische und Stühle waren mit seidenen und durchsichtigen Stoffen bedeckt; geöffnete Kartons standen auf dem Fußboden und zeigten ihren bunten Inhalt: künstliche Blumen, Bänder, Federn. An einem Arbeitstische in der Ecke des Zimmers saßen zwei Mädchen, die einen langen Schleier von grauer Seidengaze vor sich ausgebreitet hatten und beschäftigt waren, denselben mit kleinen silbernen Sternen zu bedecken. Eins dieser Mädchen war schlank und schmächtig, und sein schmales, feines, etwas blasses Gesicht wurde von starkem blondem Haar beschattet. Die Andere, die um mehrere Jahre älter erschien, war eine kräftige, derbe Person, ihr Gesicht hatte eine gesunde Farbe und dunkle, lebhafte Augen, sowie etwas stark aufgeworfene Lippen gaben ihm einen lustigen, ja beinahe kecken Ausdruck.

Die Blonde nähte eifrig darauf los, während sich die Andere in den Stuhl zurücklehnte, den einen Fuß auf einen Schemel setzte und sich die Arbeit wohlgefällig betrachtete. Sie hielt eine eingefädelte Nadel in der einen Hand, sowie einen der silbernen Sterne in der andern, und meinte lachend, sie möchte auch wohl eine vornehme Dame sein, und sich einmal in solch prachtvollem Anzuge in einem glänzend erleuchteten Saale bewegen. »Eigentlich wäre ein solch' langer Schleier bei einem Balle doch nichts für mich,« fuhr sie nach einer Pause fort, »denn weißt du, Henriette, ich tanze gern und daran hindert einen doch die Schleppe des Schleiers.«

»So ist der Geschmack verschieden; ich mache mir aus dem Tanze gar nichts. Aber das kann ich schon sagen, einmal so einen glänzenden Ball zu sehen, schön vermummt, würde mir auch vielen Spaß machen.«

Die Andere begann ihren Stern aufzuheften und sagte zwischen der Arbeit, wobei sie einen Augenblick mit pfiffigem Gesichtsausdruck aufwärts schielte: »Weißt du wohl, daß es gar nicht so schwer wäre, so einen Ball anzusehen? Wir brauchten uns nur ein paar Dominos zu verschaffen, was hier im Schlosse nicht schwer wäre und keck zur Thüre hineinzugehen. Es würde uns Niemand kennen.«

»Du bist in der That unverbesserlich, Nanett,« erwiderte die Blonde mit leichtem Kopfschütteln. »Ich glaube, du wärest im Stande, so etwas auszuführen!«

»Und warum denn nicht? Man muß das Leben genießen, so lange man kann. Aber du bist auch zu gar nichts zu gebrauchen.«

»Ich thue meine Pflicht nach meinen Kräften.«

»Das muß dir der Neid lassen. Und dein Fräulein könnte sich keine bessere Kammerjungfer wünschen, als du bist; immer zu Hause, immer am Arbeiten und verschlossen wie das Grab. Du bist wirklich ein Muster.«

»Wenn du das einsiehst, Nanett,« erwiderte die Blonde nach einer Pause, »und es dein Ernst ist, was du eben sagtest, so hättest du dich wohl ein wenig nach mir richten und dich auch in mancher Beziehung ändern können.«

»Ich mich noch mehr ändern!« rief Nanette mit erkünsteltem Erstaunen, wobei sie aber lustig die Hände zusammenschlug. »Bin ich nicht ganz und gar anders geworden, seit wir uns zum ersten Mal gesehen? Weißt du noch; an jenem Abend in dem finstern Hause, dem Fuchsbau!«

»O davon schweige mir! Wenn ich den Namen höre, so fröstelt es mich.«

»Ja, es war allerdings zu der Zeit unangenehm, aber es hatte auch wieder seine schönen Seiten. Ich komme mir jetzt wahrhaftig oft wie ein gefangener Vogel vor. Und wenn ich so zuweilen in das Land hinaus schaue und dabei zufällig auf der Straße eine Orgel höre, so erfaßt mich oftmals eine solche Sehnsucht und Wehmuth, daß ich laut hinaus weinen könnte. Wahrhaftig, Henriette, ich weiß nicht, was ich an dir für einen Narren gefressen habe und weßhalb ich Alles thun muß, was du von mir verlangst. Aber wenn du nicht da wärest, hätte ich schon lange meine Harfe wieder genommen und wäre hinausgezogen in die freie Natur.«

»Das verstehe ich nicht,« entgegnete die Blonde mit einem traurigen Lächeln. »Hast du hier nicht Alles, was du wünschest? Die Damen, bei denen du arbeitest, mögen dich leiden, ja, sie lachen über deine lustige Laune, und wenn du oft singst, statt zu nähen, so beschenken sie dich noch obendrein. Dabei hast du ein gutes Einkommen und kannst etwas zurücklegen für deine Heirath, von der du zuweilen sprichst.«

Nanette strich sich die Haare aus dem Gesicht, dehnte sich ein wenig auf ihrem Stuhle und erwiderte dann: »Das alles hat der gefangene Vogel auch; er wohnt in einem hübschen Hause, er bekommt gutes Essen und Trinken und darf singen. Aber nur so lange es seiner Herrin gefällt! Denn wenn er einmal recht anfängt zu schmettern und zu jubiliren, so hängt man ein Tuch über seinen Käfig, damit er aufhört. Was nun meine Heirath anbelangt, so ist das eine kuriose Geschichte. Du weißt, Schatz – ich sagte es dir ja damals – daß ich bei den Andern eine Verbindung hatte, natürlicherweise ließ ich die fahren, als ich ein neues Leben anfing. Doch that es mir recht leid und ich kann's immer noch nicht vergessen. Der Leiblakai will mich allerdings heirathen, aber er ist so furchtbar zahm und geschniegelt; er kämmt sein bischen Haar so glatt auf den Kopf und hat beständig ein so wichtiges Gesicht. – So!« – Bei diesen Worten machte sie eine so komische Grimasse, daß die Andere laut auflachen mußte. »Gewiß, Henriette,« fuhr das ehemalige Harfenmädchen fort, »glaub mir, du bist es allein, die mich zurückhält, und wenn du dich je einmal verändern würdest, so könnte ich mich allein damit trösten, daß ich alsdann wieder in das Land hinaus zöge und laut in Feld und Wald sänge:

Im Dörfchen, nicht weit ist's von hier.
Da lag ich einmal im Quartier.
Tralalalala – a! –
Da lag ich einmal im Quartier.«

»Um Gotteswillen!« bat die Andere besorgt, »gleich wird das gnädige Fräulein kommen und sich nach dem Lärmen erkundigen. Mach' fort, mach' fort, wir haben noch viele Sterne aufzuheften.«

»Bah! du drohst mir wie den kleinen Kindern. Das gnädige Fräulein ist gar nicht da, du weißt so gut wie ich, daß sie ausgefahren ist. Ich weiß auch wohin,« fuhr sie schelmisch lachend fort.

»Und wohin denn?«

»Zu der Frau Majorin von S. Es ist dir bekannt, daß ich häufig da arbeite, und fast jedes Mal, wenn ich da bin, kommt auch dein gnädiges Fräulein. Und gleich darauf, wie das Amen nach der Predigt –«

»Nun, was denn? Sprich nur weiter!«

»Gleich darauf fährt ein kleiner Wagen vor und der Herr Graf Fohrbach erscheinen. Oder wenn er nicht herauf kommt, so reitet er wenigstens am Hause vorbei. Aber das kennst du gerade so gut wie ich. Nicht wahr? – Sage mir doch,« fuhr sie nach einigem Stillschweigen fort, als die Andere keine Antwort gab, »weißt du, ob bald die Hochzeit sein wird?«

»Ich weiß von gar nichts,« erwiderte Henriette bestimmt.

»Nun, so will ich dirs sagen. Sie werden sich heirathen mit dem frühesten Frühjahr und eine große Reise machen. Siehst du, glückselige Kreatur, da darfst du auch mit! Und ich – ich sollte hier bleiben in der finstern Stadt? Nein, liebe Henriette, das wirst du nicht von mir verlangen. Glaube mir,« – dies sprach sie mit auffallend ernstem Tone – »so wehe es mir in dem Falle thut, dich zu verlieren, so freue ich mich doch auf den Zeitpunkt, wo ich meine Freiheit wieder erhalte.«

»Hat es soeben nicht geklopft?« sagte Henriette aufblickend.

»Ich habe nichts gehört.«

»Doch, doch! es klopft wieder.«

»Richtig! wer kann da kommen? – Herein!«

»Du bist recht unvorsichtig,« flüsterte die Kammerjungfer. »Du weißt ja, wir dürfen für niemand zu Haus sein. Glücklicherweise habe ich den Riegel vorgeschoben. Sieh, man bemüht sich vergeblich, die Thüre aufzumachen.«

Wirklich wurde von außen mehrmals an der Klinke gedreht, und als sich das Schloß nicht öffnete, von Neuem geklopft.

»Was machen wir?« fragte Nanette. »Man hat uns jedenfalls draußen sprechen hören.«

»Glaubst du? Das wäre unangenehm.«

»Allerdings; deßhalb muß man wenigstens nachsehen, wer da ist.«

»Aber es könnte Jemand sein, der dem gnädigen Fräulein unangenehm wäre.«

»Wenn ich mich unter die Thüre stelle,« entgegnete Nanette mit großer Bestimmtheit, »so kommt nur herein, wen ich gerade herein lasse. Ich wollte sehen, wer gegen meinen Willen eindringt.« Damit erhob sie sich, warf den Kopf trotzig in die Höhe und sprach mit lautem Tone, als sich das Klopfen immer wiederholte: »Nur Ruhe da draußen; man kommt schon.« Sie hatte die Thüre erreicht, schob den Riegel zurück und öffnete sie ein klein wenig, um hinaus zu sehen. Doch wurde von außen so stark daran gedrückt, daß Nanette ihre ganze Kraft brauchte, um nicht weggedrängt zu werden. »Was soll denn das?« rief sie zornig. »Wer untersteht sich –«

Doch kam sie nicht zur Beendigung dieses Satzes. Mit dem Ausdruck des größten Schreckens, als habe sie auf dem Gange ein Gespenst gesehen, fuhr das sonst so muthvolle Mädchen zurück. »Jesus Maria!« rief sie, indem sie die Hände auf das Gesicht preßte, dann schwankte sie erschrocken zurück bis zu ihrem Stuhle hin, auf den sie lautlos niedersank.

Die Thüre war offen stehen geblieben, und die Kammerjungfer, welche bei dem sonderbaren Benehmen ihrer Gefährtin ebenfalls erschrocken aufgesprungen war, sah auf dem halbdunklen Gange draußen eine Gestalt, die in einen großen Mantel gehüllt war. Nur der Kopf derselben war frei, und als sie in die leuchtenden Augen schaute, stürmte eine schreckliche Erinnerung auch auf sie so heftig ein, daß sie sich am Tische halten mußte. – Großer Gott! ja, sie erkannte den Blick, die ganze Gestalt war ihr unvergeßlich, denn sie hatte sie oft in wilden Träumen vor sich gesehen. Das waren die Augen, die sie ernst aber nicht unfreundlich angeschaut, das war der Arm, der sie aufrecht erhalten, das waren die hohen glänzenden Stiefel, welche ihre heiße Wange berührt hatten und deren Kälte und Glätte sie wieder zum Bewußtsein erweckt.

Die Gestalt trat langsam in das Zimmer und wie sie das that, erhob sich das ehemalige Harfenmädchen mit dem Ausdruck des tiefsten Schreckens von ihrem Stuhle und ohne einen Blick von dem Eintretenden wegzuwenden, zog sie sich langsam zum Fenster zurück.

Der im Mantel trat mit leichten Schritten bis in die Mitte des Zimmers vor und sagte in gefälligem Tone zu der Kammerjungfer: »Bitte, die Zimmerthüre wieder zu schließen; ich wünschte ein paar Augenblicke mit dir zu reden.«

Bei diesen Worten huschte Nanette eilfertig an der Wand des Zimmers hin gegen die Thüre zu, vielleicht um diesem Befehl Folge zu leisten, vielleicht aber auch, um aus der für sie so entsetzlichen Nähe zu entwischen. Etwas der Art mochte sich übrigens der Fremde auch denken, denn er wandte sich langsam um, folgte den Bewegungen des Mädchens mit den Augen, und als sie an der Thüre angekommen war, sagte er mit ruhiger Stimme: »Nur schließen und den Riegel vorschieben – so.« Darauf machte er eine Handbewegung, welche Nanette unwillkürlich zwang, ihren Platz am Fenster wieder einzunehmen. Als sie wieder da angekommen war, und der Schein des Lichts auf ihr Gesicht fiel, sprach der Fremde lächelnd zu der Kammerjungfer: »So, so, du protegirst und hast die Gefährtin von damals nachgezogen? Dagegen kann man nichts einwenden, es gefällt mir sogar, nur hätte ich geglaubt, du würdest mir eine kleine Anzeige davon machen. Doch bist du überhaupt keine Freundin von Berichten und dieselben werden von Tag zu Tag mangelhafter.«

Das Mädchen zuckte bei diesen Worten zusammen und blickte auf den Boden.

»Es ist auch Zeit, daß ich mich in deinem Gedächtniß wieder einmal auffrische; ich glaube, du hättest mich sonst ganz vergessen.«

»Nie! nie!« hauchte das erschrockene Mädchen.

»Oder deine Verpflichtungen,« fuhr der Andere lächelnd fort. »Ah!« sagte er nach einer Pause, während welcher er sich rings im Zimmer umgesehen, »du zeigst wenig Eifer für uns und man hat dich doch in eine Position gebracht, die angenehm zu nennen ist. Es ist das aber so der Welt Lauf, daß man Wohlthaten gern vergißt; aber Eines ersuche ich dich nicht zu vergessen, daß nämlich meine Hand über dir schwebt, daß ich dich halten kann oder dich tief hinab stürzen, zermalmen, in Nichts zurücksinken lassen, wie es mir gerade einfällt.« Damit hatte er seine Rechte langsam ausgestreckt, sie geöffnet, und als er sie nun wieder zusammenzog, schauerte es den beiden Mädchen und es war ihnen gerade, als öffne sich zu ihren Füßen ein finsterer Abgrund, mit glattem schlüpfrigen Rande, wo hineinzustürzen es für sie nicht mehr als eines Lufthauchs bedürfe.

»Doch genug,« sprach der Fremde in gefälligerem Tone, »ich bin eigentlich nicht gekommen, dir Vorwürfe zu machen oder dir Mißtrauen zu bezeigen. Im Gegentheil, ich will dir mein Vertrauen beweisen und dich sogar um eine kleine Gefälligkeit bitten, die du mir nicht abschlagen wirst.«

»Ich stehe in Ihrer Hand,« erwiderte Henriette, ohne aufzublicken. »Das weiß ich wohl und muß Ihren Befehlen Folge leisten. Sie können mich zwingen.«

»Ich möchte aber diesmal, daß du es freiwillig thätest. Auch verlangt man nichts Schlimmes von dir.«

»O wenn es mich beträfe, so würde ich mit tausend Freuden Ja sagen.«

Der Mann im Mantel warf fast verächtlich die Lippen auf und versetzte achselzuckend: »Deine Person betrifft es nicht, nur deinen Dienst.«

Das arme Mädchen fuhr zusammen und warf einen schüchternen Blick auf ihre Gefährtin.

Der Fremde hatte diesen Blick wohl bemerkt, er ließ langsam das eine Ende des Mantels von der Schulter herabgleiten, legte die linke Hand leicht auf den Griff seiner Waffe, die er heute wie damals trug, und sagte, während er das ehemalige Harfenmädchen scharf anschaute: »Nur unbesorgt: wir sind ganz unter uns. – Höre mich an.«

»Ich höre,« entgegnete Henriette mit gesenktem Kopfe.

»Heute Abend ist ein Maskenball hier im Schlosse. Der Hof wird gegen zehn Uhr da sein, um welche Zeit ein kleines Maskenspiel beginnt, welches von den hohen Herrschaften arrangirt wurde. Vorher aber wird sich die Frau Herzogin mit ihren Damen noch einen kleinen Spaß machen und vermummt erscheinen. Natürlicherweise ist auch deine Herrin dabei. Dort liegt ein Theil ihres Kostüms.« Er zeigte auf den Schleier mit den silbernen Sternen. »Bei dem Maskenfeste aber ist Fräulein Eugenie von S., eine der Ecuyèren Ihrer Majestät. Ich sehe dort ihren Anzug, das dunkelblaue Oberkleid mit den weißen Achselbändern. – Ist's nicht so?«

»So ist es,« brachte Henriette mühsam hervor.

»Nun wohl – höre mich an: So viel ich weiß, wirst du dich gegen zehn Uhr zum Umkleiden deiner Herrin in eine der Garderoben neben dem großen Saal begeben. Gut, daran wird nichts geändert. Ehe du aber den dunkelblauen Anzug dorthin bringst, wirst du die weißen Achselbänder von demselben lostrennen und dafür diese hier aufnähen.« Bei den Worten zog er ein kleines Paketchen unter dem Mantel hervor, riß die Papiere ab und reichte dem auf's höchste überraschten Mädchen zierlich gemachte Achselbänder, in Blau, Grün mit Silber. – »Das Ganze ist eine Ueberraschung für Fräulein von S.«, fuhr er nach einer Pause lächelnd fort, »du mußt nicht denken, daß hinter meinen Befehlen immer etwas Gefährliches stecke. Wie gesagt, nur ein Scherz, eine Ueberraschung. Du wirst also wohl begreifen, daß deine Herrin davon nichts ahnen darf und hast es denn auch so einzurichten, daß sie die neuen Achselbänder erst dann sieht, wenn sie vollkommen angezogen ist.«

»Aber wie ist das möglich?« fragte das Mädchen, während es die Hände zusammenfaltete. Trotz der Versicherung des Unbekannten glaubte sie doch nicht, daß die Verwechslung der Farben so gar wenig zu bedeuten habe, und zitterte, wenn sie daran dachte, daß aus diesem Tausch Schlimmes für ihre Herrin entstehen könnte.

»Wie es zu machen ist, daß Fräulein von S. die Farben nicht früher entdeckt?« meinte der im Mantel lächelnd. »Auf die einfachste Art von der Welt. Um die Achselbänder zu schonen, umnähst du sie mit feinem Papier, welches du nur loszureißen hast, sobald Fräulein von S. vollständig angezogen ist. Hast du mich verstanden?«

»Ja,« sagte das schmerzlich bewegte Mädchen.

»So höre noch Eins: Wenn du die Sache gut besorgst, so wird es mich freuen und ich will dein Schuldner sein. Hüte dich aber, Jemanden, es sei, wer es wolle, davon zu sprechen, auf welche Art der Tausch der Achselbänder vor sich gegangen.«

»Aber man wird mich darüber befragen, auf das Genaueste befragen.«

»Daran zweifle ich nicht. Und du wirst antworten: diese Achselbänder seien heute Abend geschickt worden mit dem Befehl deiner eigenen Herrin, sie statt der weißen an das Kostüm zu heften.«

Die Kammerjungfer schüttelte betrübt den Kopf. »Wenn dem so wäre,« sprach sie, »so müßte ich doch mit dem gnädigen Fräulein darüber sprechen, wenn sie nach Hause käme und müßte ihr die neuen Achselbänder zeigen.«

»Allerdings,« versetzte der Fremde, »das müßtest du als vorsichtige Dienerin thun. Aber du wirst heute Abend einmal unvorsichtig sein, vergeßlich. Erst wenn Fräulein von S. kostümirt ist, fällt es dir ein, daß du andere Achselbänder aufgeheftet. Hast du mich verstanden?«

»O ich verstehe Alles.«

»Nun, so verstehe mich auch vollkommen und merke dir: es ist mein Wille, mein Befehl, daß es so geschieht, wie ich gesagt. Glaube nicht, daß dich diese Mauern schützen, wenn du meinem Befehl ungehorsam wärest. – Doch,« setzte er mit weicher Stimme hinzu, »ich will dir keine Furcht einflößen, ich will mich an deine Dankbarkeit wenden, und von diesem Gefühle in deinem Herzen bin ich überzeugt, daß es dir helfen wird, meinen Wunsch zu erfüllen.« Er faßte bei diesen Worten ihre Hand, mit welcher sie sich fast gewaltsam am Tische festhielt, und als sie bei dieser Berührung zusammenfuhr, sprach er mit einem angenehmen Lächeln: »Der kleine Dienst, den du mir leisten wirst, soll dein letzter für mich sein. Damals sagte ich dir, es sei unwahrscheinlich, aber doch möglich, daß ich dich nochmals wiedersähe, heute dagegen versichere ich dich auf's Bestimmteste, daß wir uns nie mehr begegnen werden, wenn du meinen Wunsch pünktlich erfüllst. – Etwas Anderes wäre es freilich,« fuhr er mit gänzlich verändertem Tone fort, »wenn du an mir zur Verrätherin werden wolltest. In dem Momente blicke um dich und schaudernd wirst du mich wiedersehen.«

»Ah!« machte das geängstigte Mädchen und preßte schmerzlich bewegt ihre beiden Hände vor das Gesicht. Als sie dieselben langsam wieder sinken ließ, war er verschwunden und sie sah an dem erschrockenen Blick ihrer Freundin, welchen diese auf die nun wieder offene Thüre geheftet hielt, daß er das Zimmer verlassen. Henriette sank auf ihren Stuhl nieder, reichliche Thränen floßen über ihr Gesicht herab, wobei sie ausrief: »O ich wußte es wohl, daß dies glückliche, friedliche Leben von nicht langer Dauer sei! Sie wird mich von sich stoßen, ich bin verloren!«

Draußen auf dem Korridor warf er den Mantel über die Schultern, so daß sein Gesicht fast von demselben verdeckt wurde, und dann verließ er, die hellerleuchteten Gänge und Treppen vermeidend, aus einer hinteren Thüre das Schloß. Auf der Straße angekommen, schien er einen Augenblick unschlüssig, wohin er sich wenden solle. Er machte ein paar Schritte gegen den Kastellplatz zu, wandte aber gleich darauf wieder um, trat in eine der kleinen dunklen Straßen, von denen mehrere in der Nähe des Schlosses mündeten und ging auf dieser fort, der oberen Stadt zu.

Bald erreichte er eine Straße, an deren Ende sich ein Springbrunnen befand, dorthin wandte er seine Schritte, und bei dem Brunnen angekommen, stellte er sich mit dem Rücken gegen denselben und blickte das gegenüber liegende Haus an; entweder war in keinem der Zimmer Licht oder man hatte dichte Vorhänge herabgelassen. »Ich weiß nicht, wie mir ist,« sprach er zu sich selber und zog seine Uhr hervor, »jetzt treibt es mich diesen Abend schon zum dritten Male vor dies Haus – unerklärlich! Gerne ginge ich einen Augenblick hinauf, doch ist mir mein Anzug hinderlich. Beil würde mich nicht geniren, aber die alte Frau und das Kind; und dann könnte auch sie wohl da sein.« Er hielt das Zifferblatt der Uhr gegen die Gaslaterne. »Erst Sieben; ich könnte mich rasch umkleiden und dann einen Augenblick hinaufgehen. – Ah bah! Man muß sich von seinen Nerven nicht zwingen lassen. – Und doch war ich lange nicht so weich gestimmt, wie am heutigen Abend; ich glaube fast, meine Hand zittert. Ja, ich fühle mich aufgeregt; hätte das Mädchen im Schlosse mich mit Bitten bestürmt, ich hätte die Achselbänder des Herzogs zu allen Teufeln fahren lassen.«

Der im Mantel hatte Recht, als er so vor sich sprach, denn wer ihn früher hätte nächtlich durch die Straßen dahin gehen oder beobachtend vor dem Hause stehen sehen, würde wohl heute einen großen Unterschied haben wahrnehmen können. Er spähte nicht eifrig umher, wie er sonst wohl zu thun pflegte, er hemmte nicht den Schritt und wandte den Kopf bei dem leisesten Geräusch, sondern er ging ganz gegen seine Gewohnheit wie träumend einher, den Blick auf den Boden gesenkt, unachtsam, stolpernd. Sein Geist war offenbar beschäftigt und zerstreut, woher es denn auch wohl kommen mochte, daß er nicht gewahr wurde, wie sich während der Zeit, die er am Brunnen zubrachte, die Gestalt eines Menschen, welche im tiefsten Schatten des gegenüberliegenden Hauses versteckt stand, zuweilen gegen ihn vorbog und ihn während der ganzen Zeit, die er dort zubrachte, unablässig und aufmerksam anschaute. Ja, als er sich hinweg begab, folgte ihm die Gestalt, wobei dieselbe immerfort die Schatten der Häuser benützte, um nicht von ihm gesehen zu werden. Doch, wie schon bemerkt, sie hätte sich diese Vorsicht sparen können, denn er ging die Straße hinab den Kopf gesenkt, nicht auf- noch rückwärts blickend.

Er wandte seine Schritte dem Fuchsbau zu und die Gestalt hinter ihm ließ ihn nicht aus den Augen. Sie war ihm gefolgt, den Kopf vorgestreckt, die Augen weit geöffnet. Auf einmal aber stutzte sie und blieb stehen; sie wandte den Kopf jetzt halb rechts, jetzt halb links und stürzte darauf mit ein paar raschen Schritten vorwärts, um hierauf abermals stehen zu bleiben. Als sie so zum zweiten Male stehen blieb, war das dicht vor der hohen Mauer eines Hauses, welches mit dem Fuchsbau zusammenhing. An dieser Mauer war der vor ihr Wandelnde verschwunden; der Teufel mochte wissen, wo er hingekommen war. Da befand sich weder Thüre noch Fenster, ja nicht einmal eine Spalte, wo eine Maus hätte durchkriechen können, der Verfolgte aber war verschwunden und der Verfolger stand kopfschüttelnd vor der hohen Mauer, ging erst zwanzig Schritte rechts, dann ebensoviele links, um vielleicht hier einen Eingang zu erspähen, umkreiste nach dieser vergeblichen Bemühung den ganzen Häuserkomplex und eilte dann mit ziemlich raschen Schritten nach der obern Stadt zurück.

 


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