Jeremias Gotthelf
Wie Uli der Knecht glücklich wird
Jeremias Gotthelf

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Drittes Kapitel

Eine Kinderlehre während der Nacht

Nachdem sie draußen im Stalle die Laterne aufgehängt hatten, den Pferden über Nacht gegeben, streute der Meister selbst dem Kleb noch, der unruhig hin- und hertrappete und in seiner Unruhe nicht liegen konnte, und sagte: Es gehe wohl noch eine Stunde oder zwei; sie wollten hinaus auf das Bänkli sitzen und noch ein Pfeifchen rauchen, der Kleb werde sich schon künden, wenn es Zeit sei.

Es war eine lauwarme Nacht, halb dem Frühling, halb dem Sommer angehörend. Wenige Sterne glitzerten im blauen Himmelsmeer, ein helles Jauchzen, ein fernes Fahren unterbrach zuweilen die stille Nacht.

«Hast du dich nun ausbesonnen, Uli?» fragte der Meister, als sie auf dem Bänklein vor dem Stalle saßen. Es sei ihm noch so nebeneinander, sagte Uli, doch nicht in einem bösen Ton. Alles annehmen, das wolle er nicht, aber zuletzt sei es ihm graglich (lasse er es sich gefallen), zu bleiben. Er hatte halt auch schon den allgemein angenommenen Grundsatz, daß man es nie zeigen dürfe, wenn einem an etwas gelegen sei, indem sonst der Gegner Vorteil daraus ziehe. Daher die merkwürdige Ruhe und Kaltblütigkeit, die Diplomaten an Bauern bewundern müßten. Es ist aber in seiner Ausdehnung und Anwendung ein heilloser Grundsatz, der unsäglich viel Böses stiftet, unzählige Menschen auseinanderbringt, sie gegenseitig als Feinde gegenüberstellt und wiederum Kaltblütigkeit da erzeuget, wo heiliger Eifer brennen sollte, und aus der Kaltblütigkeit eine Gleichgültigkeit macht, welche jedem Freund des Guten unwillkürlich Gänsehaut den ganzen Rücken aufschnadern läßt. Glücklicherweise war der Meister auch kaltblütig und nahm die Sache nicht so übel, sondern sagte, ihm seis auch gerade so. Er hätte nichts wider Uli, aber so dabeisein wolle er auch nicht. Es nähmte ihn wunder, wer gefehlt hätte und ob er in seinem Hause nichts mehr sagen dürfe, wenn er nicht eine ganze Woche kein gutes Wort hören und ein Gesicht sehen wolle, mit dem man ganz Amerika vergiften könnte? Er könne nicht helfen, sagte Uli. Sauersehn sei seine Freundlichkeit, und wenn er ein apartig Gesicht gemacht habe, so sei es nicht seinetwegen gewesen, er hätte apartig über ihn nicht zu klagen und über niemand sonst. Aber er sei halt auch ein armes Knechtlein und sollte nirgends sein und keine Freude haben; er sollte nur auf der Welt sein, um bös zu haben, und wenn er einmal sein Elend vergessen wolle und sich lustig machen, so käme alles auf ihn los und suche ihn untern zu drücken. Wer ihn ins Unglück sprengen könne, der tue es. Da könne man nicht immer süß dareinsehen.

Er sollte doch sehen, daß er ihn nicht begehre ins Unglück zu sprengen, ds Gunteräri, sagte der Meister. Wenn ihn jemand ins Unglück sprenge, so sei er es selbst. Wenn ein Bursche sich mit schlechten Mädchen abgebe, so sei er sein eigener Unglücksstifter und niemand anders. Er wisse wohl, es tröste sich jeder damit, es treffe ihn nicht, sondern einen Andern; aber einen treffe es immer, und wenn einer auch siebenmal entronnen sei und ein Anderer statt seiner im Lätsch geblieben, so gebe es ihn zum achten Male, er solle nur darauf zählen. Aber solang er nicht darin sei, lache er alle aus und sage allen wüst, die ihn davor warnen; und wenn er einmal darin sei, so sollen alle daran schuld sein, und er sage wiederum allen wüst, daß sie ihm nicht davor gewesen seien. «Aber gell, Uli,» sagte der Meister, «es ist dir diese Woche schon angst genug gewesen, es hätte dich im Lätsch. Ich habe wohl gesehen, wie du vor jedem Weibervolk geflohen bist und hinter allen Zäunen Anne Lisi gesehen hast. Und deine Angst hast du dann uns und unser Vieh entgelten lassen, nach Art so vieler Diensten, die allen Zorn und alles Ungerade, das ihnen über den Weg läuft, an den Meisterleuten oder an ihren Sachen, an Kühen oder Kacheln, auslassen. Deine Angst war in dieser Woche dein Böshaben, und an der war niemand schuld als du. Du hättest es ohne die Angst so gut haben können als wir selbst. Nein, Uli, du mußt von deinem Lumpenleben lassen, du machst dich unglücklich, und solchen Ärger wie diese Woche will ich deinetwegen nicht mehr haben.»

Er hätte noch nichts Schlechts gemacht, sagte Uli. He, das nehme ihn doch wunder, sagte der Meister; ob Vollsein etwas Bravs sei, und was er mit Anne Lisi getrieben habe, werde auch nicht das Sauberste gewesen sein und wohl auch im siebenten Gebot vernamset. Oh, es seien noch viel schlechtere Leute als er, sagte Uli, und es gebe viele Bauren, mit denen er sich dann noch lange nicht zusammenzählen lasse. Da habe er nichts darwider, antwortete der Meister, aber ein schlechter Mensch mache den andern nicht gut, und wenn schon mancher Bauer ein Trunkenbold sei oder gar ein Schelm, so sei es deswegen um nichts bräver, wenn Uli ein Hudel sei und noch anderes mehr. Es werde doch wohl erlaubt sein, eine Freude zu haben, sagte Uli; «wer möchte dabeisein, wenn man keine Freude mehr haben dürfte?» «Aber, Uli, was ist das für eine Freude, wenn man darauf eine ganze Woche nirgends sein darf, es einem nirgends wohl ist? Was ist das für eine Freude, die einem für das ganze Leben elend und unglücklich machen kann? Solche Freuden sind des Teufels Lockvögel. Ja freilich kannst du dich freuen, es darf jeder Mensch Freude haben, aber an guten und erlaubten Dingen. Das ist eben ein Zeichen, ob ein Mensch gut oder schlecht ist, je nachdem er an guten oder schlechten Dingen seine Freude hat.» «Ja, du hast gut krähen,» sagte Uli, «du hast den schönsten Hof weit und breit, hast die Ställe voll schöner Ware, den Spycher voll Sachen, eine gute Frau, von den besten eine, schöne Kinder; du kannst dich wohl freuen, du hast Sachen, woran du Freude haben kannst; wenn ich sie hätte, es käme mir auch kein Sinn ans Hudeln, an Anne Lisi. Aber was habe ich? Ich bin ein armes Bürschli, habe keinen Menschen auf der Welt, ders gut mit mir meint; der Vater ist gestorben, die Mutter auch, und von den Schwestern sieht jedes für sich. Böshaben ist mein Teil in der Welt; werde ich krank, so will mich niemand haben, und sterbe ich, so tut man mich untern wie einen Hund und kein Mensch pläret mir nach. Oh, daß man unsereinen nicht zTod schlägt, wenn wir auf die Welt kommen!» Und damit fing der große, starke Uli an gar bitterlich zu weinen. «Nit, nit, Uli,» sagte der Meister, «du bist gar nicht so bös daran, wenn du es nur glauben wolltest. Laß dein wüstes Leben sein, so kannst du noch ein Mann werden. Es hat Mancher nicht mehr gehabt als du und hat jetzt Haus und Hof und Ställ voll War.» Ja, sagte Uli, solches geschehe nicht mehr, und dann müsse man mehr Glück haben dazu, als er habe. «Das ist eine dumme Red,» sagte der Meister; «wie kann einer von Glück reden, wenn er alles fortwirft und vertut, was ihm in die Hände kömmt? Ich habe noch kein Geldstück gesehen, das nicht aus der Hand wollte, wenn man es fortgab. Aber das ist eben der Fehler, daß du den Glauben nicht hast, daß du noch ein Mann werden könntest. Du hast den Glauben, du seiest arm und bleibest arm und an dir sei nichts gelegen, und darum bleibst du auch arm. Hättest du einen andern Glauben, so würde es auch anders gehen. Denn es kommt noch immer alles auf den Glauben an.» «Aber um tusig Gottswillen, Meister,» sagte Uli, «wie sollte ich auch reich werden? Wie geringen Lohn habe ich! Wie viel Kleider brauche ich! Dazu habe ich noch Schulden! Was hilft da husen (sparen)? Und sollt ich dann kein Freudeli haben?» «Aber dr tusig Gottswillen, wo soll das mit dir hin, wenn du jetzt schon Schulden hast, bei gesundem Leib, und hast für niemand zu sorgen? So mußt du einen Fötzel geben, und dann mag dich niemand mehr; du verdienst immer weniger und hättest doch immer mehr nötig. Nein, Uli, sinn doch ein wenig nach, so kann das nicht mehr gehen. Jetzt ists noch Zeit, und ich sage es dir aufrichtig, es wäre schade um dich.» «Es trägt nichts ab; was hilft mir das, wenn ich schinde und mir nichts mehr gönne? Ich bringe es doch zu nichts; so ein arm Bürschli, wie ich bin, bleibt ein arm Bürschli,» sagte Uli.

«Sieh doch, was der Kleb macht,» sagte der Meister. Und als Uli mit dem Bescheid kam, er verdrehe sich noch, das Kalb komme noch nicht gleich, sagte der Meister: «Ich denke mein Lebtag daran, wie unser Pfarrer uns das Dienen ausgelegt hat in der Unterweisung und wie er die Sache so deutlich gemacht hat; man hat ihm müssen glauben, und es ist Mancher glücklich geworden, der ihm geglaubt hat. Er hat gesagt: Alle Menschen empfingen von Gott zwei große Kapitale, die man zinsbar zu machen habe, nämlich Kräfte und Zeit. Durch gute Anwendung derselben müßten wir das zeitliche und ewige Leben gewinnen. Nun hätte Mancher nichts, woran er seine Kräfte üben, seine Zeit nützlich und abträglich gebrauchen könnte; er verleihe daher seine Kräfte, seine Zeit jemandem, der zu viel Arbeit, aber zu wenig Zeit und Kräfte habe, um einen bestimmten Lohn; das heiße Dienen. Nun sei das eine gar unglückliche Sache, daß die meisten Diensten dieses Dienen als ein Unglück betrachten und ihre Meisterleute als ihre Feinde oder wenigstens als ihre Unterdrücker, daß sie es als einen Vorteil betrachteten, im Dienst so wenig als möglich zu machen, so viel Zeit als möglich verklappern, verlaufen, verschlafen zu können, daß sie untreu würden, denn sie entzögen auf diese Weise dem Meister das, was sie verliehen, verkauft hätten, die Zeit. Wie aber jede Untreue sich selbst strafe, so führe auch diese Untreue gar fürchterliche Folgen mit sich, denn so, wie man untreu sei gegen den Meister, sei man auch untreu an sich. Es gebe jede Ausübung unvermerkt eine Gewohnheit, welcher man nicht mehr loswerde. Wenn so ein Jungfräuli oder ein Knechtlein jahrelang so wenig als möglich getan, so langsam als möglich an einer Sache gemacht, allemal gebrummt hätte, wenn man ihm etwas zugemutet, entweder auf- und davongemacht hätte, unbekümmert wie es komme, oder darob geklappert, daß ihm das Gras unter den Füßen gewachsen sei, zu nichts Sorge getragen, so viel als möglich gschändet, nie Angst gehabt, sondern für alles gleichgültig gewesen sei, so gebe das erstlich eine Gewohnheit, und die könne es später nicht mehr ablegen. Zu allen Meistern bringe es diese Gewohnheit mit, und wenn es am Ende für sich selbst sei, heirate, wer müsse diese Gewohnheiten, diese Trägheit, Schläfrigkeit, Schmäderfräßigkeit, Unzufriedenheit haben als es selbst? Es müsse sie tragen und alle ihre Folgen, Not und Jammer, bis ins Grab, durch das Grab, bis vor Gottes Richterstuhl. Man solle doch nur sehen, wie viele tausend Menschen den Menschen zur Last seien und Gott zum Ärgernis und sich als widerwärtige Geschöpfe herumschleppten, den Denkenden als sichtbare Zeugnisse, wie die Untreue sich selbsten strafe. Aber so, wie man durch sein Tun sich inwendig eine Gewohnheit bereite, so mache man sich auswendig einen Namen. An diesem Namen, an dem Ruf, der Geltung unter den Menschen arbeite ein jeder von Kindsbeinen an bis zum Grabe, jede kleine Ausübung, ja jedes einzelne Wort trage zu diesem Namen bei. Dieser Name öffnet oder versperrt uns Herzen, macht uns wert oder unwert, gesucht oder verstoßen. Wie gering ein Mensch sein mag, so hat er doch einen Namen; auch ihn betrachten die Augen seiner Mitmenschen und urteilen, was er ihnen wert sei. So macht auch jedes Knechtlein und jedes Jungfräulein an seinem Namen unwillkürlich, und nach diesem Namen kriegen sie Lohn, dieser Name bricht ihnen Bahn oder verschließt sie ihnen. Da kann eins lange reden und über frühere Meisterleute schimpfen, es macht damit seinen Namen nicht gut, sein Tun hat ihn längst gemacht. Ein solcher Name werde stundenweit bekannt, man könne nicht begreifen wie. Es sei eine wunderbare Sache um diesen Namen, und doch betrachteten ihn die Menschen viel zu wenig und namentlich die, welchen er das zweite Gut sei, mit dem sie, verbunden mit der inwendigen Gewohnheit, ein drittes, ein gutes Auskommen in der Welt, Vermögen, ein viertes, den Himmel und seine Schätze, erwerben wollten. Er frage nun: wie ein elender Tropf einer sei, wenn er schlechte Gewohnheit habe, einen schlechten Namen und um Himmel und Erde komme!»

Daher soll, habe der Pfarrer gesagt, jeder, der in Dienst trete, den Dienst nicht betrachten als eine Sklavenzeit, den Meister als den Feind, sondern als eine Lehrzeit und den Meister als eine Wohltat Gottes, denn was sollten die Armen, das heißt die, welche nur Zeit und Kräfte, also doch eigentlich viel hätten, anfangen, wenn ihnen niemand Arbeit und Lohn gäbte? Sie sollten die Dienstzeit betrachten als eine Gelegenheit, sich an Arbeit und Emsigkeit zu gewöhnen und sich einen recht guten Namen zu machen unter den Menschen. In dem Maße, als sie dem Meister treu wären, wären sie es auch an ihnen, und wie der Meister an ihnen gewinne, gewönnen sie selbst auch. Sie sollten ja nie meinen, daß nur der Meister Nutzen zöge aus ihrem Fleiß; sie gewönnen wenigstens ebenso viel dabei. Wenn sie daher auch zu einem schlechten Meister kämen, sie sollten ja nie meinen, ihn zu strafen durch schlechte Aufführung; sie täten damit sich nur selbst ein Leid an und schadeten sich innerlich und äußerlich. Wenn nun so ein Dienstbote immer besser arbeite, immer treuer und geschickter sei, so sei das sein Eigentum, und das könne niemand von ihm nehmen, und dazu besäße er einen guten Namen, die Leute hätten ihn gerne, vertrauten ihm viel an, und die Welt stehe ihm offen. Er möchte vornehmen, was er wollte, so fände er gute Leute, die ihm hülfen, weil sein guter Name der beste Bürge für ihn sei. Man solle doch nur achten, welche Dienstboten man rühme, die treuen oder die untreuen, solle sich achten, welche unter ihnen zu Eigentum und Ansehen kämen.

«Dann hat der Pfarrer noch ein Drittes gesagt, und das geht dich besonders an. Er hat gesagt, der Mensch wolle Freude haben und müsse Freude haben, besonders in der Jugendzeit. Hasse nun ein Dienst seinen Dienst und sei ihm die Arbeit zuwider, so müsse er eine apartige Freude suchen, und er fange daher an zu laufen, zu hudeln, mit schlechten Sachen sich abzugeben und habe daran seine Freude und sinne daran Tag und Nacht. Sei aber einem Knecht oder einer Magd das Licht aufgegangen, daß sie etwas werden möchten, und der Glaube gekommen, daß sie etwas werden könnten, so liebten sie die Arbeit, hätten Freude daran, etwas zu lernen, etwas recht zu machen, Freude, wenn ihnen etwas gelinge, wachse, was sie gesäet, fett werde, was sie gefüttert; sie sagten nie: Was frage ich dem nach, was geht mich das an? Ich habe so nichts davon. Ja sie hätten eine eigentliche Lust daran, etwas Ungewohntes zu verrichten, etwas Schweres zu unternehmen; dadurch wüchsen ihre Kräfte am besten, dadurch machten sie sich den besten Namen. So haben sie auch Freude an des Meisters Sache, seinen Pferden, seinen Kühen, seinem Korn, seinem Gras, als ob es ihnen gehöre. Woran man Freude hat, daran sinnet man auch; wo man den Schatz hat, da hat man auch das Herz, sagte der Pfarrer. Hat nun der Knecht seinen Dienst im Kopf, erfüllt ihn der Trieb, so ein vor Gott und Menschen recht tüchtiger Mensch zu werden, so hat der Teufel wenig Macht über ihn, kann ihm nicht böse Sachen eingeben, wüste Sachen, an die er Tag und Nacht denkt, so daß er keinen Sinn für seine Arbeit hat, und die ihn noch von einem Laster zum andern ziehen und innerlich und äußerlich verderben.

«Das hat der Pfarrer gesagt,» sagte der Meister; «es ist mir, als ob es noch heute wäre, als er uns das sagte, und ich habe schon hundertmal gesehen, daß er recht hatte. Ich habe gedacht, ich wolle es dir sagen, es passet gerade auf dich. Und wenn du nur glauben wolltest, so könntest du einen von den brävsten Burschen abgeben und es einst haben, wie du nur wolltest.»


 << zurück weiter >>