Jeremias Gotthelf
Wie Uli der Knecht glücklich wird
Jeremias Gotthelf

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Sechstes Kapitel

Wie das Hurnussen dem Uli vom Unkraut hilft

Es war schon lange die Rede davon gewesen, daß die Bursche aus Ulis Gemeinde, die Erdöpfelkofer, mit den Brönzwylerern einen Wetthurnußet abhalten sollten. Das Hurnußen ist nämlich eine Art Ballspiel, welches im Frühjahr und Herbst im Kanton Bern auf Wiesen und Äckern, wo nichts zu verderben ist, gespielt wird, an dem Knaben und Greise teilnehmen. Es ist wohl nicht bald ein Spiel, welches Kraft und Gelenkigkeit, Hand, Aug und Fuß so sehr in Anspruch nimmt als das Hurnußen. Die Spielenden teilen sich in zwei Partien, die eine hat den Hurnuß zu schlagen, die andere ihn aufzufangen. Der Hurnuß ist eine kleine Scheibe von nicht zwei Zoll im Durchmesser, in der Mitte etwas dicker als an den Rändern, welche abgerundet und zwei Linien dick sind. Derselbe wird mit schlanken Stecken von einem Sparren, der hinten auf dem Boden, vornen auf zirka zwei bis drei Fuß hohen Schwirren liegt, geschlagen, auf den er aufrecht mit Lehm angeklebt wird. Etwa zwanzig Schritte weit vor dem Sparren wird die Fronte des Raumes bezeichnet, innerhalb welchem der Hurnuß fallen oder abgetan werden muß. Dieser Raum oder dieses Ziel ist an der Fronte auch ungefähr zwanzig Schritte breit, erweitert sich nach und nach auf beiden Seiten, hat aber keine Rückseite, sondern ist in seiner Längenausdehnung unbegrenzt; so weit die Kraft reicht, kann der Hurnuß geschlagen werden. Innerhalb dieses Zieles muß nun der sehr rasch fliegende Hurnuß aufgefaßt, abgetan werden, welches mit großen hölzernen Schaufeln mit kurzen Handhaben geschieht. Fällt derselbe unabgetan innerhalb des Zieles zu Boden, so ist das ein guter Punkt. Wird er aber aufgefaßt oder fällt er dreimal hintereinander außerhalb der Grenzen zu Boden, so muß der Schlagende zu schlagen aufhören. Die zwei Partien bestehen aus gleich viel Gliedern und schlagen und tun wechselseitig den Hurnuß ab. Haben alle Glieder einer Partie das Schlagrecht verloren, indem der Hurnuß entweder abgefaßt worden oder außer das Ziel gefallen, so zählen sie die guten Punkte und gehen nun ins Ziel, um den Hurnuß aufzufassen, den nun die andere Partie schlägt, bis auch alle Glieder das Schlagrecht verloren. Welcher Partie es gelungen ist, mehr Punkte zu machen, den Hurnuß ins Ziel zu schlagen, ohne daß er abgetan wird, die hat gewonnen. Nun muß man wissen, daß dieser Hurnuß fünfzig bis siebzig Fuß hoch und vielleicht sechs- bis achthundert Fuß weit geschlagen wird, und doch gelingt es bei geübten Spielern den Partien oft nicht, einen einzigen Punkt zu machen, höchstens zwei bis drei. Es ist bewunderungswürdig, mit welcher Sicherheit gewandte Spieler dem haushoch über sie hinfliegenden Hurnuß ihre Schaufel entgegenrädern, wie man zu sagen pflegt, und ihn abtun mit weithin tönendem, hellem Klang, mit welcher Schnelligkeit man dem Hurnuß entgegenläuft oder rückwärts springt, um ihn in seinen Bereich zu kriegen. Denn je gewandter ein Spieler ist, ein desto größerer Raum wird ihm zur Bewachung anvertraut. Je gewaltiger einer den Hurnuß zu schlagen vermag, um so mehr müssen die Auffassenden im Ziel sich verteilen, so daß große Zwischenräume zwischen ihnen entstehen und auf den geflügelten Hurnuß eine eigentliche Jagd gemacht werden muß. Dieses Spiel ist ein echt nationales und verdient als eins der schönsten mehr Betrachtung, als es bisher gefunden hat. Daß es ein nationales ist, beweist das am besten, daß ein ausgezeichneter Spieler durch eine ganze Landschaft berühmt wird und die Spieler verschiedener Dörfer ordentliche Wettkämpfe miteinander eingehen, wo die verlierende Partie der gewinnenden eine Ürti zahlen muß, das heißt ein Nachtessen mit der nötigen Portion Wein usw.

Zur Zeit, als die Erdöpfelkofer und die Brönzwylerer mit einander hurnußen wollten, war noch der Dorfhaß in vollem Leben. Es war nämlich eine Zeit im Kanton Bern, wo jedes Dorf das andere haßte, jedes Dorf seinen Spottnamen hatte, wo dieser Haß bei jedem Tanz, an jedem Markte und zwischendurch im Jahr noch sehr oft mit Blut neu besiegelt wurde, daher nie veraltete, sondern in seiner gleichen Schärfe von einem Geschlecht zum andern überging. Damals schlug man sich mehr als jetzt, es floß mehr Blut als jetzt; aber damals war es ein nationales Schlagen mit Scheitern, Stuhlbeinen, Zaunstecken, und die harten Bernergrinden wurden wohl sturm davon, aber brachen nicht ein. Jetzt aber ist es mehr ein banditenmäßiges Morden, ein unnationales Messerbrauchen, und je stumpfer das Schwert der Gerechtigkeit wird, desto schärfer werden die Messer, und je feiger die Richter sind, desto frecher wird das Pack. Ach Gott, wenn doch so ein Richter durch seine vermeintliche Popularität hindurch sehen könnte, wie geehrt und beliebt er sich durch seine Feigheit macht, wie hoch ihn die Mit- und Nachwelt schätzt, wenn er jedem Spitzbuben, jedem Vieh herauszuhelfen sucht, ja dadurch so recht eigentlich zu ihrem Helfershelfer sich macht, er würde zittern und schlottern vor Angst und Scham und doch vielleicht nicht anders können, von wegen seinen natürlichen Anlagen.

Schon lange hatten sie sich gegenseitig ausgeboten und verhöhnt, schon manches Loch in die Köpfe war geschlagen worden, ehe man dazu kam, einen Tag zum Wettkampf anzusetzen. Nun entstund in beiden Dörfern ein reges Leben, jede Abendstunde wurde zur Vorübung benutzt. Die Alten brummten über viele Zeitversäumnis, sagten voraus, das werde eine schöne Geschichte absetzen, und doch nahmen sie eifrig teil an allem, nahmen selbst noch die Schaufeln zur Hand und probierten die Schlagstecken, wie sie sich in die Hand schickten und was für einen Zug sie hätten, bis sie sich nicht enthalten konnten, den Hurnuß auch zu schlagen. Zugleich führten sie die Jungen aus, wie sie gar nichts mehr könnten und wie die Andern ihnen den Marsch machen werden, und doch ließen sich noch einige alte Berühmtheiten mit fast weißen Haaren erbitten, am eigentlichen Kampfe teilzunehmen. Die Auswahl der Spielenden geschah mit der größten Sorgfalt und nach langem Prüfen und Wägen; denn die Ehre des Dorfes stund auf dem Spiele, und es war lustig anzusehen, wie die Auserwählten sich ordentlich in die Brust warfen, die Nichterwählten aber sich klein machten und demütig zu den Andern aufschauten.

Unter den Auserwählten sollte auch Uli sein, denn für so ein Junger war er ein Meister, und wenn ihm schon im Schlagen noch hie und da ein Streich fehlte, so war er doch im Abtun, wo es Springen und Werfen galt, einer der Tüchtigsten. Sein Meister riet ihm ab, die Wahl anzunehmen. Das sei nichts für ihn, sagte derselbe. Verliere seine Partie, so komme er unter fünfundzwanzig bis dreißig Batzen nicht daraus. Das sei noch das Wenigste. Am Abend gebe es Streit, und was dann das kosten werde, das wisse man nicht voraus. Wenn es bös gehe, so könne es zu Leistungen kommen, und man habe Beispiele, daß so ein Streit viele hundert Kronen gekostet habe. Das sei für reiche Bauernsöhne, welche gerne ihre Neutaler sonneten und denen ihre Alten nichts darauf hätten, wenn sie nicht alle halben Jahre eine Ausmacheten hätten, wenn sie nicht während ihrer ledigen Zeit einige hundert Neutaler an Schmerzengeld und Bußen zahlen müßten. Ob solchem sei schon mancher Bauer arm geworden, ein Knechtlein vermöge es vollends nicht. Er solle daher zurückbleiben, meinte der Meister, es könnte ihn sonst um manches Jahr zurückschlagen, ja machen, daß er nie mehr ins Geleise käme. Den Uli dünkte, was der Meister sagte, gar vernünftig, obgleich es ihn hart hielt, nicht an der Ehre teilzunehmen, an jenem Sonntag vor der großen Zuschauerschaft als ein bewährter Hurnußer aufziehen zu können. Er ging den nächsten Abend hin, um abzusagen. Natürlich nahm man sein Wort nicht gerne an, und unglücklicherweise war gerade jener oben genannte Nachbar auch dabei. Nachdem man lange umsonst in Uli gedrungen war, nahm jener Nachbar ihn nebenaus und stellte die Sache nun anders dar.

Der sagte nun dem Uli, wie es seinem Meister nur darum zu tun sei, daß er ihm nicht etwas versäume und daß er nicht etwa einen Abend für ihn füttern müsse. Er kenne den Bodenbauer von Jugend auf, sagte er. Das sei ihm der größte Fuchs und scheinheiligste Ketzer unter der Sonne, und so wie er wisse Keiner die Diensten auszunutzen. Da gebe er ihnen alles Mögliche an und stelle sich lauter gutmeinend, nur um sie zu Hause zu behalten, damit keiner einen Augenblick versäume und er sie brauchen könne Tag und Nacht. Auch wolle er nicht, daß sie mit andern Leuten Gemeinschaft hätten und Bekanntschaft machten, damit sie nicht vernähmten, wie viel Lohn man hier oder dort gebe, wie gut man es hätte usw. So mache er es allen seinen Diensten, und wenn er einen recht ausgenutzet habe, ihm alles aufgebürdet und der etwas mehr Lohn wolle, so jage er ihn fort und stelle wieder einen wohlfeilern an. Jetzt wolle er nur nicht, daß Uli gute Kameradschaft mache mit reichen Bauernsöhnen und dadurch vielleicht sein Glück machen könne, man wisse nicht wie. Er, Uli, solle nur dem Meister sagen, man hätte ihn nicht loslassen wollen. Es sei ihm nützlicher, der Meister brumme ein wenig, als wenn die ganze Dorfschaft ihn zHaß ergreifen würde. Uli schwankte, gab nach; solche Worte fanden noch Glauben bei ihm, zudem gefiel ihm die Kameradschaft mit reichen Bauernsöhnen; er wußte nicht, daß auch hier das Sprüchwort giltet, es sei bös mit großen Herren Kirschen essen, weil sie einem gerne Steine und Stiele ins Gesicht würfen, das Fleisch aber behielten. Wer mit Höhern ohne eigenen Schaden umgehen will, muß sehr klug sein, sonst wird er mißbraucht, muß die Ehre teuer bezahlen und wird am Ende doch mit Spott und Hohn weggeworfen, wenn man seiner satt hat oder ihn nicht mehr zu brauchen weiß oder wenn er sich einfallen läßt, Ansprüche zu machen. Das ist ganz akkurat gleich zu Erdöpfelkofen wie zu Paris, zu Brönzwyler wie zu Bern.

Als Uli dem Meister sagte, er müsse doch mithalten, man wolle ihn nicht loslassen, so erwiderte dieser wenig darauf, nur ermahnte er Uli, daß er sich wohl in acht nehmen möchte; es wäre ihm leid, wenn er in Ungelegenheit käme und wieder ans alte Ort. Diese Milde rührte Uli fast, und beinahe wäre er jetzt noch zurückgegangen, aber die falsche Scham war stärker in ihm als die gute Regung.

Der ersehnte Sonntag brach endlich an, und mit ihm nahm Manchem eine schlaflose Nacht ihr Ende. Wenige hatten Zeit, die Kirche zu besuchen; alle Teilnehmer mußten sich rüsten, Schaufeln probieren, Stecken fecken, die Andern hatten ihnen zu helfen, und alle Weiber mußten das Mittagsmahl wenigstens eine halbe Stunde früher bereit halten als sonst, was für die einen eine schwere Aufgabe war, welche Fleisch im Hafen hatten, das drei Jahre im Kamin gehangen und von einer Kuh gekommen war, welche, wenn sie eine Frau gewesen, fast gar zur goldenen Hochzeit gekommen wäre.

Indessen wenn das Fleisch auch blieb wie mittelmäßiges Sohlleder, heute nahm es niemand übel, und glücklich war man, als endlich nichts mehr zwischen dem Nachmittage war, an dem des Dorfes Ehre für Kind und Kindeskinder neu bewährt werden sollte.

Noch lange hatte die bestimmte Stunde nicht geschlagen, als man schon mit dem Rüstzeug auf den Achseln Einzelne dem Sammelplatz zuziehen und dort Stecken und Schaufeln von Hand zu Hand zu sorgfältiger Prüfung wandern sah. Die Knaben drängten sich gar eifrig herbei und schwangen mit Eifer die Stecken und redeten mit gar wichtigen Gesichtern, welche Schaufel am besten in die Hand sich schicke; die Alten aber stunden scheinbar kaltblütig draußen auf der Straße, die kurzen Pfeifchen trotzig im Munde, die Hände in den Kuttentäschen und Westensäcken, und redeten vom Luft und vom Säen. Endlich wurde aufgebrochen, die jubelnde Jugend voran. Mit glücklichen Gesichtern die, welche eine Schaufel, einen Stecken tragen konnten, branzend und zankend die, welche leer nebenbeiliefen, kühn und trotzig, hie und da einer einen ungelenken Sprung versuchend, wenn er eben ein Mädchengesicht erblickte, das ihm nicht gleichgültig war, marschierten die Kämpfer in halbmilitärischer Ordnung nach, und hintendrein trätscheten, wie in halbem Selbstvergessen, die Alten, und einer sagte dem andern, er müsse auf seinen Acker, man habe ihm gesagt, die Schnecken machten gar wüst in seinem Roggen, und da gehe es ihm in einem zu, zu sehen, wie die Jungen es verspielten. Es sei unter ihnen kein Einziger, der ihm die Schuhriemen aufgetan hätte, wo er noch jung gewesen, und doch seien noch ein halb Dutzend ebenso bös gewesen oder noch böser als er. Und als die Mannschaft aus dem Dörfchen war, hielt das Weibervolk Rat, was sie wohl zWort haben könnten, um auch auf dem Kampfplatz zu erscheinen oder wenigstens von weitem zuzusehen. So mir nichts dir nichts dem Zuge nachzulaufen, schämten sie sich. Ei nun, die Vorwände waren bald gefunden! Die jungen Mädchen zogen aus in langen Zeilen, Hand in Hand, und flatterten herum, bis sie mitten unter den Buben saßen; etwas ältere zogen langsam, in weiten Kreisen um den Platz herum und stellten sich in geziemender Entfernung auf einem kleinen Hübeli auf, wo sie weithin gesehen werden konnten, und eine Alte nach der andern trappete nach mit einem Kinde an der einen, einem Rosmarinstengel in der andern Hand und sagte jedem Begegnenden: Sie müsse auch noch da hinaus, wenn es ihr schon zwider sei, aber das Kleine hätte ihr keine Ruhe gelassen. Es wolle auch luegen, wie dr Ätti hurnußen könne, hätte es gesagt.

Es war ein schöner herbstlicher Tag, hell die Luft und grün die Erde; einzelne Schäfchen gingen am Himmel, ganze Scharen weideten auf der Erde, und eine liebliche Wärme lag auf Menschen und Tieren, die in süßer Behaglichkeit sich ausstreckten im grünen Grase an der hellen Sonne.


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