Johann Wolfgang von Goethe
Briefe an Charlotte Stein, Bd. 1
Johann Wolfgang von Goethe

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1000

[Freitag 8. November]

Heute hab ich dir schon lange im Stillen für deine Liebe und Treue gedanckt, ich stieg eine Stunde früher auf als gewöhnlich und werde es so fortsetzen. Mein Wilhelm läuft zum Ende seines dritten Buchs. Wenn ich schreibe dencke ich es sey auch dir zur Freude. Lebe wohl fürchte das achte Jahr nicht und keine bestimmte noch unbestimmte Zeit. Lebe wohl und liebe mich wie gestern und immer.

d. 8. Nov. 82.

G.

1001

[Freitag 8. November]

Da die Ausstellung um 9 Uhr seyn soll kann ich meine Lotte vorher nicht sehen. Sage mir wie du geschlafen hast und wohin sich das Angesicht deines Tages wendet? Was deine Füse machen und dein Kopf. Lebe wohl, nach Tische seh ich dich, und finde dich wie immer.

d. 8. Nov. 82.

G.

Diedens gehn nach Italien, gestern Abend fand ich einen Brief von ihm.

1002

[Sonnabend 9. November]

Mir ists wohl wie dirs besser wird. Ruhe dich ia aus und pflege dein auch um meinetwillen. Mattei wird bey mir essen.

Nach Tische suche ich dich. Lebe wohl bis dahin. Wilhelm ist wieder um ein Capitel geruckt.

d. 9. Nov. 82.

G.

1003

[Sonntag 10. November]

Willst du mir L. Lotte auch nur mit einem Worte Verzeihung meiner gestrigen Unart gewähren? Es ist mir unerträglich dir auch nur im geringsten eine unangenehme Empfindung zu machen.

Du gehst also nach Hofe. Ich komme vorher. Wir fahren zusammen. Adieu geliebteste. Wilh[elm] ruckt.

d. 10. Nov. 82.

G.

1004

[Dienstag 12. November]

Nachdem ich heute früh das dritte Buch meines W[ilhelm] glücklich beschlossen grüse ich dich meine Liebe, mit der Versichrung daß meine größte Freude dabey ist, es dir vorzulesen und deinen Beyfall zu haben. Diesen Abend sehen wir uns auch noch früher hoffe ich. Diesen Nachmittag muß ich spazieren. Zu Tische kommt der Magus. Morgen Abend hab ich Fritschens. Adieu. Du hast mich immer.

d. 12. Nov.

G.

1005

[Mittwoch 13. November]

Gar sehr wünsche ich ein Wort von dir zu sehn. Gestern Abend ward mir's auf einmal gar wehe daß ich weg mußte. Der Schlaf hat alles fortgenommen. Nur brauch ich deine Liebe täglich mehr um den bösen Geistern zu widerstehn die mich anfallen. Adieu beste.

d. 13. Nov. 82.

G.

1006

[Donnerstag 14. November]

Laß mir nur eine Zeile von deiner Hand sehen, eher geht mein Tag nicht an. Gieb mir ein Zeichen dessen woran ich nicht zweifle. Mein ganzes Wesen ist an dich geknüpft. Liebste Lotte gehst du zu der Titanischen Arbeit? Leb wohl und sage mir ob du wohl bist.

d. 14. Nov. 82.

G.

1007

[Sonnabend 16. November]

Ich bleibe zu Hause und erwarte dich einzige unter vielen heut Abend. Meine Seele neigt sich zur Einsamkeit, und mein Herz empfielt sich dem deinigen.

1008

[Sonntag 17. November]

Frühe hab ich zwar nicht vor Tag doch mit dem Tage meine erste Wallfahrt gemacht. Unter deinen Fenstern grüst ich dich und ging nach deinem Steine. Er ist ietzt der einzige lichte Punckt in meinem Garten. Die schönen Trähnen des Himmels rollten an ihm herunter, es soll hoff ich nichts zu bedeuten haben.

Ich strich um mein verlassen Häusgen, wie Melusine um das ihrige wohin sie nicht zurückkehren sollte, und dachte an die Vergangenheit von der ich nichts verstehe, und an die Zukunft von der ich nichts weis. Wie viel hab ich verlohren da ich ienen stillen Aufenthalt verlassen muste! Es war der zweyte Faden der mich hielt, ietzt hänge ich ganz allein an dir, und Gott sei Danck ist dies der stärckste. Seit einigen Tagen seh ich die Briefe durch die an mich seit zehen Jahren geschrieben worden, und begreife immer weniger was ich bin und was ich soll.

Bleibe mir l. Lotte du bist mein Ancker zwischen diesen Klippen.

Was es auch sey, so fühl ich ein unendl. Bedürfniß einsam zu seyn. Unter einem Vorwande daß ich nicht wohl sey will ich mich vom Hof und Conseil entschuldigen, zu Hause bleiben, alte Schulden abthun und mein Haus bestellen. Da Hufland selbst kranck ist kann ich es desto eher thun. Dazu muß ich aber auch deinen Urlaub haben, versage mir ihn nicht.

Schach wird meinen Morgengrus gebracht haben. Wie freut ich mich iemand von dir zu sehn, und nun grüse ich dich mit der herzlichsten Zärtlichkeit. Adieu.

d. 17. Nov. 82.

G.

So weit war ich als ich dein liebes Zettelgen erhielt. Tausend Danck. Was soll ich darauf sagen? Liebe Lotte wenn du aus der Kirche kommst laß mich noch ein Paar Zeilen von dir sehen. Du einzige unaussprechlich Geliebte.

1009

[Sonntag 17. November]

Dein Anblick, eine Zeile von dir ist mir so anziehend. Das einzige was mir noch recht anziehend ist. Ich mögte zu dir daß du mir's recht ansehen könntest wie ich dich liebe. Danck für dein Mitleiden. Dein mit mir Leiden und verzeih mir und liebe mich.

d. 17. N. 82.

G.

Schicke mir doch Fritzen nach Tische.


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