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73. Johann Christian Blaffer und Compagnie

Seit dem Abgange des Herrn Beil hatte sich der Chef der Firma Johann Christian Blaffer und Compagnie keinen neuen Commis mehr angeschafft. August, der Lehrling, wurde an dessen Stelle befördert, ohne durch diese Beförderung das Geringste zu profitiren, im Gegentheil hatte er mehr zu arbeiten; denn seine bisherigen Geschäfte, das Einpacken und auch wohl das Austragen der Pakete sollte er nach wie vor noch nebenbei besorgen, und eine Folge davon war, daß jetzt gar nichts mehr geschah, wie es hätte geschehen sollen.

Herr Blaffer schien sich überhaupt mit den beiden Geschwistern etwas verrechnet zu haben; so auch, was August's Schwester anbelangt. Hier hatte er das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden wollen, und dem Mädchen eines Tags auf die süßeste Art vorgeschlagen, sie möge einen Versuch machen, ihm in den Geschäften des Comptoirs zu helfen. »Das wäre für mich doch wohl angenehm,« hatte er gesagt, »denn du würdest an dem Tische im Nebenzimmer arbeiten, ich käme zuweilen herein, sähe nach dir und erfreute mich an deinem Fleiß und deinem lieben Gesichte.« – Der Prinzipal hatte dabei gehofft, das kluge Mädchen würde alsdann bald die Geschäfte erlernen und ihm dadurch für beständig ein Commis entbehrlich werden. Er hatte sich aber, wie gesagt, auch hierin wie in vielem Anderen gewaltig verrechnet.

Den Tag nach jener denkwürdigen Nacht, in welcher Herr Beil das Haus verlassen, war Marie auf ihrem Zimmer geblieben und hatte lange Stunden, in tiefe Gedanken versunken, auf einem Stuhle gesessen. Es mußten mitunter schreckliche Gedanken gewesen sein, die sie beschäftigt, denn zuweilen griff sie in ihr dichtes Haar oder ließ den Kopf in beide Hände sinken, um eine Zeitlang bitterlich zu weinen. Ja, ein paar Mal nahm sie hastig ihr Tuch und ihren Hut, um das Haus zu verlassen. Vielleicht wollte sie dem dunklen Wege folgen, den ihr Herr Beil vorgezeichnet; aber dann blieb sie schaudernd stehen und sagte: »Nein, nein, ich kann nicht; mir fehlt der Muth, und das Leben ist doch so schön!« Mit dem letzteren Gedanken schien sie sich dann auch schon im Laufe des Tages und Abends mehr zu befreunden; sie erhob sich langsam aus ihrem Nachdenken, sie athmete tief auf, fuhr dann mit der Hand über die Augen und lächelte schmerzlich. Aber sie lächelte doch. Ja, noch ehe es Abend wurde, vermochte sie es über sich, einen flüchtigen Blick in den Spiegel zu werfen, und darauf fing sie an, ihr Haar zu ordnen und eine einfache aber hübsche Toilette zu machen.

Herr Blaffer hatte es wohl im Laufe des Tags einige Mal gewagt, an ihre Thüre zu klopfen, auch dieselbe sogar zu öffnen, doch hatte sie sich alsdann mit einem solchen Ausdruck des Hasses oder vielmehr des Zornes erhoben, daß er, der Tyrann, schüchtern zurückgetreten war und erst Abends es wieder wagte, sich ihr zu nähern; das heißt, der alte Buchhändler ließ sich so weit herab, August hinaufzuschicken und bei der Schwester anfragen zu lassen, ob sie zum Nachtessen herabkommen wolle, oder ob sie wünsche, daß man bei ihr droben erscheine. August hatte kopfschüttelnd diese Botschaft und einigermaßen zaghaft die Antwort des Mädchens hinterbracht, welche dahin lautete, Herr Blaffer möge machen, was er wolle, nur solle er sie in Ruhe und auf ihrem Zimmer lassen. Und er, der hierauf einen Zornausbruch des Prinzipals gefürchtet, sah zu seinem Erstaunen, daß er sich getäuscht hatte. Freilich war über die Stirn des Herrn Blaffer eine Wolke gefahren und er hatte mit den Achseln gezuckt; doch war darauf das Unerhörte geschehen, daß er seinem Lehrling einen Gulden schenkte, ihm die Erlaubniß gab, damit in's Wirthshaus zu gehen und, was noch nie geschehen war, sogar die Freiheit ertheilte, nach zehn Uhr vermittelst Hausschlüssels nach Hause kommen zu dürfen. Der Lehrling hatte hiervon einen umfassenden Gebrauch gemacht und seine Dachkammer aufgesucht, nachdem von dem Gulden nichts mehr übrig war und der Nachtwächter die zwölfte Stunde abgerufen.

Am andern Morgen war er etwas zaghaft beim Frühstück erschienen, weil er fürchtete, für seine nächtlichen Ausschweifungen derb ausgescholten zu werden. Auch hatte ihn Herr Blaffer mit finsterem Stirnrunzeln empfangen und schon angefangen, ein ernstes Wort zu sprechen, als sich Marie, die wieder erschienen war, dergleichen auf's Bestimmteste verbat, indem sie sagte, ihr Bruder sei kein Kind mehr und einem jungen Menschen in seinem Alter könne man es nicht übel nehmen, wenn er zuweilen etwas lange ausbleibe. Darauf hatte Herr Blaffer geschwiegen, zum grenzenlosen Erstaunen August's; ja, der Prinzipal hatte sogar gelächelt, als das Mädchen hinzusetzte, bei den alten Leuten sei ja keine Tugend zu finden, was man denn eigentlich von den jungen erwarten wolle.

Daß sich in dem Getriebe des Hauses überhaupt Vieles von Tag zu Tag veränderte, sah der Lehrling wohl, doch hatte er glücklicherweise nicht Verstand genug, um die Kraft zu entdecken, welche hier im Geheimen wirkte. Er dachte auch weiter darüber nicht nach, da das Resultat für ihn so angenehm war. Herr Blaffer behandelte ihn besser, ja, er setzte ihm sogar, obgleich mit sichtlichem Widerstreben, ein kleines Taschengeld aus; Marie sorgte für seine Garderobe und als der Herr Blaffer bei einer vorgelegten Rechnung die Hände über dem Kopfe zusammenschlug, schlug das Mädchen dem würdigen Prinzipal die Thüre vor der Nase zu und meinte, wegen solcher Kleinigkeiten habe sie keine Lust, dessen verdrießliche Gesichter anzusehen.

Da nun August sah, daß er unter dem mächtigen Schutze seiner Schwester stehe, so überarbeitete er sich auch durchaus nicht, sondern vertrödelte seine Zeit, so gut es eben gehen mochte. Und wenn die Geschäfte des Hauses Johann Christian Blaffer und Compagnie nicht total vernachlässigt werden sollten, so mußte sich der Prinzipal entschließen, Abends noch eine Stunde zuzugeben, was er denn auch seufzend that.

Das Alles war freilich nicht das Resultat eines Tages oder einer Woche, aber ein paar Monate hatten hingereicht, aus dem Alleinherrscher Blaffer, aus dem Sklavenhändler, wie ihn Herr Beil genannt, der unerbittlich seine Peitsche schwang, selbst einen demüthigen Sklaven zu machen, der schwieg und sich duckte, sobald das trotzige, energische, schöne Mädchen fest gegen ihn auftrat.

Hätte der ehemalige Commis nur hie und da eine Stunde unsichtbar auf dem Comptoir zubringen können, er würde sich vollkommen gerächt gefühlt haben. Marie und ihr Bruder, der Lehrling mit dem blödsinnigen Lächeln, wie er ihn bezeichnet, die Beiden herrschten in dem Hause und Herr Blaffer duldete und schwieg.

Doch schien er sich anfänglich in dieser Sklaverei glücklich zu fühlen, und wenn das junge Mädchen einen kostspieligen Wunsch aussprach, so sträubte er sich mit verhaltenem Lächeln dagegen, und es schien ihm Spaß zu machen, wenn sie nun den Kopf in die Höhe warf, mit dem Fuße auftrat und zornig das Zimmer verließ; dann eilte er ihr nach, billigte gern, was sie verlangt, und begab sich händereibend an seine Arbeit. Auf einmal aber schien dieses stille Vergnügen des Herrn Blaffer gänzlich verschwunden zu sein; er wurde nachdenklich, bald starrte er stundenlang auf seine Arbeit, ohne die Feder zu bewegen, in tiefes Nachsinnen versunken, bald wieder hatte er keinen Augenblick Ruhe und verließ häufig sein Pult, um durch das Haus zu gehen, zu irgend einem Fenster hinaus zu schauen und heimlich an Marien's Thüre zu lauschen und durch das Schlüsselloch ins Innere zu sehen. Es mußte ihn etwas außerordentlich Unangenehmes in Bewegung setzen, die früheren finsteren Gedanken traten wieder hervor, und er versuchte abermals, sich in allerlei Gehässigkeiten gegen den Lehrling und selbst gegen Marie Luft zu machen; es mußte etwas vorgefallen sein, das ihn seine eigene Schwäche verwünschen ließ; er versuchte es, den Prinzipal von ehedem wieder zu spielen. Aber die Zügel waren seiner Hand entschlüpft und er sah mit Schrecken ein, daß er alles Terrain verloren. August gab ihm trotzige Antworten oder lachte ihn aus und das Mädchen zuckte verächtlich die Achsel. Suchte Herr Blaffer nun den Streit mit ihr weiter fortzusetzen, so nahm sie ruhig ihren Hut und Shawl und verließ das Haus, um erst spät Abends zurückzukehren, worauf dann Herr Blaffer wie ein Besessener durch alle Zimmer rannte, auch wohl schrie und tobte, um sie bei ihrer Zurückkunft dann freundlicher als je zu empfangen.

Daß er bei diesen Gemüthszuständen körperlich nicht gedeihen konnte, war wohl natürlich; magerer als er war, konnte er füglich nicht wohl werden, doch fiel sein Gesicht mehr und mehr ein, seine Augen verloren allen Glanz, seine Gestalt knickte förmlich zusammen, sein Gang wurde noch schwankender und schlürfender, kurz, er war nur noch der Schatten des ehemaligen Blaffer.

Vielleicht brauchen wir dem geneigten Leser nicht zu sagen, daß es die Eifersucht war, welche den Buchhändler auf so traurige Art verändert hatte, ja, die glühendste, wildeste Eifersucht, und eine Eifersucht, die gewiß nicht ohne Grund war, aber deren Gegenstand zu ergründen ihm nicht gelingen wollte. Er fühlte es wohl, daß sie ihn betrogen, daß sie ihn nicht liebte und ihn nie geliebt. Hatte sie sich doch stets sichtbar bezwingen müssen, ihren Abscheu vor ihm zu verbergen, hatte ihn doch immer die Kälte ihres Herzens zurückgeschreckt. Ach! und worum er fast zu ihren Füßen gebettelt, wofür er so viel geopfert, das gab sie vielleicht einem Anderen aus vollem warmem Herzen, freiwillig, mit überströmendem Gefühl. Wie glühend mußte dies Mädchen lieben können! Wie selig mußte der sein, dem sie bereitwillig ihre Arme öffnete, den sie heiß an die Brust drückte! – Und es lebte Jemand, dem ein weicher, duftiger Nachtwind die Früchte neckend zuwarf, nach denen er sich mühsam emporstreckte. Ja, das fühlte er, und dabei drückte er krampfhaft seine Hände zusammen, knirschte mit den Zähnen und war unsäglich unglücklich. Am Tage ließ es ihm bei seinen Arbeiten keine Ruhe, Nachts schreckte es ihn aus seinen Träumen auf; ihm ahnte wohl, daß in seinem Hause irgend Jemand ungehindert aus- und einging, aber es war wie ein Gespenst, unsichtbar, nicht zu fassen. Zuweilen glaubte er eine Thüre knarren zu hören, ja ein leises Gelächter zu vernehmen, aber wenn er angstvoll emporlauschte, so war Alles wieder still, und einzig und allein machte sich der Wind bemerkbar, der durch den Schornstein heulte. Vergebens hatte er dem Bruder geschmeichelt; entweder wußte dieser nichts von dem Treiben der Schwester, oder war er schlau genug, nichts zu verrathen. Wenigstens halfen weder Geschenke noch Versprechungen bei ihm.

Herr Blaffer hätte das Mädchen fortschicken können, aber dazu fehlte ihm die Kraft, er konnte nicht ohne sie leben. Endlich, nach langem Nachsinnen, entschloß er sich, seine Buchhandlung um eine runde Summe zu verkaufen, mit Marie die Stadt zu verlassen und irgendwo an einem stillen Orte mit ihr zu leben. Er hätte sie alsdann geheirathet, wenn sie gewollt; doch hatte sie schon einige Mal seine Hand ausgeschlagen, und das war es, was ihm den ersten Argwohn gegen sie eingeflößt hatte. Herr Blaffer aber hoffte von der Zukunft, und da ihm mit einem Male in Betreff seiner Buchhandlung gute Anträge gemacht wurden, so nahm er sie an, bedingte baare Zahlung und verlangte von dem neuen Eigenthümer, er solle für sehr geringen Gehalt einen Gehilfen annehmen, den ihm Herr Blaffer empfehlen werde. Auf solche Weise hoffte er sich August's zu entledigen.

Um die Unterhandlungen zu beschleunigen und den Verkauf abzuschließen, hatte der Prinzipal das Haus verlassen und August befand sich allein auf dem Comptoir. Er saß an seinem Pulte und machte sich das unschuldige Vergnügen, einzelne Buchstaben einer Buchhändler-Zeitung, welche vor ihm lag, gehörig mit Speichel zu durchnässen und dann nach einem starken Druck mit dem Daumen wegzunehmen. Diese klebte er alsdann an einer andern unpassenden Stelle wieder auf und brachte so die sonderbarsten Worte zu Tage – ein Spiel, welches ihm Herr Blaffer oft verwiesen, denn der Prinzipal stutzte jedesmal und ärgerte sich, wenn er eine so präparirte Zeitung in die Hand bekam und nun selbst gezwungen war, alle möglichen Konfusionen abzulesen. August hatte eben den Satz, der Buchhandel sei ungewöhnlich flau in einem Aufsatz aus der Feder des Herrn Blaffer dahin abgeändert, daß der Buchhandel ungewöhnlich faul sei, als es an der Thüre klopfte. Er rief sehr laut und deutlich: Herein! – Die Schüchternheit, mit der er das früher gethan, hatte er sich schon lange abgewöhnt.

Es trat ein Mann in das Zimmer, den der Lehrling noch nie gesehen – eine große, stämmige Gestalt mit einem breiten, etwas aufgeschwollenen Gesichte, welches durch freundliches Lächeln gutmüthig aussehen sollte, eigentlich aber schlau und energisch erschien; dichtes, röthliches, empor gestrichenes Haar bedeckte seinen Kopf. Der Eingetretene war einfach aber anständig gekleidet; er hatte einen dunklen Ueberrock an, einen runden Hut auf dem Kopfe und einen gewichtigen Stock in der Hand. – »Verzeihen Sie,« sagte er, »wenn ich Sie in Ihren Arbeiten störe, aber ich möchte gern mit dem Gehilfen des Herrn Blaffer einige Worte im Geheimen sprechen.«

August schwang sich von dem Comptoirstuhle herab und stellte sich als erster Gehilfe der Handlung vor.

»Das ist wohl möglich und Sie sehen allerdings so aus,« meinte der Fremde, »aber da mein Auftrag an eben diesen Gehilfen von besonderer Wichtigkeit ist, so verzeihen Sie mir, daß ich mich vorher überzeuge, ob Sie auch der rechte sind.«

»Wenn das beliebt,« entgegnete August einigermaßen gekränkt, »so müssen Sie warten, bis Herr Blaffer nach Hause kommt, damit er Bürgschaft für mich stellt. – Im Uebrigen,« setzte er etwas hochmüthig hinzu, »habe ich Sie ja gar nicht gerufen und ich bin auch nicht zu Ihnen gekommen, sondern Sie zu mir.«

»Na, na,« machte lächelnd der Fremde, »wir können uns leicht verständigen. Bitte, seien Sie so gütig und nennen Sie mir den Namen des besten Freundes, den Sie je gehabt.«

Der Lehrling schaute den Andern verwundert an, doch erinnerte er sich augenblicklich seines ehemaligen Vorgesetzten und rief mit Lebhaftigkeit: »Ach! mein einziger und bester Freund ist Herr Beil. Bringen Sie mir Nachricht von ihm?«

»Herr Beil – ganz recht!« erwiderte der Fremde. Direkte Nachrichten bringe ich gerade nicht.«

»Und wo ist Herr Beil? Ist er in der Stadt? – Gewiß nicht, denn sonst hätte er mich aufgesucht.«

»Daran zweifle ich nicht,« sagte der Andere, »und deßhalb ist Ihre Vermuthung die richtige; Herr Beil ist nicht in der Stadt, aber er läßt Sie durch mich freundlich grüßen.«

»Wie mich das freut!« rief August. »In der That, recht sehr freut es mich. Ach! mein lieber Herr Beil! Es geht ihm hoffentlich gut?«

»Vortrefflich; und er wünscht das Gleiche von Ihnen zu erfahren.«

»Ich habe seine Stelle angetreten,« entgegnete der Lehrling, indem er sich in die Brust warf, »ja, ich führe eigentlich das ganze Geschäft, da der Herr Blaffer häufig abwesend ist.«

»Das kann ich mir denken,« sprach der fremde Mann mit einem lächelnden Gesichtsausdruck. »Herr Beil hat auch nie daran gezweifelt, und wenn ich ihm das bestätige, so wird's ihn freuen. – Aber wenn Sie erlauben, sage ich Ihnen nun den Auftrag, den ich an Sie habe. Darf ich vielleicht bitten, mit mir in's Nebenzimmer zu treten? Mein Auftrag ist ziemlich geheimnißvoll und ich möchte nicht, daß man mich vom Gange aus hörte.«

»O, unbesorgt,« entgegnete August, der sehr geschmeichelt war, einen geheimen Auftrag zu vernehmen; »es wird uns Niemand hier belauschen. Aber wenn es Ihnen gefällig ist, so gehen wir in's Nebenzimmer!«

»Ich bitte darum.«

Damit traten die Beiden in das Arbeitszimmer des Herrn Blaffer; der fremde Mann betrachtete es, indem er sich auf seinen Stock stützte und sagte: »Sie haben hier eine vortreffliche Comptoirgelegenheit. Dies ist wohl das Arbeitszimmer des Herrn Prinzipals? – Sehr geschickt, sehr geschickt. Ja, diese Herren verstehen sich ihr Leben einzurichten. – Die Thüre dort« – er zeigte auf eine andere, als durch welche sie eingetreten waren – »führt wohl in die Wohnzimmer? – Sehr geschickt, sehr geschickt!«

»Nein,« erwiderte August, »diese führt auf die Treppe und zu einer Hinterthüre, durch welche man in den Hof geht.«

»Ah!« machte der Fremde und streichelte sein Kinn mit der Hand. »Aber jetzt meinen Auftrag! Herr Beil wohnte mit Ihnen längere Zeit zusammen in diesem Hause, oben unter dem Dach; Herr Beil verließ dies Haus in einer stürmischen Nacht mit etwas verwirrtem Kopfe.«

»Ach ja, das ist wahr.«

»Sehen Sie, wie genau ich unterrichtet bin! Er verließ also das Haus eilig und vergaß, etwas mitzunehmen.«

»Davon hat er mir nichts gesagt.«

»Natürlicherweise; da er es vergaß, konnte er Ihnen nichts davon sagen. Aber jetzt werden Sie es von mir hören. Herr Beil ließ nämlich unter dem Dache in einem Winkel, den er mir genau bezeichnet, eine Börse mit Geld liegen.«

»Eine Börse mit Geld? – Das hätte ich nimmermehr vermuthet!«

»Ganz gewiß, es waren langjährige Ersparnisse. Mich hat er nun ersucht, diese Börse für ihn zu holen. Er wäre selbst gekommen, aber erstens ist er nicht in der Stadt und zweitens, wie Sie am besten wissen, würden ihm die unangenehmen Verhältnisse zu seinem bisherigen Prinzipal einen solchen Besuch etwas peinlich machen. – Sie haben mich doch vollkommen verstanden?«

Nach dem verblüfften Gesichtsausdruck des Lehrlings zu schließen, schien dies nicht der Fall zu sein. Er schaute den Fremden mit aufgesperrtem Munde an und sein Kopf schien sich mit dem Gedanken, Herr Beil habe hier Geld zurückgelassen, nicht recht befreunden zu können. Aber der Fremde behauptete es, wollte ihm das Faktum beweisen und so mußte er am Ende wohl glauben.

»Haben Sie einen Augenblick Zeit, mit mir in die Dachkammer zu steigen?« sagte dieser nach einer Pause. »Das heißt, wenn es im jetzigen Augenblick angeht. Ich möchte aber nicht gerne dem Herrn Blaffer begegnen: Sie verstehen mich wohl. Er stand mit seinem Commis nicht gut und da könnte auch ich schief angesehen werden.«

»Unbesorgt!« erwiderte August. »Herr Blaffer hat Geschäfte; er kommt schwerlich vor Mittag nach Hause.« Der Lehrling war sicher, daß dem so sei, denn auch Marie hatte unter einem Vorwand das Haus verlassen und er wußte bestimmt, daß der würdige Prinzipal in solchen Fällen nicht früher heimkehrte. Das Mädchen aber kam, einmal ausgegangen, selten vor Essenszeit zurück.

»Wenn es Ihnen also gefällig ist,« meinte der fremde Mann mit einer vornehm sein sollenden Verbeugung, die August imponiren sollte und auch ihren Zweck nicht verfehlte, »so wollen wir hinaufgehen!«

»Gehen wir!«

»Apropos, junger Herr,« sagte der Andere unter der Thüre mit einem väterlichen Tone, »nehmen Sie es mir nicht übel, doch Sie sind ein wenig unvorsichtig; Sie lassen da die Kasse offenstehen. O, in jetziger Zeit muß man vorsichtig sein.« Er drückte sanft die Augen zu, schmatzte dabei leicht mit den Lippen und zeigte auf einen eisernen Kasten in der Ecke, der früher freilich zum Kassenbehälter gedient hatte, jetzt aber zum Papierkorb heruntergekommen war.

»Darin können sich Diebe amüsiren,« antwortete der Lehrling lachend, indem er die Thüre des Comptoirs hinter sich zuzog. »O, Herr Blaffer ist viel zu ängstlich, als daß er seine Gelder hier unten im Hause, wo Niemand schläft, aufbewahrt. Die Kasse hat er im Schlafzimmer hinter seinem Bette stehen.«

Der Fremde blieb bei diesen Worten stehen, legte die Hände auf seinen Stock und sagte mit Salbung: »Herr Blaffer ist ein kluger Mann – ein würdiger Mann, das kann ich Sie versichern. Aber steigen wir hinauf, meine Zeit ist etwas gemessen.«

Beide betraten nun die Treppen und der Fremde schien sich in das Haus des Herrn Blaffer gänzlich verliebt zu haben. »Das ist ein schönes Gebäude, eine behagliche Wohnung,« sprach er einmal um's andere Mal. »Alles ist so zweckmäßig eingerichtet – vortrefflich. – Da ist die Küche, natürlich da geht es auf die Straße, hier Comptoir und Nebenzimmer, rechts wahrscheinlich Büchermagazine – habe ich's errathen, junger Herr?«

»So ist's; es sind das zwei große Zimmer – das Lager der Handlung.«

»Freut mich, daß ich das errathen. Doch jetzt will ich Ihnen einmal einen Begriff davon geben, wie ich die Neigungen Ihres würdigen Prinzipals verstehe. Er liebt die Ruhe – namentlich bei Nacht – das Büchermagazin geht wahrscheinlich auf den Hof hinaus, und über demselben, um durch nichts im Schlafe oder in seinen Betrachtungen gestört zu werden, befindet sich das Schlafzimmer des Herrn Blaffer. – He?«

»Darin haben Sie Recht,« versetzte August halb und halb verwundert. Und da sie nun auf dem ersten Stock angekommen waren, so zeigte er auf eine Thüre und sagte: »Dort ist das Schlafzimmer. Wollen Sie einen Blick hinein werfen?«

»O, ich bin nicht so unbescheiden. Gehen wir lieber hinauf in die bewußte Dachkammer. Ich versichere Sie, werthgeschätzter junger Herr, meine Zeit ist mir heute kostbar.«

Hierauf gingen sie weiter und erreichten die Wohnung des Herrn Beil.

»Ja, das ist das Zimmer!« rief der Fremde aus, »wie er es mir beschrieben. Ach, mein guter Herr Beil! Also hier wohnte er? Das könnte mich ganz traurig machen, wenn ich nicht die Hoffnung hätte, ihn in ein paar Tagen wiederzusehen.«

»Ach, das möchte ich auch,« sagte August. »Nicht wahr, Sie werden mir seine Adresse geben?«

»Mit dem größten Vergnügen würde ich es thun, aber das hat er mir ausdrücklich verboten. Gewisse Umstände nöthigen ihn dazu, doch wird er Ihnen nächstens schreiben. – Sie können sich fest darauf verlassen! Doch jetzt bleiben Sie an der Thüre stehen und geben genau Achtung; Sie werden sehen, wie schnell ich das Versteckte finde.«

Darauf war nun August sehr begierig, denn er setzte einigen Zweifel in das zurückgelassene Vermögen seines Freundes; er war daher nicht wenig erstaunt, als sich der Fremde, nachdem er kurze Zeit hinter einer Vertäfelung der Dachfenster herum gegriffen, nun plötzlich herumwandte und triumphirend einen kleinen Beutel in die Höhe hielt. Er schüttelte den Inhalt in die Hand, und vor des Lehrlings erstaunten Augen funkelte ein kleiner Haufen Dukaten.

»Ich hätte nimmer geglaubt,« sagte dieser, »daß Herr Beil solche Schätze besitze. Er sprach mir immer von seiner Armuth und wie er ohne alle Hilfe in die Welt hinaus gehe.«

»Unerklärlich,« murmelte der Fremde; »aber da das Gold einmal da ist, so läßt es sich nicht wegleugnen. Mein Auftrag ist erfüllt, und wenn ich Ihnen herzlich für Ihre Gefälligkeit danke, so wage ich ganz schüchtern, einen Wunsch des Herrn Beil auszusprechen. Die Verhältnisse desselben haben sich gebessert, auf das Ueberraschendste gestaltet, und er bittet Sie durch mich, die Hälfte dieser Summe als einen Beweis seiner Freundschaft annehmen zu wollen.«

»O nein, nein!« rief August, während er begierig auf das Gold schaute, »das ist ja eine große Summe, wie kann ich so etwas annehmen! Und durch Sie, mein Herr, einen Fremden, den ich gar nicht kenne! Wenn er selbst da wäre, so wäre es etwas ganz Anderes.«

»Herr Beil kennt Ihr Zartgefühl und hatte diesen Fall vorgesehen, doch sagte er: ›Herr Brander‹ – ich heiße Brander – ›bitten Sie meinen lieben August dringend darum, er möge mir die Freundschaft erzeigen, und diese Kleinigkeit – Kleinigkeit in meinen jetzigen Verhältnissen – mit mir theilen. Will er mir danken, so werde ich ihm Gelegenheit geben, dies in den nächsten Tagen persönlich gegen mich thun zu können.‹«

»So kommt er hierher?« rief höchlich erfreut der Lehrling.

»Er kommt,« sprach gerührt Herr Brander.

»Bald?«

»Sehr bald; – jetzt, da ich Ihre aufrichtige Freude sehe, Ihr Entzücken, den vermißten Freund wieder zu umarmen, darf ich es Ihnen anvertrauen. Herr Beil ist in der Stadt und wartet nur auf einen günstigen Augenblick, um Sie an sein Herz zu drücken.«

»Sprechen Sie! sprechen Sie!« rief August. »Herr Beil ist in der Stadt?«

Der Fremde fuhr sich gerührt mit der Hand über die Augen, dann blickte er den jungen Mann einen Augenblick mit großer Wärme an und entgegnete: »Ja, Herr Beil ist in der Stadt, und vielleicht morgen schon wird es Ihnen vergönnt sein, ihn zu sehen.«

»So käme ich zu ihm?«

»Das verbieten ihm seine Verhältnisse. Aber er kommt zu Ihnen – hieher. Nur möchte er um Alles in der Welt dem Herrn Blaffer nicht begegnen. Aber da es ihn sehr drängt, Sie wiederzusehen und auch seine ehemalige Behausung, so erbittet er sich einen Rath, wie das anzufangen sei.«

»Nichts einfacher als das!« rief August erfreut; »ich öffne ihm Abends die Hausthüre, die Herr Blaffer sorgfältig verriegelt. Er kennt ja den Weg hier herauf ganz genau, er wird ihn im Dunklen finden.«

Herr Brander schien sich einige Thränen der Rührung aus den Augen zu wischen; ja sein Gefühl überwältigte ihn und er drückte den Lehrling sanft an sein Herz. »Bei Gott!« sprach er, »mein Freund, Herr Beil, hat sich nicht getäuscht. Sie sind ihm zugethan, wie ehedem. Aber er wußte das und zweifelte nicht daran. Sagte er mir doch: ›Alle meine Ersparnisse hier in diesem Beutel waren für August bestimmt – für August, den ich schätze und liebe. Geben Sie ihm,‹ bat er mich dringend, ›nicht die Hälfte, nein, das Ganze, wenn er sich seines ehemaligen Gefährten warm und aufrichtig erinnert.‹ Keine Worte weiter, keine falsche Scham! Nehmen Sie, junger edler Mann, ich schwöre Ihnen, daß ich dieses Gold nie mehr anrühren werde.«

Bei diesen Worten drückte er dem Lehrling die kleine Börse mit solcher Energie in die Hand und schritt dabei so hastig der Treppe zu, daß August einsah, es sei überflüssige Mühe, hier noch länger zu widerstreben. Er folge also dem Herrn Brander, der mit seinem Gefühl nun absichtlich das Gespräch auf einen anderen Gegenstand brachte, und abermals die zweckmäßige Bauart des Hauses bewunderte.

»Vortrefflich!« sagte er; »und sämmtliche Zimmer hier im ersten Stock gehen wohl durcheinander?«

»Verzeihen Sie,« entgegnete August; »die zwei Zimmer, welche Herr Blaffer bewohnt, haben ihren eigenen Ausgang, ebenso die meiner Schwester.«

»Also Herr Blaffer wohnt nach der Straße,« versetzte der Fremde in einem leicht begreiflichen Irrthum, den aber August alsbald berichtigte, indem er die Thüre zum Schlafzimmer des Prinzipals öffnete, um zu zeigen, wie er früher schon gesagt, daß die Fenster auf den Hof gingen; worauf Herr Brander einen einzigen Blick in das Schlafzimmer warf und dann in's untere Stockwerk hinabstieg.

An der Hausthüre angekommen, schüttelte er dem jungen Manne herzlich die Hand und ging auf die Straße. Doch kehrte er gleich darauf wieder zurück und sagte: »Apropos! fast hätten wir vergessen, ein Zeichen abzureden, wenn Sie Herrn Beil erwarten dürfen. Wie machen wir das gleich? – Richtig, sehen Sie hier neben dem Hause die Gaslaterne; ihr Licht brennt doch jeden Abend?«

»Jeden Abend, sobald es dunkel wird, zündet man sie an.«

»Schön, schön! Betrachten Sie sich also die Laterne. Brennt in ihr das Licht wie gewöhnlich, so ist nichts zu erwarten, bemerken Sie aber, daß es ausgelöscht ist, so kommt Herr Beil. – Haben Sie mich verstanden?«

»Vollkommen! Dann öffne ich langsam die Hausthüre.«

»Und ziehen sich in Ihr Zimmer zurück. Sie werden mich verstehen: die Freude des Wiedersehens auf der Treppe könnte einigen Spektakel verursachen und den Herrn Blaffer beunruhigen.«

»Verlassen Sie sich ganz auf mich.«

»Das werde ich, vortrefflicher junger Mann,« sagte Herr Brander, worauf er das Haus eilig verließ und dicht an den Häusern vorbei die Straße hinab schritt.

August kehrte in das Comptoir zurück und überzählte dort seinen Schatz – die Ersparnisse des guten Herrn Beil.

 


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