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66. Unter dem Podium

Wenn bei einer Theatervorstellung das Ballet nicht selbständig wirkt, sondern nur durch Tänze und Gruppirungen eine große Oper ausschmücken hilft, so geht es in den Garderoben viel ruhiger her, auch hat in diesem Falle der Theaterwagen und Schwindelmann nicht so viel zu thun als sonst. Die meisten Tänzerinnen, die vielleicht erst im dritten oder vierten Akt kommen, gehen zu Fuß nach dem Theater und tragen gewöhnlich selbst ihr Päckchen Wäsche, das heute, wo sie keine idealen Figuren darzustellen, sondern im Schleppkleide eine Menuette zu tanzen haben, nicht besonders groß ist. Andere, die einen complicirteren Anzug haben, vielleicht am Schlusse, wenn es gerade eine Zauberoper ist, irgend etwas Feenhaftes hoch in den Wolken darstellen müssen, kommen freilich schon früher, aber da ihrer wenige sind, so bringen sie kein rechtes Leben in die weitläufigen Ballet- Garderobezimmer.

Hier brennt denn auch nur spärliches Licht vor diesem oder jenem Tischchen; die Ankleiderinnen, die mit dem Wenigen bald fertig sind, fühlen sich gelangweilt und legen ihre Hände in den Schooß. Monsieur Fritz, der Friseur, lehnt gähnend an einem Spiegel und erzählt schreckliche Mord- oder Geistergeschichten, von denen er ein besonderer Freund ist.

Heute Abend wirkt das Ballet nur auf die eben angedeutete Art; es ist eine Feenoper, im ersten Akte erscheinen einige Elfen und Geister, im dritten kommen einige Bauerntänze und am Ende des fünften ein Schlußtableau, wo die Fee Amorosa, die Beschützerin wahrer Liebe, in den Wolken erscheint, um das nach vielen Schwierigkeiten vereinte Paar zu segnen.

In der Garderobe waren Mamsell Therese, Mamsell Clara, Mamsell Marie, noch drei Andere von der gleichen Altersklasse, sowie ein halbes Dutzend Ratten, welche Engel und dergleichen zu machen hatten. Die letzteren, in sehr safrangelben Tricots, mit weißen Florkleidern, goldenen Gürteln und himmelblauen Flügeln, versuchten ziemlich ungeschickt ihre Gruppirungen, purzelten dabei oft über einander hin, und hatten in ihrer Ungelenkigkeit viel mehr das Ansehen kleiner Kobolde, als Angehöriger der himmlischen Heerschaaren.

Therese stand vor ihrem Spiegel – eine junge Fee; das schöne Mädchen mit dem vollen Wuchs sah prächtig aus. Sie gefiel sich auch selbst, das sah man an der Art, wie sie ihre Hüften umspannte, den Kopf kokett zurückwarf und sich mit den blitzenden Augen fest ansah. Eine ihrer Kolleginnen, ein blasses schmächtiges Wesen im Kostüm einer Hofdame, saß vor ihr, fächelte sich mit ihrem Fächer und betrachtete hinter demselben hervor nicht ohne einen Anflug von Neid die schöne Tänzerin.

»Aber, Therese,« sagte sie nach einer Pause, »wenn man dich so sieht, reizend, strahlend, da kann man es schwer glauben, daß du dies glänzende Leben verlassen willst, um dich als Hausfrau in eine stille Wohnung zurückzuziehen.«

»Und doch ist es so, mein Schatz,« erwiderte Therese; »ich bin fest entschlossen, mich zurückzuziehen, ich bin um meinen Abschied eingekommen.«

»Bei der Intendanz?« fragte boshaft die Andere.

»Bei der Intendanz!« versetzte Therese, indem sie ihren Kopf noch stolzer in den Nacken warf. »Ich verstehe dich wohl, mein Kind,« fuhr sie mitleidig fort; »was das Andere anbelangt, da gebe nur ich Abschiede, laß mich aber selbst nie verabschieden. So mußt du es auch machen, wenn du einen guten Rath von mir annehmen willst. Ich habe dies Leben satt, ich will mich verändern.«

»So ist es also wirklich wahr?« fragte lachend der Theaterfriseur, der herangeschlichen war. »Die schönen Tage von Aranjuez sind also wirklich vorüber? Ich hatte immer noch gehofft, Therese.«

»Auf was denn, Sie – Affe! Ich versichere Sie, Fritz, Sie allein können einem das Leben hier unleidlich machen.«

»Ach, der glückliche Berger!« erwiderte Fritz seufzend.

»Haben Sie vielleicht die Ehre von ihm gekannt zu sein?« fragte trotzig die Tänzerin.

»Ich kaufe meine Cigarren bei ihm, auch zuweilen Kaffee und Zucker.«

»So erhalten Sie uns auch ferner Ihre Kundschaft!« lachte die Tänzerin spöttisch; und damit rauschte sie trällernd in das Nebenzimmer.

Hier befanden sich Clara und Marie in ihrer Ecke, und die erstere sprach mit ihrer guten und lieben Stimme, wie es schien, Worte des Trostes zu ihrer Kollegin. Wenn man aber das andere Mädchen sah, wie es heute da saß, ein Bild des Jammers und der Verzweiflung, so hätte das härteste Gemüth nicht umhin gekonnt, sich theilnehmend zu erkundigen, was ihr fehle. Ihr dunkles Haar hing aufgelöst über ihren Nacken und ihre Schultern bis auf ihren Schooß herab, so tief hatte sie den Kopf gesenkt. Dabei hielt sie die Hände gefaltet, und nur zuweilen zuckten diese zusammen, wenn nämlich von den heißen, schweren Thränentropfen, die unablässig ihren Augen entquollen, auf ihre Finger niederfielen. Diesem Zucken folgte ein schwerer Seufzer, ein Stöhnen, und dann sank sie noch tiefer in sich zusammen.

»Es ist Zeit, liebe Marie,« sagte Clara mit sanfter Stimme, »daß du dir dein Haar machen läßt. Richte den Kopf ein wenig auf, daß ich deinen Scheitel gerade herstelle. – O, hör' auf zu weinen; das thut mir in der Seele weh. – Oder sprich wenigstens zu mir. – Setzest du denn gar kein Vertrauen mehr in mich?«

»O doch! – o doch!« brachte Marie mühsam hervor; »aber du würdest mich doch nicht verstehen. Gewiß, gute – gute Clara, du kannst mich nicht verstehen. Danke Gott, daß es dir unmöglich ist!«

»Ja, das begreife ich in der That nicht,« erwiderte die Andere, »denn wenn ich Kummer habe, so ist es mir eine Wohlthat, mein Herz gegen irgend Jemand ausschütten zu können.«

»Mir auch, mir auch,« hauchte Marie. »Du weißt, Clara, daß ich bis jetzt kein Geheimniß vor dir hatte. Aber das kann ich dir nicht sagen.«

»So sprich mit Therese,« erwiderte Clara zögernd; »da kommt sie eben. Du hast etwas auf dem Herzen, das du los werden mußt. Sie wird dir auch dein Haar gern machen; ich gehe ins andere Zimmer.«

Marie gab keine Antwort, doch nickte sie mit dem Kopfe, hob ihn dann rasch empor, und als sie Therese bemerkte, die in die Thüre trat, preßte sie, heftiger weinend, ihre Hände vor das Gesicht.

– »So – so – so sieht's hier aus?« sagte die Eingetretene, indem sie ihre rechte Hand in die Seite stemmte und mehrmals mit dem Kopfe nickte. »Ist endlich da was vorgefallen? Nun ja, es wundert mich nicht.«

Die Angeredete blickte scheu um sich, und als sie bemerkte, daß Clara fort gegangen war, sprang sie hastig in die Höhe, ergriff die Hand der anderen Tänzerin und sagte: »Therese, ich bin verloren!«

»Nun, so schlimm wird's gerade noch nicht sein,« entgegnete diese. »Fasse dich nur um Gotteswillen, höre auf zu weinen! da drüben die Garderobiere und der naseweise Fritz haben schon aus der Ecke herübergeschielt. Muß denn alle Welt wissen, daß dir ein Unglück passirt ist? Setz' dich ruhig hin und lasse dir dein Haar aufstecken; währenddem kannst du mir erzählen, was du auf dem Herzen hast. Aber ohne Vorreden, bitte ich; ich kann mir ja doch denken, um was es sich handelt.«

»Ja, du weißt es,« erwiderte Marie, nachdem sie sich auf ihren Stuhl wieder niedergelassen, »die gräßliche Geschichte, von der ich dir schon gesprochen.«

»Halte deinen Kopf still und dann laß mich hören.«

»Meine Tante sprach mir also mehrmal und immer dringender von ihm.«

»Von dem Heuchler auf der zweiten Galerie?«

»Natürlicherweise wollte ich sie nicht verstehen, bis sie endlich zornig wurde und sich ganz deutlich erklärte. Ich sollte verkauft werden oder war es schon; wie flehte ich sie an, mich in Frieden zu lassen, wie stellte ich ihr das Unglück vor, das über mich hereinbrechen würde! – Sie lachte mich aus, als ich ihr von Richard und von meiner Liebe zu ihm sprach. Das wären Kindereien, sagte sie, und ich solle mir nicht einbilden, daß sie mich als hilfloses Kind aufgenommen, daß sie mich erzogen und gebildet habe, um am Ende die Frau eines Zimmermanns zu werden. Das sei schwarzer Undank, und wenn ich so dumm sei, mich zu meinem Glücke zwingen zu lassen, so wolle sie das gern thun; sie müsse ernten, wo sie gesät. Ein paar Mal kam er auch, versteht sich verstohlen in der Dämmerung, er brachte bald Dies, bald Das, er sagte mir alle möglichen Artigkeiten, und ich mußte ruhig sitzen und Das mit anhören. Meine Tante ging ab und zu, blieb auch eine Zeit lang absichtlich fort, doch merkte er alsdann so gut meinen Abscheu gegen ihn, daß er es nicht wagte, mir nahe zu kommen, ja, er empfahl sich meistens bald und ging fort. – Am Weihnachtsabend wollte er mir bescheeren, doch setzte ich es durch, daß er nicht kommen durfte; Handschuhe aber, die er geschickt, mußte ich annehmen.«

»Weiter! weiter!« sagte Therese. »Erzähle kürzer. Du lieber Himmel! Diese Einzelheiten kennen wir ja.«

»Gestern Nachmittag,« fuhr Marie mit leiser Stimme fort, »ging meine Tante aus, wie sie es oft zu machen pflegt; ich war ganz allein in der Stube, fast allein in dem großen Gebäude, denn du weißt, daß da blos Leute wohnen, die bei Tage ihren Geschäften nachgehen und nur Abends nach Hause kommen. – Da kam er. – O mein Gott; Therese!« Von Neuem begrub sie ihr Gesicht in den Händen und weinte so heftig, daß die andere Tänzerin achselzuckend die schwere Flechte losließ, welche sie ihr eben um das Haupt schlingen wollte.

»Nun ja,« sagte diese hierauf, »er kam, er war zudringlich, du wehrtest dich?«

»Gewiß, gewiß, lange – lange.«

»Und –?«

»Und –? O ich hatte Kraft wie ein Mann, ich machte mich los, so oft er mich an sich riß. – Aber –«

»Riefst du um Hilfe?«

»Was konnte es mich nützen? Ich dachte, es könne mich Niemand hören. – – Endlich aber kam doch Hilfe, aber die Hilfe wird mich in's Verderben bringen.«

»Richard kam?« rief Therese erschrocken.

»Nein – Schwindelmann. Er wollte die Vorstellung für heute ansagen.«

»Und da warst du gerettet. – Nicht!«

»Ich weiß es nicht,« sagte das arme Mädchen, indem sie den Kopf abermals tief auf die Brust herabsinken ließ. – »Verloren bin ich so wie so. Freilich ließ er augenblicklich von mir, als Schwindelmann eintrat, und empfahl sich mit abgewandtem Gesicht; er wollte nicht erkannt sein.«

»Der Schuft!«

»Schwindelmann aber blieb ganz entsetzt an der Thüre stehen, stotterte seinen Auftrag her und sagte dann mit betrübter Stimme: O Mamsell Marie, das hätte ich nimmer geglaubt!«

»Weiß er vielleicht um dein Verhältniß zu Richard?« fragte eifrig Therese.

»O nein, gewiß nicht; aber – verzeih mir, Therese, daß ich das sage, – du weißt, Schwindelmann hat mich immer ausgezeichnet, Clara und mich, weil – weil – aber du nimmst es nicht übel, Therese, weil wir Beide brav wären und keine Verhältnisse hätten. Uns müsse es gut gehen, meinte er.«

»Nun ja, da mußt du ihn über die Geschichte aufklären, und das bald.«

»Er sieht mich gar nicht mehr an,« erwiderte das weinende Mädchen; »er zuckt die Achseln und geht mir aus dem Wege. Denk dir, Therese, wie schrecklich! Das werden die Anderen merken; sie werden die Köpfe zusammenstecken und über mich lachen; Richard wird's erfahren – o du mein Gott! Und er hat mir tausend Mal gesagt: weißt du, Marie, so lange du unbescholten dastehst und kein ehrlicher Mann dir was nachsagen kann, bist du mein und ich dein mit Leib und Seele; aber nimm du dich doppelt in Acht.«

»Du hättest ihm von der Geschichte sagen sollen,« meinte Therese; »das ist eigentlich schlimm.«

»Nicht wahr, o wie oft wollte ich es thun, aber ich fürchtete mich vor meiner Tante und vor Richard. Hilf mir, liebe Therese, rathe mir!«

»Das will ich gerne thun, doch vor allen Dingen muß ich mir den Schwindelmann vornehmen. Aber ich kenne ihn wohl: wenn er gegen Eine was Besonderes hat, so läßt er sich den ganzen Abend nicht sehen. Doch wenn wir fertig sind, entgeht er mir nicht; ich lasse mich zuletzt nach Haus fahren und da will ich ihm schon Vernunft predigen.«

Unterdessen war Clara wieder in das Zimmer getreten, sie wollte Marie ermahnen, daß es Zeit sei, sich anzuziehen, auch dachte sie wohl, die Unterredung könnte zu Ende sein. Therese hatte gerade die Frisur beendigt, befestigte rechts und links in dem dunkeln Haar eine brennend rothe Granatblüthe und sagte: »So, nun zieh dein Kleid an, dann bist du fertig.«

»Das ist sehr schön geworden,« meinte Clara, die nun näher trat. – »Ich habe dich vorhin nur flüchtig gesehen,« wandte sie sich an Therese; »darf ich gratuliren? du wirst ja nächstens heirathen?«

»So ist es, mein Kind,« entgegnete das schöne Mädchen; »nur weiß ich nicht, ob das gerade eine Gratulation verdient. Vielleicht komme ich aus dem Regen in die Traufe.«

»Du machst aber eine gute Partie, was mich herzlich freut. Herr Berger ist wohlhabend und hat ein schönes Geschäft.«

Eine blasse Tänzerin, die auch hinzugetreten war, warf etwas spöttisch dazwischen: »Herr Berger gilt für einen bedeutenden Mann, er ist sogar Armenpfleger.«

Therese wandte sich bei diesen Worten rasch herum, betrachtete die Kollegin von oben bis unten und antwortete: »Ja, er ist auch Armenpfleger; das kann dir vielleicht später noch einmal zu gut kommen, mein Schatz.«

»Gewiß, ich gratulire herzlich,« wiederholte Clara begütigend; »das ist schnell gekommen.«

»Schnell und langsam, wie man will,« erwiderte Therese, indem sie ihre rechte Fußspitze weit ausstreckte und damit allerlei Figuren auf dem Boden beschrieb. »Er macht mir schon seit mehreren Jahren die Cour und ließ nicht von mir ab, obgleich ich ihm offenherzig erklärte, ich habe andere Verbindungen und keine Lust, diese sogleich fallen zu lassen; er wollte mich trotz allem dem schon früher heirathen, aber ich mochte nicht.«

»So denken gewiß Wenige,« sagte Clara einigermaßen zerstreut.

»O gewiß, sehr, sehr Wenige,« meinte seufzend Marie.

»Ich habe ihm immer davon abgerathen, mich zu heirathen,« fuhr leichtsinnig die andere Tänzerin fort; »er ist um Vieles älter als ich, ich habe meine Launen und ich glaube nicht, daß er wohl daran thut, mich zur Frau zu nehmen.«

»Aber warum hast du jetzt deinen Entschluß geändert?« fragte Clara.

»Das will ich dir sagen, mein Schatz. Ich habe mich lange genug und oft den Launen Anderer gefügt, und mich namentlich hier in diesem Hause kommandiren und hudeln lassen – ein wahres Sklavenleben geführt. Jetzt will ich 'mal befehlen und will sehen, wie es schmeckt, wenn man mir gehorchen muß; ich will das Regiment im Hause führen; wenn ich sage: Augen rechts, so soll er rechts sehen, wenn ich sage: Augen links, so soll er nach links schauen und nicht zucken, bis ich ihm wieder erlaube, geradeaus zu blicken; das muß recht angenehm sein, und darauf freue ich mich, das ist Alles, und deßhalb will ich mich denn gnädigst herablassen, den Herrn Berger zu meinem Leibsklaven zu ernennen.«

»Und die hält Wort,« flüsterte die Hofdame von vorhin hinter ihrem Fächer Clara zu.

Marie war unterdessen vollständig angezogen, und als die bewußte Klingel ertönte, schritt Therese stolz zur Garderobe hinaus, gefolgt von ihren bescheidenen Kolleginnen.

Die Ouverture sollte anfangen und die Tänzerin ging über die halb dunkle Bühne nach dem Hintergrunde, wo in der ersten Scene in der Oper ihr Platz war. Doch blickte sie scharf nach allen Seiten, um Schwindelmann zu sehen. Aber Schwindelmann ließ sich nicht erblicken; er stand wahrscheinlich am großen Portal-Vorhang.

Nachdem die Ouverture und die erste Scene glücklich vorüber war, wobei der Himmel in unbeschreiblicher Klarheit gestrahlt, wobei die Gruppe von den Tänzerinnen sehr schön ausgeführt worden war, wobei aber leider die himmelblaue Brillantbeleuchtung dem Teint der Seligen einigermaßen Schaden that und sie sämmtlich sehr bleichsüchtig aussehen ließ, wechselte unter majestätischem Donner, der übrigens etwas zu lange andauerte, die Dekoration. Da diese nun den ganzen Akt durch stehen blieb, so wurde es bald wieder hinter der achten Coulisse lebendig, und die Betheiligten des Lever, welches Herr Hammer dort zu halten pflegte, schlichen von allen Seiten herbei.

Herr Hammer saß auf einem hölzernen Felsstück und drehte nachdenkend seine Schnupftabaksdose in der Hand herum; Herr Wander stand vor ihm, aber diesmal ohne Spritze, auch hatte er den Hut auf dem Kopfe und hielt beide Hände auf dem Rücken.

»Ja–a– ja–a,« sagte der erste Maschinist; »ich versichere Euch, Wander, Ihr habt Euch vorgestern nicht schlecht gemacht – Anstand; ich sage es immer: die alte Schule verleugnet sich nicht.«

Herr Wander lächelte geschmeichelt.

»Daß ich das versäumt habe,« mischte sich Schwindelmann in's Gespräch, »das kann ich mir in meinem ganzen Leben nicht verzeihen. Aber wie kam es denn eigentlich, daß Ihr hier auf der königlichen Bühne aufgetreten seit? Das hättet Ihr Euch niemals träumen lassen.«

»Nein!« lachte Wander mit ganz breitem Maul. »Nun, wie kam es? Fra Diavolo sollte im ersten Akte herauskommen, da fehlt auf einmal der Chorist, der ihm den Mantel nachtragen soll. Alle Teufel! die Verlegenheit! Der Herr Intendant stand zufällig dabei und sagten: wen nehmen wir gleich? Sein Blick fiel auf mich, – Wander, sagte er da, Sie sind ein alter, routinirter Schauspieler, setzen Sie einen dreieckigen Hut auf und tragen Sie dem Fra Diavolo seinen Mantel nach. Sie werden das ohne Probe können. – Und ob ich es ohne Probe konnte! Man hat unten im Hause gezischelt, o, ich vernahm es wohl, es war gerade, als hörte ich meinen Namen aussprechen. – Das ist Wander! – Wander tritt wieder auf. – Aber nein, ihr Herren da unten, das ist Täuschung: Wander tritt nicht mehr auf. Aber es freut mich doch, daß ich meine letzte Rolle auf dem königlichen Hoftheater spielen durfte. Wer könnte es mir verwehren, wenn ich zum Beispiel von mir sagen wollte: – nahm auf der königlichen Hofbühne zu Z. in Fra Diavolo von dem Publikum Abschied.«

»Niemand!« lachte Richard, der hinzugetreten war, »Ihr kämt dann höchstens in den Verdacht, als habt Ihr den Fra Diavolo gesungen.«

»Wer war denn vorhin an der Donnermaschine?« fragte der Inspizient, der mit seinem Buch aus dem Hintergrunde hervortrat, in sehr ernstem Tone. »Habe ich denn nicht gestern die Geschichte bis zum Ekel einstudirt? Und der letzte schlug sogar vor dem Blitze ein; das ist doch unerhört. Wer war's?«

»Ich,« sagte Schwindelmann, »und begreife das nicht, ich donnere fast das ganze Jahr und nehme mich ungeheuer in Acht.«

»Ich pfeife Ihnen in Ihre Donner vom ganzen Jahr,« entgegnete würdevoll der Inspizient, »den heutigen hätten Sie mir gut machen sollen. Auf den Blitz hätten Sie mir Achtung geben sollen; wer hat denn je gesehen, daß es zuerst donnert und dann blitzt.«

»Das habe ich oft gesehen,« erscholl die sanfte Stimme Schellingers, der zusammengekauert hinter dem ersten Maschinisten saß. »Im Himmel, wo man nahe dabei ist, thut's gar nicht anders.«

»Und Sie waren wohl schon oft im Himmel,« fragte der Beamte in wegwerfendem Tone.

»Nicht oft,« entgegnete ruhig der Schneider, »aber einmal doch, als ich mit dem großen Luftballon aufstieg.«

»Ah was! dumme Possen!« meinte der Beamte, indem er hinweg ging.

»Das ist doch so klar wie Tinte,« fuhr der Garderobegehilfe fort; »hier sind wir unter dem Gewitter, da leuchtet's und dann kracht's, wenn wir uns aber darüber befinden, hören wir es natürlicherweise umgekehrt, zuerst Donner und dann Blitz. Dazu braucht man nicht Inspizient zu sein, um das zu begreifen.«

»Und stiegst du damals hoch hinauf, Schellinger?« fragte Richard.

»Wir haben es nicht ganz genau messen können, denn die Schnur, die wir mit hinauf nahmen, reichte lange nicht aus.«

»Aber wie hoch kamt ihr denn eigentlich?«

»Ich glaube, wir kamen bis in den vierten Himmel,« sagte der Schneider. »Ihr wißt doch, daß es deren sieben gibt.«

»Ja, ja,« sprach Schwindelmann nachdenkend, »man sagt zuweilen, man sei bis in den siebenten Himmel verzückt.«

»Bis dahin kamen wir nicht,« fuhr Herr Schellinger fort.

»Und wie waren die Himmel beschaffen?« fragte Richard lachend.

»In dem untersten war es feucht und kalt, das ist der Regen- und Schneehimmel, im zweiten wurde es schwül; da hält sich der Donner und Blitz auf; im dritten dagegen ist es heiß, das ist der Sonnenhimmel; und im vierten fangen die Engel an.«

»Hast du welche gesehen, Schellinger?«

»Nicht deutlich, es schimmerte nur gelb, grün, blau und roth, auch waren wir in der untersten Kammer, wo die Regenbogen aufbewahrt liegen. – Aber pfeifen habe ich die Engel gehört.«

»O, das hörte ich auch schon,« meinte Richard lachend, »als ich noch beim Militär war und im Arrest saß.«

»Apropos, Schellinger,« sprach Herr Hammer nach einer Pause, »werden die Kostüme zum neuen Stück fertig? Ihr habt viel daran zu thun.«

»Ich sage Euch,« nahm Schwindelmann das Wort, »das gibt eine Pracht. Die Offiziers-Uniformen strotzen von goldenen und silbernen Tressen. Das ist doch überladen.«

»Nein, es ist nicht überladen,« sagte Schellinger in bestimmtem Tone. »Jetzt macht man freilich keinen Aufwand mehr mit so etwas; aber als ich noch Regimentsschneider in Berlin war unter dem alten Fritz, da hättet ihr andere Dinge sehen können. Ist doch eines Tages der Tambour-Major von den Grenadieren desertirt, der hatte für zwanzigtausend Thaler silberne Tressen an sich!«

»Schellinger! Schellinger!« sagte ernst Herr Hammer, »daß Ihr Euch das Lügen nicht abgewöhnen könnt. – Die Tambour-Majors sind allerdings sehr reich angezogen, aber sie zeichnen sich hauptsächlich durch ihre Größe aus; da war keiner, welcher nicht seine acht Fuß maß.«

»O Herr Hammer!« erwiderte der Garderobe-Gehilfe; »so groß habe ich noch keinen gesehen!«

»Nicht einmal unter dem alten Fritz!« lachte Richard.

»Na, laß nur gut sein,« fuhr Herr Hammer fort, indem er eine Prise nahm, »wenn wir uns mit dem Schellinger abgeben, so werden wir in alle Ewigkeit nicht fertig. Und heute gilt's Aufpassen. Der erste Akt thut sich noch, aber in den andern kommt eine Verwandlung über die andere. Ist die Flugmaschine zum Schluß recht in Ordnung, Richard?«

»Das will ich meinen,« entgegnete dieser schmunzelnd. »Die habe ich heute Mittag ein paar Stunden lang probirt; das geht wie geschmiert.«

»Und wer nimmt das große Tau in die Hand, welches die oberste Geschichte hält? Daran ist viel gelegen; denn wenn man das einen Zoll fahren ließe, so schlägt uns die ganze Geschichte zusammen; und dann gute Nacht, wer darauf steht.«

»Seid unbesorgt,« erwiderte der junge Zimmermann, »das nehm' ich selbst in die Hand, und wenn ich es einmal gepackt habe, da könnt ihr meinetwegen das ganze Ballet darauf stellen.«

»Die armen Tänzerinnen müssen doch recht Muth haben,« sagte Herr Wander; »es ist kein Spaß, an so ein paar elenden Drähten zu hängen oder an einem einzigen Tau, und da hinab zu sehen ein paar Stockwerke tief unter das Podium.«

»Die Gewohnheit thut's,« versetzte der erste Maschinist.

»Ja, die Gewohnheit thut viel,« meinte Herr Schellinger; »ich weiß das von der Zeit her, wo ich noch öfters auf die Gemsenjagd ging. Da sind wir Tage lang an Felsen herumgeklettert, die so scharfkantig waren, daß sie einem die Schuhsohlen durchschnitten, rechts ein Abgrund von tausend Fuß und links einer von zweitausend!«

»Dann konntet Ihr ja gar nicht mehr gehen, Schellinger!«

»O doch! diese Schnitte waren gerade unser Glück, denn sie hielten uns an dem Felsen fest. Habt Ihr nie gehört, daß sich die Gemsjäger in die Füße schneiden, wenn sie nicht mehr vorwärts können, und daß das Blut dann am Felsen festklebt und sie hält? Das war auch unser Glück.«

»Ja–a, ja–a, Schellinger,« sprach Herr Hammer ruhig, indem er aufstand, »Ihr habt in Eurem Leben gewiß manchen Bock geschossen. – Aber geht an eure Plätze, sie sind draußen an der letzten Scene; wir werden gleich Aktus haben.«

Beim zweiten und dritten Akt war der Platz hinter der achten Coulisse von Niemand besucht; es war, wie der erste Maschinist vorhin gesagt, draußen eine Verwandlung um die andere, viel Donner und Blitz, Wasserfälle, die beständig gedreht werden mußten, und wogende Meere, wo Alles, was disponibel war, unter der großen, gleich Wasser gemalten Leinwand saß, und wie Frösche auf- und abhüpfte, um die wogende See schön und täuschend darzustellen.

Therese hatte oft nach Schwindelmann gesehen, aber sie wußte nicht, ging er ihr aus dem Wege oder war es Zufall, daß er, so oft sie ihn traf, bei den Zimmerleuten stand, oder so beschäftigt war, daß sie ihn nichts fragen konnte.

Marie saß trotz dem Vorgefallenen in unerklärlicher Angst in der Garderobe und scheute sich, Richard unter die Augen zu treten, sie wußte selbst nicht, warum. Nur einmal am heutigen Abend hatte sie ihm gezwungen zugelächelt, und das war nach dem ersten Akt, als er ihr mit einem herzlichen Händedruck von der Flugmaschine herunter geholfen und dabei gesagt hatte: »Aber Marie, heute Abend hast du prächtig ausgesehen; wenn wir einmal verheirathet sind, so mußt du mir zu Liebe das Haar auch einmal so machen. Für die Granatblüthen will ich schon sorgen!«

Der letzte Akt kam; die ersten Scenen spielten in einer kurzen Dekoration, um hinten Platz für das große Flugwerk zu gewinnen! die Ratten wurden dort eben aufgestellt und streckten krampfhaft ihre kleinen dünnen Beine heraus, um ihre Engelsfiguren recht graziös zu machen; die Tänzerinnen standen in den Coulissen; hier plauderten ein paar zusammen, dort wurde eine Schleife aufgesteckt, und im Hintergrunde probirte der dürre erste Tänzer mit einigen Tänzerinnen ein paar Battements.

Auch das Podium war geöffnet, um die große Flugmaschine hinauf zu lassen und wir ersuchen den geneigten Leser, einen Blick dort hinab zu werfen. Es ist dies ein spärlich erhellter Raum unter der Bühne, voller Schnüre, Seile, Leitern, Treppen, Coulissenfüßen, Versenkungs-Apparaten und sonstigen Gegenständen. Hier ist für alle Schauerstücke und Feenopern ein wichtiger Platz, denn von hier aus erschallen die unterirdischen und Geisterstimmen, heulen die Winde aus den tiefen Schluchten hervor; von hier züngeln die Flammen aus dem Erdboden, wenn irgend ein finsteres Gespenst über die Oberfläche dahin schreitet, und von hier steigen Engel und Teufel auf.

Bei gewöhnlichen Vorstellungen ist es da sehr dunkel, nur ein paar trübe Laternen leuchten spärlich in dem weiten Räume; bei der heutigen Oper aber, wo alle Freuden des Himmels, alle Schrecknisse der Hölle losgelassen waren, brannte so viel Licht, um die Gegenstände rings herum nothdürftig erkennen zu können; auch war die größte Versenkung oben offen, und eine starke Helle fiel von da herein.

Richard stand drunten mit seinem Tau, und Schwindelmann, der gerade nichts zu thun hatte, saß neben ihm auf einer der Treppen. Das Theater verwandelte sich in die Schlußdekoration, und droben, von vier Mann getrieben, setzte sich die große Flugmaschine in Bewegung. Sie brachte den ganzen Himmel an's Tageslicht, aus dem nun am Ende Fee Amorosa, die Beschützerin der wahren Liebe, auf einer Wolke noch einige zwanzig Fuß höher stieg. Vorher aber kamen noch ein paar lange Scenen, und als droben zur Einleitung in diese eine sanfte Sphären-Musik erklang, zog Schwindelmann drunten seine Schnupftabaksdose hervor, und bot auch Richard eine Prise an, der sie lachend nahm und sagte: »Jetzt kann ich noch meine Hand zu etwas gebrauchen, wenn ich aber nachher die Fee in ihrem Himmel droben festhalten muß, da brauche ich beide Hände und einen Theil meiner ganzen Kraft. – Hier aus dem dunkeln Raume hinauf gesehen,« fuhr er nach einer Pause fort, »schauen die Mädchen wahrhaftig wunderschön aus. Sieh dir die Therese an, wie sich die prächtig ausnimmt!«

»Gott! das haben wir ja schon tausendmal gesehen,« entgegnete Schwindelmann mürrisch. »Und dann steckt ja nichts dahinter; wer sie so wie ich von Hause abholen muß oder nachher in den Wagen hineinschieben, für den geht alle Täuschung verloren.«

»Na, Schwindelmann,« meinte Richard, »du bist ein alter, leichtsinniger Kerl; für dich ist das doch angenehm.«

»Weiß Gott im Himmel,« entgegnete ernst der Theaterdiener, »die meisten waren mir von jeher gleichgiltig und werden es immer mehr. Weißt du, wer sie so wie ich auch in ihrem Leben zu Haus genau kennt, dem thut es weh, wenn er so sehen muß, wie jetzt bald die, bald jene dumme Streiche macht. Anfänglich kommen sie mit den besten Vorsätzen hieher; sie sind brav und wollen es bleiben, sie wehren sich auch, so lange sie können, aber du lieber Himmel! die Verführung ist zu groß. Ich habe ja gewiß Mitleiden mit den armen Geschöpfen. Weißt du, Richard: hier in Sammet und Seide, Pracht und Glanz, – zu Haus Elend und Noth; hier stehen sie von den reichen Gastereien hungrig auf, um zu Haus auch nicht viel mehr zu finden, als Kartoffeln und trockenes Brod. Da kommen dann Anträge und Versprechungen, für eine glänzende Zukunft, da wird dann endlich Leib und Seele verkauft – 's ist ein Jammer.«

Richard blickte nachdenkend in die Höhe, und der Glanz droben, die Seide, das Gold, die falschen Brillanten, die rothen Wangen und blitzenden Augen erscheinen ihm minder blendend.

»Ja, es ist ein Jammer,« fuhr Schwindelmann fort, indem er heftig auf den Deckel seiner Dose klopfte. »Und man kann es ihnen nicht einmal übel nehmen; wenn angesehene Bürgerstöchter, überhaupt wohlhabende Mädchen tugendhaft bleiben, das sollte sich am Ende von selbst verstehen. Darnach drehe ich keine Hand herum, aber die da oben – nun, Richard, wehe thut es mir doch, wenn ich es so erlebe, wie eine nach der andern abfällt.«

»Na, Schwindelmann, du übertreibst,« sagte Richard, »du könntest mir ganz Angst machen. Es sind doch Manche darunter, die sehr ordentlich sind.«

»Ja, es hat noch welche; sonst wäre es auch zu schlimm.«

»Denk nur an deine beiden Schätze,« fuhr Richard lachend fort, »die Clara und die Marie, – gelt, alter Kerl, für die Beiden gehst du durch's Feuer.«

Schwindelmann machte ein Gesicht, als habe er eine saure Pflaume gegessen.

»Richard!« rief Herr Hammer durch das Sprachrohr hinab, »die obere Flugmaschine wird gleich in Bewegung gesetzt. Fasse das Tau an; wenn ich dir zurufe, so wickelst du es um und hältst es fest! Die an der Winde verlassen sich auf dich. Laß mir keinen Achtelszoll fahren!«

»Kein Haar breit!« rief Richard lustig. »Jetzt paß' auf, Schwindelmann! Siehst du deinen Schatz, schau, wie die Marie schön aussieht!«

»Auch die mag ich gar nicht mehr ansehen,« erwiderte der Theaterdiener verdrießlich, indem er den Kopf wegwandte.

»Was hast du gesagt?« meinte Richard und fuhr erschreckt herum. – »Hast du von der Marie nicht gesagt, auch die möchtest du gar nicht mehr ansehen?«

»Ja, das habe ich gesagt,« versetzte Schwindelmann. »Aber was kümmerst du dich darum? Dich interessirt's ja doch wohl nicht, was die Mädel zu Haus treiben.«

Der junge Hammer war in diesem Augenblick schlau genug, diese Frage des Theaterdieners eifrig zu verneinen. Er dachte sich: da ist vielleicht etwas vorgefallen; sage ich aber, daß mich die Marie interessirt, so schweigt der vorsichtige Kerl, der Schwindelmann. »Eigentlich geht's mich nichts an,« versetzte er deßhalb, »und ich habe nur gefragt, weil man der Marie durchaus nichts Schlimmes nachsagen konnte, auch nicht das Geringste; das mußt du zugeben, Schwindelmann.«

»Ich habe das bis jetzt nicht nur immer zugegeben,« erwiderte der Theaterdiener, »sondern auch eifrig verfochten.«

Diese Worte bis jetzt – drangen wie ein Dolchstich in die Brust des jungen Zimmermanns; er zitterte heftig, ja, es wurde ihm schwarz vor den Augen. Mühsam Athem holend sagte er: »Bis jetzt, Schwindelmann – was soll das heißen: bis jetzt?«

»Ich weiß nicht,« erwiderte dieser trotzig.

»Ist das auch recht,« meinte mühsam lachend Richard; »ein alter Freund wie du macht einen da neugierig und will dann's Maul halten? – Pfui, Schwindelmann! Das thun nur die alten Weiber. – Also, was wolltest du sagen mit dem bis jetzt? Ich verstehe es nicht.«

»Nun denn, bis gestern, wenn dir das deutlicher ist,« sprach erbost Schwindelmann, und nachdem er einen Augenblick hinaus geschaut in die schönen Züge der Tänzerin, fuhr er fort: »Sieht das Mädel unschuldig aus!«

»Ah! – Bis gestern, Schwindelmann!«

»Nichts, nichts! Es ist unrecht von mir, daß ich hier ein solches Gewäsch halte. Was geht's mich, was geht's dich an?«

Dem Zimmermann war es kaum möglich, den Athem in seine Brust zu ziehen. Er fuhr mit der rechten Hand an die Stirne, und in seiner heftigen Art überlegte er, ob es nicht vielleicht besser sei, seinen alten Freund Schwindelmann am Halse zu nehmen und ihn so lange zu schütteln, bis er ihm sage, was er wisse. – Wer weiß auch was geschehen wäre, wenn nicht in diesem Augenblicke die Stimme des ersten Maschinisten herabgerufen hätte: Aufgepaßt da unten und angefaßt! Und so wie ich wieder rufe – das Seil fest umschlungen!«

Droben flammten zugleich die bengalischen Feuer in rother Gluth und warfen einen glänzenden Schein auch unter das Podium. Durch alle die Fugen und Dielen der Versenkungen strahlte es hindurch und es sah hier unten aus, als brenne oben das ganze Theater. Dabei erklangen Flöten und Harfen, und eine sanfte Musik begleitete das Aufschweben der Beschützerin der wahren Liebe. – »Ah!« machte das Publikum, und man hörte das wie ein entferntes Sausen und Rauschen.

»Aufgepaßt!« tönte es jetzt durch das Sprachrohr herab, und Richard schlang mit zitternden Händen das Tau um den eisernen Träger und hielt es fest. Doch war seine Seele nicht dabei, ja sie schwebte nicht einmal mit der Fee Amorosa in die Höhe, sondern all' sein Denken, all' seine Fassungskraft konzentrirte sich auf Schwindelmann, der ruhig eine Prise genommen hatte und nun erzählte, wie er gestern in die Wohnung der Mamsell Marie gegangen, um die heutige Vorstellung anzusagen, wie er schon vor dem Zimmer geglaubt, er höre flüstern, wie er dann aber wieder gemeint, er habe sich geirrt, und darauf leise angeklopft habe. – Keine Antwort!

»Keine Antwort!« wiederholte Richard, dem der Schweiß von der Stirne herabfloß.

»Darauf öffnete ich die Thüre und – aber gib auf dein Tau Achtung, Richard,« unterbrach sich Schwindelmann, »der eiserne Haken ist glatt; es könnte abrutschen, wenn du dich so stark zu mir herumdrehst.«

»Du – öffnetest – also – die Thüre – und,« – sagte Richard.

»Nun ja, da sah ich die Bescheerung; die Marie war allein, das heißt ohne ihre Tante, und ein Herr war bei ihr, sehr wohl gekleidet, der hielt sie fest in den Armen.«

»O nein, Schwindelmann, das that er nicht!« schrie entsetzt der junge Zimmermann.

»Er that's, Richard; würde ich es sonst sagen? – Aber natürlich nur einen Augenblick, denn als ich so unberufen in's Zimmer trat, sprangen Beide vom Sopha auf.«

Bei diesen Worten hatte er seinen Oberkörper heftig nach dem Theaterdiener herum geworfen, um von dessen Lippen nochmals die Bestätigung zu hören. Doch war dieser wie von einer Feder in die Höhe geschnellt, streckte die Hände weit von sich und stieß einen gräßlichen Schrei aus.

Diesem folgte droben ein anderer, furchtbar und schmerzensvoll. Dumpf tönte dazwischen die Stimme des ersten Maschinisten durch das Sprachrohr hinab: »Richard! Richard!« Die Musik brach ab, das Geschrei auf der Bühne pflanzte sich im Publikum fort, dort kreischten hundert Stimmen laut auf. Oben auf der Bühne krachte es zusammen, als breche das Podium ein; eine schwere Masse polterte zu den Füßen des jungen Zimmermanns, eine Masse von Brettern und Balken, und dazwischen der Körper eines armen, jungen Mädchens, das noch eine Sekunde früher droben in Schönheit und Jugend gestrahlt, jetzt regungslos wie todt hier unten lag.

»Marie! Marie!« schrie Schwindelmann. Dabei stürzte er sich auf die Tänzerin, riß die Taue und Balken um sie her fort, nahm sie sanft in seine Arme und indem er neben sie kniete, legte er ihren Kopf behutsam in seinen Schooß.

»Das hat der Himmel gethan, nicht ich,« murmelte Richard mit dumpfer Stimme. – Er schwankte auf seinen Füßen und mußte sich an dem eisernen Träger neben sich halten, um nicht hinzustürzen.

Ueber alle Treppen und Leitern hinab stürzte jetzt das Theaterpersonal, die Beamten, kurz was sich auf der Bühne befand, herbei um sich von der Größe des Unglücks zu überzeugen. Therese war übrigens die Erste, die herbei kam, sie schauderte einen Augenblick wie vor der Todtenblässe des eben noch so frischen Mädchens, dann faßte sie Richards Arm und sagte, während ihre Zähne hörbar zusammenklapperten: »Das hast du absichtlich gethan. Du bist ihr Mörder.« – Sie hatte Schwindelmann sogleich gesehen, sie hatte es sich gedacht, welche Unterredung hier stattgefunden.

»Nein nein!« sagte Richard kaum hörbar, »da thun Sie mir Unrecht; ich weiß nicht, wie mir das Seil entschlüpft.«

»Und hat dir Schwindelmann nichts erzählt?«

»O ja, ich that es,« sprach der Theaterdiener mit bekümmerter Stimme.

»O gräßlich! gräßlich!« rief nun Therese laut weinend und warf sich auf die Kniee neben Marie hin. »Du armes, armes Geschöpf! – Aber es ist vielleicht besser so.« Sie wischte ihr leicht über die Stirne, und trocknete ein paar Tropfen Blut ab, die zwischen den bleichen Lippen langsam hervorgequollen waren.

In wenigen Augenblicken umstand ein Kreis entsetzter Gesichter und rathloser Menschen die Unglückliche; viele Stimmen riefen nach einem Arzte, doch dauerte es lange, bis man einen gefunden. Der Theaterarzt war, wie das zuweilen zu geschehen pflegt, gerade nicht im Theater, aber einer von denen, die man in die Stadt gesandt hatte, traf nicht weit vom Theatergebäude zufälligerweise auf den Doktor Erichsen, der mit seinem Bruder im Begriffe war nach Hause zu gehen.

Der Kreis theilte sich, als der Arzt die Stufen hinabstieg, und Todtenstille herrschte rings umher, als er den Kopf des leblosen Mädchens langsam aufrichtete, Hände und Arme befühlte und ihr in das halbgebrochene Auge schaute. Kein Laut wurde ringsum hörbar, ja alle hielten den Athem an und jedes Auge blickte auf den Arzt. – Als dieser nun leicht den Kopf schüttelte, die Achseln zuckte und mit ernster Miene dem Intendanten, der hinter ihm stand, einige Worte zuflüsterte, sahen wohl Alle, daß wenig oder gar keine Hoffnung vorhanden sei. Die Tänzerinnen, die sich bis jetzt zurückgehalten, stürzten nun von allen Seiten laut weinend neben Marie nieder, küßten ihr die Hände, die aufgegangenen schwarzen Haarflechten, und ein paar steckten eifrig die Granatblüten zu sich, die ihrem Haar entfallen waren.

»Aber wie ist denn das Unglück gekommen?« rief der Intendant, indem er bewegt seine Hände zusammen preßte. »Wer war unten bei dem Tau?«

Die ihn Umgebenden traten bei diesen Worten scheu vor dem jungen Zimmermann auf die Seite und Richard stand einen Augenblick allein, das Gesicht mit Todesblässe bedeckt, die bläulichen Lippen halb geöffnet, die Augen starr aufgerissen.

»Ich bin es, der das gethan,« sagte er nach einer Pause mit tiefem Athemzuge. – Darauf wurde sein Blick plötzlich unsicher, gläsern, seine Hände griffen um sich, als wollten sie irgend etwas erfassen; seine Kniee knickten ein, und wenn nicht einige der Zimmerleute ihm beigesprungen wären und ihn gehalten hätten, so wäre er zu Boden gestürzt. So aber ließen ihn seine Kameraden langsam niedersinken, und legten ihm seinen Kopf auf eine der Treppenstufen.

Doktor Erichsen verordnete nun, man solle das unglückliche Mädchen aufheben, und dann in einem Tragkorb in ihre Wohnung bringen. Er schrieb sich Nummer und Straße derselben auf und entfernte sich mit Arthur. Daß Letzterer Gelegenheit fand, der erschreckten Clara ein freundlich tröstendes Wort zuzuflüstern, brauchen wir dem geneigten Leser eigentlich nicht zu sagen.

Man hob Marie auf, brachte sie sorgfältig auf die Bühne, und vier der Zimmerleute trugen den Körper des unglücklichen Mädchens in ihre Wohnung. Therese, entschlossen, wie sie immer war, hatte sich in der Eile nothdürftig angekleidet, einen warmen Mantel über das leichte Nymphenkleid geworfen und begleitete die arme Marie. Unterwegs hatte sie ihre herabhängenden Hände gefaßt, und wenn sie dieselben küßte, was oft geschah, so fielen ihre Thränen auf die erkalteten Finger. Das sah aber Niemand, als die Tausende von Sternen, die an dem klaren Himmel glänzten.

Richard hatte sich langsam wieder erholt, Schwindelmann war bei ihm geblieben, hatte ihm seine Jacke aufgeknöpft und kaltes Wasser in das Gesicht gespritzt. – »Ist sie fort?« fragte er, als er die Augen aufschlug; »aber nicht wahr, Schwindelmann, sie lebt noch?«

Der Theaterdiener nickte mit dem Kopfe und dazu zuckten seine Augenlider. Seine alten Augen waren es seit lange nicht mehr gewohnt, von Thränen angefeuchtet zu werden. – »Ja,« antwortete er, »sie lebt noch; aber sage mir Richard, –«

»Was denn?«

»Aber weißt du, Richard, du mußt dich nicht scheuen, es uns zu gestehen, – nicht wahr, die Marie war dein Schatz?«

»Sie war es,« sagte der junge Zimmermann mit bebenden Lippen, »und sollte sie sterben, dann bleibt sie es auch, dann lebt sie für mich fort; sollte sie aber wieder frisch und gesund werden und leben bleiben, dann ist sie für mich gestorben.« –

»Amen!« sagte der Theaterdiener mit unsicherer Stimme.

Darauf stiegen Beide langsam die Treppe hinaus, die zur Bühne führt, und nach all' dem, was vorgefallen, war es unheimlich still unter dem Podium.

 


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