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Der Chef des Polizeidepartements – er war wie die meisten alten Herren im schwarzen Frack, über dessen Rücken etwas wie eine schwarzseidene Schürze flatterte, einen Domino vorstellend – bedauerte unendlich, daß die berühmte Geschichte mit der Diebsbande nicht schon vor ein paar Monaten eclatrirt war, wegen der sehr leeren linken Seite seines Frackes im traurigen Gegensatz zu den anderen Departementschefs, die bei den großen Gelegenheiten wie ein wandelndes Stück Firmament aussahen. Er war sich aber seiner Wichtigkeit, namentlich im gegenwärtigen Augenblicke, vollkommen bewußt, und seine Nase, nachdem er sie gehätschelt und sanft geklopft, erhielt die Freiheit, hoch über »Veränderlich« auf »Schön Wetter« zu steigen, um als getreuer Barometer dem Publikum anzuzeigen, daß ihr Herr außerordentlich mit sich zufrieden sei.
So war er durch die Zimmer stolzirt, und wenn es auch sonst nicht gerade zu seinen Gewohnheiten gehörte, sich vorzudrängen, so that er doch heute Abend etwas dergleichen und wandelte zu dem Zweck den innern Apartements zu, wo der allerhöchste Hof seinen kleinen Cercle hielt, wo man untereinander plauderte oder mit Vertrauten sprach. Man mochte hier im Allgemeinen den Präsidenten wohl leiden. Die Herren schätzten ihn, weil selbst der geordnetste Mann wohl einmal in den Fall kommen konnte, von seiner mächtigen Hilfe Gebrauch machen zu müssen, und die Damen, weil er ein kleines Original war, pikante Geschichten zu erzählen wußte und während des Winters ein paar recht hübsche Bälle gab.
Der Hof war gruppirt, wie es sich von selbst versteht: Die glänzenden Sonnen waren von den leuchtenden Planeten umgeben, diese wieder umtanzt von den Monden, denen sie ihr Licht verliehen, und umringt von dem zahllosen Heer des gemeinen Gestirnes. Zuweilen schoß auch ein Komet durch den strahlenden Kranz in Gestalt eines bescheidenen Assessors oder unternehmenden Lieutenants, ein schüchterner Komet, der nun aus Alteration, sich in den höchsten Cirkel verirrt zu haben, ohne sich aufzuhalten, bis an's Ende sämmtlicher Säle sauste und sich erst da, wo ihn Niemand mehr bemerkte, erschreckt umwandte.
Der Präsident betrat diesen Salon, gewiß nicht in der Absicht, dort zu bleiben, sondern nur um hier durch in den gelben Saal zu einer Partie Whist zu gelangen. Er hätte freilich auch noch einen andern Weg dorthin nehmen können, aber die kleinen Strahlen höchster Gunst, die bei solchen Gelegenheiten selten verfehlten, ihn zu beglücken, thaten seinem alten Herzen so wohl. Die Frau Herzogin besonders war ihm ziemlich gewogen und ermangelte nie, einen huldreichen Spaß mit ihm zu machen; ja, Ihre Majestät hatten, am Whisttische sitzend, schon die außerordentliche Gnade gehabt, ihm einen Blick in Höchstihre Karten zu gestatten, und selbst Seine Majestät bemerkten ihren Chef der Polizei nicht ungern und hatten immer etwas Angenehmes für ihn in Bereitschaft, war es nur ein spaßhaftes Wort oder eine huldreiche Handbewegung. Der Präsident verließ den allerhöchsten Kreis nie, ohne solchergestalt reichlich bedacht worden zu sein.
So empfänglich für alles Gute, betrat er auch heute diesen Saal und zufällig durch eine Thüre, welche ihn vis à vis Ihrer Majestät brachte, die ihn einen Augenblick fixirten, die Augen zusammenzogen, und sich dann, ohne die tiefe Verbeugung des Chefs der Polizei zu bemerken, nach der anderen Seite wandten, wobei Ihre Majestät zu der Frau Herzogin sagten, daß sich die neue blaue Seidentapete doch vortrefflich ausnähme. Der Präsident, etwas erstaunt, tänzelte zierlich bei den Herrschaften vorbei, und als er in den Gesichtskreis der Frau Herzogin trat, brachte er auch hier pflichtmäßig seine Verbeugung gegen Hochdieselbe an. Diese wandte sich nun gerade nicht herum, doch dankte sie mit einer Neigung des Kopfes so kalt, so steif und förmlich, daß der Präsident unwillkürlich hinter sich schielte, ob sich dort nicht zufällig ein neu erschaffener Kammerherr sich zeige oder die Frau eines alten Beamten von sehr jungem Adel, denen dieser Gruß gegolten. Aber hinter ihm war nichts als ein großer Spiegel, der seine eigene Gestalt und sein bestürztes Gesicht wie neckend zurückwarf.
Daß der Präsident nicht falsch gesehen, bemerkte er als Mann, der den Hof kannte, an den Gesichtern der Kavaliere, durch welche er hindurch schritt, und von denen die Meisten sonst für ihn voll Aufmerksamkeit waren. Heute erging es ihm wie dem Herrn von Dankwart, denn wenn er rechts und links seine Hände ausgestreckt hätte, wäre Niemand da gewesen, um sie zu ergreifen und zu schütteln. Wo er selbst ein freundliches Wort sprach, da wich man augenscheinlich zurück und hatte nur ein verlegenes Grinsen statt aller Antwort. Die Nase des Präsidenten sank auf »Veränderlich« herab; er spürte schlechtes Wetter, und an dem Benehmen der Excellenzen in dem gelben Salon, die ihn sonst gerne zu ihrer Spielpartie zogen, fand er seine Vermuthungen bestätigt. Alle Tische waren bereits besetzt, und wo sich allenfalls noch ein Platz zeigte, da wurde fast angesichts des Präsidenten ein Nebenstehender gepreßt, um den leeren Platz einzunehmen.
Es ist wundersam, wie in der Welt oft des Einen Schaden dem Anderen zum Nutzen wird. So ging es bei der eben erwähnten Veranlassung – dem Pressen eines Mitspielers nämlich – dem Herrn von Dankwart. Vergeblich hatte dieser längere Zeit in dem Dunstkreis der höchsten Herrschaften herum geschwänzelt, – es wollte keines, selbst nicht einmal eines der Gestirne dritten Ranges, eine Anziehungskraft auf ihn ausüben. Seine gefälligsten und geistreichsten Bemerkungen waren nur für den leeren Raum gesprochen, und als ihm endlich eine etwas kecke Annäherung an die Frau Herzogin ein pikantes Wort eingetragen hatte, sah er sich veranlaßt, den Kreis der Sonnen und Planeten zu verlassen und als unglückliche Sternschnuppe in's Nebenzimmer abzublitzen. Zum Glück für ihn fiel er hier an den Tisch Seiner Excellenz des Oberststallmeisters, der mit dem Hoftheater-Intendanten auf den dritten Mann wartete, und nun beim Anblick des Präsidenten in der Noth zum Herrn von Dankwart griff, als kluger Mann denkend, daß man immer unter zwei Uebeln das kleinste wählen müsse.
Der Präsident wußte nicht, was er von allem dem zu halten habe; er schien seine Nase befragen zu wollen, indem er sie faßte und tief herabzog, aber dieselbe blieb stumm und antwortete nur durch ein stilles Seufzen. Er wandelte nach und nach bei sämmtlichen Spieltischen vorbei, bald hier bald dort eine Bemerkung in das Gespräch werfend, doch waren die Antworten, die er erhielt, ebenfalls kalt und förmlich, ja Mancher schaute sich um, ob wohl Jemand bemerke, daß der arme Präsident neben ihm stehe. So kam er auch an die andere Thüre des gelben Salons, wo er mit Herzog Alfred, der ihm hastig entgegenkam, zusammentraf. – »Ah!« rief dieser mit lauter Stimme, »Sie habe ich lange gesucht.«
Dem Chef der Polizei war es bei diesen Worten zu Muth, als ginge ihm in finsterer Nacht ein Stern auf. »Gott sei Dank!« seufzte er in sich hinein, »endlich doch einmal ein Wesen, das menschlich denkt. Unter Larven die einzig fühlende Brust.« Das Aussehen des Herzogs war leutselig und freundlich wie immer, und dazu sprach er mit so hörbarer Stimme, daß fast sämmtliche Spielende ihre Köpfe herumdrehten.
»Haben Sie einen Augenblick für mich übrig,« fuhr Seine Durchlaucht fort, »so wäre es mir angenehm, wenn Eure Excellenz einen Gang mit mir durch die Zimmer machten.«
Auf's Höchste geschmeichelt, verbeugte sich der Präsident, und Beide traten in das anstoßende Gemach.
»Aber, Präsident,« sagte der Herzog, als sie allein waren, »was machen Sie um Gotteswillen für Geschichten!«
»Daß man mich im Verdacht hat, als mache ich seltsame Geschichten, habe ich schon bemerkt,« entgegnete der Chef der Polizei in kläglichem Tone. »Aber ich kann Euer Durchlaucht versichern, daß ich so wenig weiß, wessen man mich beschuldigt, als wenn ich ein neugeborenes Kind wäre.«
»Der Teufel auch! Da haben Sie ein schlechtes Gedächtniß, oder sind wirklich wie ein unschuldiges Kind. Meinen Sie, es könnte Ihrer Majestät und der Frau Herzogin gleichgiltig sein, wenn Sie so mir nichts dir nichts einer Dame Hausarrest geben, die mit den Herrschaften so häufig en petit comité war?«
»Ah!« machte verblüfft der Präsident, denn ihm flammte ein kolossales Licht auf. Doch sagte er schüchtern: »Ich kann Euer Durchlaucht versichern, daß ich vorher Rücksprache mit dem Gemahl dieser Dame genommen.«
»In dessen Falle Sie gegangen sind!« sprach ungeduldig der Herzog. »Kennen Sie den alten Fuchs so wenig! Er hat einen Skandal herbeigesucht, um sich mit Anstand von seiner Frau trennen zu können; er gab Ihnen freilich seine Zustimmung, aber eine Viertelstunde nachher verklagte er Sie bei Seiner Majestät als – roh und gewaltthätig.«
»Welche Immoralität! – Und bei Seiner Majestät sagen Sie?«
»Bei Seiner Majestät, und Dieselben sollen sich geäußert haben, das sei ein Akt der Rücksichtslosigkeit, wie ihm selten etwas Aehnliches vorgekommen.«
»Ich bin verloren,« sprach der Präsident mit schmerzlicher Stimme und schielte unter seiner Nase hinweg, die betrübt herabgesunken war auf den so leeren Fleck an der linken Seite seines Frackes.
»Aber was dachten Sie eigentlich bei der Geschichte? Es heißt, Sie seien einer Spitzbubenbande auf der Spur; aber ich bitte, wie können Sie dergleichen mit jener armen Frau zusammen bringen! Ah! Präsident, ich kenne Sie gar nicht mehr.«
»Gott soll mich bewahren, daß ich die Baronin verdächtigen wollte! Aber das Haus ist verdächtig, und da man sie da fand, war man quasi genöthigt, sie festzuhalten.«
»Ich habe Sie nie als einen so furchtbaren Wütherich gekannt.«
»Und dann kann ich auch Euer Durchlaucht versichern, daß der alte General die Verhaftung nicht nur gutgeheißen, sondern auch seine Frau im höchsten Grade mir verdächtigt hat.«
»Hol' ihn der Teufel! Aber wie gesagt, Präsident, wir müssen einlenken. Wissen Sie, man wird von Oben herab nie befehlend in Ihre Geschäfte eingreifen, aber man erwartet dagegen, daß Sie etwas thun, um allerhöchste Wünsche, deren Ueberbringer ich bin, zu erfüllen.«
Der Präsident überlegte zaudernd.
»Ich möchte um Alles in der Welt nicht melden, daß sich Euer Excellenz lange bedacht,« sprach ernst der Herzog. »Und thun Sie gleich, was Sie thun wollen; ich möchte gern so bald wie möglich anzeigen, daß Alles in Ordnung sei.«
»Daß ich den Arrest aufgehoben, der auf den Bewohnern jenes Hauses liegt?«
»Natürlich vor allen Dingen, daß Sie die Baronin freigegeben. Mit dem anderen Volke können Sie machen, was Sie wollen.«
Der Präsident schüttelte leicht den Kopf und erwiderte: »So wie Euer Durchlaucht meinen, geht das nicht. Vielleicht kennen Sie das große Wort: Gleichheit vor dem Gesetze. Ich muß entweder Alle behalten oder Alle freigeben, und in letzterem Falle erklären, die Polizei habe sich geirrt. – Das wäre schrecklich.«
»So thun Sie einmal das Schreckliche; für die unglückliche Frau wird es auch besser sein, wenn man sagen kann, es sei ein Irrthum vorgefallen. – Ah! dies schöne Weib!« setzte er leise mit einem Seufzer hinzu, »wie wurde sie zu solch' unvorsichtigen Geschichten getrieben! Ich wollte nur, ich hätte mich ihrer angenommen.«
Der Präsident hatte mit sich selbst gekämpft, endlich aber rief er aus: »In Gottes Namen! Wenn ich nur einen meiner Räthe im Gewühl finde, den ich hinschicken kann!«
»Das bedarf's gar nicht,« sagte freudig der Herzog. »Geben Sie mir zwei Zeilen, der Baron Brand hat sich angeboten, die Sache heute Abend noch zu arrangiren. Kommen Sie, da ist Papier und Feder.«
Mit einem unterdrückten Seufzer setzte der Präsident einige Zeilen auf, unterschrieb und hielt sie dem Herzog hin. Ehe er sich aber das Papier aus seiner Hand nehmen ließ, sagte er: »Bevor der Baron Brand, der mir, natürlich in einem anderen Kostüm, als Unterhändler ganz recht ist, die Geschichte besorgt, möchte ich demselben noch ein paar Instruktionen geben.«
»Aber, Präsident, keine Contre-Ordre!« meinte der Herzog lachend.
»Wo denken Sie hin?« erwiderte der Präsident, und fuhr nach einer kleinen Pause, während welcher er das Papier in der Hand auf- und abbewegte, fort: »Ein Dienst ist des anderen werth, Euer Durchlaucht. Hier haben Sie den Befehl, aber dafür führen Sie mich durch das gelbe Spielzimmer und den Salon, wo die Herrschaften sind, in freundlichem Gespräch.«
»Arm in Arm mit dir!« sagte laut lachend der Herzog, indem er das Papier nahm, »so fordre ich mein Jahrhundert in die Schranken.«
Und dann gingen die Beiden dahin, wirklich Arm in Arm, bei den erstaunten Spielern vorbei, in den kleinen Salon, wo die Frau Herzogin, ihrem Sohne freundlich zunickend, meinte: Es freue sie recht besonders, endlich auch den Polizeipräsidenten wieder zu sehen. Ihre Majestät saß am Spieltische und ließen in diesem Augenblick eine Karte fallen, welche der Chef der Polizei aufzuheben das Glück hatte, um sich dann berauscht in den gelben Saal zurückzuziehen, wo ihm alsbald mehrere Stroh- oder todte Männer angeboten wurden.
*
In dem rothen Kabinet hatte unterdessen der Baron von Brand, unbeweglich an dem Kamingesims lehnend, seinen beiden Zuhörern eine furchtbare Geschichte erzählt – die Geschichte seines Lebens. Er hatte dabei nichts verschwiegen, nichts beschönigt, er hatte sich selbst gezeichnet mit seinen schönen und herrlichen Eigenschaften, mit seinen Fehlern und Lastern. Herr von Steinfeld, der vor dem Feuer saß, hatte seine Arme auf die Knie gestützt und ließ das Gesicht in beiden Händen ruhen.
»Jetzt wissen Sie Alles,« schloß Herr von Brand. Und nach einem tiefen Seufzer, der seiner Brust entstieg, fuhr er sich mit der Rechten über das Gesicht.
Graf Fohrbach hatte sich während dessen langsam erhoben, war dem Erzähler näher getreten, hatte in tiefer Bewegung seine beiden Hände erfaßt und schüttelte sie herzlich.
»Es ist mir um Vieles leichter,« fuhr dieser fort, »da es mir vergönnt war, die Geschichte meines Lebens in die Herzen zweier Ehrenmänner niederzulegen, die nun gewiß Manches klarer sehen und Manches gelinder beurtheilen werden. Jetzt habe ich nur noch die Bitte, meine Lage in's Auge zu fassen, sie ernstlich und prüfend von allen Seiten zu beschauen und mir Ihre Meinung zu sagen.«
»Schrecklich! schrecklich!« murmelte Herr von Steinfeld.
»Daß meines Bleibens hier nicht sein kann, versteht sich von selbst. Mich hält ja auch nichts zurück, als das Schicksal meiner armen, unglücklichen Schwester, das, wie ich hoffe, in gute Hände gelegt sein wird.«
Hugo von Steinfeld schaute einen Augenblick in die Höhe, nickte stumm mit dem Kopfe und versank dann wieder in seine Träumereien.
»Was meine anderen Verbindungen anbelangt, so sind dieselben theilweise schon gelöst. Für einige von Denen, die mir anhänglich waren, habe ich bereits gesorgt; für die Uebrigen werde ich es noch thun. Dann bin ich fertig mit der Welt.«
»Ah! Sie wollen doch nicht –?« rief der Graf erschreckt aus.
»Dem natürlichen Lauf der Dinge vorgreifen?« versetzte lächelnd der Baron. »O gewiß nicht; das würde ja einen Schatten auf meinen Namen werfen und den theuren Freunden, die ich hier zurücklasse, unangenehm sein. – O nein, denken Sie das nicht; ich will nur ein wenig der Lenker meines eigenen Schicksals sein, und wenn mich dasselbe zwingt, diese Welt zu verlassen, so wird es auf die alleranständigste und unbefangenste Weise geschehen.«
»Baron, Sie sprechen in Räthseln.«
»Die Ihnen baldigst klar werden sollen, das verspreche ich Ihnen. Doch keine vorzeitige Trauer, Herr von Steinfeld, nicht dies erschreckte Auge, Graf Fohrbach! Denken Sie, es habe Ihnen Jemand ein vielleicht nicht uninteressantes Kapitel eines Romanes vorgelesen. Grübeln Sie nicht weiter darüber nach, schlagen Sie für heute das Buch zu; Sie sollen in einiger Zeit den Schluß des Romanes erfahren und er wird Sie nicht unbefriedigt lassen. – Aber, coeur de rose!« fuhr er nach einer Pause, nachdem er auf die Uhr gesehen, in dem uns bekannten leichten und gezierten Tone fort, »wir haben hier fast eine Stunde verplaudert und ich glaube, es ist unsere Pflicht, uns jetzt wieder dem Balle zu widmen.« Damit trat er von dem Kamine weg, dehnte sich ein wenig und wollte in den Saal zurück.
»Noch Eins!« bat Graf Fohrbach, ihn zurückhaltend. »Wäre es von mir indiskret, zu fragen, ob Sie bei der Geschichte mit den Achselbändern die Hand im Spiele gehabt? O, wenn es Ihnen möglich ist, so sagen Sie es mir; mein ganzes Lebensglück hängt daran.«
»Seien Sie unbesorgt,« erwiderte lächelnd der Baron, »noch eine Stunde vor dem Balle waren die Achselbänder weiß, und ich möchte Zehn gegen Eins wetten, daß sie wieder so erscheinen, ehe der Ball zu Ende geht.«
»Darnach will ich schauen!« rief entzückt der junge Mann, drückte dem Anderen die Hand und eilte davon.
In diesem Augenblicke trat der Herzog von der entgegengesetzten Seite in die Gallerie und als er den Bekannten erschaute, zeigte er ihm schon von Weitem ein Papier. Näherkommend sagte er: »Das hat einige Mühe gekostet, aber es ist ganz so, wie wir es gewollt. Sie könnten heute noch davon Gebrauch machen. – Aber was geschieht nachher mit der armen Frau? Sie wird nicht in das Haus ihres Gemahls zurückkehren wollen. Was meinen Sie: Soll ich sie unter meinen Schutz nehmen?«
»Mir wäre der von der Frau Herzogin schon lieber,« versetzte lächelnd der Baron. »Wollen sich Eure Durchlaucht erinnern, daß es mir gelang, Ihnen einige kleine Dienste zu leisten und daß Sie versprachen, mir Gleiches mit Gleichem vergelten zu wollen.«
»Allerdings, und ich nehme mein Wort nicht zurück.«
»Nun wohlan, Sie haben jetzt die beste Gelegenheit dazu. Wenden Sie Ihren Einfluß dazu an, der Baronin von W. ein anständiges Asyl zu verschaffen – bei der Frau Herzogin, am liebsten aber bei Ihrer Majestät selbst.«
»Das wird schwer angehen, bester Baron.«
»Aber es wird doch gehen, Durchlaucht,« erwiderte der Andere bestimmt. »Sehen Sie, ich gebe Ihnen Ihre Antworten von früher zurück, und wenn Sie so sprachen, so that ich mein Uebermögliches und die Sache ging.«
»Ja, das wissen wir,« versetzte lachend der Herzog. »Und ich will denn gerade so thun, auf die Gefahr hin, meinen guten Ruf zu verlieren.«
»Ihr herzogliches Wort darauf, Durchlaucht?«
»Mein Wort. – Und gleich will ich die Sache in's Werk zu setzen versuchen; man muß das Eisen schmieden, so lange es warm ist.« Damit eilte er nach dem Tanzsaale zurück.
Der Andere trat wieder in das rothe Kabinet zurück, wo Hugo von Steinfeld noch immer zusammengekauert vor dem Kaminfeuer saß. Der Baron berührte leise seine Schulter und als er in die Höhe fuhr, zeigte ihm derselbe das erhaltene Papier und sagte mit sanfter Stimme: »Dies hier gibt mir das Recht, der Frau von W. noch heute Abend ihre Freiheit anzukündigen.«
»Und dann?« fragte der Andere, wobei ein lebhafter Blitz seinen Augen entfuhr.
»Dann wird Ihre Majestät der Unglücklichen ein Asyl bei sich vergönnen, bis –«
»Ah! Baron, ich zittere!« rief Herr von Steinfeld – »Bis –«
»Bis ihre Scheidung ausgesprochen ist, was nicht lange dauern kann, da beide Parteien vollkommen einverstanden sind und ihre Wünsche von oben herab gewiß protegirt werden. Und dann« – setzte der Baron mit einem eigentümlichen Blick hinzu.
»Dann können wir Alle, Alle vielleicht noch glücklich werden!« rief stürmisch der junge Mann. »O meine Elise, o mein armes kleines Kind!«
Die Augen des Barons funkelten auf eine sonderbare Art, als der Andere so sprach; er drückte ihm die Hand und sagte: »Wenn es Ihnen recht ist, so begleiten Sie mich nachher.«
»Ah, wie danke ich Ihnen, Baron! – Gehen wir sogleich!«
»In einer Viertelstunde,« erwiderte der Baron mit ruhigem Tone. »Kommen Sie, ich muß vorher noch einen nothwendigen Gang durch die Apartements machen.«
Im großen Saal war unterdessen beharrlich getanzt, im kleinen Salon anhaltend geplaudert, und im gelben Zimmer ziemlich stark gespielt worden. Herr von Dankwart, der, wie wir wissen, so glücklich gewesen war, zum Spiel der beiden Excellenzen gezogen zu werden, hatte sich dort behauptet und würde diesen Platz, so nahe bei den fürstlichen Personen, um Alles in der Welt nicht verlassen haben. Doch spielte er dabei ziemlich zerstreut, was ihm schon hie und da eine kleine Rüge eingetragen hatte.
»Das ist zu stark!« rief jetzt der Hofmarschall mit einem zornigen Blick auf den kleinen Mann; »Sie sind wirklich über alle Maßen zerstreut, da haben Sie wahrhaftig meinen Buben gestochen.«
»Allerdings,« fügte lächelnd der Oberststallmeister, der mit dem Blinden spielte, bei. »Herr von Dankwart ist in der That mit seinen Gedanken anderswo. Was beschäftigt denn so Ihren Geist?«
»Er wird in Gedanken bei den vortrefflichen Abbildungen sein, die ein berühmter Künstler von ihm gemacht,« sagte plötzlich eine klangvolle Stimme hinter den Schultern des kleinen Herrn.
Worauf dieser rasch herumfuhr und mit zornigem Blicke einen Mann hinter sich stehen sah, der ein einfaches, aber auffallendes Kostüm trug, und obgleich nicht maskirt, ihm doch unbekannt war.
Der Fremde lächelte, als er diese Worte gesprochen hatte, dann stützte er die Rechte an die Seite und die Linke aus den weißen Griff eines Tscherkessendolches, den er am Gürtel trug.
»Hm! Hm!« machte der Hofmarschall ein klein wenig verlegen, und Seine Excellenz der Oberststallmeister biß sich mit einem halb unterdrückten Lächeln auf die Lippen.
»Ein Maskenscherz,« sagte nun Herr von Dankwart mit einem sehr erkünstelten Lachen.
»Durchaus kein Maskenscherz,« fuhr der Fremde fort. »Es sind in Wahrheit sechs Portraits, jedes so sprechend ähnlich, wie ich nie etwas gesehen.«
»Also Sie haben sie gesehen?« fragte lauernd der kleine Mann.
»Es kann sie Jedermann sehen, der den Eigenthümer besucht.«
»Und wer ist dieser Eigenthümer?« rief Herr von Dankwart mehr und mehr aufgeregt.
»Ich habe keine Ursache, das zu verschweigen,« entgegnete der Andere ruhig. »Baron von Brand macht kein Geheimniß daraus, diese sechs werthvollen Abbildungen zu besitzen.«
»Aber was ist denn das mit den sechs Abbildungen?« fragte boshafterweise der Hofmarschall.
»Eine Schändlichkeit, eine Niederträchtigkeit!« brauste endlich Herr von Dankwart auf, »die man höheren Orts nicht ungeahndet lassen wird. Wissen Sie, meine Herren, ein elender Maler, ein Sudler, den ich mit mehreren schlechten Bildern abzuweisen für nothwendig hielt, hat sich nun dafür gerächt, indem er niederträchtige Karrikaturen auf mich gemacht. Nun, ich theile dies Loos mit den bedeutendsten Männern aller Zeitalter, bin auch nicht kleindenkend genug, jenen unbedeutenden Pfuscher dafür zu fassen. Aber mit dem Herrn von Brand, der sich, wie ich schon seit einigen Tagen gehört, ein boshaftes Vergnügen daraus macht, die schlechten Blätter bald Diesem, bald Jenem zu zeigen, werde ich ein ernstes Wort reden.«
»Darauf ist Herr von Brand gefaßt und sehr begierig, dies ernste Wort zu vernehmen.«
Der kleine Mann maß den ihm zur Seite Stehenden, der übrigens in sehr ruhigem Tone sprach, von Oben bis Unten, und sagte dann nach einer Weile: »Und wer sind Sie, der sich hier unberufen eindrängt?«
»Nicht unberufener als mancher Andere,« erwiderte der Fremde. »Uebrigens bin ich einer Ihrer Verehrer, Herr von Dankwart. Ich staune Sie an, denn Sie haben Großes geleistet.«
Der Angeredete beantwortete dieses zweifelhafte Kompliment mit verächtlicher Miene und einem Achselzucken.
»Ja, Sie haben Großes gethan; Sie haben es in der kurzen Zeit Ihres Hierseins verstanden, sich durch Ihr anmaßendes Betragen, durch Ihren unergründlichen Hochmuth, durch Ihre beispiellose Grobheit bei Hoch und Niedrig verhaßt zu machen. Und das ist keine Kleinigkeit bei der allgemeinen Liebe und Achtung, welche Ihre Herrin genießt, von deren Glanze, wenn auch unverdienterweise, etwas auf Sie überging.«
Obgleich diese Worte mit großem Ausdruck gesprochen wurden, so hatte der Fremde seine Stimme doch dabei gedämpft, so daß sie nur von den Mitspielenden verstanden wurde. Doch sprang Herr von Dankwart bleich vor Zorn von seinem Stuhle auf und sagte mit zitternder Stimme: »Ihren Namen, Herr, ich muß Ihren Namen wissen! Danken Sie es diesem Orte, daß ich nicht anders mit Ihnen verfahre. Aber wenn Ihre Unverschämtheit nicht von Feigheit begleitet ist, so werden Sie mir Ihren Namen sagen.«
» Coeur de rose!« lachte nun plötzlich der Fremde mit ganz anderer Stimme, »Sie und ich haben meinen Namen vorhin schon ausgesprochen, und der Baron von Brand wird Ihnen gern den Gefallen thun, ihn nochmals vor diesen beiden Herren zu nennen.«
Die Excellenzen hoben erstaunt die Augen empor, und wenn sie auch die Stimme des Barons erkannten, und deßhalb wußten, daß er es sei, war es ihnen doch nicht möglich, auch nur einen Zug des ihnen wohlbekannten Gesichtes zu entdecken.
»Eine vortreffliche Maske!« rief der Oberststallmeister.
Und der Hofmarschall setzte argwöhnisch hinzu: »Ja, recht vortrefflich; Herr von Brand versteht das meisterhaft, zweierlei Gesichter zu zeigen.«
Herr von Dankwart that einen tiefen Athemzug, dann sagte er: »Ah! also Herr Baron von Brand! – Nun gut – das Uebrige wird sich finden.« Darauf setzte er sich wieder zur Spielpartie nieder, doch zitterten die Karten auffallend in seiner Hand. Der Baron zog sich lächelnd zurück, als er aber das Zimmer verlassen hatte, wurden seine Züge furchtbar ernst und er murmelte: »Das wäre in Ordnung! Eine gräßlichere Strafe kann sich Niemand selbst vorschreiben.« –
Graf Fohrbach hatte unterdessen nach den bewußten Achselschnüren gespäht, und – o Wonne! – wie der Baron vorhergesagt, flatterten jetzt weiße von den Schultern des schönen Mädchens herab. Eugenie hatte den ersten freien Augenblick benützt, um die verhaßten Farben von sich zu werfen. Wie glänzten die Blicke des jungen Mannes, und wie verschwand bei diesen Blicken die Blässe von ihren Wangen! Und da er als geschickter Offizier natürlicherweise gut zu manövriren wußte, so gelang es ihm, die junge Stallmeisterin von dem übrigen Gefolge abzuschneiden und sie in einem halbdunklen Durchgange zu treffen, wo er es wagen durfte, ihr feierlich die Hand zu küssen. Eugenie aber flüsterte ihm mit einem leichten Erröthen zu: »Meine Schleifen haben das größte Recht weiß zu sein; denn ich hoffe, daß unser Leben nun klar vor uns liegt. Mit der Frau Herzogin sprach ich vor dem Balle, sie hat nichts gegen unsere Verbindung einzuwenden.«
»Also bist du mein!« jauchzte der überglückliche Adjutant. Und wenn nicht in diesem Augenblicke ein dicker Hoffourier, gefolgt von mehreren Lakaien, an dem Durchgange erschienen wäre, so hätte er das erschreckte Mädchen in seine Arme gedrückt.
Ehe der Baron von Brand den Saal verließ, zeigte er sich nochmals bei der Präsidentin und ihrer Tochter, und nahm die zärtlichen Vorwürfe, die er hier erhielt, ruhig in Empfang; doch besänftigte er die Damen dadurch, daß er sich noch ein paarmal rechts und links präsentiren ließ. Obgleich er aber jede Gratulation nur mit einer Verbeugung erwiderte, so war für Alle sein Verhältniß zur Tochter des Präsidenten doch eine ausgemachte Sache, und der Baron von Brand wurde förmlich als Bräutigam betrachtet.