Jeremias Gotthelf
Wie Uli der Knecht glücklich wird
Jeremias Gotthelf

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«Aber Base,» sagte Vreneli, «wie könnt Ihr auch so reden? Ihr seid ja meine Mutter gewesen, für eine solche habe ich Euch immer gehalten, und wenn ich für Euch durchs Feuer sollte, ich besänne mich keinen Augenblick. Aber so einem Schnürfli, der mich nicht begehrt, lasse ich mich nicht anhängen. Wenn ich denn endlich einen haben muß, so will ich doch einen, der mich lieb hat und mich meinetwegen nimmt und nicht mitsamt den andern Kühen mich zum Lehen begehrt.» «Wie kannst du auch so reden?» sagte die Base, «hast du nicht gehört, daß er gesagt hat, er habe dich schon lange lieb gehabt?» «Ja,» sagte Vreneli, «das sagen sie alle, Einer wie der Andere; wenn man aber an dieser Lüge ersticken müßte, es würde wenige Hochzeit geben. Er wird auch nicht besser sein als die Andern; wenn Ihr nicht zuerst vom Hof angefangen hättet, Ihr hättet dann sehen können. Und es ist auch nicht recht von Euch gewesen, mir nichts von allem zu sagen und mich da so ungesinnet ihm darzuwerfen wie einer Sau einen Tannzapfen. Wenn Ihr mir zuerst ein Wort gegönnt hättet, so hätte ich es Euch sagen können, was Trumpf ist bei Uli. Er sagt auch: Geld, du bist mir lieb, und dann soll eine verstehen: Gäll, du bist mir lieb!» «Du bist ein wunderlich Gret,» sagte die Base, «und tust ärger, als wenn du die vornehmste Herrentochter wärest.» «Eben, Base, weil ich nichts bin als ein Meitschi, so steht es mir wohl an, vornehm zu tun und mich da nicht so vorwerfen zu lassen. Ich glaube, ich habe ein größer Recht dazu als manche vornehme Tochter, sei es dann meinethalb eine Herren- oder eine Baurentochter.» «Aber Vreneli,» sagte Uli, «was vermag ich mich dessen, und soll ich es jetzt entgelten? Du weißt im Herzen wohl, daß ich dich lieb habe, und ich habe so wenig von dem gewußt, was die Base im Sinne hatte, als du. Es ist daher nicht recht, daß du es an mir auslassest.» «Ach,» sagte Vreneli, «erst jetzt merke ich, daß das Ganze eine abgeredete Sache war; du würdest dich sonst nicht versprechen, ehe ich dich angeklagt. Das ist erst recht wüst und ich will von der ganzen Sache nichts mehr hören, ich lasse mich nicht so hineinsprengen, wie man die Fische ins Garn sprengt.»

Damit wollte Vreneli wieder auf und fort, aber die Base hielt es fest am Kittel und sagte ihm: Es sei das wüstest und mißtreust Mönsch, wo an der Sonne herumlaufe. Seit wann sie hinter seinem Rücken unter dem Hütli spiele? Das sei wahr, wegen dieser Sache habe sie zum Vetter begehrt und dessetwegen habe sie Beide mitgenommen. Aber was sie im Sinn gehabt, habe niemand gewußt, nicht einmal Joggeli, geschweige denn Uli. Sie habe dem Vetter den Auftrag gegeben, dem Uli die Würme aus der Nase zu ziehen, und es sei wahr, der habe Vreneli grusam gerühmt, so daß der Vetter ihr gesagt, Uli nähme Vreneli lieber heute als morgen, aber er dürfe ihm nichts sagen, er fürchte, es halte ihm ds Elisi vor. Daraufhin habe sie gedacht, sie wolle reden, wenn Uli nicht dürfe, denn daß ihm Uli nicht anständig sei, das überrede sie niemand, sie habe ihre Augen noch nicht am Rücken. Er vermöge sich also dessen nichts. «Aber warum kömmt er denn heute in die Stube, wo ich einpacke,» fragte Vreneli, «und will mir ein Müntschi geben? Das hat er noch nie getan.»

«He,» sagte Uli, «ich will es dir grad sagen. Als ich heute mit dem Meister geredet hatte, da bliebest du mir im Sinn mehr als je, und ich dachte, ich wollte geben, was ich hätte, wenn ich wüßte, ob du mich lieb hättest und mich nehmen würdest. Vom Lehen wußte ich kein Wort. Als ich dich so allein antraf, da übernahm es mich, ich wußte nicht wie, es kam mir in den Arm fast wie ein Gsüchti, ich mußte dich anrühren, dich um ein Müntschi fragen. Anfangs glaubte ich, ich hätte eins erhalten, allein später dachte ich, es könnte doch nicht sein, du hättest mich sonst nicht so wild in die Stube hinausgeschossen; ich dachte, du hättest mich nicht gerne, und das machte mich betrübt im Herzen, und ich dachte, wenn nur Weihnacht da wäre, daß ich fort könnte, da wollte ich weit weit ins Weltschland hinein, daß nie jemand mehr etwas von mir höre. Und so ists mir noch, Vreneli; wenn du mich nicht willst, so will ich vom Lehen nichts, will fort, fort, so weit mich die Füße tragen, und kein Mensch soll erfahren, wohin ich gekommen.» Er war aufgestanden, vor Vreneli getreten, das Wasser stund ihm in den treuherzigen Augen, der Base aber rollte es die Backen ab. Da sah Vreneli zu ihm auf, die Augen wurden ihm feucht; aber um den Mund zuckte noch der Spott und der Trotz, die niedergehaltene Liebe brach auf und begann durch die Augen ihre leuchtenden Strahlen zu werfen, während das jungfräuliche Widerstreben die Lippen aufwarf als Schanze gegen das Ergeben an die männliche Zudringlichkeit. Und während die Augen Liebe leuchteten, kamen doch hinter den aufgeworfenen Lippen hervor die spottenden Worte: «Aber Uli, was sagt dann Stini, wenn du schon wieder eine Andere willst? Wird es dir nicht singen:

Er hat ein Herz wie es Tubehus:
Flügt die Eini dry, flügt die Anderi drus!»

«Aber wie magst du auch mit ihm den Narren treiben!» sagte die Base, «du siehst ja, wie es ihm Ernst ist. Wenn ich ihn wäre, ich kehrte dir das Nest und sagte dir: Blase mir, wo ich schön bin!» «Er hat dWehli, Base, und Ihr wisset nicht, ob es mir nicht recht wäre», sagte Vreneli. «Nein, es wäre dir nicht recht, Meitschi,» sagte die Base, «ich höre es dir schon an. Und Uli, wenn du nicht ein Löhl bist, so nimmst du es jetzt um den Hals; es schießt dich nicht mehr in die Stube hinaus, glaub es mir.» Indessen hätte die Base fast unrecht erhalten. Noch einmal bot das Mädchen seine Kraft auf, und Uli wäre in raschem Umschwunge bald wieder geflogen. Allein des Mädchens Kraft hielt nicht aus. Das Mädchen fiel an Ulis treue Brust und brach in lautes, fast krampfhaftes Weinen aus. Es wurde den beiden Andern, als das Schluchzen nicht aufhören wollte, fast angst dabei, sie begriffen nicht, was das sein solle. Uli tröstete, so gut er konnte, und sagte, es solle doch ja recht nicht so tun, und wenn es ihn lieber nicht wolle, so könne er ja gehen, er wolle ihns nicht plagen. Die Base balgete erst, es sei dumm getan, zu ihrer Zeit hätten die Mädchen nicht die Schloßhunde verspottet, wenn sie einen gefunden. Dann ward ihr aber auch bange, und sie sagte, sie wolle es nicht zwingen; wenn es lieber nicht wolle, so könne es ja ihretwegen machen, was es wolle. Es solle doch nur dr Gottswillen nicht so tun, die Wirtsleute könnten sonst glauben, was es wäre.

Endlich konnte ihnen Vreneli sagen, sie sollten es doch nur ruhig lassen, es wolle sich zu überwinden suchen. Es sei sein Lebtag eine arme Waise gewesen und verstoßen von Jugend auf. Es habe nie ein Vater es auf den Schoß genommen, die Mutter es nie geküßt, nie habe es seinen Kopf an irgend einem Halse verbergen können. Es hätte ihns manchmal gedünkt, gerne wollte es sterben, wenn es nur dabei jemand auf den Knien sitzen, jemand dabei um den Hals nehmen könnte; aber solange es Kind gewesen sei, habe niemand ihns lieb gehabt, nirgends hätte es sein sollen. Es könne nicht sagen, wie oft es einsam geweint. Sein Sehnen sei immer und immer darauf gegangen, irgend einmal jemand so von ganzem Herzen, ganzem Gemüte lieb haben zu können, jemand zu finden, an dessen Brust es sein Haupt in Leid und Freud legen könnte. So eine Freundin aber habe es keine gefunden. Da habe es gedacht, wenn man ihm vom Heiraten gesprochen, es wolle es nie, es sei denn, es könne so von Herzensgrund glauben, daß das die Brust sei, an die es in Leid und Freud sein Haupt legen, die ihm treu sein werde im Leben und im Sterben. Aber es habe keine gefunden, zu der es diesen Glauben hätte haben können. Uli sei ihm lieb, sei ihm schon lange lieb, mehr als es sagen wolle, aber diesen Glauben zu ihm habe es noch nicht finden können. Und wenn es diesmal getäuscht würde, wenn Uli nicht die rechte Liebe, die rechte Treue für ihns hätte, dann wäre ja sein letztes Hoffen dahin, dann würde es keine mehr finden, dann müßte es unglücklich sterben. Darum mache es ihm so angst, und sie sollten es doch jetzt dr Gottswillen ruhig lassen, damit es so recht überlegen könne, was es mache. Ach, sie wüßten es nicht, wie es einer armen Waise zumute sei, welche der Vater nie auf dem Schoße gehabt, die Mutter nie geküßt!

«Du bisch es Göhl!» sagte die Base und wischte die nassen Backen ab. «Wenn ich gewußt hätte, daß es dir nur da fehle, auf ein Müntschi mehr oder weniger wäre es mir doch gewiß nicht angekommen. Aber warum sagst du es nicht? Unsereins kann doch wahrhaftig nicht an alles sinnen.» Uli sagte, er hätte das verdienet, es geschehe ihm recht und er hätte gedenken sollen, daß es ihm so gehen werde. Aber wenn es in ihn hineinsehen könnte, so würde es sehen, wie lieb er es hätte und wie aufrichtig er es meine. Er wolle sich nicht entschuldigen, er habe schon mehrere Male ans Wyben gesinnet, aber lieb gehabt habe er Keine wie ihns. Aber er wolle es nicht zwingen, er müsse in Gottes Namen sich gefallen lassen, was sein Wille sei. «Du hörst es ja,» sagte die Base. «wie lieb er dich haben will! Komm, nimm dein Glas und mach Gesundheit mit Uli und versprich ihm, du wollest die Lehenfrau in der Glunggen werden.» Vreneli stund auf, nahm sein Glas, machte Gesundheit, aber versprach nichts, sondern bat: Man solle ihns nur heute noch ruhig lassen und nichts mehr davon sagen; morgen wolle es den Bescheid geben, wenn es sein müsse. «Du bist ein wunderliches Gret,» sagte die Base. «He nun, Uli, so spann an, sie werden daheim nicht wissen, wo wir bleiben.»

Draußen flimmerten die Sterne im dunkelblauen Grunde, weiße Nebelwölkchen schwebten über feuchten Matten, einzelne Streifen hoben neugierig an Talwänden sich auf, laue Winde wiegten das matte Laub, hie und da läutete eine auf der Weide vergessene Kuh ihrem vergeßlichen Meister, hie und da schickte ein übermütig Bürschchen sein Jauchzen weit über Berg und Tal. Die Bewegungen des Tages und des Fahrens rüttelten die Base in tiefen Schlaf, und Uli hielt mit gespannter Kraft den wild ausgreifenden Kohli in ziemlichem Laufe; Vreneli war alleine in der weiten Welt. Wie weit am fernen Himmel die Sterne schwammen in des unermeßlichen blauen Meeres schrankenlosem Raume, jeder für sich in einsamer Bahn, so fühlte es sich wieder das arme, einsame, verlassene Mädchen im großen Weltengetümmel. Wenn es fort war von Base und Vetter, wenn sie gestorben waren, so hatte es niemand mehr auf der Erde, kein Haus, wohin es sich flüchten konnte in kranken Tagen, keinen Menschen, dem es etwas klagen konnte, kein Auge, das mit ihm lachte, mit ihm weinte, keinen Menschen, der einmal weinte, wenn es sterben sollte, ja vielleicht keinen, der seinen Sarg begleitete bis zu dem engen, kalten Hause, das man ihm endlich doch gewähren mußte. Allein war es, einsam und verlassen sollte es durch das Weltgetümmel bis zu seinem einsamen Grabe auf langer Wanderung, vielleicht durch viele viele einsame Jahre, gebeugter, mut-, kraftloser von Jahr zu Jahr, ein alt, verwittert, verachtet Wesen, dem kaum jemand Herberge mehr gab, wenn auch um Gotteswillen dafür angesprochen. Neues Weh zuckte ihm im Herzen, Klagen wollten aufquellen: warum doch wohl der Vater, der gute, der die Liebe heiße, so arme Kinder leben lasse, die niemand hätten auf der Welt, die in der Kindheit verstoßen würden, in der Jugend verführt, im Alter verachtet?

Da begann es doch zu fühlen, daß es sich an Gott versündige, der ihm viel mehr gegeben als Vielen, der seine Unschuld behütet bis auf diesen Tag, es so gestaltet, so hatte werden lassen, daß ein reichlich Auskommen ihm sicher schien, wenn Gott seine Gesundheit erhielt. Es begannen ihm aufzutauchen, wie aus dem Nebel die Hügelspitzen und die Kronen der Bäume, die Liebeszeichen, die Gott augenscheinlich über sein Leben ausgestreut, wie es behütet worden hier und dort, wie es viel heiterere Tage genossen als viele viele arme Kinder und wie es auch Leute gefunden, viel bessere als andere Kinder, die, wenn sie es auch nicht wie Vater und Mutter an ihre Herzen nahmen, ihns doch auch lieb gehabt und so erzogen, daß es vor alle Leute treten durfte mit dem Gefühl, daß man ihns für einen eigentlichen Menschen ansehe. Nein, klagen durfte es nicht über den guten Vater droben, es fühlte, daß dessen Hand ob ihm gewesen. Und war seine Hand nicht noch jetzt über ihm, war sie nicht auch heute über ihm? Hatte er sich wohl über das arme, einsame Meitschi erbarmet? Hatte er den Ratschluß wohl gefaßt, weil es getreu geblieben bis dahin und von der Sünde sich unbefleckt zu erhalten gesucht, nun auch seines Herzens Sehnen zu stillen, ihm eine treue Brust zu geben, an die es sein Haupt lehnen konnte, etwas Eigenes, damit einst jemand weine bei seinem Tode, jemand es begleite auf dem trüben Wege zum schaurigen Grabe? War das wohl Uli, der getreue, vielgewandte Knecht, den es so lange schon in verschwiegenem Herzen geliebt, dem es nichts vorzuhalten wußte als seine Verirrung mit Elisi, daß er auch von dem Wahn ergriffen worden, das Geld mache glücklich, der so treu und ehrlich sein Herz dargetan und seinen Fehler bereute? War es nicht eine eigene Fügung, daß sie sich Beide getroffen gerade an diesem Orte, daß Uli nicht früher fortgekommen, daß Elisi habe heiraten müssen, daß der Base der Wunsch komme, das Gut Uli in Lehen zu geben? Hatte das alles sich nicht recht wunderbar treffen müssen, war darin nicht offenbar des Vaters gütige Hand? Sollte es wohl das Dargebotene verschmähen? War es etwas Hartes, Widerliches, das ihm zugemutet wurde? Nun rollte die Seele ihre Bilder auf, bevölkerte mit ihnen die öde Zukunft. Uli war sein Mann, es hatte Wurzel geschlagen im Leben, in der weiten Welt, sie waren der Mittelpunkt, um den ein großes Hauswesen sich ordnete, um ihren Willen kreisend. Hundertfältig gestaltete dieses Bild sich vor seinen Augen, und immer schöner, lieblicher woben dessen Farben sich durcheinander. Es wußte nicht mehr, daß es im Wägeli fuhr, es war ihm so leicht, so wohl ums Herz, als ob es bereits atme in jener Welt, wo keine Sorge, kein Leid mehr ist; da rollte das Wägelein über einen Stein. Vreneli fühlte ihn nicht, aber die Base erwachte mit langem Gähnen und fragte, mühsam sich fassend: «Eh, wo sind wir? Ich habe doch nicht geschlafen?» Da sagte Uli: «Wenn Ihr recht lueget, so seht Ihr dort unser Licht durch die Bäume.» «Herr Yses, wie habe ich doch geschlafen! Das hätte ich doch niemand geglaubt. Wenn nur Joggeli nicht balget, daß wir so spät sind.» «Es macht noch nichts,» sagte Uli, «und morgen kann der Kohli ruhen, wir brauchen ihn nicht.» «He nun,» sagte die Base, «so macht es desto minder. Aber wenn die Rosse spät heimkommen und früh fort sollen, so ist das eine Schinderei. Nehme man doch, wie es einem wäre, wenn man es einem auch so machen würde, immer laufen, immer laufen und keine Zeit zum Essen und Schlafen.» Aus allen Türen schossen diesmal mit Lichtern und Laternen die Bewohner der Glungge, als sie das herannahende Wägeli hörten, die einen ans Pferd hin, die andern zum Wägeli; selbst Joggeli gnappete herbei und sagte: «Ich habe geglaubt, ihr kommet heute nicht mehr, es hätte euch etwas gegeben.»


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